Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma

Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma

Das "Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma" ist eine in Entstehung befindliche Gedenkstätte in Berlin, südlich vom Reichstag. Sie soll an den Porajmos erinnern, den nationalsozialistischen Völkermord an den als „Zigeuner“ verfolgten europäischen Roma. Der Entwurf stammt von Dani Karavan. Das Mahnmal soll im Laufe des Jahres 2011 eröffnet werden.[1] Das Mahnmal wird mit Bundesmitteln errichtet[2], da es als Gedenkstätte von nationaler und internationaler Bedeutung eingestuft ist.

Inhaltsverzeichnis

Standort und Gestaltung

Standort ist ein Grundstück an der Scheidemannstraße in Berlin-Tiergarten, das direkt gegenüber dem Reichstagsgebäude liegt und vom Land Berlin zur Verfügung gestellt wurde. Die Festlegung des konkreten Ortes erfolgte 2001.[3]

Die Gestaltung stammt von dem israelischen Künstler Dani Karavan. Er entwarf ein kreisrundes Wasserbecken ("Brunnen") mit schwarzem – „endlos tiefen“ – Grund. In die Beckenmitte will der Künstler einen Stein platzieren, auf dem eine Rose liegen soll. Immer wenn diese verwelkt ist, soll der Stein in der Brunnentiefe versinken und sich dann wieder emporheben – als Ort einer neuen Rose, gleichzeitig Symbol des Lebens, der Trauer und Erinnerung. Das Symbol des Brunnens spiegele auch wieder – so Karavan –, dass die Beteiligten angesichts der Erinnerungsthematik an die NS-Verbrechen nicht Streit, sondern Besinnung walten lassen sollten.[4] Informationstafeln sollen die Skulptur mit einer „Chronologie des Völkermordes an den Sinti und Roma“ umgeben.[5] Auf dem Rand des Brunnens soll ein Zitat aus dem Gedicht „Auschwitz“ des italienischen Rom Santino Spinelli (Künstlername „Alexian“) stehen: „Eingefallenes Gesicht/ erloschene Augen/ kalte Lippen/ Stille/ ein zerrissenes Herz/ ohne Atem/ ohne Worte/ keine Tränen“.

Entstehungsgeschichte

Bauzustand des Denkmals im Juli 2008
Bauzustand des Denkmals im Oktober 2011

1992 stimmte die Bundesregierung einem Vorschlag des Bundesinnenministeriums zu, ein „Denkmal für die Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Roma“ zu errichten. Sie erfüllte damit eine lange bestehende Forderung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma.[6]

Um den Text einer zunächst geplanten Widmung des Denkmals gab es zwischen den beiden von der Bundesregierung in die Vorbereitungen einbezogenen Opferverbänden Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und Sinti Allianz Deutschland sowie der Bundesregierung jahrelange Meinungsverschiedenheiten. Ein wesentlicher Streitpunkt war, wie die Opfergruppe zu bezeichnen sei. Die Bundesregierung hatte „Zigeuner“ für den Mahnmaltext vorgesehen, was der Zentralrat als unwürdig und unzumutbar ablehnte. Unterstützung erhielt sie von der Sinti Allianz.[7] Ein weiterer Streitpunkt war die Frage des Vergleichs des Genozids an der Roma-Minderheit mit dem an der jüdischen Minderheit. Der Zentralrat kritisierte, dass der Textvorschlag der Bundesregierung diesem opferpolitischen Problem aus dem Weg gehe.[4]

Mit dem Eintritt des im Zuge der Mahnmaldiskussion 2006 gegründeten Jenischen Bunds in Deutschland und Europa e. V.[8] entstand zusätzlicher Konfliktstoff durch dessen Forderung nach Anerkennung eines „Holocaust am jenischen Volk“. Man sei ebenfalls als „Zigeuner“ verfolgt worden.[9] Das Einigungsproblem verschärfte sich auch deshalb, weil die kleine Sinti Allianz nun über einen Bündnispartner gegen den gewichtigeren Zentralrat verfügte.

Da ein Kompromiss unmöglich war, wurde unter Federführung des Kulturstaatsminister-Büros vom Institut für Zeitgeschichte in München und dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln statt einer Widmung eine „Chronologie des Völkermordes an den Sinti und Roma“ erarbeitet, die der Bundesrat am 20. Dezember 2007 einstimmig beschloss.[10] Der Text der Historiker grenzt gegen die opfer- und minderheitspolitischen Positionen der Selbstvertretungen ab und gibt den Forschungsstand wieder. Damit werde, so der Kulturstaatsminister, „den Anliegen der Opferverbände in größtmöglicher Weise Rechnung“ getragen.“[11]

  • Der einleitende Text spricht nun von einer „als Zigeuner“ verfolgten europäischen Minderheit und nennt beispielhaft die ethnischen Teilgruppen der Sinti, der Roma, der Lalleri, der Lovara und der Manouches. „Ziel des nationalsozialistischen Staates und seiner Rassenideologie“ sei „die Vernichtung dieser Minderheit“ gewesen.
  • Zwei Zitate aus Reden des Bundeskanzlers Helmut Schmidt (1982) und des Bundespräsidenten Roman Herzog (1997) schließen die Chronologie ab und qualifizieren das nationalsozialistische Verbrechen als „Völkermord“ an „Sinti und Roma“[12], der „aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden (ist) wie der an den Juden.“ (Herzog) Damit nehmen die Historiker Stellung zur Frage der Singularität der Shoa. Sie lehnen ausdrücklich diese von einigen Historikern (z. B. Guenter Lewy und Yehuda Bauer) eingenommene Position ab und stellen den Genozid an der Roma-Minderheit neben den Genozid an der jüdischen Minderheit.
  • Entgegen dem Wunsch der Sinti Allianz und der ursprünglichen Vorstellung der Bundesregierung verwenden sie die Bezeichnung „Zigeuner“ ausschließlich als Quellenbegriff, wie er in nationalsozialistischen Texten auftritt, das heißt, in enger rassenideologischer Definition als Bezeichnung der ethnischen („rassischen“) Minderheit der Roma.[13] Sie verwenden ihn damit ausdrücklich nicht als eine auch heute noch aktuelle Gesamtbezeichnung, die soziographisch gemeint etwa andere Bevölkerungsgruppen außerhalb der Roma-Ethnie miteinschließen würde. Auch diese Form der Begriffsverwendung lehnte der Zentralrat jedoch stets ab.[14]
  • Zum Abschluss der Einleitung nennen die Historiker „Angehörige der eigenständigen Opfergruppe der Jenischen und andere Fahrende“, die nicht kollektiv, wohl aber individuell „von Verfolgungsmaßnahmen“ betroffen gewesen seien. In der folgenden „Chronologie des Völkermordes an den Sinti und Roma“ gehen sie weder direkt auf diese Gruppen noch indirekt auf als solche deutbare „nach Zigeunerart umherziehende Landfahrer“, Artisten oder Schausteller ein.[15] Mit dem Zusatz zur Einleitung reagieren die Historiker auf die geschichtspolitischen Forderungen des Jenischen Bundes und halten zugleich Distanz zu ihnen. Mit der Widmungsgruppe des Denkmals, den europäischen Roma, steht der Zusatz im Konflikt, nachdem diese Gruppen dieser Minderheit bzw. einer ihrer Untergruppen unstreitig nicht zuzurechnen sind.

Die zunächst bereits für das Jahr 2004 vorgesehenen und durch die Meinungsverschiedenheiten verzögerten Bauarbeiten zum Denkmal begannen symbolisch am 19. Dezember 2008, dem offiziellen Gedenktag des Bundesrates für die Opfer des Völkermordes an den Roma.[16][17][18] Sie sollten im Laufe des Jahres 2009 abgeschlossen sein, was vor allem an Konflikten zwischen dem beauftragten Künstler und den mit der Umsetzung Betrauten bislang (2011) scheiterte.[19] Bauausführung und Bauleitung liegen beim Land Berlin. Die Betreuung des fertig gestellten Denkmals wird die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas übernehmen.[20]

Siehe auch

Weblinks

  • Das zerrissene Herz, Beitrag von Ben Lewis über den Prozess zur Entwicklung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin, ausgestrahlt am 4. September 2011 im Sender arte, abgerufen in der arte-Videothek (Online-Portal) am 7. September 2011

Einzelnachweise

  1. Stefan Berg, Giftige Schriftsätze, in: Der Spiegel v. 27. Dezember 2010, S. 34f.
  2. Bis zu zwei Millionen Euro sind vorgesehen. (Mahnmal für Sinti und Roma: Ab Februar wird gebaut, Der Spiegel, 28. Januar 2008)
  3. Mahnmal für Sinti und Roma: Endlich Baubeginn, n-tv.de, 14. Dezember 2008, abgerufen am 19. Dezember 2008.
  4. a b Rolf Lautenschläger, „Absurden Streit um den Text beenden“, in: taz, 13. Januar 2005 [1].
  5. Baustart für Mahnmal für Sinti und Roma, Kölnische Rundschau online, 19. Dezember 2008, abgerufen am 19. Dezember 2008.
  6. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Pressemitteilung Nr. 496, 20. Dezember 2007 [2]; Rede von Kulturstaatsminister Bernd Neumann anlässlich des symbolischen Baubeginns des „Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma“, 19. Dezember 2008: [3].
  7. Dazu zum Beispiel: Rolf Lautenschläger, „Absurden Streit um den Text beenden“, in: taz, 13. Januar 2005 [4], Betris Bollow: Mahnmal mit Leerstelle: Streit um die Inschrift am geplanten Berliner Mahnmal für Sinti und Roma, 3sat Kulturzeit, 4. März 2005, abgerufen am 19. Dezember 2008, romainterne Diskussion: [5], abgerufen am 6. Dezember 2009.
  8. HP des Vereins: [6].
  9. Siehe: [7]; vgl. auch die Stellungnahme der Sinti Allianz vom 18. Dezember 2008, die sich ausführlich zu „als Zigeuner Verfolgten“ äußert, ohne an einer Stelle Jenische zu nennen: [8].
  10. Siehe Berliner Morgenpost, 15. Dezember 2008 [9]; Text siehe website Uni Hamburg: [10]. Ein unpassender Copyright-Hinweis erweckt den Eindruck, der Text habe das Plazet des Zentralrats, was nicht der Fall ist.
  11. Sinti und Roma. Mahnmal-Bau startet 16 Jahre später, in: Berliner Morgenpost, 19. Dezember 2008, siehe: [11].
  12. „Sinti und Roma“ ist die im deutschsprachigen Raum übliche und vom Zentralrat bevorzugte Gesamtbezeichnung. Die International Romani Union vertritt dagegen „Roma“.
  13. Die Chronologie verweist unter anderem auf die Umsetzung der Nürnberger Gesetze („Zu den artfremden Rassen gehören alle anderen Rassen, das sind in Europa außer den Juden regelmäßig nur die Zigeuner.“) und auf den Himmler-Erlass von 1938 zur „Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse“.
  14. Denkmal für Sinti und Roma. Notfalls ohne Inschrift, in: spiegelonline, 28. Februar 2005, siehe: [12].
  15. Eine eindeutige und unumstrittene Definition, wer als "jenisch" anzusprechen sei, existiert nicht. Eine im Auftrag der Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit entstandene Untersuchung zur sozialen Lage der Sinti äußert sich auch zu „Landfahrern“. Darin sind "Jenische", Artisten, Kleinzirkusleute und Schausteller einbezogen: Andreas Hundsalz unter Mitarbeit von Harald P. Schaaf, Soziale Situation der Sinti in der Bundesrepublik Deutschland (Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, Bd. 129), Stuttgart et. alt. 1982, S. 170. Wie die Gruppen abgegrenzt werden, ist nicht ersichtlich.
  16. Symbolischer Baubeginn des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma - Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Pressemitteilung Nr. 466 vom 19. Dezember 2008
  17. An die Verbrechen erinnern, Pressemitteilung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung zum symbolische Baubeginn, , 19. Dezember 2008
  18. Rede von Kulturstaatsminister Bernd Neumann anlässlich des symbolischen Baubeginns des „Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma“, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 19. Dezember 2008
  19. Siehe: [13].
  20. ddp Deutscher Depeschendienst GmbH: Bauarbeiten am Denkmal für ermordete Sinti und Roma begonnen, 19. Dezember 2008, abgerufen am 19. Dezember 2008.
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