Deutscher Imperialismus

Deutscher Imperialismus
Karikatur zum Kap-Kairo-Plan

Unter dem Begriff Imperialismus (von lat. imperare „herrschen“; imperium „Weltreich“; z. B. Imperium Romanum) versteht man die Bestrebungen eines Staates, seinen Einfluss auf andere Länder oder Völker auszudehnen. Diese Machterweiterungspolitik kann sich unter anderem in bevölkerungspolitischer, nationalistischer und wirtschaftlicher Weise ausdrücken.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte

In der Neuzeit trat die Erscheinung des „Imperialismus“ im Gefolge der bürgerlichen Revolution zuerst in England, dann in Frankreich auf. Das Wort findet sich zwar schon in der Bezeichnung „Britisches Empire“, wurde aber in der Form „Imperialismus“ erstmals für die Großmachtbestrebungen Napoléon Bonapartes benutzt. Geläufig wurde der Begriff „Imperialismus“ im Zusammenhang mit der europäischen Expansionswelle zwischen 1870 und 1914 verwendet. In Bezug auf das Deutsche Reich wird dabei häufig nicht beachtet, dass die englische Übersetzung von Reichempire“ lautet. Daher sprach man im englischsprachigen Ausland von der kaiserlichen Reichsregierung als Imperial German Government. Das Großmachtstreben der europäischen Mächte führte dann auch zum Ersten Weltkrieg, mit dem das „Zeitalter des klassischen Imperialismus“ endete.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Begriff „Imperialismus“ ganz allgemein für Bestrebungen benutzt, die – z. B. aus ideologisch-missionarischen Gründen – eine Weltherrschaft oder zumindest die Herrschaft über großräumige Gebiete außerhalb des eigenen Staates anstreben. So sprach bzw. spricht man insbesondere vom „Sowjet-Imperialismus“ und vom „US-Imperialismus“. Im Zusammenhang der Diskussion, ob die aktuellen Bestrebungen der USA als Neo-Imperialismus bezeichnet werden können, wird mit Blick auf das „Zeitalter des Imperialismus“ heute vom „historischen Imperialismus“ gesprochen.

Im Marxismus wurde der Imperialismus zunächst von Karl Kautzky im Anschluss an Platons Dialog „Der Staat“ als eine bestimmte Politik zur Unterwerfung eines außerhalb des Staates liegenden, agrarischen Territoriums verstanden.[1] Dem widersprach die marxistische Wirtschaftstheorie, die den Imperialismus als besondere Entwicklungsstufe (Stadium) des Kapitalismus beschrieb. Die ältere diesbezügliche Theorie Rosa Luxemburgs ging dabei analytisch von der Sättigung des inneren Marktes, der Eroberung des Weltmarktes und der Konkurrenz um denselben durch die nationalen Kapitale aus.[2] Dagegen ging Lenins spätere Imperialismustheorie empirisch vom Auftreten bestimmter Erscheinungen (z. B. dem Verschmelzen von Industrie- und Bankkapital zum Finanzkapital) aus. Lenin sah zudem die monopolistische Phase des Kapitalismus, die er als den Imperialismus kennzeichnend bezeichnete, als dessen höchstes und letztes Stadium überhaupt an.[3] In dieser wirtschaftlichen Bedeutung spricht man heute allgemein nicht mehr von „Imperialismus“, sondern von „Globalisierung“. Am Ende seines Lebens sah Lenin allerdings abweichend von seiner früheren Auffassung des Imperialismus in seinem Brief „Zur Frage der Nationalitäten“ die Möglichkeit imperialistischer Beziehungen der sozialistischen Sowjetunion zu anderen Staaten.[4]

Im strengen Gegensatz zur marxistischen Auffassung hat der Ökonom Schumpeter den Imperialismus nicht als notwendiges Ergebnis der Konkurrenz in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung angesehen. Vielmehr sah er ihn als Ausdruck eines irrationalen Chauvinismus von Oberschichten zur Festigung ihrer Macht. Insofern könne er ihm zufolge in allen Stadien der Geschichte und in verschiedenen politischen Systemen vorkommen.

Der Begriff „Imperialismus“ überschneidet sich in vielen Punkten mit dem des Kolonialismus, da beide praktisch identische Phänomene bezeichnen. Ein Unterschied liegt Jens Flemming zufolge allerdings im Machtstreben. Seiner Ansicht nach muss nicht jeder Kolonialismus darauf ausgerichtet sein, ein Imperium zu errichten. Zugleich beinhaltet die Kategorie des Imperialismus nicht nur direkte Herrschaftsformen, sondern auch indirekte Abhängigkeitsverhältnisse (Indirect rule) von Staaten [5] (siehe auch: Neokolonialismus).

Eine schon frühzeitig (1902/12) formulierte Gegenthese zum „Imperialismus“ ist die eines möglichen friedlichen Ultra-Imperialismus. Diese impliziert, dass der Imperialismus mit seinen kriegstreibenden Widersprüchen überwunden werden könne - und zwar systemimmanent innerhalb des Kapitalismus selbst.

Imperialismus vor dem 19. Jahrhundert

Großreiche des Altertums

Die ersten imperialen Ausdehnungen ergaben sich durch die Machtkonzentration bei der Bewältigung großer Bewässerungsbauwerke und Dammanlagen in China (Hoangho), Indien (Indus), Mesopotamien (Euphrat und Tigris) und Ägypten (Nil), nach Wittfogel in den „hydraulischen Kulturen“. Namengebend wurde dann das Wachstum Roms. Nach dem Prinzip divide et impera (lat. = „teile und herrsche“) gaben sie den eroberten Gebieten allerdings auch eine gewisse Mitbestimmung durch eine Selbstbestimmung der Bevölkerung oder eine eigene Regierung, die durch einen Statthalter vertreten war. Mit der Pax Romana konnten die Römer also ihre eroberten Gebiete durch Machtteilung mit den lokalen Ethnien befrieden. Für die Römer ergab sich durch diese Ausweitung ein Flächenreich.

Mittelalter

Auch dem Byzantinischen Reich, als Nachfolger des Imperium Romanum gelang es im frühen Mittelalter, den östlichen Mittelmeerraum, Vorderasien und Teile Italiens zu erobern und damit beinahe das Reich wieder herzustellen. Bis ins 13. Jahrhundert hinein war Byzanz eine der dominierenden Großmächte Europas, erst mit dem 4. Kreuzzug, die Eroberung Konstantinopel durch die Venezianer und "Franken", begann der schrittweise Verfall der Macht, bis schließlich 1453 Konstantinopel in die Hände der Osmanen fiel.

Auch die oberitalienischen Stadtstaaten Genua und Venedig schufen ausgedehnte Handelsimperien mit Stützpunkten und Kolonien am Schwarzen Meer und im Mittelmeerraum. (→ Genueser Kolonien, Venezianische Kolonien)

Weitere wichtige imperiale Großreiche des Mittelalters waren das Frankenreich, das ebenfalls die Nachfolge des Imperium Romanums beanspruchte und die Krone Aragon, die vor allem den westlichen Mittelmeerraum beherrschte.

Imperiale Großreiche Arabiens, der Mongolei und des Osmanischen Reiches

Zu den Imperialismen kann die Eroberung Nordafrikas durch das frühislamische Arabien gezählt werden.

Das mongolische Großreich entstand mit den Eroberungen Dschingis Khans und wurde durch seinen Enkel Kublai Khan, später mit dem Chinesischen Kaiserreich verbunden (Yuan-Dynastie), das um 1260 beinahe ganz Zentralasien umfasste.

Auch das Osmanische Reich, stieg mit der Einnahme Konstantinopels 1453 zu einer der führenden Großmächte in Vorderasien und Mittelmeerraum auf.

Kolonialismus Portugals und Spaniens

Durch die Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus und Amerigo Vespucci begann die Kolonialisierung Mittel- und Südamerikas. Abenteurer wie Hernán Cortés und Francisco Pizarro trieben die Ausbeutung der ortsansässigen Azteken und Inkas für Spanien voran. Ziel war also die Eroberung der vermeintlich „unzivilisierten“, d.h. unterentwickelten Bevölkerung. Die Spanier unter Cortes und Pizarro versklavten die Azteken und Inkas. Sie agierten nach den Prinzipien Erobern (von Land), Vernichten (der Kultur) und Errichten (eigener Staaten → Vizekönigreiche), man sprach daher vom Konquistadoren-System Spaniens (vom spanischen Wort conquista, das "Eroberung" bedeutet).

Auch in Asien versuchten die beiden iberischen Länder Fuß zu fassen, so gelang es Portugal Goa, Macao und die Gewürzinseln zu erwerben; Spanien besetzte die Philippinen und einige pazifische Inseln.

Die Portugiesen errichteten zunächst nur Stützpunkte bei den fremden Kulturen und nutzten diesen Kontakt eher wirtschaftlich. Erst im 17. Jahrhundert begann man auch größere Landflächen wie Brasilien in Südamerika, Mosambik und Angola in Afrika zu erobern.

Zeitalter des Imperialismus

Die Aufteilung Afrikas unter die Kolonialmächte 1913
Blau: Frankreich
Rot: Großbritannien
Blaugrün: Deutsches Reich
Grün: Italien
Dunkelviolett: Portugal
Gelb: Belgien
Hellviolett: Spanien

Das „Zeitalter des Imperialismus“ (auch „klassischer Imperialismus“ oder „Hochimperialismus“) bezeichnet eine Epoche der vor allem durch europäische Groß- und Mittelmächte betriebenen weltweiten Ausdehnung von Herrschaftsgebieten auf Übersee-Territorien im Zeitraum ab ca. 1870 bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges (1914), motiviert vornehmlich durch wirtschaftliche und strategische Interessen, später auch zunehmend von nationalpsychologischer Konkurrenz zwischen den imperialistischen Mächten. Der in dieser Zeit betriebene formelle Kolonialismus vor allem in Afrika (Wettlauf um Afrika) ist dabei nur ein Teilaspekt des Imperialismus, der auch informelle machtpolitische und wirtschaftliche Durchdringung umfasst (etwa in China und dem Osmanischen Reich).

Dem Hochimperialismus ging die Phase des Frühimperialismus voraus, deren Beginn etwa bei 1815 angesetzt wird und die vor allem von Formen des informellen Imperialismus geprägt war.

Man kann drei Arten des klassischen Imperialismus unterscheiden: 1. Vom Handelsstützpunkt zum Herrschaftsgebiet mit Ansätzen einer eigenen Industrie (Bsp. Indien) 2. Beherrschung unter Wahrung des Anscheins der Souveränität und Autonomie (Bsp. China zur Zeit der „Ungleichen Verträge“) 3. wirtschaftliche Beherrschung souveräner Staaten ohne eigene Industrie (Bsp. Balkanstaaten, Osmanisches Reich)

Großbritannien/England

Die Zunahme des europäischen Imperialismus unter der Führung Großbritanniens erfolgte im Zuge der industriellen Revolution. Der sich ergebende Fortschritt in der Schwerindustrie spielte auch in der Schifffahrt eine zunehmend größere Rolle. Die Dampfschifffahrt ermöglichte neue Dimensionen. Kohle, Stahl und Eisen wurden zu einem wichtigen Machtindikator. Großbritannien versuchte, sich durch die Industrialisierung vom Agrar- zum Industriestaat zu verändern. Die Zunahme der Massenproduktion erforderte neue Absatzmärkte, so dass man hoffte, diese in den Kolonien zu finden. In den Kolonien befanden sich auch viele ungenutzte Agrarflächen, die gigantische Gewinnspannen ermöglichten. Bis 1914 war ein Viertel des Erdballs von der als Pax Britannica verherrlichten britischen Weltmacht beherrscht.

Frankreich

Die französischen imperialistischen Bestrebungen ergaben sich vor allem in Konkurrenz zum englischen Erzfeind. Das Erreichen eines Weltmachtstatus hatte oberste Priorität. So entstand vor allem auch eine Konkurrenz in den Kolonien (etwa in der Faschoda-Krise). Frankreich besaß zahlreiche Kolonien in Amerika und Indien, die es aber nach dem siebenjährigen Krieg an England abtreten musste. Auch große Teile im Norden Afrikas waren Kolonien von Frankreich (z. B. große Teile der Sahara und umliegende Gebiete).

Deutsches Reich

Das 1871 gegründete Deutsche Reich entwickelte erst nach der Ablösung Bismarcks 1890 unter Kaiser Wilhelm II. mit dem „Neuen Kurs“ eine imperialistisch orientierte Politik. Im Jahr 1897 forderte der spätere Reichskanzler Bernhard von Bülow im Reichstag einen deutschen „Platz an der Sonne“. Diese Prämisse eines nationalen Prestigedenkens sollte die deutsche „Weltpolitik“ bis 1914 prägen.

Die deutsche Kolonialpolitik begann hingegen schon 1884/85. Bismarck verlieh mehreren afrikanischen Gebieten (Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika, Kamerun, Togo) sowie Neuguinea den Status als deutsches Schutzgebiet, der von Bismarck zunächst nur wirtschaftlich motiviert war. Innerhalb weniger Jahre wurden diese Gebiete allerdings in formelle Kolonien umgewandelt. In der Zeit der „Weltpolitik“ konnten später nur noch wenige, kleinere Gebiete (etwa Kiautschou) erworben werden. Die von Deutschland erworbenen Kolonien waren wirtschaftlich und strategisch uninteressant, da sie weder über größere Bodenschätze noch über agrarische Nutzflächen verfügten noch als relevante Absatzmärkte fungierten.

1905 kam es zur ersten Marokkokrise, weil Deutschland französischen Bestrebungen, Marokko dem französischen Kolonialreich beizufügen, unter Berufung auf internationale Verträge entgegentrat. 1911 kam es vor dem Einmarsch französischer Truppen in die marokkanischen Städte Rabat und Fez und der Entsendung des deutschen Kanonenbootes Panther (Panthersprung nach Agadir) zur zweiten Marokkokrise. Deutschland erhielt als Kompensation Teile des französischen Äquatorialafrikas zur Abrundung seiner kamerunischen Besitzungen, sah sich aber außenpolitisch isoliert. Insbesondere die von Alfred von Tirpitz zwischen 1898 und 1912 durchgesetzten, imperialistisch motivierten Flottengesetze hatten schon zuvor die deutsch-englischen Beziehungen schwer belastet.

Russland

Der Imperialismus des Russischen Reiches unterschied sich in seiner Form deutlich von den Imperialismen der anderen Großmächte. Er bezog sich allerdings in der Hauptsache auf die Territorialvergrößerung in Gebieten, die außerhalb des Interessengebietes der anderen Großmächte lagen: Sibirien (bis hin zur Insel Sachalin), im Süden die zum größten Teil noch unkartographierten Gebiete des Kaukasus (hier lag allerdings ein Konflikt mit dem Osmanischen Reich vor, siehe Türkenkriege), Nordpersien, Afghanistan, Samarkand, Taschkent und Nordmongolei. Eine der wichtigsten Triebfedern dieser Ausdehnung war das russische Bestreben, einen eisfreien Hafen zu erlangen, um so im Konzert der Mächte eine zu dieser Zeit so wichtige, ganzjährig verfügbare Flotte stationieren zu können. Hier sind besonders die Ausdehnung nach Osten und die Gründung der Stadt Wladiwostok (was zu Deutsch „Beherrscherin des Ostens“ bedeutet), sowie die Politik um die Meerengen am Bosporus zu betrachten (ein weiterer Konflikt mit dem Osmanischen Reich, siehe auch Navalismus). Der russische Imperialismus wurde von einer gezielten Politik der Russifizierung der eroberten Gebiete begleitet. Die Russifizierung diente als Instrument der Stabilisierung der Herrschaft und war daher gegen die kulturelle Eigenständigkeit der beherrschten Völker gerichtet.

Hinzu kam die Vorstellung, mit einer Südausdehnung auch in eine gewisse Verhandlungsposition gegenüber Großbritannien zu kommen. Mit Druck auf die Peripherie (Nordpersien, Afghanistan und Nordindien) wurde der zentrale Nerv des britischen Weltreichs bedroht: Die Seewege nach Indien und die Kronkolonie selbst. So erhofften sich die Zaren ein Einlenken Großbritanniens in der Meerengenfrage.

1904 wurde ihr Vormarsch durch den Russisch-Japanischen Krieg gestoppt. Gerade die Verlagerung der Konfliktfelder in den Osten Asiens legte eine Grundlage für die spätere Eskalation in Zentraleuropa, die ohne die Geschehnisse am Rand der Interessensphären überhaupt nicht verständlich erscheint: Der Erste Weltkrieg.

Japan

Der japanische Imperialismus gerade gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird von der einschlägigen Literatur am wenigsten berücksichtigt, obwohl er durch seinen Verlauf für die nachfolgenden Ereignisse nicht minder wichtig war.

Nachdem US-Admiral Matthew Perry 1854 mit seiner Flotte von vier Kriegsschiffen unbehelligt in den Hafen des heutigen Tokio einlief und die sogenannte Abschließung Japans beendete, wurde der Grundstock der Meiji-Restauration gelegt. In einer beispiellosen Entwicklung gelang es, radikale Reformen durchzusetzen und in atemberaubender Geschwindigkeit den technischen Rückstand zu den industrialisierten Staaten aufzuholen. Schon 30 Jahre später war aus Japan eine zu beachtende Territorialmacht geworden, die nicht nur 1894/95 China in einem Krieg besiegen konnte, sondern nach einem gleichberechtigten Bündnis mit Großbritannien 1902 es sogar schaffte, die gesamte russische Flotte im russisch-japanischen Krieg 1905 zu zerstören und so die Ambitionen des Zarenstaats in Asien zu stoppen. (Direktes Ergebnis dieses Krieges waren auch die ersten revolutionären Unruhen in Russland, die später dann in die russische Revolution münden sollten, und die Rückwendung der Großmächte nach Europa – sprich: dem Balkan.)

Japan verstand das imperiale Spiel der Geheimdiplomatie zu seinen Gunsten zu nutzen, so dass es seine Ambitionen in Korea und Nordchina schon im Vorfeld zum Ersten Weltkrieg bedienen konnte und dadurch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die einzige imperialistische Macht im ostasiatischen Raum blieb.

Vereinigte Staaten

Mit dem Sieg im Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898 treten auch die Vereinigten Staaten in den Kreis der imperialistischen Weltmächte ein. Der Erwerb der Philippinen und Puerto Ricos sowie die Besetzung Kubas und der Bau des Panamakanals sind ein erster Schritt um mit den europäischen Imperien in Konkurrenz zu treten. Im Gegensatz zu dem europäischen Imperialismusbestreben, legten die Vereinigten Staaten keinen Wert auf die Einnahme von großen Landmassen. Viel wichtiger war für sie, wirtschafts- und militärstrategische Stützpunkte in den großen Weltmeeren zu verteilen. Im Imperialismus galt es vor allem, seinen Konkurrenten mit vielen Kolonien und den damit verbundenen Rohstoffen zu schwächen, indem man versuchte, hohe Zölle (Überbleibsel aus dem Merkantilismus) zu umgehen, und ihm dadurch ein wirtschaftliches K.o. zu verpassen.

Gegenwart

Gegenwärtig können die Vereinigten Staaten als einzige imperiale (nicht notwendigerweise jedoch als einzige imperialistische) Macht bezeichnet werden, wobei man die Stellung der Vereinigten Staaten nicht mit den alten „klassischen“ imperialistischen Mächten gleich setzen sollte (Münkler, Imperien). Der Politologe Herfried Münkler warf vor kurzem auch die Frage auf, ob den Vereinigten Staaten der Sprung über die so genannte augusteische Schwelle gelingen könnte. Nach Judith Butler rechtfertigten die Vereinigten Staaten den Irak-Krieg mit einem "imperialen Recht", da sie ihn weder durch national noch international geltendes Recht begründen können. Die unilaterale Politik der Vereinigten Staaten seit dem 11. September hat auch zu einer neuen Imperialismusdebatte geführt. Hierbei wird der neue Imperialismus v.a. von einigen konservativen US-Außenpolitikern explizit gefordert. Dagegen wendet sich die neue imperialismustheoretische Diskussion, die den neuen Imperialismus als die gewaltförmige Durchsetzung der neoliberalen Globalisierung begreift, wobei unter Globalisierung hier das „Eindringen kapitalistischer Sozialbeziehungen in jede Facette unseres Lebens und jeden Winkel unseres Planeten“ (Leo Panitch/Sam Gindin) verstanden wird. Der britische Wirtschaftsgeograph David Harvey begreift den neuen Imperialismus als eine neue Form kapitalistischer Akkumulation, die aus dem Scheitern der fordistischen Akkumulation durch erweiterte Reproduktion entstanden sei. Diese neue Form, die in den 1970er Jahren entstand und sich in den 1980er Jahren durchsetzte, bezeichnet Harvey als Akkumulation durch Enteignung. Frank Deppe u. a. begreifen die neue imperial(istisch)e Politik aus den ökonomischen, politischen und ideologischen Strukturen des amerikanischen Imperiums als dem „Manager“ des globalen Kapitalismus. Der neue Imperialismus sei die „externe Stabilisierung eines internen Regimes.“

Als Synonym zu „Imperialismus“ wird auch von Geopolitik gesprochen, wobei bei letzterem Begriff betont wird, dass neben offener Gewaltanwendung auch Konflikte unterhalb offener Gewaltanwendung stattfinden. [6]

Literatur

  • Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Bd. 2: Imperialismus. München 1986 [engl. Erstausgabe 1951].
  • Robert Bickers/Christian Henriot (Hg.): New frontiers: imperialism's new communities in East Asia, 1842-1953, Manchester [u. a.] : Manchester University Press 2000, ISBN 0-7190-5604-7
  • Ralph Bollmann: Lob des Imperiums - Der Untergang Roms und die Zukunft des Westens. wjs-Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-937989-21-8.
  • François Caron: Geschichte Frankreichs. Bd. 5: Frankreich im Zeitalter des Imperialismus 1851-1918. Stuttgart 1991.
  • Alexander Demandt: Das Ende der Weltreiche. München 1997.
  • Frank Deppe, Stephan Heidbrink, David Salomon, Stefan Schmalz, Stefan Schoppengerd und Ingar Solty (2004): Der neue Imperialismus. Heilbronn: Distel Verlag.
  • Jared Diamond, Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften, S. Fischer: Frankfurt a. M. 1999. ISBN 3-596-14539-2.
  • Thomas Fischer/Anneliese Sitarz (Hrsg.): Die Grenzen des „American Dream“. Hans Sitarz als ‚Gelddoktor‘ in Nicaragua 1930-1934. In: Lateinamerika-Studien. Band 50, Iberoamericana/Vervuert, Frankfurt a.M. 2008, ISBN 978-3-86527-420-5. 
  • Philip S. Foner: The Spanish-Cuban-American War and the Birth of American Imperialism 1895-1902. 2 Bände. New York / London 1972 (sehr detaillierte Untersuchung mit vielen Quellen besonders aus US-amerikanischen Archiven)
  • David Harvey (2005): Der neue Imperialismus. Hamburg: VSA
  • Karl Held (Hrsg.): Imperialismus 1 : Ableitung – Anti-imperialistische Illusionen über Staat und Revolution. München 1979. 102 Seiten, derzeit vergriffen. Online: RTF-Datei zum Download (364.580 Bytes) (Marxistische Analyse)
  • Eric J. Hobsbawm: Das imperiale Zeitalter 1875-1914, Frankfurt a.M.: Fischer 2004 (TB 16391).
  • Wladimir Iljitsch Lenin:Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, 1917
  • Michael Mann: Geschichte der Macht. 3 Bände, Frankfurt 1990-1998.
  • Herfried Münkler: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft - vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Rowohlt, Berlin 2005.
  • Oliver Nachtwey: Weltmarkt und Imperialismus - Zur Entstehungsgeschichte der klassischen marxistischen Imperialismustheorie. Neuer ISP-Verlag Köln 2005, 116 S. ISBN 3-89900-021-8
  • Sönke Neitzel: Weltmacht oder Untergang. Die Weltreichslehre im Zeitalter des Imperialismus, Paderborn [u. a.] : Schöningh, 2000, 453 S., ISBN 3-506-76102-1
  • Leo Panitch und Sam Gindin: Globaler Kapitalismus und amerikanisches Imperium. Aus dem Amerikanischen von Ingar Solty. Hamburg: VSA
  • John Pilger: Verdeckte Ziele. Über den modernen Imperialismus. Zweitausendeins, Frankfurt 2004. ISBN 3-86150-632-7.
  • Klaus Schwabe: Weltmacht und Weltordnung. Amerikanische Außenpolitik von 1898 bis zur Gegenwart. Schöningh Verlag, Paderborn 2006.
  • Gregor Schöllgen: Das Zeitalter des Imperialismus. München 2000, 4. Auflage [Oldenbourg Grundriß der Geschichte]. (hervorragende, umfassende und forschungsnahe Gesamtdarstellung mit 1223 Literaturhinweisen zu verschiedenen Einzelthemen).
  • Gerhard Stapelfeldt: Der Imperialismus – Krise und Krieg 1870/73 bis 1918/29. Zweiter Band: Anthropologie und Rationalität, Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2008, ISBN 978-3-8300-3655-5
  • Wolfgang Caspart: Das Gift des globalen Neoliberalismus. Mit Turbokapitalismus in die Krise. Amalthea Signum Verlag, Wien 2008. ISBN 978-3-85436-395-8.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Karl Kautsky in Die Neue Zeit Nr.2 vom 11. September 1914, S. 909, angeführt bei Lenin „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ in: Lenin Werke 22, S. 272.
  2. Rosa Luxemburg Die Akkumulation des Kapitals in: Gesammelte Werke 5, Dietz Verlag Berlin 1975.
  3. Lenin Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus in: Lenin Werke 22, siehe auch Lenin Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus in: Lenin Werke 23, beides Dietz Verlag Berlin 1974.
  4. Lenin: „Zur Frage der Nationalitäten oder der Autonomisierung“ in: Lenin Werke 36, S.596.
  5. Jens Flemming: Kolonialismus, in: Geschichte. Lexikon der wissenschaftlichen Grundbegriffe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1994, ISBN 3-499-16331-4, S. 381f.
  6. Tobias ten Brink: Geopolitik - Geschichte und Gegenwart kapitalistischer Staatenkonkurrenz. Westfälisches Dampfboot, Münster 2008, ISBN 978-3-89691-123-0, S. 307. , S. 16.

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