Die Sanfte

Die Sanfte

Die Sanfte (russisch Кроткая) ist eine Erzählung von Fjodor Dostojewski, erschienen 1876 in der von Dostojewski selbst herausgegebenen Monatszeitschrift Tagebuch eines Schriftstellers.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Die Erzählung basiert auf zwei Presseberichten in der Tageszeitung Neue Zeit, in denen von einer Frau berichtet wird, die sich, mit einer Ikone in der Hand, aus dem Fenster eines fünften Stockwerks gestürzt hatte.

Form

Der Erzählung geht ein „Vorwort“ voraus, in dem ein fiktiver Herausgeber die Erzählung als „phantastisch“ bezeichnet. Er bezieht sich weniger auf den Inhalt der realistischen Erzählung als vielmehr auf die Form – Dostojewski verwendet eine Art inneren Monolog, mit dem die Erzählung völlig auf die Perspektive des Erzählers eingeschränkt wird. Die emotionale Sprache und die Widersprüchlichkeit gewisser Emotionen zeigen klar, dass der Leser es nicht mit einer objektiven Schilderung von Ereignissen zu tun hat, sondern vielmehr mit einem Deutungsversuch eines Individuums.

Inhalt

Ein Pfandleiher versucht, „sich an der Gesellschaft zu rächen“, indem er mit seinem Geschäft innerhalb von drei Jahren so viel Geld verdient, dass er sich auf dem Land niederlassen kann. Er fühlt sich aus der Gesellschaft ausgegrenzt, seitdem er wegen Feigheit unehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen worden ist. Er sei, so wird ihm vorgeworfen, einem Duell aus dem Weg gegangen. Durch seine Entlassung verarmt er und wird für eine Weile obdachlos, bevor er 3000 Rubel erbt und das Pfandleihgeschäft eröffnen kann.

In dieser Situation lernt er eine 16-jährige Frau („die Sanfte“) kennen, von der der Leser durch die Einleitung des fiktiven Verfassers schon weiß, dass sie vor dem Zeitpunkt der Erzählung Selbstmord begangen hat. Sie verpfändet ihre lieben Gegenstände, um Inserate in einer Zeitung zu schalten, in denen sie eine Anstellung als Gouvernante sucht. Der Pfandleiher erniedrigt sie bei diesen Geschäften subtil, besonders wird eine Situation erwähnt, in der sie ihm eine Ikone bringt, die er schließlich in seinen eigenen Reliquienschrein stellt. Durch Nachforschungen erfährt der Pfandleiher, dass die junge Frau bei ihren tyrannischen Tanten lebt und mit einem widerwärtigen Krämer verheiratet werden soll. Er nutzt die Situation aus und bittet um die Hand der jungen Frau. In ihrer Not heiratet sie ihn.

Nach einer anfänglich ruhigen Ehe bricht eine Art Kampf aus, ausgelöst durch Meinungsverschiedenheiten beim Führen des Pfandleihgeschäfts. Die Sanfte flieht aus der gemeinsamen Wohnung, obwohl ihr das vom Pfandleiher bisher nicht erlaubt worden ist. Sie trifft sich mit einem Offizier namens Jefimowitsch. Der betrogene Ehemann erfährt davon durch die beiden Tanten, daraufhin überrascht er seine Frau bei einem Rendezvous mit Jefimowitsch. Am nächsten Morgen wacht er auf und fühlt eine Pistole an seinem Kopf. Er öffnet kurz die Augen, schließt sie aber wieder, worauf die Sanfte nach einer Weile den offensichtlichen Entschluss aufgibt, ihn umzubringen.

Danach kauft der Pfandleiher ein zweites Bett und eine Trennwand. Die Sanfte wird krank, erholt sich und lebt sehr isoliert. Eines Tages singt sie in Anwesenheit des Pfandleihers. Er folgert, dass es ihr scheint, als sei er nicht da (sie singt sonst nur in seiner Abwesenheit), daraufhin macht er ihr eine Liebeserklärung und bietet ihr an, sein Geschäft aufzulösen und eine Reise nach Boulogne (Frankreich) zu machen. Die Sanfte lässt sich scheinbar rühren und entschuldigt sich, sie verspricht ihm, ihn fortan zu achten. Er geht kurz weg, um die Pässe für die Reise zu organisieren – als er zurückkommt, hat sie sich aus dem Fenster gestürzt.

Deutungsansätze

Das Duell, das am Ende des ersten Kapitels stattfindet, ist der Wendepunkt der Erzählung. Hier wiederholt sich das Duell aus der Vorgeschichte des Pfandleihers. Wiederum setzt sich seine Feigheit durch und er schließt die Augen – was er als Sieg wahrnimmt, von der Sanften jedoch als feige Kapitulation interpretiert wird. So scheitert er erneut und die unterschiedliche Wahrnehmung der Beziehung (die Sanfte sucht einen autonomen, unabhängigen Bereich, während ihr Ehemann sie unterwerfen will) führen schließlich zum Suizid, der eine Radikalisierung des Programms der Sanften und ultimativ auch eine Lösung darstellt, indem sie einen autonomen Bereich im Tod findet.

Die Ikone, die sie mit in den Tod nimmt spielt eine wesentliche Rolle. Sie ist als Hinweis zu betrachten, auf die Ikone der Heiligen Pelageja. Denn nach vielfacher Meinung ist die Geschichte eine Art Adaption auf die Legende der Heiligen Pelageja, die den Märtyrertod gestorben sein soll, da sie einen Heiden nicht heiraten wolle und ihn ablehnte mit der Begründung, dass ihre Liebe nur Gott gelte und sie ihm auch ihre Reinheit also Jungfräulichkeit schenken wolle.

Quellen

  • Dostojewski, Fjodor: Die Sanfte. Übersetzt von Wolfgang Kasack. Frankfurt am Main, 1986. insel taschenbuch 1138.
  • Koehler, Ludmila: Five Minutes too late... [1]

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