Walter Schilling (Theologe)

Walter Schilling (Theologe)

Walter Schilling (* 28. Februar 1930 in Sonneberg) ist ein evangelisch-lutherischer Theologe und Repräsentant der Kirche von Unten.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Schilling wurde als Sohn eines Pfarrers der Bekennenden Kirche geboren. Als Jugendlicher wurde er Mitglied der Flieger-HJ.[1] Nach 1945 erhielt er in der SBZ keine Studienzulassung, daher absolvierte er ab 1950 in Münster und Heidelberg ein Theologie-Studium, das er 1955 in Jena mit dem Examen abschloss. Danach wurde er Vikar in Königsee und Braunsdorf und seit 1957 Kreisjugendpfarrer und Gemeindepfarrer der Thüringer Kirche in Braunsdorf-Dittrichshütte bei Saalfeld. Ab 1959 baute er ein kirchliches Jugendheim auf, dessen Leitung er fortan übernahm. Ab 1968 beteiligte er sich am praktischen Aufbau der Offenen sozialdiakonischen Jugendarbeit in Thüringen und war Ansprechpartner und Seelsorger für randständige Jugendliche, gab ihnen Raum und Gelegenheit zur Selbstfindung.

"Für Schilling waren die Jugendlichen Unruhestifter, die sich gegen staatliche und gesellschaftliche Bevormundung wandten und auch kirchliche Strukturen und religiöse Inhalte in Frage stellten. Seine Jugendarbeit verlangte keine religiösen Bekenntnisse, sondern schaute auf den Einzelnen und seine Fähigkeit zu eigenmächtigem Handeln."[2]

Er wurde von Beauftragten des Ministerium für Staatssicherheit (MfS) überwacht und geriet auch in Konflikte mit kirchlichen Behörden. 1974 wurde er auf Betreiben des MfS als Leiter des Jugendheimes abgesetzt und die Einrichtung geschlossen.[3]. Er wurde weiterhin überwacht, fand in den 1980er Jahren aber in Landesbischof Werner Leich einen Vertrauten und Beschützer.

Ehrhart Neubert schreibt Schilling eine "Schlüsselfunktion in der gesamten DDR" zu. In einem taz-Artikel heißt es dazu weiter: "Die unter Schillings Schutz bietendem Jenaer Kirchendach versammelten jungen Oppositionellen seien die Keimzelle der DDR-Opposition gewesen."[4]

Schilling gilt als maßgeblicher Inspirator, Organisator und Repräsentant der aus der "Offenen Arbeit" hervorgegangenen "Kirche von Unten", zu deren theologischem Begleiter er 1989 durch die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg berufen wurde. Aus seiner antikommunistischen Einstellung machte er auch in der Öffentlichkeit keinen Hehl. Danach befragt, was er im Oktober 1989 während der Wendetage in der Gethsemane-Kirche von Berlin erlebt habe, bekannte er:

„Das war, als auch der Herr Fink, Rektor der Humboldt-Uni, Dresche kriegte. Alle Eingeweihten in Berlin haben gesagt: 'Endlich hat der mal den Wanst vollgekriegt, der rosa Kerl!' Wußte doch jeder, daß der rosa ist und ein Kompromißtyp, wie er im Buche steht."[5]

Nach den polizeilichen Übergriffen vom 7./8. Oktober 1989 in Berlin im Anschluss von friedlichen Demonstrationen war Schilling Mitarbeiter im Unabhängigen Untersuchungsausschuss.

Im Wendejahr 1989 und den folgenden Jahren spürte er andere Pfarrer auf, die mit dem MfS zusammengearbeitet hatten und brachte sie bei der Kirchenbehörde zur Anzeige. Der Landeskirchenrat bestellte ihn zum Sachverständigen in verschiedenen Anhörungs- und Amtszuchtverfahren gegen betroffene kirchliche Mitarbeiter.[6] Ab 1990 wurde er wieder Leiter des Heimes für "Offene Arbeit" in Braunsdorf.

Schilling befindet sich seit 1994 im Ruhestand und lebt in Dittrichshütte.

1995 erhielt er den Menschenrechtspreis der Stadt Weimar.

"Walter Schilling war innerhalb der Oppositionsbewegung der ehemaligen DDR eine der Persönlichkeiten, die sich furchtlos für die Menschenrechte engagiert haben", hieß es in der Begründung.[7]

Ende 2001 trat er als Unterzeichner einer Stellungnahme ehemaliger DDR-Bürgerrechtler auf die Neujahrsansprache 2002 von Bundeskanzler Gerhard Schröder unter dem Titel "Wir haben es satt"[8] letztmalig in der Öffentlichkeit in Erscheinung.

Eigene Publikationen

  • Schilling, Walter: „Die 'Bearbeitung' der Landeskirche Thüringen durch das MfS" In: Vollnhals, Clemens: Die Kirchenpolitik von MfS und Staatssicherheit, Christoph Links Verlag, Berlin 1996. ISBN 3861531224. S. 211-266.
  • Im Thüringer Archiv für Zeitgeschichte "Matthias Domaschk" (ThürAZ) in Jena, ein unabhängiges Spezialarchiv zur Thematik Opposition/Widerstand/Zivilcourage in der DDR, befinden sich Privatbestände Schillings im Zeitraum von 1951 bis 1998. Ein Kernstück dieser Sammlung "sind die zahlreichen handschriftlichen Notizen und Manuskripte, Konzepte und Referate, Briefe, Aufzeichnungen und Statistiken aus Einsichten in Akten des MfS."[9]

Literatur

  • Andreas Dornheim, Stephan Schnitzler (Hrsg.): Thüringen 1989/90. Akteure des Umbruchs berichten. Landeszentrale für politische Bildung, Erfurt 1995. ISBN 3-931426-00-9
  • Lars Eisert-Bagemihl, Ulfrid Kleinert (Hrsg.): "Zwischen sozialer Bewegung und kirchlichem Arbeitsfeld. Annäherung an die Offene Jugend(-)Arbeit", Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2002, ISBN 3-374-01946-3
  • Gerold Hildebrand: Walter Schilling. In: Ilko-Sascha Kowalczuk / Tom Sello (Hrsg.): Für ein freies Land mit freien Menschen. Opposition und Widerstand in Biographien und Fotos. Robert-Havemann-Gesellschaft, Berlin 2006. ISBN 3-938-85702-1
  • Philipp Mosch: Trau dir selbst und anderen etwas zu. Im Blickpunkt: Pfarrer Walter Schilling und die Offene Arbeit in Thüringen., In: Gerbergasse 18. Forum für Geschichte und Kultur, Heft 4, Jena 1997 und In: Horch und Guck, Heft 25, Berlin 1999.
  • Philipp Mosch: Losgehen und Ankommen – Erinnerung an JUNE 78. Jugendaufbruch im thüringischen Rudolstadt, In: Gerbergasse 18. Forum für Geschichte und Kultur, Heft 14 - Jena 1999.
  • Ehrhart Neubert: Schilling, Walter. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Ch. Links Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4, Band 2.
  • Ehrhart Neubert: Geschichte der Opposition in der DDR 1949–1989. Bonn 2000. ISBN 3861531631
  • Clemens Vollnhals (Hrsg.): Die Kirchenpolitik von MfS und Staatssicherheit. Eine Zwischenbilanz - Analysen und Dokumente, Christoph Links Verlag, Berlin 1996. ISBN 3861531224

Weblinks

Einzelnachweise

  1. <Dornheim, Andreas und Schnitzler, Stephan (Hg.): Thüringen 1989/90. Akteure des Umbruchs berichten. Landeszentrale für politische Bildung, Erfurt 1995, S. 205
  2. http://hometown.aol.de/hpietzsch/homepage/verein.html aus: Lars Eisert-Bagemihl: Zwischen sozialer Bewegung und kirchlichem Arbeitsfeld. [...] S.84
  3. http://www.jugendopposition.de/index.php?id=87
  4. http://www.taz.de/index.php?id=archivseite&dig=2006/04/08/a0021
  5. Dornheim, Andreas und Schnitzler, Stephan (Hg.): Thüringen 1989/90. Akteure des Umbruchs berichten, Erfurt 1995. Darin: Walter Schilling: Die 68er Insel im "Roten Meer" - Braunsdorf (Interview von Andreas Dornheim), S. 206
  6. ebd.
  7. http://www.menschenrechtspreis.de/index.php?id=preistraeger-1995
  8. http://www.netzwerk-regenbogen.de/satt020101.html
  9. http://www.thueraz.de/bestand/pri_19.shtml

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