Dieter Süverkrüp

Dieter Süverkrüp
Porträtfoto von Süverkrüp

Dieter Süverkrüp (* 30. Mai 1934 in Düsseldorf) ist ein deutscher Liedermacher, Kabarettist und Maler. Süverkrüp gilt als einer der wesentlichen Gründerväter der Liedermacherbewegung in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Besonders bekannt wurde er in der alternativen Kulturszene der 1960er und 1970er Jahre. Als langjähriges DKP-Mitglied war er auch in der tendenziell linken Liedermacherkultur ein politischer Hardliner. Seine bekanntesten Lieder sind Die erschröckliche Moritat vom Kryptokommunisten, der Baggerführer Willibald und das Kindermusical Das Auto Blubberbum.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jugend und frühe Karriere

Süverkrüp hielt zeit seines Lebens sein Privatleben für nebensächlich, so dass außerhalb seiner künstlerischen Karriere kaum Fakten bekannt sind. Er studierte an der Werkkunstschule in Düsseldorf. Insgesamt arbeitete er 18 Jahre in einer Werbeagentur, den größten Teil der Zeit als Art-Direktor.

In seiner Freizeit spielte er Jazzgitarre in der Band Feetwarmers, mit denen er beim deutschen Amateur-Jazz-Festival 1957 zum besten Jazzgitarristen Deutschlands gekürt wurde. Seine in dieser Zeit erworbene virtuose Gitarrentechnik und ein breites künstlerisches Ausdrucksvermögen prägten auch seine weiteren Veröffentlichungen. Wohl kaum ein anderer Liedermacher war zu solch musikalischer Variabilität fähig, wie Süverkrüp sie gelegentlich zeigt. Zu seinen Bandkollegen gehörte zufällig auch der spätere Finanzminister Manfred Lahnstein.

Als in der Bundesrepublik die Debatte um die Wiederbewaffnung begann, begann Süverkrüp sich politisch zu positionieren. Er beschrieb es: „Ich bin Jahrgang ’34 und war so elf Jahre, als der Krieg zu Ende war. Ich habe eine ganze Menge vom Krieg mitgemacht und wusste ganz genau, Krieg und Militär und so etwas will ich auf gar keinen Fall.“[1]

Er begann seine Karriere als politischer Liedermacher 1958 durch die Freundschaft mit Gerd Semmer, aus der mehrere Schallplatten entstanden. Gerd Semmer griff dabei sowohl auf das Liedgut der französischen Revolution als auch der Revolution von 1848 zurück, das Dieter Süverkrüp kongenial vertonte und sang. Die Chansons, Chants, Couplets und Vaudevilles, die zu ihrer Entstehungszeit oft Gassenhauer waren, spotten in meist derbem Tonfall über die Aristokratie oder preisen die Helden der Revolution.

Während er nach 1989 keine eigenen Stücke mehr veröffentlichte, vertonte er weiter die von anderen: Dazu gehören Lieder des Anarchisten Erich Mühsam; 1995 veröffentlichte er ein Album mit Texten des schwedischen Nationaldichters Carl Michael Bellman (1740–1795), dessen Texte im selben Jahr erstmals komplett auf Deutsch übersetzt wurden. Die Lieder Bellmans sind kunstvoll und variationsreich, ihr Inhalt oft derb, betonen das Lustvolle und sind aus dem prallen Leben gegriffen. Sie handeln von fröhlicher Geselligkeit, Wein, Weib und Gesang, enthalten aber häufig auch Klagen über die Vergänglichkeit von Schönheit und Freude und elegische Betrachtungen über den Tod. Sie schildern kleine Dramen aus der Lebenswelt der Unterschicht. Trotz ihrer zeitgebundenen Anspielungen und ihrer gelehrten Metaphorik wirken die Lieder auch heute noch durch ihren persönlichen Ton, ihre unmittelbare Frische, ein tiefes Empfinden für Naturschönheit, die Kombination von Realismus mit humoristischen und satirischen Überzeichnungen, ihre eigenartige Mischung aus überbordender Lebensfreude und düsterer Todesahnung sowie die enge Verbindung von Wort und Musik. Dabei übernahm Bellman die Melodien für seine Lieder oft aus populären zeitgenössischen Musikstücken und passte sie seinen Bedürfnissen an. Diese Verbindung aus Lebensrealität und politischem Anspruch behielt Süverkrüp dann auch in seinen eigenen frühen Liedern bei.

„Demokratie hihihihihihihi“: Politisierung und Arbeiterlieder

Zusammen mit Gerd Semmer, Arno Klönne und Frank Werkmeister gründete er 1961 den pläne-Verlag. Den Verlagsnamen übernahmen sie von einer 1933 verbotenen Zeitschrift der Roten Pfadfinder, die sich damals gegen den aufsteigenden Nationalsozialismus wehrten. Der Verlag druckte anfangs nur Bücher und Broschüren; beispielsweise Liedersammlungen für die Ostermarschierer mit Songs gegen die Atombombe.

Süverkrüps erste professionelle Veröffentlichung folgte, als er für den pläne-Verlag zwei LPs mit Liedern aus der französischen Revolution einspielte. Zusammen mit Gerd Semmer folgten weitere Aufnahmen, auf denen Süverkrüp die Musik und Semmer den Text schrieb. Die Texte stammen aus Gerd Semmers Gedichtband Widerworte, der sich in ihnen an den politischen Chansons von Kurt Tucholsky oder Frank Wedekind orientierte. Sie sind reich an Zitaten und Collagen, oft aus der Werbung. Die Musik Süverkrüps spielte hier im Vergleich zu den früheren Aufnahmen eine deutlich geringere Rolle und trat klar hinter die Texte Semmers zurück. Mit diesen Veröffentlichungen war das Duo ein Vorläufer der Liedermacher; allerdings standen sie in den 1950ern ziemlich allein mit dieser Kunstform da.

Große Bedeutung gewannen die beiden erst im Zuge der Ostermarsch-Bewegung in den frühen 1960er Jahren, als sich das politische Lied wieder im deutschen Bewusstsein durchsetzen konnte. Seit den 1960ern textete er selbst und trug diese Texte bei politischen Veranstaltungen wie den Ostermärschen vor. Süverkrüp sang in dieser Zeit sowohl Selbstverfasstes, klassische Arbeiterlieder und Lieder aus der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung.

Süverkrüp und Hanns Dieter Hüsch, der mittlerweile auch beim pläne-Verlag mitarbeitete, fanden für ihre Aufnahmen keine Plattenfirma. Also veröffentlichten sie selbst Kurzschallplatten mit jeweils vier Liedern und vertrieben sie von der eigenen Wohnung aus unter dem Namen „pläne.“ Nachdem Verkaufszahlen und Anforderungen an die Produktion stiegen, professionalisierte sich der Verlag als Musikproduzent; 1965 erschien die erste LP: Lieder des europäischen Widerstandes gegen den Faschismus 1933–63 in der Übersetzung von Gerd Semmer. Der Verlag wurde ein prägender Verlag der westdeutschen Linken. Bei ihm veröffentlichten neben Süverkrüp Hannes Wader, Giora Feidman, Liederjan, Lydie Auvray, Oysterband, Zupfgeigenhansel oder Naked Rave. Dort erschien die erste deutsche Veröffentlichung von Mikis Theodorakis ebenso wie die des sozialistischen chilenischen Liedermachers Víctor Jara. Süverkrüp nutzte sein graphisches Talent und zeichnete für viele Plattencover und optische Gestaltung von pläne-Veröffentlichungen verantwortlich. Der Verlag trug sich finanziell stets selbst, wurde in der Öffentlichkeit aber oft für DKP-finanziert gehalten – wohl nicht zuletzt aufgrund des starken Engagements Süverkrüps in ihm.

Seine erste LP mit eigenen Stücken, Fröhlich ißt Du Wiener Schnitzel, hatte noch kein geschlossenes Konzept. Lieder auf ihr reichten von Geblödel wie Lied eines heiseren Kindes über eine ziemlich gradlinige Parodie über den General; der Touristenflamenco beschreibt Deutsche, die im damals franquistischen Spanien unter Franco Urlaub machten und dort ihre eigenen Sympathien für den Faschismus wiederentdeckten, während Wie man in Düsseldorf eine Kunstausstellung eröffnet bereits die zahlreichen Wortspiele enthält, die später prägend für viele seiner Texte wurden.

Vor allem die Debatte um die Notstandsgesetze prägte viele der frühen Lieder. Süverkrüp kritisierte kompromisslos die Kontinuitäten zwischen der Zeit des Nationalsozialismus und der jungen Bundesrepublik. Für ihn waren sowohl die Wiederbewaffnung als auch die Notstandsgesetze Ausdrücke des alten Denkens in neuem Gewand. In Nachtgebet eines Untertanen (1966) listete er die Gruppen und Tendenzen auf, die seiner Meinung nach zu den Notstandsgesetzen führten, und die Folgen, die dieses Gesetz haben wird:

„Wir danken Dir, HErr Bonn, für dies Gesetz
im Namen von Sitte und Anstand
im Namen der Industrie
im Namen der alten und neuen Nazis
im Namen der tatendurstigen Polizeioffiziere
im Namen der deutschen Misere
im Namen der Thiele von Thadden
im Namen des Deutschen Ritterordens
im Namen des Alleinvertretungsanspruchs
[…]
Lobet den Herrn und die neuen Gesetze zum Notstand
Friede der Asche der Freiheit, die hiermit den Tod fand.
Demokratie
hihihihihihihi
opfern wir fröhlich dem Brotrand.“

Nachtgebet eines Untertanen (1966)

Im Lagerlied beschrieb er ein Lager, das aufgrund der Notstandsgesetze eingerichtet würde – die Schilderung ähnelt frappant denen der KZs des Nationalsozialismus. Der einzig wesentliche Unterschied ist, dass man im neuen Lager frei seine Meinung sagen kann und soll; an den Zuständen von Mord und Entwürdigung im Lager ändert dies aber nichts. Der demokratisch-grundrechtliche Anspruch der Bundesrepublik war für ihn wenig mehr als letztlich bedeutungsloses „Humanitäterä“.

Die Zeit des Nationalsozialismus ist für ihn in der Bundesrepublik noch allgegenwärtig. Viele der an den Taten Beteiligten nahmen wieder hohe Ämter ein, während die überlebenden Opfer weiterhin eine Außenseiterstellung in der Gesellschaft hatten – die bundesdeutsche Gesellschaft selbst wollte von dem Thema nichts mehr wissen und schwelgte im Wirtschaftswunder. Im einfach vorgetragenen Kirschen auf Sahne (1965) beschreibt er eine Alltags-Szene:

„In dem kleinen Cafe
sitzt der zittrige Mann
mit der Narbe am Auge
das blickt die Verliebten
so freundschaftlich an

Dieses Auge blieb heil
in fünf Jahren Kazett
sieht am Nebentisch Sahne
mit Kirschen, die Dame
ist schön, aber fett

Kirschen auf Sahne
Blutspur im Schnee
eine Mark fünfzig
sanftes Klischee“

Kirschen auf Sahne (1965)

Aus dieser Zeit stammen auch seine beiden politisch langlebigsten Werke: zum einen der Vietnam-Zyklus (1966), der schon früh in der bundesdeutschen Geschichte den Vietnamkrieg thematisierte; zum anderen die Schröckliche Moritat vom Kryptokommunisten (1965), die satirisch die gängigen Klischees des Antikommunismus in der Bundesrepublik aufspießte. Im Vietnam-Zyklus, der aus insgesamt sechs Liedern besteht, schilderte er den Krieg aus der Perspektive verschiedener beteiligter Gruppen: aus der Sicht der Vietnamesen (Partisanenbekämpfung), eines US-Soldaten (Western-Ballade), eines US-Kommandeurs (Rein Technisches), der beteiligten Industrie (Wirtschaftsbericht), um in Hexenverbrennung dem Krieg eine historische Dimension zu geben (früher Hexenverbrennungen, heute Napalm) und im abschließenden Gespräche der Herren Müller um dem Konflikt eine politisch-imperialismustheoretische Deutung zu geben.

Die Erschröckliche Moritat beschreibt den harmlosen Tagesablauf eines Kommunisten im Vokabular und mit den Klischeevorstellungen des Antikommunismus. Der Kommunist putzt sich die Zähne mit Branntwein und trinkt zum Frühstück Wodka. Er zieht die Unterwanderstiefel an und geht an sein illegales Untertagewerk. Bereits Um Neun Uhr zehn frißt er das erste Kind (blauäugig, blond). Er verstellt sich, spricht rheinisch statt sächsisch, und geht zum Friseur, um immer unauffällig agitproper auszusehen. Er kommunistet in der Hütte hinter dem Bahndamm, küsst dort die Frau, spielt mit den Kindern Verstecken, um schließlich nach vollbrachtem Untertagswerk auch die Unterwanderstiefel wieder auszuziehen.

Der Kapitalismus – ein eiserner Engel scheißend Bomben und Napalm: Sänger der Neuen Linken

Süverkrüp trat 1964 als einer von 13 Sängern beim ersten Festival Chanson Folklore International auf Burg Waldeck auf, das sich in den folgenden Jahren zum Mekka der Folk- und Liedermacherszene entwickelte. Bis 1969 traten hier auch noch Franz Josef Degenhardt, Reinhard Mey und Hannes Wader auf. Aus der DDR kamen Perry Friedman, Hermann Hähnel und Lin Jaldati dazu, international waren unter anderem Hedy West und Pete Seeger geladen. Selbst der spätere Schlagersänger Ivan Rebroff trat hier mit Folklore auf. Das Festival entwickelte sich allerdings schnell zum Szene-Treffen mit der typischen Eigendynamik einer solchen Veranstaltung. Die Szene dort begann um sich selbst zu kreisen, zufrieden damit, da zu sein, und nach seiner Meinung ohne weitergehenden Anspruch. Sie wurde somit der bundesdeutschen Gesellschaft, die sie kritisieren wollte, immer ähnlicher. Bereits 1966 textete der Dauergast Süverkrüp spöttisch in Wünsche des Publikums:

„Sprich alles aus doch sag es schon vergoren.
Üb Kritik jedoch im Konjunktiv.
Und sei modern und mach uns weltverloren,
Und schmück uns mit der anderen Leute Mief.

Und sag uns, wo die wahren Spießer sitzen,
damit wir uns da alle einig sind.
Derweil sie in den Wurstfabriken schwitzen,
weht doch auf unserm Berg ein andrer Wind.“

Wünsche des Publikums (1966)

Das Festival auf Burg Waldeck prägten schon früh innere Streitigkeiten. Die Debatte lief entlang den Frontlinien zwischen „Kunst“ und „Politik“, die es kaum mehr möglich machten, einen Weg zwischen beiden zu gehen. Schließlich scheiterte das Festival an diesem Streit.

Zusammen mit Hanns Dieter Hüsch, Franz Josef Degenhardt und Wolfgang Neuss bildete er das Quartett 1967. Süverkrüp trat bei Ostermärschen, Betriebsbesetzungen und Festivals auf, beim ersten Festival für Arbeiterlieder, organisiert vom pläne-Verlag, ebenso wie bei den Essener Songtagen 1968 (25. bis 29. September 1968), „Europas erstem großen Festival für Folklore, Folksong, Chanson und gute populäre Musik“, wo er zusammen mit Hanns-Dieter Hüsch und Franz-Josef Degenhardt das Auftaktkonzert spielte. Der ursprünglich geplante Auftritt als „Quartett ’67“ fiel ins Wasser, weil Neuss kurzfristig absagte – er wollte als einziger bei diesem Non-Profit-Konzert Gage haben. Süverkrüp schrieb viele Lieder extra für solche Anlässe, die so einen ungewöhnlich engen Zeitbezug besitzen. In dieser Zeit produzierte er mehrere Fernsehsendungen für den WDR wie Süverkrüps Laube oder Die Wegwerfgesellschaft.

Seine Texte schrieb er in dieser Zeit politisch direkter. Von einer Beschreibung des Alltags und linker politischer Kritik in vielen Facetten konzentrierte er sich immer mehr auf die seiner Meinung nach wichtigste Ursache: den Monopolkapitalismus. Textlich ist er oft direkter als seine damaligen Wegbegleiter, der Deutschlandfunk beschreibt ihn: „Unter den Urgesteinen der bundesdeutschen Liedermacherszene – wie Hannes Wader, Franz Josef Degenhardt oder Reinhard Mey – war er stets derjenige, der das politische System Westeuropas am unnachgiebigsten kritisierte und für die soziale Marktwirtschaft ausschließlich den Namen Kapitalismus gelten ließ.“

Bereits in dem 1968 veröffentlichten Lied 1968ster Psalm summiert er sein Kapitalismusbild, das für seine weiteren Veröffentlichungen prägend sein sollte:

„Aber am achtzehnten Tag schuf Gott,
sei es im Zorn, sei es aus Nachlässigkeit
den Kapitalismus

Und daraus wurde ein eiserner Engel,
mächtig gestreckt über Kontinente
leidend an Freßlust und Schwachsinn
scheißend Napalm und Bomben
wie er gerade sich dreht

Und frißt von den Völkern die Saat und die Ernte
und reißt ihr Fleisch
so sie’s verweigern“

1968ster Psalm (1968)

Der Kapitalismus blieb für ihn in seinen Veröffentlichungen stets das zu bekämpfende System. Politisch positionierte er sich dort, wo der Kapitalismus bekämpft wurde, und wandte sich gegen alles, was diesem Kampf schaden könnte. Für ihn war auf Dauer nur der real existierende Sozialismus sowjetischer Prägung ein chancenreicher Gegner des Kapitalismus, so dass er sich auch gegen linke Kritiker desselben wandte. Sein bissiger, oft aggressiver Humor trifft dabei auch gelegentlich die eigene Szene. Bereits 1970 zieht er in Die Revolution ist beendet ein Resümee der Neuen Linken:

„Also die erste Revolution hatte Eier aber keinen Penis. Das war sozusagen die gedankliche Revolution. Ist beendet.
Die zweite Revolution, da war’s genau umgekehrt. Deswegen hieß sie die sexuelle Revolution. Ist beendet.
Die dritte Revolution war während der Semesterferien. Ist aber wohl auch beendet.
Die vierte Revolution war die musikalische Revolution. Die ist immer noch beendet.
Die fünfte Revolution … da haben wir versucht ganz unten anzufangen, bei den Kindern. Ist beendet.
Die sechste Revolution brauchten wir schon gar nicht mehr selbst zu machen. Hat der Stern für uns besorgt. Ist beendet.
Die siebte Revolution weiß ich im Augenblick nicht mehr, spielt aber keine Rolle. Ist beendet.
Die achte Revolution wandte sich gegen den Konsumterror, hat aber unglücklicherweise keine Massenbasis gefunden. Ist beendet.“

Die Revolution ist beendet (1970)

Der Sozialismus, Genossen: Süverkrüp als kalter Krieger

Süverkrüps politisches Bild war durch die Auseinandersetzung des kalten Krieges geprägt. Er selbst empfand das westliche, kapitalistische System als unmenschlich und das realsozialistische Modell als einzige tatsächlich umsetzbare Alternative. Andere linke Ansätze empfand er als illusorisch, beziehungsweise in der realen politischen Auseinandersetzung zwischen den Systemen als Weltflucht. Kritik an der DDR war für ihn, egal aus welcher Perspektive geübt, im Ergebnis Zusammenarbeit mit dem kapitalistischen System und somit abzulehnen.

Die SPD hatte für ihn spätestens mit dem Godesberger Programm ihren linken Anspruch aufgegeben und war so zum unwilligen Erfüllungsgehilfen des „Großkapitals“ geworden; für ihn war sie „SPDemütig“. In Es ist alles ganz anders textete er:

„Früher mal war die CDU die Partei des Großkapitals. Heute hingegen ist sie die Partei des Großkapitals. Darin besteht der haarfeine Unterschied zur SPD. Die war früher nicht so. Du kannst also ganz beruhigt sein.“

Es ist alles ganz anders

Während Teile der Linken den Regierungsantritt der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt hoffnungsvoll begleiteten, nahm er diese Hoffnung auf echte gesellschaftliche Veränderung in Machtwechsel (1970) aufs Korn:

„Schäbige Politgesänge
sind nun einfach nicht mehr drin
seit die SPD regiert
im Land, wo ich geboren bin
Stell ich den Karl Marx zur Seite!
Kauf mir Wehners Sammelband!
Häng das Bild vom gütigen Konzernherrn an die Zimmerwand!
Und allmählich stirbt das kalte Hassen hinter der Stirn
Und aus Verwesung wachsen zarte Blumen durch mein Hirn.“

Machtwechsel (1970)

In den 1970er Jahren, als sich die Linke Bewegung zu diversifizieren begann, blieb er öffentlich stets DKP-Mann und dem System von DDR und Sowjetunion verhaftet. Während er bereits früher beispielsweise Hanns Dieter Hüsch überreden konnte, ein Protestlied gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 zu streichen, sprach er seine Überzeugungen in dieser Zeit offener aus und attackierte in seinen Liedern stärker die nichtkommunistische Linke.

Nachdem er die SPD stets klar abgelehnt hatte, wandte er sich auch im Laufe der Zeit gegen die Neue Linke. Besonders beißend nahm er die stark studentisch geprägte Neue Linke in Die Kunst, Andersmeinende für den Sozialismus zu gewinnen aufs Korn. Angefangen vom Agitieren mit Schlagworten fernab der Realität der normalen Menschen, über ihr Interesse an möglichst fernliegenden Themen, die sich lieber mit Freiheitskämpfen in Angola beschäftigten als mit der Realität vor der eigenen Haustür, bis hin zu deren entleertem Sozialismusbegriff, der nach Süverkrüps Maßstäben nichts mehr mit Sozialismus zu tun hatte, sondern als Leerformel für blinden Aktionismus diente. Sozialismus musste für ihn konkret umsetzbar sein, das sowjetische System war das einzig real existierende und daher aus seiner Sicht unbedingt gegen Vorwürfe zu verteidigen.

Er warf den linken Kritikern vor, letztlich nur zusammen mit dem „Klassenfeind“ zu arbeiten; das sozialistische Modell der DDR zu attackieren und zu schwächen, ohne selbst eine Alternative zu haben, und so letztlich das Spiel von „Stern, Spiegel und FAZ“ zu spielen.

In einem 1973 geführten Streitgespräch mit Marcel Reich-Ranicki sagte er zum Auftrittsverbot über den damals in der DDR aktiven Liedermacher Wolf Biermann:

Reich-Ranicki: „Ich habe Sie richtig verstanden, Herr Süverkrüp, Sie haben also Verständnis dafür, daß man in der DDR dem Biermann verbietet aufzutreten und zu singen?“

Süverkrüp: „Solange er Lieder schreibt, wie er sie im Augenblick schreibt und singt, – natürlich.“

Süverkrüp wurde in dieser Zeit textlich wesentlich geschlossener, seine Position auch innerhalb der Linken isolierter, er selbst sah sich mehr in einer Verteidigungshaltung und dazu gezwungen, ein System zu verteidigen, mit dem er selbst genug Probleme hatte. Seine Texte wurden dadurch oft flacher und sind heute wohl nur noch als zeitgeschichtliches Dokument von Interesse. Der Unterschied zeigt sich beispielsweise deutlich in Ungeschminkter Protest (1971), das vom Aufbau her ähnlich wie der Kryptokommunist ist. Während er im Kryptokommunist einerseits die damals gängigen Klischees aufgreift, andererseits aber durch offensichtliche Übertreibung die Kritik ins Lächerliche zieht, bleibt er im Ungeschminkten Protest konkreter, singt nicht mehr von Unterwanderstiefeln, sondern von Vopos, Parteilinie, Scharfschützengruppen oder Ostzigaretten – die aufgegriffenen Klischees gibt es in dieser Form kaum noch in der bundesdeutschen Gesellschaft; besonders da er sich gezwungen fühlt, diese mit positiven Eigenschaften wie freier Bildung, ausreichenden Kindergärten oder dem „menschenfreundlichen Arbeiterrecht“ widerlegen zu müssen, wirkt das Lied gezwungen.

Er wurde dabei sowohl in Westdeutschland wie in der DDR rezipiert. 1968 veröffentlichte der Ost-Berliner Eulenspiegel-Verlag das Buch Protestsongs, in dem unter anderem Texte von Bob Dylan, Franz Josef Degenhardt und Süverkrüp abgedruckt waren. 1970 erschien eine LP mit Liedern Süverkrüps in der DDR.

Süverkrüp, der selbst 17 Jahre Mitglied der DKP war, trat ab 1971 mehrfach beim Festival des politischen Liedes in der DDR auf.

Als einer von wenigen Künstlern gewann er bedeutende Preise sowohl in der DDR als auch, nach dem Fall der Mauer, in der Bundesrepublik.

Der Boss ist, wie ihr seht, zu blöd: künstlerische Diversifikation

Während seine explizit politischen Lieder in den Texten immer direkter und musikalisch oft flacher wurden als seine früheren Veröffentlichungen, begann er auch ein breites Spektrum anderer Lieder zu produzieren. Seine Weihnachtslieder setzten sich auf der Basis der allgemein bekannten Melodien spöttisch mit den Weihnachtsbräuchen der Bundesrepublik auseinander. Sie greifen das Thema in einer Mischung aus beißender Sozialkritik und linksradikalem Utopismus auf:

„Wilde Nacht, streikende Nacht!
Eines Tags, nicht ganz sacht,
pfeifen wir auf die Gnade des Herrn,
übernehmen mal wir den Konzern
und die Führung im Staate.
Das wird ein Weihnachtsfest wer’n!“

Kinderlieder wie Baggerführer Willibald (1970) oder das Musical Das Auto Blubberbumm (1976) sind zwar politisch, in der Aussage aber offener als seine anderen politischen Veröffentlichungen der Zeit. Baggerführer Willibald wurde zum Standardlied in den Elternhäusern entsprechender Gesellschaftsschichten. Das Auto Blubberbumm wurde mit hochkarätiger Besetzung aus der Jazz-Szene eingespielt.

Das in einfacher Kinderbuchsprache geschriebene Lied, in dem Willibald bei den Arbeiten an einem großen, schönen Haus begreift, dass ihm gar nichts gehört, dem Boss aber alles, gehörte zum ständigen Repertoire alternativer Kinderläden und -horte und übte so einen prägenden Einfluss auf die Kinder vieler 68er aus. Im Lied folgert Willibald:

„Der Willibald kriegt Wut.
Er sagt: ‚Das ist nicht gut.‘
Er steigt auf eine Leiter:
‚Hört her, ihr Bauarbeiter!
Der Boß ist, wie ihr seht,
zu blöd.‘“

Baggerführer Willibald (1970)

Woraufhin die Arbeiter im kleinen Maßstab den Sozialismus einführen und sich ihre eigenen Häuser bauen.

Mit der Künstlerin Fasia Jansen, den 3 Tornados und dem Kabarett Floh de Cologne arbeitete er eng zusammen. Er textete und schrieb Musik und Texte für weitere Gruppen wie beispielsweise Zupfgeigenhansel. Er arbeitete weiter mit verschiedenen Medien, 1988 entstand die Hörspielkassette und Fernsehbildergeschichte Pauline spielt Gitarre.

Obwohl wichtiger Teil der linken Kulturszene, wendet er sich doch nie ganz auch von anderen Musikformen ab. 1976 wurde bei den Kölner Kursen für neue Musik sein Melodram Alwin und Alwine – ein Musikerschicksal unter der Leitung von Mauricio Kagel aufgeführt.

Nach 1989

Ab 1989 trat er als Liedermacher nur noch selten auf. CDs allerdings produzierte er weiterhin, wenn auch wieder nach den Texten anderer. 1995 sang er mehrere von Erich Mühsams Liedern, 1996 veröffentlichte er zusammen mit seinem Sohn Ben die CD Singt Graßhoffs Bellman nach Texten von Carl Michael Bellman, in der Übersetzung von Fritz Graßhoff. Erst seitdem 2002 ein Buch mit vielen Liedern und eine 4-CD-Werkschau erschien, betritt er wieder gelegentlich eine Bühne. Nach eigenen Worten aus Neugier, ob er die alten Sachen noch drauf habe und ob man den Zeitzünder noch ticken höre. Die Lieder selbst beschreibt er im Begleitbuch zur CD als Sperrmüll, mit dem man vielleicht noch etwas anfangen könne. Primär aber widmet er sich heute der bildenden Kunst.

Bereits 1979 reiste er mit Prof. H. G. Lenzen durch das Ruhrgebiet; die Zeichnungen, die dabei entstanden, waren auf Ausstellungen im ganzen Ruhrgebiet zu sehen.

Er zeichnet und schreibt unter anderem seit 1987 für die Sendung mit der Maus. An der Folkwang-Hochschule in Essen besetzte er 1992/1993 den Stiftungs-Lehrstuhl für Poetik. 1993 schrieb er ein Radiohörspiel: Das Ding in Ü. an der Ö.

In den vergangenen Jahren hat sich Süverkrüp wieder der bildenden Kunst verschrieben, er schafft Zeichnungen, Radierungen, Kupferstiche, Ölbilder. Für Matthias Schlothfeld/Ben Süverkrüp/Wolfgang Hufschmidts Kinderoper Vom Teufel mit den drei goldenen Haaren schrieb er 1995 das Libretto, um die Jahrtausendwende die Bühnenmusik für eine Neuinszenierung von Georg Büchners Dantons Tod. 2002 erschienen eine CD-Sammlung seiner Lieder und ein begleitendes Buch mit Texten, für das er umfangreiche Erläuterungen schrieb und eigene Zeichnungen zur Verfügung stellte. Er selbst sieht in den Begleittexten die Zeitgebundenheit vieler Lieder und distanziert sich vorsichtig vom Realsozialismus; der Kapitalismus ist aber auch heute noch für Süverkrüp der Feind und seiner Auffassung nach stärker und gefährlicher denn je.

2005 gab es Ausstellungen seiner Zeichnungen, Radierungen, Kupferstiche und Ölbilder in Berlin, Bremen, Düsseldorf und Lübeck. Ergänzend zu den Ausstellungen erschien eine DVD „Kreuzwortbilder“, in der er auf humorvolle Art seine Bilder und Zeichnungen in eine von ihm verfasste und erzählte Geschichte einbindet.

Persönliches

Er ist der Vater des Pianisten Ben Süverkrüp, der zusammen mit Tina Teubner einen Deutschen Kleinkunstpreis 2010 erhielt.[2]

Auszeichnungen

Veröffentlichungen als Autor

  • Dieter Süverkrüp und Autorengruppe: Das Ding in Ü. an der Ö. Ein Text.. In: Folkwang-Texte. 2 Beiträge zu Musik, Theater, Tanz. Bd. 7, Die Blaue Eule, Essen 1993, ISBN 3-89206-560-8 (Eine Schriftenreihe der Folkwang Hochschule).
  • Dieter Süverkrüp; Udo Achten (Hrsg.): Süverkrüps Liederjahre 1963–1985ff. Grupello, Düsseldorf 2002, ISBN 3-933749-88-3 (Enthält viele seiner Liedertexte, 40 Radierungen und einen durchgehenden Kommentar zu den Liedern).
  • Dieter Süverkrüp: Süverkrüps Liederjahre. 1963–1985ff.. 4 Hörbücher. CD-Box, Grupello/Conträr Musik, Düsseldorf-Lübeck 2002, ISBN 3-933749-88-3 und 3933749891 (Booklet zur gleichnamigen CD-Box).

Diskografie

Solo-Veröffentlichungen

  • 1965 Fröhlich ißt du Wiener Schnitzel, LP (Pläne)
  • 1967 Die widerborstigen Gesänge des Dieter Süverkrüp, LP (Pläne)
  • 1969 Ça Ira – Lieder der französischen Revolution, LP (BRD:Pläne / DDR:Eterna)
  • 1970 Süverkrüps Hitparade, LP (Pläne)
  • 1970 Der Baggerführer Willibald, EP (Pläne)
  • 1970 Stille Nacht allerseits, EP (Pläne)
  • 1973 1848 – Lieder der deutschen Revolution, LP (BRD:Pläne / DDR:Amiga) [CD 1998; Conträr]
  • 1974 Süverkrüp Live!, LP (BRD:Pläne / DDR:Amiga)
  • 1980 So weit alles klar!, LP (Pläne)
  • 1983 Lied eines heiseren Kindes, LP (Pläne)
  • 2002 Süverkrüps Liederjahre, 1963–1985, 4 CD Box (Conträr)

Mit anderen

Literatur

  • Thomas Rothschild: Dieter Süverkrüp. In: Thomas Rothschild (Hrsg.): Liedermacher. 23 Porträts. Fischer, Frankfurt am Main 1980, ISBN 3-596-22959-6, S. 170–177.
  • Wolfgang Bittner/Mark vom Hofe: Der Schöpfer des Baggerführers Willibald. Dieter Süverkrüp. In: Ich mische mich ein. Markante deutsche Lebensläufe., Bad Honnef 2006, ISBN 978-3-89502-222-7.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Rezension auf grupello.de
  2. Kleinkunstpreis auf 3sat.de; abgerufen 8. März 2010
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