Chrétien de Troyes

Chrétien de Troyes

Chrétien de Troyes (* um 1140 in Troyes; † um 1190) war ein französischer Autor.

Chrétien gilt als Begründer der Gattung Höfischer Roman und als dessen wichtigster Vertreter in der altfranzösischen Literatur. Seine Versromane haben darüber hinaus die Literatur und Kunst europaweit nachhaltig beeinflusst. Sie waren zum Beispiel Vorlage für die mittelhochdeutschen Epiker Hartmann von Aue und Wolfram von Eschenbach.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Konkrete Lebensdaten von Chrétien sind nicht bekannt, außer dass er sich in seinem Roman Erec et Enide als aus Troyes stammend bezeichnet (er schrieb auch im Dialekt der Champagne) und dass er eine gute Bildung nach Art eines Klerikers genossen haben muss. Seine Schaffenszeit erstreckte sich offensichtlich von ca. 1160 bis in die 1180er Jahre hinein. Einer seiner Romane, Lancelot, wurde nach Auskunft der Widmung im Auftrag der Gräfin Marie de Champagne verfasst, die diesen Titel durch ihre Heirat 1164 erhielt; sein letztes und unvollendetes Werk, der Conte du Graal, ist Graf Philipp von Flandern gewidmet, der diesen Titel 1169 übernahm und 1180 (was die offenbar vor diesem Zeitpunkt verfasste Widmung nicht erwähnt) Regent von Frankreich wurde. Chrétien muss also jeweils nach 1164 und vor bzw. um 1180 länger oder zeitweilig in Beziehung zu den genannten Fürsten gestanden haben.

Das Publikum Chrétiens waren entsprechend diese und andere fürstliche Mäzene samt ihren Gattinnen und deren Hofdamen und Edelfräulein, sowie der an ihren Höfen lebende oder verkehrende kleinere und mittlere Militär- und Verwaltungsadel. Sein Schaffen dokumentiert den Höhepunkt der Macht dieser größeren und kleineren Territorialfürsten (Herzöge, Grafen u.ä.), deren Höfe im 11./12. Jh. als Macht- und Kulturzentren mit dem Hof der französischen Könige rivalisierten.

Schaffen

Die Werke Chrétiens sind nicht alle erhalten. Überliefert sind vor allem fünf Romane, deren Stoffe überwiegend aus der sogenannten Matière de Bretagne stammen, dem keltisch-britannischen Sagenkreis um König Artus, dem vermutlich mündlich verbreitete Geschichten zugrunde liegen, wie sie auch im walisischen Mabinogion und den irischen echtrai (Erzählungen von Abenteuerreisen) verarbeitet sind. Diese Stoffe reichert Chrétien an mit erfundenen Episoden und verlegt die Handlungen in eine Welt, wie er sie von den Höfen seiner Zeit kannte. Auch Vorstellungen des Minnedienstes, wie sie in der Troubadourlyrik entwickelt worden waren, fließen in seine Epen ein, zumal in deren zahlreiche Dialoge und innere Monologe. Sein Verfahren, aus diesen verschiedenen Elementen eine kunstvoll strukturierte und bedeutungsvolle Handlung zu schaffen, nennt Chrétien mit schriftstellerischem Selbstbewusstsein eine molt bele conjointure (eine „sehr schöne Verbindung“).

Eine Liste seiner Werke vor etwa 1170 gibt er selbst zu Beginn seines Romans Cligès. Hiernach hätte er zuerst Erec et Enide verfasst, danach je eine Übertragung der Ars amatoria und der Remedia amoris von Ovid, dann eine Geschichte von „König Marke und der blonden Isolde“ sowie drei Bearbeitungen von Verwandlungssagen aus Ovids Metamorphosen. Diese Werke sind jedoch, bis auf den Erec und die Verwandlungssage um Philomena, die Nachtigall, allesamt verloren.

Chrétiens erhaltene Werke sind (neben einigen wenigen Gedichten zum Thema höfische Liebe) die folgenden in paarweise reimenden Achtsilblern verfassten Romane:

Érec et Énide (entstanden nach 1160): Es ist die Geschichte des Königsohns Érec, der nachdem er sich früh am Artushof ausgezeichnet hat, heiratet und über der Liebe zu seiner jungen Frau Énide die Pflichten eines Ritters sträflich vernachlässigt. Von ihr darauf hingewiesen, erkennt er seinen Fehler, zweifelt aber auch an ihrer Liebe und zieht deshalb gemeinsam mit ihr zu Abenteuern aus. Hierbei besteht er zahlreiche Kämpfe, erfährt aber auch ihre Treue, wonach er ruhmbedeckt an den Hof von König Artus zurückkehrt und später seinem Vater Lac als König nachfolgt.

Cligès (entstanden wohl zwischen 1165 und 1170). Die 6784 Verse bilden zwei Teile, eine Vorgeschichte und die eigentliche Geschichte. Erstere erzählt vom byzantinischen Kaisersohn Alexandre, der zum Artushof reist, sich dort in die Hofdame Soredamors verliebt, sie heiratet und nach längerer Zeit mit ihr und seinem Söhnchen Cligès nach Byzanz zurückkehrt, wo inzwischen sein jüngerer Bruder Alis den Thron okkupiert hat, den er auch behält, weil Alexandre stirbt. Statt, wie versprochen, unverheiratet zu bleiben und seinem Neffen Cligès die Thronfolge zu überlassen, beschließt Alis, die Tochter des deutschen Kaisers, Fenice, zu ehelichen. Bald nach der Ankunft der byzantinischen Delegation in Köln verlieben sich Cligès und Fenice und versprechen sich einander. Eine zauberkundige Amme sorgt dafür, dass Fenice, die gleichwohl Alis heiraten muss, von diesem immer nur in seinen Träumen berührt wird. Cligès, der das Warten nicht erträgt, geht auf Abenteuerfahrt zu König Artus. Nachdem er zurückgekehrt ist, bewerkstelligt er es, Fenice als scheinbar Verstorbene zu entführen und im Verborgenen eine Weile zu lieben. Er wird jedoch entdeckt und flüchtet mit ihr, bis er sie nach dem Tod des Onkels schließlich (anders als Tristan die Isolde) heiraten und mit ihr den Thron besteigen kann. Der Anfang des Cligès enthält die berühmte These von der „translatio studii“, der Weitergabe der Gelehrsamkeit, die von den Griechen an die Römer und von dort an die Franzosen übergegangen sei.

Le Chevalier de la charrette (entstanden wohl um 1170): die bunte Geschichte der Abenteuer, die der junge Ritter Lancelot besteht, um die entführte Königin Guenièvre, die Gattin von König Artus, zu finden und ihr seine entsagungs- und hingebungsvolle Liebe zu beweisen (die immerhin auch einmal kurz belohnt wird). Die letzten rd. 1000 Verse des Lancelot wurden von einem gewissen Godefroi de Lagny verfasst, offenbar mit Wissen und nach Plänen Chrétiens, der in diesem Auftragswerk von Anbeginn an etwas lustlos wirkt.

Le Chevalier au lion (entstanden wohl gegen 1170): die Geschichte des Artusritters Yvain, der die junge Witwe eines von ihm im ritterlichen Zweikampf getöteten Burgherrn heiratet, sich bald aber von ihr beurlauben lässt und auf Abenteuer auszieht, den gesetzten Jahrestermin seiner Rückkehr vergisst und seine Frau erst durch viele bestandene Prüfungen versöhnen kann, in denen er sich zum idealen Ritter läutert.

Perceval oder Li Contes del Graal (begonnen gegen 1180 für Philipp von Flandern): der Versuch, in der Geschichte des jungen Ritters Perceval die Gattung des Höfischen Romans mit christlichen Elementen, insbesondere in Gestalt des Mythos vom Heiligen Gral, zu durchdringen. Das Werk, das Chrétien sichtlich als eine Summe seines Denkens und Schaffens geplant hatte, blieb zunächst, offenbar durch seinen Tod, nach rd. 9000 Versen unvollendet. Es wurde dann von mehreren unbekannten Fortsetzern weitergeführt und auf rd. 32000 Verse verlängert.

Ein lange Zeit Chrétien zugeschriebener Abenteuer-Roman um einen (nicht historischen) englischen König, der sog. Guillaume d'Angleterre, stammt nach neuerer Forschungsmeinung von einem anderen, sonst unbekannten Verfasser mit demselben Namen Chrestien.

Nachleben

Chrétiens Erec und Yvain wurden schon vor oder um 1200 von Hartmann von Aue in mittelhochdeutschen Verse nachgedichtet, der Perceval bald nach 1200 von Wolfram von Eschenbach - ein Zeichen dafür, wie vorbildhaft die franz. Literatur insgesamt in Frankreichs Nachbarländern zu dieser Zeit war.

In Frankreich wurden im 13. Jahrhundert fast alle Romane Chrétiens für ein überwiegend städtisches Publikum in Prosa umgeschrieben. Vor allem der umfangreiche Prosa-Lancelot fand weite Verbreitung und wurde bis ins 15. Jh. hinein abgeschrieben und gelesen.

Im England des 15. Jahrhunderts kompilierte Sir Thomas Malory verschiedene Stränge der Artus-Sagen. Noch Richard Wagner inspirierte sich (vermittelt über Wolfram) an Stoffen Chrétiens.

Liste der Werke

  • Erec et Enide (etwa 1170); dt. Erec und Enide: siehe Erec von Hartmann von Aue
  • Cligès (etwa 1176)
  • Le Chevalier de la charette (etwa 1177–1181); dt. Lancelot oder der Karrenritter
  • Yvain ou Le Chevalier au lion (etwa 1177–1181); dt. Iwain oder der Löwenritter: siehe Iwein von Hartmann von Aue
  • Le Roman de Perceval ou Le Conte du Graal (1182–1191), nicht vollendet; dt. Perceval oder die Erzählung vom Gral
  • Guillaume d'Angleterre (um 1175); dt. Wilhelm von England (vermutlich nicht von Chr. de Troyes, sondern einem anderen Chrétien verfasst)

Werkausgaben

  • Les romans de Chrétien de Troyes édités d'après la copie de Guiot, Paris, Champion, 1978.

Wörterbuch

  • Wendelin Foerster, Wörterbuch zu Kristian von Troyes' sämtlichen Werken, Tübingen, Niemeyer 1964 (3.Auflage).

Literatur

  • Erich Köhler, Vorlesungen zur Geschichte der französischen Literatur. Stuttgart: Kohlhammer, 1985, Bd. I. S. 125-166 (Online-Ausgabe)
  • Larry D. Benson: The Tournament in the Romances of Chrétien de Troyes & L'Histoire de Guillaume Le Maréchal. o. J. (Online-Ausgabe)
  • Malcolm Godwin: Der Heilige Gral – Ursprung, Geheimnis und Deutung einer Legende. Heyne, München 1994, ISBN 3-453-08025-4
  • Stefan Hofer: Chrétien de Troyes. Leben und Werke des altfranzösischen Epikers. Graz 1954
  • Martin H. Jones (Hrsg.): Chrétien de Troyes and the German middle ages. Tagungsband. Brewer, Cambridge 1993, ISBN 0-85991-356-2
  • Charles Potvin: Bibliographie de Chrestien de Troyes. Comparaison des manuscrits de Perceval le Gallois. Brüssel u. a. 1863 (Digitalisat)

Weblinks

 Wikisource: Chrétien de Troyes – Quellen und Volltexte (Französisch)

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