Die Schrecken des Eises und der Finsternis

Die Schrecken des Eises und der Finsternis

Die Schrecken des Eises und der Finsternis ist ein Roman von Christoph Ransmayr.

Der Roman erzählt die Geschichte der österreichisch-ungarischen Payer-Weyprecht-Expedition von 1872 bis 1874, in deren Verlauf der nördlichste Teil Eurasiens, das Franz-Joseph-Land, entdeckt wurde und ist eine Mischung aus einem klassischen Dokumentarroman und Fiktion.

Das Buch erschien 1984 in einer Auflage von nur 4000 Stück und blieb zunächst unbeachtet. Erst der Erfolg von Ransmayrs Ovid-Roman Die letzte Welt und ein Verlagswechsel verhalfen dem Roman zum internationalen Durchbruch.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Die Planung und Durchführung der Expedition wird als ein Erlebnisbericht aus einer Vielzahl von historischen Quellen montiert. Im Wechsel mit diesen Fakten wird das Schicksal Joseph Mazzinis verfolgt, eines Nachfahren eines der italienischen Matrosen und Sohn eines Tapezierers und einer Miniaturenzeichnerin aus Triest, der 100 Jahre später vom Sog dieser Geschichte seines Vorfahren erfasst wird und schließlich im Eis Spitzbergens verschwindet.

Komposition und Sprache

Eine Vielzahl von Quellen werden hier zusammengeführt: Originale Berichte und Tagebücher der österreichisch-ungarischen Polarexpedition von 1872-74 (ausführlich und mit Namensangaben kursiv zitiert), touristische Informationen, Bibelzitate, geografische und nautische Tabellen sowie historische Synopsen. Hinzu kommen Exkurse zur Suche nach der Nordostpassage, der Alternative zur südlichen Route um Afrika, und zu den Nordpolbetretungen aus nationalen sowie persönlichen Eitelkeiten. Außerdem werden noch 23 Abbildungen aus zeitgenössischen Veröffentlichungen benutzt. Diese Quellenarbeit unterstützt den Eindruck der Welthaltigkeit und der Reportage, wozu sie sich auch einer Sprache der kurzen Sätze, der verkürzenden Satzbrüche und des Wechsels vom Imperfekt ins Präsens nach dem ersten Viertel des Romans bedient.

Das Werk ist eine große Reportage, ein „Bericht“, der aber die Form eines komplexen Berichtens an vielen Stellen durch punktuelle Fantasie und dann durch die Figur Mazzinis zur Form des Romans hin durchstößt. Mit dieser Figur und durch einige Hinweise des Ich-Erzählers zu den Grenzen seiner Kenntnisse über diese Figur („…ich weiß es nicht…“) verlässt er ausdrücklich das Territorium der historischen Fakten und betritt das Reich der Fabel, der Poesie. Mit dem bis zum Schluss durchgehaltenen Wechsel der Abschnitte von Fakten und Fiktion erforscht der Roman dieses Grenzland – und wohl auch die Grenzüberschreitung des Reporters Ransmayr zum Romancier. Allerdings ist es immer wieder erstaunlich, wie poetisch schon die Sprache der historischen Quellen auch ohne die spätere Überformung durch Ransmayr ist.

Die Geschichte der Nordpolfahrten ist für Ransmayr mehr Hybris als Heldentum und er stimmt mit Weyprecht, dem Seekommandanten der österreichisch-ungarischen Expedition überein, dass der einzig sinnvolle Zweck dieser Expeditionen die Erweiterung der Kenntnisse über die Erde sein könne, die „Zerstörung der Mythen vom offenen Polarmeer, der Mythen vom Paradies im Eis.“

Zur Deutung

Mit der Figur Mazzinis, eines Nachfahren eines der italienischen Matrosen, tritt die Erfindung neben die Fakten. Mazzini folgt etwa einhundert Jahre später den Spuren der ersten Expedition und hat hierfür kein besseres Motiv, als seine Vorstellungen von Abenteuern anhand der Wirklichkeit zu bestätigen. Hiermit wird das Subthema der Wiederholung von Extremsituationen auf den Spuren anderer angesprochen, das den Roman buchstäblich von der ersten Seite an mit bestimmt. Die heute per Internet zu buchenden „Abenteuer“ stehen den wirklichen Abenteuern gegenüber, von denen aber schon Roald Amundsen meinte, dass sie für den professionellen Entdecker meist nur „Fehler seiner Berechnungen“ seien, die dann mit eingefrorenen und blutenden Wangen und Ohren bezahlt würden.

Die Figur Mazzinis, die in den Sog dieser Geschichte gerät und schließlich mit einem Hundegespann im Eis Spitzbergens verschwindet, erscheint daher weniger als eine auch nur ähnliche Wiederholung und mehr wie eine tragische Farce, mehr ein sorgfältiger Selbstmord als auch nur der Ansatz einer Selbsterkenntnis. Der „blinkende Luna-Park“ der Touristen ist eben eine ganz andere Welt als die „Spannung“, die die wirklichen Forscher bei der Erweiterung unserer Kenntnisse spüren.

Die österreichisch-ungarische Polarexpedition verlor bis zu ihrer Rückkehr nur ein (!) Mitglied durch Krankheit und die wesentlichen „Unfälle“ der Expedition begannen erst nach ihrem Ende: Die beiden Kommandanten brachen nach ihrer triumphalen Rückkehr aus unterschiedlichen Gründen ihre Entdeckerlaufbahnen ab und suchten sich neue Ziele, womit sie die „Fehler“ ihres früheren Lebens als Entdecker korrigierten. Nicht das Nacherleben „der Schrecken des Eises und der Finsternis“ à la Mazzini ist das wirkliche Abenteuer, sondern das Leben selbst. Und für dieses größte aller möglichen Abenteuer, für diesen schmerzhaften Weg der Selbsterkenntnis ist, wie der Autor meint, ein enormes Maß an Weisheit, an Heiterkeit und an Ermutigung das wichtigste Gepäck.

Literatur

Weblinks


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