Dietrich Murswiek

Dietrich Murswiek

Dietrich Murswiek (* 11. Oktober 1948 in Hamburg) ist ein deutscher Rechtswissenschaftler.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Murswiek studierte an der Universität Heidelberg Rechtswissenschaften und wurde dort 1978 mit dem Thema Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland promoviert. In dieser Arbeit arbeitet Murswiek heraus, dass das Grundgesetz die theoretische Unterscheidung von verfassunggebender Gewalt und verfassten Staatsgewalten (pouvoir constituant und pouvoir constitué) in die Verfassung inkorporiert habe, woraus er Konsequenzen für die Grenzen der Verfassungsänderung ableitet. So zeigt er nicht nur, dass die „Ewigkeitsklausel“ des Grundgesetzes (Artikel 79 Absatz 3) ihrerseits keiner Verfassungsänderung unterliegt, sondern auch, dass es außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Klausel weitere systematische Grenzen der Verfassungsänderung gibt[1].

An der Universität des Saarlandes wurde er 1984 mit der Arbeit Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik. Verfassungsrechtliche Grundlagen und immissionsschutzrechtliche Ausformung habilitiert. Mit diesem Buch, der ersten Habilitationsschrift auf dem Gebiet des Umweltrechts, hat Murswiek die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates weiterentwickelt und für den Schutz gegen Umweltbeeinträchtigungen und technische Risiken fruchtbar gemacht.

Nachdem er 1986 als Professor für Öffentliches Recht an der Universität Göttingen tätig war, ist er seit 1990 ordentlicher Professor für Staats- und Verwaltungsrecht sowie deutsches und internationales Umweltrecht an der Universität Freiburg. Heute ist er dort zudem Geschäftsführender Direktor des Instituts für Öffentliches Recht. Murswiek ist Kommentator des „Bonner Kommentars zum Grundgesetz“ und des von Michael Sachs herausgegebenen Grundgesetzkommentars. Er ist regelmäßiger Autor der „Entscheidungsanalysen“ der „JuS-Rechtsprechungsübersicht“ und Mitherausgeber der Zeitschriften Natur + Recht und Zeitschrift für Rechtsphilosophie.

Das wissenschaftliche Werk Murswieks weist drei Schwerpunkte auf: Verfassungsrecht, Völkerrecht und Umweltrecht. Im Umweltrecht überschneiden sich die Ebenen des Verfassungs- und des Verwaltungsrechts sowie auch des Europa- und des Völkerrechts. Im Verfassungsrecht überwiegen Arbeiten zu den Grundrechten, vor allem zur allgemeinen Grundrechtsdogmatik[2], sowie zur Verfassungstheorie und Verfassungslehre. In seinem Vortrag vor der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer über „Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht“ [3] hat Murswiek gezeigt, dass der Rechtsstaat vor unerkannten und hypothetischen Risiken nicht kapitulieren muss, dass andererseits aber eine umfassende staatliche Regulierung der technischen Entwicklung nicht möglich ist. Zum „Staatsziel Umweltschutz“ (Artikel 20 a Grundgesetz) hat er die erste systematische Interpretation geliefert [4], die maßstabsbildend geworden ist. Völkerrechtliche Schwerpunktthemen Murswieks sind das Selbstbestimmungsrecht der Völker und der Minderheitenschutz. Als erster Völkerrechtler hat Murswiek die Präventivkriegsstrategie der USA („Bush-Doktrin“) analysiert und einer völkerrechtlichen Kritik unterzogen.[5]

Prozessvertretungen, Gutachten

Murswiek ist nicht nur als wissenschaftlicher Autor, sondern auch als Gutachter und Prozessvertreter tätig. Er gehört seit 1972 der CDU an und berät Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU-Fraktion in staats- und völkerrechtlichen Fragen, hat aber auch Gutachten für Die Grünen, DIE LINKE und die ödp erstellt sowie diese in Prozessen vertreten.

Murswiek war Prozessbevollmächtigter in einem Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, das die Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler und Willy Wimmer gegen den Einsatz deutscher Tornado-Kampfflugzeuge in Afghanistan angestrebt hatten, das aber bereits an den Zulässigkeitsvoraussetzungen scheiterte.[6] Die aufgeworfenen Rechtsfragen hat das Gericht in einer abgewiesenen Organklage der Linksfraktion geklärt.[7][8] Die Verfassungsbeschwerde und das Organstreitverfahren Peter Gauweilers gegen die Ratifikation des Vertrages von Lissabon (vgl. Lissabon-Urteil) unterstützte er zunächst mit einem Gutachten[9] und übernahm dann auch die Prozessvertretung.[10] Er vertritt Peter Gauweiler auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen den "Euro-Rettungsschirm".

Kritik an politischer Vergangenheit

Dietrich Murswiek hat auch in rechtsnationalen Zeitschriften wie Criticon publiziert, was ihm verschiedentlich Kritik einbrachte. Bei seiner Berufung an die Universität Freiburg wurde ihm zudem vorgeworfen, dass er in jungen Jahren im Umfeld rechtsradikaler Kreise aktiv war. Murswiek war als Jugendlicher in der von Heinrich Meier herausgegebenen und als rechtsextrem eingestuften[11] Schülerzeitung „Im Brennpunkt“ aktiv[12] engagiert. Als Student war er zudem Mitglied des Nationaldemokratischen Hochschulbunds in Heidelberg[13] und Mitarbeiter des rechtsextremen Deutschen Studenten-Anzeigers[14]. Am 21. Mai 1970 war Murswiek an einer Aktion im Rahmen einer Demonstration gegen das Treffen von Willy Brandt und Willi Stoph in Kassel beteiligt, bei der „die DDR-Spalterflagge’“ vom Mast gerissen wurde.[15] Murswiek war für die Aktion von dem rechtsextremen Deutschen Studenten-Anzeiger besonders gelobt worden, wie die Ausgabe 48 von 1970 zeigt, in der sich ein Foto der Aktion und ein ausführliches Interview mit ihm findet.

Einzelnachweise

  1. Vgl. z.B. Zu den Grenzen der Abänderbarkeit von Grundrechten, in: Detlef Merten / Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa Bd. II, C.F. Müller Verlag, Heidelberg 2006, § 28, S. 157-219.
  2. Vgl. z.B. Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Hand-buch des Staatsrechts, Bd. V, 2. Aufl. 2000, § 112, S. 243-289; Grundrechtsdogmatik am Wendepunkt?, in: Der Staat 45 (2006), S. 473-500.
  3. In: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (VVDStRL) 48 (1990), S.207-234.
  4. Staatsziel Umweltschutz (Art. 20a GG). Bedeutung für Rechtsetzung und Rechtsanwendung, in: NVwZ 1996, S.222-230; Kommentierung von Art. 20 a, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 1996, 4. Aufl. 2007.
  5. [1] Abstract zur völkerrechtlichen Bewertung der U.S.-Präventivkriegsstrategie
  6. Murswiek: Zusammenfassung der Argumentation zur Tornado-Klage der Bundestagsabgeordneten Dr. Peter Gauweiler und Willy Wimmer
  7. [2] Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2007
  8. Urteil des BVerfG (vom 3. Juli 2007]
  9. [3] Der Vertrag von Lissabon und das Grundgesetz, Gutachten, Mai 2008
  10. Vgl. dazu Dietrich Murswiek, Das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus der Sicht eines Prozessvertreters, in: Festschrift für Rainer Wahl, 2011, S. 779-801
  11. Hans-Dieter Bamberg: Die Deutschland-Stiftung e.V. Studien über Kräfte der „demokratischen Mitte“ und des Konservatismus in der Bundesrepublik Deutschland, Marburger Abhandlungen zur politischen Wissenschaft Bd. 23 1978, S. 421
  12. Im Impressum von „Im Brennpunkt“ Ausgabe 3 1970 wird Murswiek als „Ständiger Mitarbeiter“ aufgeführt
  13. Helmut Kellershohn (Hg.): Das Plagiat. Der völkische Nationalismus der Jungen Freiheit. DISS-Verlag, Duisburg 1994. S. 125
  14. „Deutscher Studenten-Anzeiger“, Ausgabe 48 vom Juli 1970, S. 1
  15. DER SPIEGEL 26/1970 vom 22. Juni 1970, S.67

Schriften (Auswahl)

  • Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. (Schriften zum öffentlichen Recht 343, 276 S., Duncker & Humblot, Berlin 1978 ISBN 3-428-04174-7 (Diss. Univ. Heidelberg 1978)
  • Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik. Verfassungsrechtliche Grundlagen und immissionsschutzrechtliche Ausformung. Schriften zum Umweltrecht 3, 428 S., Duncker & Humblot, Berlin 1985 ISBN 3-428-05868-2 (Habil.-Schr. Univ. Saarbrücken 1983)
  • Maastricht und der pouvoir constituant. Zur Bedeutung zur verfassunggebenden Gewalt im Prozeß der europäischen Integration. In: Der Staat 32 (1993), S. 161-190.
  • Souveränität und humanitäre Intervention. Zu einigen neueren Tendenzen im Völkerrecht. In: Der Staat 35 (1996), S. 31-44.
  • Der Beitritt der Staaten Ostmitteleuropas zur Europäischen Union und die Rechte der deutschen Volksgruppen und Minderheiten sowie der Vertriebenen. Staats- und völkerrechtliche Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht, Band 16, 1997, Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1997 (mit Dieter Blumenwitz und Gilbert Gornig)
  • Staat – Souveränität – Verfassung. Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, Berlin 2000. ISBN 3-428-09623-1
  • Die amerikanische Präventivkriegsstrategie und das Völkerrecht. In: NJW 2003, S. 1014-1020.
  • Der Verfassungsschutzbericht - das scharfe Schwert der streitbaren Demokratie. Zur Problematik der Verdachtsberichterstattung. In: NVwZ 2004, S. 769-778.
  • Kommentar zur Präambel des Grundgesetzes. In: Bonner Kommentar zum Grundgesetz. C.F. Müller Verlag, Heidelberg 1950 ff. (Loseblattkommentar), 119. Aktualisierung September 2005, 262 S.

Literatur

  • Martin Hochhuth (Hrsg.): Nachdenken über Staat und Recht. Kolloquium zum 60. Geburtstag von Dietrich Murswiek (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 59), Duncker & Humblot, Berlin 2010, ISBN 978-3-428-13177-8 (mit Schriftenverzeichnis).

Weblinks


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