Adaptive Rotorblätter

Adaptive Rotorblätter

Als Adaptive Rotorblätter werden bei Hubschraubern eingesetzte Rotorblätter bezeichnet, die über Aktuatoren ihre Oberfläche oder Form verändern können, um so deren Eigenschaften an die aktuelle Situation anzupassen bzw. bestimmte Zustände zu vermeiden.

Aktuelle Systeme haben an ihren Hinterkanten hochbewegliche Steuerklappen, die in sekundenschnelle angetrieben werden und die Luftströmungen an den Rotorblättern einzeln korrigieren. Sowohl Außenlärm als auch Kabinenvibrationen werden damit spürbar gesenkt. Entwickelt haben die adaptiven Rotorblätter Forscher von Eurocopter und dem europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS. Sie rechnen damit, dass bei Serienreife der Rotorblätter das charakteristische „Knattern“ eines Helikopters fast völlig eliminiert werden kann. Und die Passagiere müssten gar nur noch etwa 10 Prozent der heutigen Vibrationsstärke ertragen.

Inhaltsverzeichnis

Lärmproblem bei Helikoptern

Das charakteristische „Knattern“ eines fliegenden Helikopters hat nichts mit der Antriebsturbine zu tun, sondern mit seinen Rotorblättern. Zwar hat sich die aerodynamische Entwicklung der Drehflügel in den vergangenen Jahrzehnten verbessert, sodass die Geräusche im Reiseflug drastisch gesunken sind – vermieden werden kann dieses „Knattern“ mit herkömmlichen Rotorblättern allerdings kaum. An den Blattspitzen des Rotors entstehen - ähnlich wie an den Tragflächenenden eines Flugzeugs - spiralförmige Wirbel, die im Reiseflug relativ wenig stören, weil sie von der anströmenden Luft schnell aus der Rotorebene transportiert werden. Ausgerechnet wenn der Hubschrauber im Sinkflug aber in Hörentfernung kommt, durchschlägt das nachfolgende Rotorblatt die entstehenden Wirbel. Diese schlagartige Druckänderung wirkt wie eine knallende Peitsche – und hört sich so ähnlich auch an. Die schnelle Abfolge nimmt man am Boden als lästiges Knattern war.

Zusätzliche Steuerklappen

Die beweglichen Steuerklappen haben die Wissenschaftler dort angebracht, wo der größte Teil der knallenden Geräusche und Vibrationen während des Fluges entsteht: Im Außenblattbereich selbst. Die Klappen sind in die Hinterkanten eines jeden Rotorblattes integriert und lenken die Luftwirbel nach oben beziehungsweise unten ab. Dadurch „zerbricht“ das nachfolgende Rotorblatt den Wirbel nicht – und knallt nicht mehr.

Technische Umsetzung

Die Integration der Steuerklappen in die Rückseiten der Rotorblätter allerdings klingt in der Theorie einfacher als es in der Praxis machbar ist. Den Antrieb nämlich mussten die Entwickler so konstruieren, dass er im knappen Bauraum im Inneren des Rotors Platz findet und gleichzeitig noch dynamisch ist. Vor allem aber musste er robust sein – sind die an den Rotoren entstehenden Zentrifugalkräfte doch besonders hoch. Im Hochdrehzahlbereich betragen sie etwa das 800-fache der Erdbeschleunigung. Jedes zusätzliche Gramm würde also im Flugbetrieb beinahe die Kraft eines ganzen Kilogramms ausmachen. Die Steuerklappen müssen deswegen nicht nur sicher im Rotorblatt verankert sein, sondern auch so funktionieren, dass der gleichmäßige Lauf des Rotors nicht gestört wird. Um dies zu gewährleisten, haben die EADS-Forscher einen leichten und kompakten Stellantrieb auf der Basis piezoelektrischer Antriebe entwickelt. Diese stangenförmigen Elemente ändern, je nach dem unter welche elektrische Spannung sie gesetzt werden, ihre Länge. Sie sind praktisch eine Art künstlicher Muskel. Allerdings ist dessen Hub nur sehr gering. Also konstruierten die Ingenieure eine mechanische Übersetzung, die die Dehnung der piezoelektrischen Elemente mit einem bestimmten Faktor multipliziert und die Klappen damit in die gewünschte Auslenkung lenkt. Mit dieser Konstruktion sind die Antriebe in der Lage, zwei bis drei 25 Zentimeter lange Klappen um immerhin 10 Grad nach oben oder unten zu bewegen. Das gesamte Rotorblatt folgt der um ein bis zwei Grad. Genug, um die Wirbel so stark abzulenken, dass sie nicht mehr mit einem lauten Knall vom nächsten Rotorblatt getroffen werden. Die Befehle zum Bewegen der Klappen bekommen die Antriebe von an den Kufen des Hubschraubers montierten Mikrofonen. Eine spezielle Software erkennt anhand der Rotorgeräusche die Zusammenstöße der einzelnen Wirbel und Rotorblätter. Sie schickt die Messungen an den Zentralrechner des Helikopters, der daraus errechnet, wann welche Klappe um wie viel Grad nach oben oder unten bewegt werden muss. Über einen Lichtleiter sendet der Rechner die Befehle durch den Rotormast zurück an eine Leistungselektronik, die im Versuchsstadium noch wie ein großer Papierkorb auf dem Rotorkopf thront. Sie setzt die Befehle in elektrische Impulse um, die wiederum in den Rotoren an die piezoelektrischen Antriebe gehen. Deren Reaktionszeit ist so gering, dass die Klappen innerhalb einer Umdrehung des Rotors 15 bis 40 Mal pro Sekunde um bis zu zehn Grad auf- und abschlagen können. Ein Schwerpunkt der Weiterentwicklung ist die Verkleinerung der Leistungselektronik. Sie wiegt derzeit noch etwa 65 Kilogramm. Als realistisches Ziel sehen die Ingenieure ein Gesamtgewicht von rund zehn Kilogramm. Zusätzlich will man die Elektronik in die Zelle oder die Rotorkopfabdeckung integrieren.

Auf eine ähnliche Weise wie bei der Geräuschminimierung können mit den Klappen Vibrationen spürbar verringert werden. Ihre Ursache liegt hauptsächlich bei der für Hubschrauber typischen asymmetrischen Rotoranströmung. Sie entsteht, wenn sich der Auftrieb des sich gerade in Flugrichtung bewegende Rotorblatts wegen der Eigengeschwindigkeit des Helikopters erhöht, während der Auftrieb am rücklaufenden Blatt abfällt. Fliegt ein Hubschrauber mit 250 Kilometern in der Stunde im Reiseflug, entstehen bei rund 400 Rotorumdrehungen in der Minute an den Blattspitzen Geschwindigkeiten von etwa 750 Kilometern in der Stunde. Rechnet man jetzt noch die 250 km/h Reisegeschwindigkeit hinzu, erreicht jedes Rotorblatt beim Vorlaufen beinahe Überschallgeschwindigkeit. Läuft das Rotorblatt auf der gegenüberliegenden Seite wieder zurück, halbiert sich dessen Geschwindigkeit auf nur noch rund 500 km/h. Durch die Bewegung der Klappen werden gezielt zusätzliche dynamische Kräfte erzeugt, sodass dass sich ursprüngliche und neu erzeugte dynamische Kräfte in der Summe aufheben. Dadurch wird die asymmetrische Anströmung ausgeglichen – folglich entstehen auch keine Vibrationen mehr. Der Pilot bekommt von den Klappenstellungen wenig mit, denn der Vorgang läuft völlig automatisch ab. Er spürt lediglich beim Einschalten des Systems eine kleine Korrektur. Aber selbst diese wird in Zukunft von den Klappen übernommen werden können.

Testbetrieb

Im Herbst 2005 wurde das System auf einem EC 145-Hubschrauber am Eurocopter-Standort im bayerischen Donauwörth zum ersten Mal im Flugbetrieb erprobt. Und die ersten Versuchsflüge verliefen viel versprechend: Sowohl Geräusch als auch Vibrationen waren hör- und spürbar verringert. Nach Flugmessungen mit einem Vorläufersystem – schon mit diesem erreichte man beinahe eine Halbierung des Lärmpegels – erwarten die Eurocopter-Entwickler, dass die Klappensteuerung das Klopfgeräusch am Ende fast völlig eliminiert. Bei der Verringerung des Vibrationsniveaus sind sogar bis zu 90 Prozent denkbar. Erweist sich das Gesamtsystem im Flugtest als funktionstüchtig und effizient, plant Eurocopter die Klappen für den Einsatz im EC 145 serienreif zu machen. Später ist der Einsatz auch in anderen Hubschraubertypen von Eurocopter geplant.

Einzelnachweise


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