Dissoziative Fugue

Dissoziative Fugue

Wandertrieb ist ein Begriff, der im Zusammenhang mit der Wohnungslosenhilfe, die damals noch Nichtseßhaftenhilfe hieß, zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeführt worden ist.

Inhaltsverzeichnis

Funktion

Es wurde auf Grundlage von humanmedizinischen Überlegungen versucht, einen "Wandertrieb" nachzuweisen, der manchen Menschen zu eigen sei. Die falsche Annahme führte dazu, dass man glaubte, in manchen Menschen sei eine Erbanlage für diesen Trieb vorhanden, welche darauf zurückzuführen sei, dass Vorfahren des Menschen einmal Fluchttiere gewesen seien. Bei Nomaden-Völkern sei diese Erbanlage besonders häufig vertreten. Im Dritten Reich nahm man diese Ansicht zum Anlass für die Behauptung, dass eine Re-Integration von Nichtsesshaften sinnlos und unrentabel sei, womit die Verbringung von Wohnungslosen als "Asoziale" in die Konzentrationslager gerechtfertigt wurde.

Auch in den Nachkriegsjahren führte dieser Irrglaube dazu, dass in der Wohnungslosenhilfe mit falschen Ansätzen gearbeitet wurde und auf die eigentlichen Ursachen für Wohnungslosigkeit nicht eingegangen wurde.

Hintergrund: Die Medizinische Studie von 1934

In einer Studie von Ludwig Mayer aus dem Jahre 1934 wurde der Wandertrieb als Hauptursache für Landstreicherei dargestellt. Da Landstreicherei in dieser Zeit strafbar war, wollte er mit seinen psychiatrischen Untersuchungen die Strafverfolgung in Frage stellen. Darauf folgende Untersuchungen führten dazu, dass für die meisten Landstreicher keine Bestrafungen mehr in Frage kamen.

Widerlegung

Dass es einen Wandertrieb gibt, der Wohnungslosigkeit verursachen soll, wurde erst in den 1970er Jahren widerlegt. Durch Heinrich Holtmannspötter, den Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe konnte nachgewiesen werden, das nicht die Person der Wohnungslosen, sondern die Struktur der Hilfen, nämlich die Aufenthaltsbegrenzung auf drei Tage durch die Träger der Sozialhilfe, dafür verantwortlich waren, dass Wohnungslose weiter ziehen mussten. Oftmals wurde den Wohnungslosen, die auf den Sozialämtern Hilfe, in der Regel einen Tagessatz beantragten, nach Ablauf von drei Tagen eine Fahrkarte zum nächsten Ort ausgestellt, damit sie den Ort verlassen. Die Ursache für die Mobilität der Wohnungslosen bestand also nicht in einem Wandertrieb oder einer Nichtseßhaftigkeit als Persönlichkeitsmerkmal, sondern war in der Struktur der Vertreibenden Hilfe begründe.

Abgrenzung

Der "Wandertrieb" ist streng abzugrenzen von psychischen Störungen wie Poriomanie und dem Fluchtreflex, der "Fugue" (von lat.: fuga = Flucht), ein menschliches Verhalten, das zu den dissoziativen Störungen zählt. Es handelt sich dabei um einen plötzlich auftretenden Zwang, fortzureisen oder fortzuwandern, der unter Umständen mit Erinnerungslosigkeit verbunden ist. Auch das plötzliche Weglaufen von Menschen, die unter einer Anpassungsstörung leiden, wird darunter eingeordnet. Siehe dazu aber auch den Begriff Fernweh.

Literatur

  • Rohrmann, Eckhard: (Hg.): Ohne Arbeit - ohne Wohnung. Wie Arme zu "Nichtseßhaften" werden. 172 Seiten. Heidelberg: Edition Schindele 1987
  • Preusser, Norbert: ObDach, Eine Einführung in die Politik und Praxis sozialer. Aussonderung; Beltz Verlag; Weinheim/ Basel 1993
  • Ursula Christiansen, 1977: Obdachlos weil arm;
  • Claus Paegelow: Handbuch Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit

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