Deutsche Aussprache des Lateinischen

Deutsche Aussprache des Lateinischen

Unter der deutschen Aussprache des Lateinischen versteht man die für lateinische Texte verwendete Aussprache, die nicht mit der wissenschaftlich rekonstruierten lateinischen Aussprache und inzwischen auch nicht mehr mit der heute üblichen Schulaussprache des Lateinischen übereinstimmt, sondern auf Ausspracheregeln des Deutschen beruht. Es handelt sich daher in erster Linie um eine Traditionsaussprache. Charakteristisch ist die Aussprache des "c" vor "e, i, ae, oe" als [ts] statt als [k].

Die deutsche Aussprache stellte im deutschen und slawischen Sprachraum lange den alleinigen Standard dar. Bis etwa 1900 wurde sie generell auch als Schulaussprache des Lateinischen verwendet; seitdem beginnt sich die wissenschaftlich rekonstruierte Aussprache allgemein durchzusetzen. Die deutsche Aussprache wird heute - neben der italienischen Aussprache - insbesondere zum Singen von Vokalmusik der frühen Neuzeit (z. B. Messen von Wolfgang Amadeus Mozart) verwendet. Ebenso wird sie für die verbliebenen lateinischen Elemente der Liturgie der katholischen Kirche gebraucht. Im Lateinunterricht an Schulen und Universitäten hört man sie heute dagegen nur noch selten.

Vokale

Im Gegensatz zur klassischen lateinischen Aussprache gehorcht die Verteilung von langen und kurzen Vokalen keinen komplexen Regeln; es gibt lediglich Richtlinien. Diese lauten:

  • Lange Vokale können nur in betonten Silben stehen, sofern deren Vokal überhaupt lang ist. Beispiel: „Romani“, die „Römer“ = [ʁo.ˈmaː.ni]; „facere“, „tun“, „machen“ = ['fa(ː).tsə.ʁə].
  • Wie im (Hoch-)deutschen wird ein Vokal, der vor einem Doppelkonsonanten steht, grundsätzlich kurz ausgesprochen. Beispiel: „stella“, „Stern“ = ['stɛla]
  • Vokale in offenen Silben werden stets gelängt. Beispiele:
    • lat. „globus“, „Kugel“ = [ˈɡloːbʊs]
    • lat. „rosa“, „Rose“ = [ˈʁoːza]
    • lat. „Venus“ = [ˈveːnʊs]/[ˈfeːnʊs]

Wie im Deutschen herrscht Korrespondenz zwischen Vokalqualität (Vokalöffnung) und Vokalquantität (Länge):

Buchstabe Kurzer Vokal Langer Vokal
A / a [a] []
E / e [ɛ] / [ə] []
I / i [ɪ] / [i] []
O / o [ɔ] []
U / u [ʊ] []
Y / y [ɪ] / [i] / [ʏ] [] / []

Anmerkungen hierzu:

  • Das kurze <e> wird in unbetonten Silben zum Schwa [ə] abgeschwächt (z. B. „facere“, „tun“, „machen“ = ['fa(ː).tsə.ʁə], wie dt. „Bitte“ = [bɪtə]).
  • Das kurze <i> (und eventuell auch y, siehe unten) wird am Wortende ebenfalls geschlossen artikuliert (z. B. „Romani“, die „Römer“ = [ʁo.ˈmaː.ni], wie dt. „Willy“ = [ʋɪli]). Vor Vokalen (außer <i>) wird es wie ein deutsches <j> [j] ausgesprochen. Zwei <i> werden durch Glottisschlag getrennt (z. B. Iulii = [juːliʔi]
  • Das <y>, das im Lateinischen allenfalls zur Wiedergabe des Griechischen Ypsilon verwendet wurde, wird je nach Konvention entweder als ü- oder als i-Laut gesprochen, wobei Letzteres die ältere Variante ist. In diesem Falle gilt auch die oben genannte i-Regel für das y.

Vokal-Digraphen

Im klassischen Lateinischen gab es vier Diphthonge, die auf Deutsch unterschiedlich realisiert werden:

  • Das lateinische <ui> wird als [ui] realisiert, also als Folge von <u> und <i>.
  • Das lateinische <eu> wird als [ɔɪ] realisiert, wie in dt. „euch“ [ɔɪç].
  • Das lateinische <oe> wird wie ein deutsches <ö> [øː] ausgesprochen und ist immer lang.
  • Das lateinische <ae> wird wie ein deutsches <ä> [ɛː] (oder auch []) ausgesprochen und ist immer lang.

Konsonanten

Für fast alle Konsonanten gilt eine eindeutige Phonem-Graphem-Korrespondenz (dies ist immer die gleiche wie im Deutschen):

Buchstabe Aussprache
<b> [b]
<d> [d]
<f> [f]
<g> [g]
<h> [h]
<l> [l]
<m> [m]
<n> [n]
<p> []
<q> []
<t> []
<x> [k(ʰ)s]
<z> [ts]

Wie man sieht, werden das <p> und das <t> wie im Deutschen behaucht ausgesprochen. An ein an sich mit Vokalbuchstaben beginnendes Wort wird der Glottisschlag angehängt. Bei folgenden Konsonanten gibt es mehrere Möglichkeiten:

  • <c> wird vor <a>, <o> (außer in den Verbindungen <ae> und <oe>) und <u> wie ein deutsches <k> [] und vor <ae>, <e>, <i>, <oe> und <y> wie ein deutsches <z> [ts] ausgesprochen.
  • <r> wird je nach regionaler Varietät des Deutschen entweder [r], [ʀ] oder [ʁ] ausgesprochen.
  • <s> ist wie im Deutschen normalerweise stimmhaft [z], wird jedoch als Doppelbuchstabe stimmlos [s] ausgesprochen.
  • <t> wird normalerweise wie ein deutsches <t> [], vor <i> mit drauf folgendem anderem Vokal jedoch wie ein deutsches <z> [ts] ausgesprochen.
  • <v> wird entweder wie ein deutsches <v> [f] ausgesprochen oder (in einer leicht an das Klassische angelehnten Variante) wie ein deutsches <w> [ʋ] ausgesprochen.
  • Die in griechischen Fremd- und Lehnwörtern auftretenden Digraphen <th>, <ph> und <ch> werden wie im Deutschen [], [f] und [ç] (nach <ae>, <e>, <i> und <y> und am Wortanfang), bzw. [x] (nach <a>, <o> und <u>) ausgesprochen.

<b>, <d>, <g> und <s> fallen wie im Deutschen der Auslautverhärtung zum Opfer.


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