Compliance (Medizin)

Compliance (Medizin)

In der Medizin spricht man von Compliance bzw. Komplianz des Patienten als Oberbegriff für dessen kooperatives Verhalten im Rahmen der Therapie. Der Begriff kann als Therapietreue übersetzt werden. Im Englischen wird der Begriff Adherence [1] synonym verwendet. Gute Compliance entspricht konsequentem Befolgen der ärztlichen Ratschläge. Gemäß der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erreichen im Durchschnitt nur 50 % der Patienten eine gute Compliance[2]. Besonders wichtig ist die Compliance bei chronisch Kranken in Bezug auf die Einnahme von Medikamenten, das Befolgen einer Diät oder die Veränderung des Lebensstils. In vielen Therapiegebieten mit chronischen Erkrankungen sind nach einem Jahr nur noch etwa 50 % der Patienten auf der initialen Therapie. Weiter gefasst versteht man unter Compliance die Bereitschaft des Patienten und seines relevanten Umfelds, sich gegen die Erkrankung zur Wehr zu setzen.[3]

Inhaltsverzeichnis

Die fünf Dimensionen der Compliance

Die WHO definiert fünf miteinander verknüpfte Ebenen, die die Therapietreue beeinflussen:

  1. Sozio-ökonomische Faktoren (Armut, Ausbildungsstand, Arbeitslosigkeit)
  2. Patientenabhängige Faktoren (Fähigkeit sich zu organisieren, Vergesslichkeit, Wissen)
  3. Krankheitsbedingte Faktoren (Symptome, gefühlter Nutzen, gleichzeitige Depression)
  4. Therapiebedingte Faktoren (Nebenwirkungen, Komplexität der Verabreichung)
  5. Gesundheitssystem- und therapeutenabhängige Faktoren (Kostenübernahme, Behandlungsmöglichkeiten, Kommunikation)

Die Messung der Compliance

Das Messen von Therapietreue ist schwierig. Technologie und Partnerschaft können dabei helfen. Es gibt keinen „Gold-Standard“ für die Messung von therapietreuem Verhalten; die Messung von Therapietreue ist eine Schätzung bezüglich des aktuellen Verhaltens des Patienten.[2] Messmethoden:

  • Diagnostik in vitro (Blutentnahme)
  • MEMS (elektronisches Monitorieren der Entnahme von Kapseln/Tabletten aus einem Behälter)
  • Pillenzählen, Berechnung der Medikamentenverfügbarkeit über die Zeit
  • Messung des Abholens der nächsten Packungen
  • Selbstdeklaration (Abklärung mittels Fragen/Fragebogen)
  • Einschätzung des Arztes/Apothekers (Überschätzung, Antworten gemäß der sozialen Wünschbarkeit)
  • Bericht der Angehörigen / spitalexternen Krankenpflege
  • Beobachtung der Einnahme (Drogenentzugsprogramme, Behandlung der Tuberkulose)

Messungen widerspiegeln immer ein aktuelles Verhalten zu einem Zeitpunkt und sind mit Ausnahme von MEMS oder der direkt beobachteten Einnahme nicht kontinuierlich. Das heißt, dass sich die Therapietreue im Zeitablauf und unter verschiedenen Einflussfaktoren ändern kann. Die Compliance wird oft als Prozentzahl ausgedrückt. In vielen therapeutischen Gebieten spricht man von guter Compliance, wenn über die beobachtete Zeitdauer 80 % und mehr der geplanten Dosierung eingenommen wurde. Zu beachten ist, dass Compliance von Null bis über 100 % gehen kann - 'über 100 %' bedeutet, dass der Patient mehr Medikament als geplant eingenommen hat.

Non-Compliance

Das Nichteinhalten ärztlicher Ratschläge und die Nichterfüllung therapeutisch notwendiger Pflichten bezeichnet man als Non-Compliance. Vielfach wird unterschieden zwischen unbeabsichtigter und beabsichtigter Non-Compliance. Unbeabsichtigte Non-Compliance ist generell am häufigsten. Die Gründe sind vielfältig. Der Hauptgrund wenn Patienten befragt werden ist das Vergessen und kommt als Grund meistens an erster Stelle. Daneben können eine unbequeme Einnahme, Nebenwirkungen, Stress oder Kosten Ursachen sein. Weitere wichtige Gründe sind ungenügende Information oder ungenügendes Verstehen der Krankheit, der Möglichkeiten und der Wirkung der Medikamente. Dazu kommen oft noch Einstellungen und Glaubenssätze, die ein konsequentes Umsetzen der Empfehlungen behindern können. In vielen chronischen Krankheiten können auch fehlende Symptome zu falschen Eindrücken führen, dass es ja nicht so schlimm ist den Plan nicht konsequent zu befolgen. Eine mangelnde Umsetzung von Abmachungen mit dem Arzt kommt aber nicht nur in Bezug auf die Medikamente vor. Die Reduktion von Risikofaktoren wie Übergewicht, Rauchen oder ein Mangel an Bewegung stellt einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Gesundheit und Verlängerung der Lebenserwartung dar. Die Umsetzung der Empfehlungen des Arztes in diesen Bereichen macht vielen Personen Mühe, erfordert Einsicht, Abbau von Barrieren und oft auch die Inanspruchnahme von Fachleuten.

Eine ungenügende Umsetzung des Therapieplanes kann, in Abhängigkeit von der Grundkrankheit, mit erhöhtem Sterberisiko, mehr Krankheitssymptomen, schlechterer Lebensqualität einhergehen. So konnte ein direkter Zusammenhang zwischen Mortalität und Zuverlässigkeit der Medikamenteneinnahme für Statine und Betablocker bei Patienten nach Herzinfarkt nachgewiesen werden. [4]. Neben der Reduktion der Lebenserwartung, vermehrten Krankheitssymptomen entstehen auch Umtriebe und Kosten. So wird eine gewisse Anzahl von Spitalaufenthalten durch mangelnde Umsetzung der Therapiepläne verursacht.

Die Zahl noncomplianter Patienten ist in der Neurologie und Psychiatrie besonders hoch. Bei Patienten mit Schizophrenie, Depression, Epilepsie oder Multiple Sklerose liegt die Rate der Non-Compliancer bei 50 Prozent. Nach Angaben der Psychiatrischen Klinik der Technischen Universität München ließe sich jede zweite Einweisung in die Psychiatrie verhindern, wenn Patienten ihre Psychopharmaka nicht eigenmächtig absetzen würden. [5] Aber auch in den anderen Disziplinen befolge mindestens ein Drittel der Patienten die Therapiepläne nicht oder nicht richtig. [6] Gemäß der Weltgesundheitsorganisation ist die mangelnde Therapietreue ein großes und weltweites Problem, das alle Therapiegebiete betrifft.

Förderung der Compliance

Generell gilt, dass Maßnahmen zur Förderung der Compliance auf die Gründe der mangelnden Compliance abgestimmt sein sollte. Dafür ist es sinnvoll, dass Arzt, Apotheker und Patient nicht nur über die Diagnose, den Therapieplan und die medikamentöse Unterstützung reden, sondern auch über die Umsetzung des Therapieplans und wie weit der Patient in der Lage ist sich selbst zu organisieren. Dabei sollte auch abgeklärt werden welche Risiken für Non-Compliance bestehen und wann z. B. das Vergessen als häufigster Grund vorkommen könnte und welche Maßnahmen dazu beitragen Non-Compliance, Rezidive oder Rückfälle zu vermeiden. Bei einer Medikamenteneinnahme, die z.B. schwer im Tagesablauf verankert werden kann (z.B. mit den Mahlzeiten) sollte nach Maßnahmen gesucht werden, wie sichergestellt werden kann, dass die Medikamenteneinnahme zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Dosierung stattfindet. Besonders bei Medikamenten bei denen der Zeitpunkt der Einnahme für die Wirkung wichtig ist, sollte dies beachtet werden (Parkinson-Behandlung, Antibiotika, HIV-Medikamente, Immunsuppressiva).

Mögliche Maßnahmen umfassen:

  • Aufmerksamkeit gegenüber der Problematik mangelnder Therapietreue
  • Information über die Krankheit, die Medikamente und die Wichtigkeit der regelmäßigen Medikamenteneinnahme
  • Vereinfachungen der medikamentösen Therapie
Einnahmefrequenz
Kombinationen
  • Organisationshilfen, um die Einnahme zu erleichtern:
Pillenboxen
Kalender
Verankerung im Tagesablauf (Packung im Zahnglas, Magnet/Kleber am Kühlschrank, Wecker)
Reminder in elektronischen Kalendern (eigene Programmierung)
Compliance-Reminder-Systeme: SMS-Erinnerungen aufs Mobiltelefon
  • Monitoring
Selbstmessung (Bluthochdruck, Glukosewerte, Gewicht)
MEMS (elektronische Messung der Tablettenentnahme aus Behälter) – organisierbar nur zuhause
Blutwerte (HbA1c, Cholesterin) in regelmäßigen Abständen durch Arzt oder Apotheke
  • Direkt Beobachtete Einnahme (Apotheke z. B. Methadonprogramm, Tuberkulosebehandlung)

Psychische Faktoren

Zu erhöhter Compliance trägt der Patient bei, wenn er

  • von seiner allgemeinen Krankheitsanfälligkeit überzeugt ist,
  • sich seiner Erkrankung gegenüber für besonders anfällig hält,
  • die Ernsthaftigkeit seines Leidens erkennt,
  • an die Wirksamkeit der Therapie glaubt,
  • mit der medizinischen Betreuung zufrieden ist oder
  • von seinen Angehörigen in seinem Befolgungsverhalten unterstützt wird
  • es nicht wagt, die Ratschläge des Behandlers nicht zu befolgen
  • sich seiner Schwächen bezüglich eigener Organisation bewusst ist und Unterstützung sucht.

Im Weiteren kann Therapietreue durch Psychoedukation verbessert werden.

Faktoren im Umfeld

Der Arzt sollte therapeutische Anweisungen und Strategien auf die Möglichkeiten und Wünsche des Patienten abstimmen. Beispielsweise ist es vorteilhaft, in einer medikamentösen Dauertherapie Kombinationspräparate zu verordnen, die nur einmal täglich eingenommen werden müssen, statt mehrmals täglicher Gabe halber oder gar viertel Tabletten.

Hilfreich kann hier zusätzlich eine leicht zu öffnende Verpackung[7] sowie die Vorbereitung der täglichen Einnahme durch Einsortieren in eine Pillenbox oder auch die Medikamentenabgabe in vorbereiteten Einzelpackungen (Verblisterung) sein. Auch elektronische Systeme zur Überwachung der Tablettenentnahme und akustischen oder optischen Erinnerung an die Arzneimitteleinnahme finden Verwendung.

Vertreter der Pharma- und Verpackungsindustrie und von Patientenorganisationen gründeten 2003 die Non-for-Profit-Organisation Healthcare Compliance Packaging Council of Europe zur Unterstützung von Patienten bei der Medikamenteneinnahme durch intelligentes Verpackungsdesign[8].

Siehe auch

Literatur

  • Viviane Scherenberg: Patientenorientierung - Compliance und Disease Management Programme. Verlag für Wissenschaft und Kultur (2003). ISBN 3-936749-43-4
  • WHO Report 2003: Adherence to Long-Term Therapies: Evidence for Action
  • Lars Osterberg, M.D., and Terrence Blaschke, M.D.: Adherence to Medication, NEJM 2005;353;5
  • Battegay E., Zeller A., Zimmerli L.: Medikamenten-Adherence bei kardiovaskulären Risikopatienten, Bremen 2007, ISBN 978-3-89599-283-4
  • Damit Arzneimittel wirken - was Sie selbst dazu beitragen können! - Die interaktive Wissensseite mit Illustrationen von Werner Tiki Küstenmacher - www.damit-arzneimittel-wirken.de

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: compliance – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Der Begriff Adherence in der englischen WP
  2. a b WHO Report 2003
  3. Freyberger (Hrsg.): Kompendium Psychiatrie, Psychotherapie, psychosomatische Medizin. 11 Auflage. Karger, Basel, Freiburg [Breisgau], Paris, London, New York, New Delhi, Singapore, Tokyo, Sydney 2002, ISBN 3-8055-7272-7, S. 412.
  4. Schlechte Compliance ist tödlich; MMW-Fortschr. Med. Nr. 5 / 2007 (149. Jg.), S. 22; zitiert nach J. N. Rasmussen et al, JAMA, 297 (2007) 177-186
  5. doi:10.1055/s-0029-1220399 (frei), zitiert nach SZ, 26. Januar 2010, S. 16
  6. Der widerspenstige Kranke, SZ, 26. Januar 2010, S. 16
  7. Heneghan, J.C.; Reminder packaging for improving adherence to self-administered long-term medications; The Cochrane Collaboration, Cochrane Reviews [1]
  8. Webseite der Healthcare Compliance Packaging Council of Europe

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