Die Powenzbande

Die Powenzbande

Ernst Penzoldts 1930 erschienener Roman "Die Powenzbande" spielt in dem beschaulichen Städtchen Mössel an der Maar, das vor allem von besser gestellten Rentnern und Pfarrerswitwen mit ihren Töchtern bewohnt wird. In dieser Kleinstadt würde wohl nie etwas passieren, wäre nicht einige Jahre vor der eigentlichen Handlung ein Bahnreisender in "Adams kleiner, brauner Weinstube" "kleben" geblieben, um sich als reich tätowierter Bademeister, Fahr- und Gesangslehrer, Erfinder (nicht zuletzt seiner eigenen Vergangenheiten), Konstrukteur eines Automobils, Poet, Musiker und Fabrikant von Scherzartikeln und Feuerwerkskörpern dort niederzulassen und eine Familie zu gründen, immer mit dem Ziel, ihr eines Tages ein eigenes Haus zu erbauen.

Mit seiner "selten liebevollen" Frau Sabina hat er sieben Söhne und eine Tochter, eine so kopf- wie lautstarke Schar, die allgemein von den rechtschaffenen Bürgern kopfschüttelnd nur die "Powenzbande" genannt wird und ihnen jeder Schandtat verdächtig ist. Sie stellen Mössel ein fröhliches Prekariat emsiger Lebenskünstler, sind der "Edle Wilde" von nebenan, ein lebendiger Widerspruch zu allen bürgerlichen Normen, arm an allem außer Geist, wenig zimperlich bei der Wahl ihrer Methoden wie bei ihrer Nahrung. Heilig ist ihnen das Leben, die Existenz aber nur Notwendigkeit.

Ihre bacchische Freuden, freie Liebe, häusliche Gewalt erregen die Rechtschaffenen wie die Selbstgerechten, und so beginnt bald ein Kleinkrieg zwischen ihnen und den Powenzen, dessen formelle Kriegserklärung die Ablehnung eines Bauantrages ist, den Baltus Powenz, gestützt auf einen "kleinen Vorgriff auf die Reserven der Zukunft" und einen Fundus von 999 über Jahre hinweg gesammelter Backsteine, bei der Stadtverwaltung einreicht. Dieser Krieg wird in offenen "Knabenschlachten" auf der Heide vor der Stadt ebenso ausgetragen wie in Guerilla-Operationen, bei denen aus den Beeten des Nachbarn die Gemüsepflänzlinge säuberlich entfernt und durch Unkraut ersetzt werden, zum Lüften aufgehängte Teppiche mit Flöhen und Wanzen infiziert werden, die sich in den Häusern der "Feinen" ausbreiten, und manchmal mit krimineller Energie. Die Gegenseite schlägt mit Hausdurchsuchungen zurück und ist den flexiblen Powenzen gegenüber relativ erfolglos.

Dieser Krieg wird 1914 durch eine andere Auseinandersetzung unterbrochen. Die Familie Powenz stellt umgehend die Produktion mit beachtlichem Erfolg von Scherzartikeln auf vaterländische Andenken und Kriegsfolklore um. Allerdings müssen bald Frau Sabina, Tochter Lilith und die jüngsten Söhne Jadup und Jubal den Betrieb übernehmen, weil die erwachsenen Männer der Familie zur Armee einrücken müssen. Schnell sammeln sie sich am gleichen Frontabschnitt, wo sie der Autor wieder trifft, der in Mössel an der Maar zu den "Feinen" gehört. Pragmatisch ziehen die Powenze aus dem Krieg jeden Vorteil. Sie genießen das Abenteuerliche an ihm und nutzen jede Gelegenheit, Wertvolles zu sammeln.

Bei einer solchen Gelegenheit wird der künstlerische Sohn Violand verwundet und wird von seinen Verwandten und ihren Freunden, allesamt aus Trunkenheit tapfer gerettet. Sie nutzen das, um zugleich einen Schatz teuren Rotweins aus den Ruinen des Weinguts "La Ferme Trouchy" zu bergen. Kurz vor Kriegsende lässt Baltus Powenz dann die heimatliche Produktion von Kaiser-Bildern und anderem vaterländischen Nippes stoppen und auf schwarz-rot-goldene und rote Fahnen umstellen, um sich auch kommende politische Auseinandersetzungen nutzbar zu machen.

So tragen alle Powenze zu jenem bescheidenen Vermögen bei, mit dem und ihrem umfangreichen Vorrat an Backsteinen, sie eines Tages ihr Haus errichten wollen. Tochter Lilith schlägt einiges Kapital aus ihrem eigenen, sorgsam kultivierten schlechten Ruf, Vater Baltus nutzt seinen Einfallsreichtum, um in den unruhigen Zeiten nach dem Krieg mit Devisen-Spekulationen Geld zu verdienen, der immer müde Sohn Fabian gründet die Kirche des Heiligen Schlafes. Nur Jadup trägt nichts dazu bei, wird er doch bald von der Liebe in Gestalt eines Ballonfahrers nach Berlin entrückt. Seine erdverbundene Familie kritisiert daran vor allem die völlige Uneinträglichkeit.

Es kommt gar dazu, dass die Powenzbande zum ersten Mal seit Menschen Gedenken schuldenfrei ist, als der Tod ihres Onkels Melchior in Amerika und die Vorstellung eines Erbes in Dollar-Millionen sie in der Gunst der Mösseler hoch steigen lässt. Man schenkt ihnen gar das Grundstück, das man ihnen samt der Baugenehmigung einst verweigert hat. Vater Powenz tauscht es umgehend gegen eines in der Nachbargemeinde ein, wo er endlich jenes Haus baut, von dem er immer geträumt hat. Das Erbe besteht dann wirklich aus Millionen, aber Schulden.

Am Ende, das der Autor an den Anfang stellt, wird Baltus Powenz, der heiter und angetrunken wie stets spazieren geht, von einem Meteor erschlagen, drei Tage nach dem Richtfest seines Hauses, immer noch in der gleichen Jacke, die er bei seiner Ankunft in Mössel trug. Seine ehrerbietigen Söhne umgeben den Meteor sofort mit einem Zaun und nehmen Eintritt für seine Besichtigung.

Ernst Penzoldt, der Erfinder der Tomoffel hat mit der "Powenzbande" einen der wenigen Schelmenromane der deutschen Sprache geschrieben. Er zeichnet die Powenze, aber auch ihre Gegner ganz menschlich mit Liebe und Humor, jeden in seinen Eigenheiten und Merkwürdigkeiten liebevoll darstellend. Dabei verurteilt er weder die einen noch die anderen. Sich selbst schreibt er eine Rolle unter den "Feinen", bleibt aber meist nur Beobachter, tritt nur in Krieg und Liebe aktiv in Beziehungen zu den Mitgliedern der Familie Powenz und stellt sich dann mit feinem Humor dar.

Verfilmung

Penzoldts Roman „Die Powenzbande“ wurde 1973 vom Regisseur Michael Braun als fünfteilige Fernsehserie für die ARD verfilmt. Zu den Darstellern der Familienmitglieder gehörten Gustav Knuth, Ruth-Maria Kubitschek, Helga Anders, Michael Ande, Pierre Franckh, Heinz Werner Kraehkamp, Martin Semmelrogge und Peter Kranz. Am 30. Oktober 2007 wurde die Fernsehserie auf DVD veröffentlicht.

Sekundärliteratur

  • Christian Klein: Ernst Penzoldt - Harmonie aus Widersprüchen. Leben und Werk (1892-1955). Köln und Weimar (Böhlau) 2006, ISBN 3-412-34205-X, S. 300-306.

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