Die Familie des Vampirs

Die Familie des Vampirs

Die Familie des Vampirs ist eine schauerromantische Erzählung des russischen Schriftstellers Alexei Konstantinowitsch Tolstoi, in der von der verhängnisvollen Dienstreise eines französischen Diplomaten nach Kisolova, einem Dorf im heutigen Serbien, und den dort durch Vampire hervorgerufenen Schrecken berichtet wird. Sie ist auch unter dem Titel Die Familie des Wurdalak bekannt und erschien erstmals 1839.

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Tolstoi auf einem Gemälde von Karl Brullov, 1836.

Durch Liebeskummer auf eine diplomatische Reise nach Moldawien getrieben macht der junge französische Diplomat Serge d’Urfe einen Zwischenstop – und sucht nebenbei auch Zuflucht vor den Wölfen in der Region – in der Herberge einer Familie im kleinen Dörfchen Kisolova. Der plötzliche Einbruch des Winters verhindert dann, dass er frühzeitig wieder aufbrechen kann und er muss dort für einige weitere Wochen ausharren.

Schon bei der Ankunft in der Herberge bemerkt er sofort die Anspannung, die auf allen Familienmitgliedern lastet, ganz besonders aber auf dem Familienoberhaupt Georg. Nach den Ursachen für die angespannte Situation fragend teilt man ihm mit, dass man voller Zuversicht, aber auch voller Angst auf die Rückkehr Gorchas, des Vaters von Georg, von seinem Bruder Peter, sowie von seiner Schwester Zdenka, wartet. Jener ist vor genau zehn Tagen ausgezogen, um einen osmanischen Räuber und Plünderer, der sich in den Bergen versteckt halten soll, mit dem Namen Ali Bek aufzuspüren und ihm endgültig den Garaus zu machen. Kurz vor seiner Abreise hatte Gorcha seinen Kindern eingeschärft, bis einschließlich des zehnten Tages auf ihn zu warten, danach aber die Türen für immer vor ihm zu verschließen, denn, so Gorcha, dann würde es sich nicht mehr um den Vater Georgs, Peters und Zdenkas handeln: Er wäre ein vollkommen anderes Wesen. Kurz vor Ablauf jener Zehn-Tage-Frist bemerken die Bewohner des Hauses allerdings eine herannahende Gestalt, die sich auch tatsächlich als Gorcha herausstellt. Peter und Zdenka sind erfreut, ihren Vater noch wohlbehalten wiederzusehen, lediglich Georg ist misstrauisch. Der alte Gorcha scheint ihm verändert und auch Peter und Zdenka kommen nicht umhin zu bemerken, dass ihr Vater sich verändert hat und außerordentlich unfreundlich bei Tisch ist. Trotzdem schaffen sie es, ihren Bruder davon zu überzeugen, dass mit ihrem Vater alles in Ordnung sei und er nur ein wenig Ruhe benötige.
In der darauf folgenden Nacht hat der Erzähler das seltsame Gefühl, Gorcha befinde sich in seinem Zimmer und bewege sich langsam auf ihn zu. Starr vor Angst wagt er vorerst nicht sich zu rühren, aber als er den Atem des alten Mannes in seinem Nacken spürt, wacht er auf und stellt fest, dass alles nur ein Traum gewesen sein kann: Niemand befindet sich in seinem Zimmer. Vor seinem Fenster allerdings steht der alte Gorcha – ohne zu blinzeln – verschwindet aber nach einigen Momenten wieder und überredet das im benachbarten Zimmer schlafende ältere Kind Georgs mit ihm nach draußen zu kommen. Obwohl er die seltsamen Geschichten, die ihm erzählt worden sind, nicht glaubt, versucht er doch Gorcha davon abzuhalten, das Kind mitzunehmen – vergeblich, denn seine Zimmertür ist verschlossen. Er ruft und weckt Georg, der sofort losstürmt, um sein Kind zurückzuholen. Nach einiger Zeit erscheint er aus dem kleinen anliegenden Wäldchen, in das Gorcha das Kind gebracht hat, auf den Armen: sein Sohn. Von Gorcha hingegen fehlt jede Spur.
In der folgenden Nacht fühlt sich der Erzähler wieder von Gorcha beobachtet, kann dieses Mal aber keinen Muskel rühren. Wieder geht der alte Mann zum Fenster seines Enkels und nun schafft d’Urfe auch, den Vater des Kindes zu wecken. Der kleine Junge ist ohnmächtig und kann sich auch nicht an den Grund seiner Ohnmacht erinnern. Er weiß jedoch, dass sein Opa ihn in der Nacht besucht hat. Gorcha ist wieder spurlos verschwunden. Am nächsten Morgen finden die schockierten Eltern ihr Kind tot auf. Mittlerweile taut es und d’Urfe weiß, dass der Zeitpunkt seines Abschieds immer näher rückt. Dies ist ihm nicht ganz recht, denn er hat sich in die junge hübsche Zdenka, die Schwester Georgs und Peters, verliebt. Eines Nachts kann er seine Leidenschaft für sie nicht mehr zügeln und geht zu ihr ins Zimmer, nur um eine einzige Stunde mit ihr bittend. Sie ziert sich und verweist auf ihren Bruder, der einer Verbindung niemals zustimmen würde. Das alles macht ihn aber nur noch leidenschaftlicher. Plötzlich bemerken beide das aschfahle Gesicht Gorchas, das durch das Fenster zu ihnen hereinstarrt. Um den Schrecken noch zu verstärken, spürt d’Urfe eine schwere Hand auf seiner Schulter: Georg, der ihn in barschem Tonfall fragt, was er in Zdenkas Zimmer wolle. D’Urfe kann nur noch auf Gorcha verweisen, um sich aus dieser bedrückenden Situation zu retten.
Als am darauf folgenden Tag Gorcha plötzlich wieder zum Essen erscheint, bittet Georg ihn, das Tischgebet zu sprechen, und weil sein Vater sich weigert, verflucht er ihn und wirft ihm den Tod seines Kindes vor. Er greift einen Pfahl und stürzt sich auf ihn, in der Absicht, ihn durch sein Herz zu bohren, doch der alte Mann kann sich aufraffen und flüchtet in den Wald. Georg verfolgt ihn, und als er am Abend zurückkehrt, ist er bleich und wortkarg. Kurz darauf kommt er aber doch auf den Erzähler zu und teilt diesem freundlich mit, dass sein Aufenthalt in der Herberge nun beendet sei, dass er am nächsten Morgen früh aufbrechen müsse, und dass es nicht nötig sei, sich persönlich vom Rest der Familie zu verabschieden. Schweren Herzens bricht d’Urfe dann auch tatsächlich am nächsten Morgen auf. Nach einiger Zeit – und nachdem seine diplomatischen Geschäfte beendet sind – kommt der Protagonist wieder an dem kleinen Örtchen vorbei, das ihm nunmehr sehr kalt und abweisend, verlassen und furchteinflößend vorkommt. Bei dem alten Einsiedler, der ein Stück außerhalb des Ortes eine Herberge betreibt, beabsichtigt er zunächst zu nächtigen, entscheidet sich dann aber dagegen und beschließt, wieder bei der Familie vorbeizuschauen. Der Einsiedler warnt ihn: Das sei ein törichter Plan. Auf die Frage, warum dies der Fall sei, berichtet der Einsiedler ihm, was sich in letzter Zeit in dem Dorf ereignet hat: Nachdem Gorcha das Kind getötet hatte, war es aus seinem Grab gekommen – so wie sein Großvater zuvor – und hatte zu Hause bei seiner Mutter geklopft. Obwohl sie bei seiner Beerdigung anwesend gewesen war, erbarmte sich die Mutter ihres Sohnes und öffnete ihm die Tür. Das Kind fiel die Mutter an und trank ihr Blut; sie erhob sich ebenfalls aus ihrem Grab und trank das Blut ihres Mannes und ihres anderen Kindes. So wurde Schritt für Schritt das gesamte Dorf in Vampire verwandelt.
Der Erzähler tut die gesamte Geschichte als Hirngespinst ab und macht sich trotzdem auf den Weg zu seiner alten Herberge im Dorf. Dort angekommen findet er sie verlassen vor: Bis auf Zdenka ist keiner der Familienmitglieder anwesend. Zdenka versucht anfänglich, d’Urfe zu überreden so schnell wie nur möglich zu verschwinden, aber plötzlich ändert sich ihr Benehmen und sie bittet ihn – ähnlich wie der Erzähler seinerseits vor Monaten – um eine Stunde mit ihm. Die beiden küssen und umarmen sich, und dabei berührt das kleine Kreuz, welches er um seinen Hals trägt, Zdenkas Körper. Die Frau, die er eben noch für das schönste Wesen auf Erden gehalten hat, zeigt sich ihm in diesem Moment als das, was sie wirklich ist: eine Leiche, die vom Tod gezeichnet, nur noch von selbigem kontrolliert wird; mit einem grausigen Lächeln, einer Grimasse, die das Grab in das leblose Gesicht geschrieben hat. Da erst bemerkt der Protagonist, dass das Haus von Vampiren umstellt ist, welche offensichtlich darauf warten, dass Zdenka den Erzähler betäubt und für alle zum Fraß freigibt. Unter dem Vorwand, sein Pferd versorgen zu wollen, verlässt er das Zimmer mit dem Versprechen, gleich wiederkommen zu wollen. Doch wild entschlossen springt er auf sein Pferd und – verfolgt von Scharen von Untoten – gelingt ihm schließlich die Flucht.

Bedeutung

Die Familie des Vampirs gilt als eine der besten und – trotz des geringen Bekanntheitsgrades in westlichen Ländern – einflussreichsten Vampirgeschichten überhaupt. Die feine Konstruktion des Plots, das langsame Aufdecken der erschreckenden Wahrheit, die daher kontinuierlich aufrechterhaltene Atmosphäre primitiven Terrors, sowie die Integration von Elementen, die heutzutage als paradigmatisch für die Darstellung des Vampirs gelten, erheben diese Kurzgeschichte in den Rang hoher Literatur. Die Erzählung führt darüber hinaus den besonderen Vampirtypus des Vourdalak in der Literatur ein. Dieser Vampir saugt bevorzugt das Blut von Menschen, die ihm im Leben nahe standen, so z. B. von Familienmitgliedern oder engen Freunden. Ähnlich Joseph Sheridan Le Fanus Carmilla fokussiert sich der Vampir hier also auf einen bestimmten Menschen bzw. auf eine bestimmte Gruppe von Menschen.

Wirkung

Wie oben angedeutet steckt Die Familie des Vampirs – wie viele Geschichten ihrer Zeit – den Boden für die typische Darstellung des Vampirs in Literatur und Kultur ab:

  • Die Zeit, während der der Vampir am aktivsten ist, ist die Nacht.
  • Die Hauptspeise des Vampirs ist Blut.
  • Der Vampir bleibt trotz eines möglichen schönen Scheins ein Untoter, was sich in dem schrecklichen Antlitz Zdenkas zeigt, sobald das Kreuz ihren Körper berührt und ihre wahre Form offenbart.
  • Der Vampir hat eine hypnotisierende Macht über Lebende, was sich darin zeigt, dass d’Urfe sich nicht rühren kann, solange Gorcha ihn anstarrt.
  • Der Vampir – vor allem der weibliche Vampir – ist von einer erotischen Aura umgeben und häufig sexuell anziehend, was sich in der außergewöhnlichen Schönheit Zdenkas nach ihrer Verwandlung zeigt.
  • Der Vampir hat eine Abneigung gegen alles (christlich-)Sakrale: Gorcha will das Tischgebet nicht sprechen, und Zdenkas wahres Antlitz wird vom kleinen Kreuz offenbart.
  • Der Vampir findet häufig besonderen Gefallen an einem bestimmten Menschen oder einer bestimmten Gruppe von Menschen: Der Vourdalak Gorcha beißt vorerst nur die Mitglieder seiner Familie.

Verfilmung

Die Familie des Vampirs wurde 1963 von Mario Bava als Episode Der Wurdelak (I Wurdalak) seines Films Die drei Gesichter der Furcht (I tre volti della paura, Italien 1963, mit Boris Karloff in der Rolle des Gorcha) filmisch umgesetzt. Im Unterschied zu Tolstois Erzählung trägt d’Urfe in Bavas Film den Vornamen Vladimir und wird am Ende von der vampirisierten Sdenka gebissen. Der deutsche Titel der Filmepisode Der Wurdelak schreibt sich im Unterschied zum italienischen (I Wurdalak), englischen (The Wurdalak) oder französischen Titel (Les Wurdalaks) mit einem e statt einem a.[1]

Hörspiel

Die Familie des Vampirs erschien 2004 als Folge 3 der Hörspiel-Reihe Gruselkabinett im Hörbuchverlag Titania Medien (Buch und Regie: Marc Gruppe, ISBN 978-3-7857-3242-7).[2]

Literatur

  • Alexej Tolstoi: Der Vampir. Die Familie des Wurdalak. 2 Erz. Aus dem Russischen bzw. Französischen von Werner Creutziger. Aufbau, Berlin 1972; sowie (nur Der Vampir) in Vampire. Anthologie. Hg. Helmut Degner; Übersetzerin dieser Erz. Eva Luther. Fackelverlag, Olten 1969, ohne ISBN, S. 174 - 207
  • Alexej K. Tolstoi: The Curse of the Vourdalak. In: David Stuart Davies (Hrsg.): Children of the Night. Classic Vampire Stories. Wordsworth Editions Limited, Ware 2007
  • Claude Lecouteux: Die Geschichte der Vampire. Metamorphose eines Mythos. Aus dem Französischen von Harald Ehrhardt. Albatros, Düsseldorf 2008

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. x-zine.de, angwa.deBlack Sabbath (film) in der englischsprachigen Wikipedia
  2. titania-medien.de, vampire-world.comBlack Sabbath (film) in der englischsprachigen Wikipedia

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