Das Persönliche ist politisch

Das Persönliche ist politisch

Politik der ersten Person ist ein politisches Konzept, welches eine Stellvertreterpolitik ablehnt, die Trennlinie zwischen "privat" und "öffentlich" zurückweist und die Politisierung der Privatsphäre beinhaltet.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung in der Frauenbewegung

Die Politik der ersten Person wurde vor allem in der zweiten Frauenbewegung der 1970er Jahre entwickelt. Anders als noch in der ersten Frauenbewegung ging es nicht nur um parlamentarische Fragen wie die des Wahlrechts oder um die Einbindung in die Arbeiterbewegung. Stattdessen wurde mit der Parole "Das Persönliche ist politisch" ein neues Politikfeld geöffnet, in welchem unmittelbar gekämpft wurde.

Indem Frauen seit Ende der 1960er Jahre zunächst in Frauengruppen über ihre intimsten Beziehungen zu Männern, über Sexualität, Menstruation, Schwangerschaft, Kindererziehung und Gewalt sprachen, begannen sie, diese Bereiche zu politisieren. So heißt es in dem Buch Sexual Politics von Kate Millet aus dem Jahr 1969:

Das Wort "Politik" wird deshalb verwendet, weil es bei dem Versuch, die wahre Natur der Geschlechtsrangordnung sowohl aus historischer Perspektive wie aus dem Gesichtswinkel der Gegenwart zu untersuchen, das einzig zutreffende ist. Unsere historische Situation fordert, daß wir eine Psychologie und Philosophie der Machtverhältnisse entwickeln, die auf die heutige Zeit zugeschnitten sind und die über die simplen Begriffskategorien der traditionellen Struktur hinausgehen. Man muß die Definition einer Theorie der Politik versuchen, die die Machtverhältnisse auf weniger konventioneller Basis betrachtet, als wir es gewohnt sind. Es schien mir deshalb angebracht, die persönlichen Beziehungen und Wechselwirkungen dieser Verhältnisse zu definieren, wie diese sich zwischen Gliedern klar umrissener und ausgeprägter Gruppen ergeben, seien diese Gruppen Rassen, Kasten, Klassen oder die Geschlechter. Denn gerade weil in verschiedenen politischen Strukturen gewisse Gruppen keine Vertreter haben, ist ihre Position so stabil, ihre Unterdrückung so wirkungsvoll."[1]

Diese Politisierung wurde auch als Körperpolitik definiert. Waren diese Frauengruppen zunächst auf Hochschulen in den USA, Großbritannien und der BRD beschränkt, so gewannen sie durch Kampagnen gegen das Abtreibungsverbot in den 1970er Jahren eine große Öffentlichkeit. Weitere Kampagnen folgten wie Bewegungen gegen schlagende Ehemänner, Vergewaltigung und Belästigung, Gewalt in Medien, in der Werbung und Pornografie.

Diese Bewegungen gingen in der Regel von autonomen Frauengruppen aus, welche sich zum Teil auch in Institutionen verankern konnten. So setzte die Frauenbewegung in Westdeutschland beispielsweise in den Studentenvertretungen autonome Frauenreferate durch.

Politischer Ansatz über die Frauenbewegung hinaus

Die Politik der ersten Person entstand parallel zur Etablierung der neuen sozialen Bewegungen und hatte einen großen Einfluss auf die Bürgerinitiativbewegung, die Alternativbewegung und zunächst auch auf die Partei Die Grünen, sowie auf basisdemokratische Konzepte. Auch die Bewegung der Autonomen übernahm weitgehend das Konzept der Politik der ersten Person.

Auf erkenntnistheoretischer Ebene ist die Politik der ersten Person mit der Standpunkt-Theorie verbunden. Hieraus folgte auch, dass ein Paternalismus strikt abgelehnt wurde und eine Unterstützung stets nur Hilfe zur Selbsthilfe sein konnte. Der Ansatz war hier, dass politische Aktionen von den Betroffenen auszugehen haben oder zumindest in enger Abstimmung mit ihnen und nicht über ihre Köpfe hinweg.

Siehe auch

Direkte Aktion, Anarchismus

Literatur

  • Maria Mies: Patriarchat und Kapital. Frauen in der internationalen Arbeitsteilung Rotpunktverlag, Juli 1992 (vierte Auflage) ISBN 3-85869-050-3
  • Kate Millett (1974): Sexus und Herrschaft. Die Tyrannei des Mannes in unserer Gesellschaft, München: dtv-Verlag ISBN 3-423-00973-x (engl. Originaltitel: Sexual Politics)
  • Kate Millett: Sexual Revolution Doubleday & Company, New York 1970

Einzelnachweise

  1. Kate Millet (1974): Sexus und Herrschaft, S. 38

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