Dorothee Fliess

Dorothee Fliess

Dorothee Fliess (* 1922 in Berlin; † 2001) war eine jüdische Verfolgte des Nationalsozialismus, die 1942 kurz vor der bevorstehenden Deportation dank einer Rettungsaktion von Angehörigen des Widerstandes im Nachrichtendienst der Wehrmacht mit ihren Eltern in die Schweiz fliehen konnte und später durch ihre Aufzeichnungen und ihr Engagement in der Öffentlichkeit zu einer wichtigen Zeitzeugin für diese Vorgänge und für die Beurteilung des deutschen Widerstandes wurde.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Fliess wurde 1922 als zweite Tochter des im ersten Weltkrieg hoch dekorierten Offiziers und angesehenen jüdischen Rechtsanwaltes Julius Fliess und seiner Frau Hildegard in Berlin geboren.

Im November 1938 musste sie von einem Tag auf den anderen die Unterprima der Fürstin Bismarck-Schule verlassen, besuchte in Folge Kurse in Stenographie und Schreibmaschine, arbeitet schließlich in der Kanzlei ihres Vaters als Sekretärin mit, bis sie 1941, mit 19 Jahren, bei der Firma Ehrich & Graetz in Berlin-Treptow zur Zwangsarbeit verpflichtet wurde.

Während ihre ältere Schwester Beate 1939 nach Palästina auswanderte, hat Dorothee diesen Schritt nie ernsthaft geplant, weil sie mit Leib und Seele Berlinerin war.

Dass Dorothee Fliess bis Ende 1941 das relativ normale Leben einer gutbürgerlichen Rechtsanwaltstochter führen konnte, war nur möglich, weil ihr Vater als Offizier eine Sonderstellung hatte. In den ersten Wochen des Jahres 1942 erhielt dann aber auch die Familie Fliess die schriftliche Mitteilung, dass sie zur „Evakuierung“ aus Berlin vorgesehen sei und sich mit je einem Stück Handgepäck bereitzuhalten habe.

Aufgrund seiner Stellung und ausgezeichneter Verbindungen setzten sich Reichsgerichtsrat Hans von Dohnanyi und Rechtsanwalt Helmuth James Graf von Moltke mit tatkräftiger Unterstützung des Amtes Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht dafür ein, die Familie Fliess von dieser Evakuierung auszunehmen.

Wie man der Familie später berichtete, war Heinrich Himmler anlässlich eines offiziellen Essens der Vorschlag unterbreitet worden, eine Gruppe von Personen – als Juden getarnt – ins Ausland zu schleusen, wo sie für Deutschland als angebliche Agenten bzw. Vertrauensleute der Abwehr tätig werden sollten. Himmler gab seine grundsätzliche Zustimmung. Nur so konnte es noch im September 1942 gelingen, dass die Familie Fliess, das Ehepaar Arnold mit zwei Kindern, das Ehepaar Rennefeld, Frau Annemarie Conze mit zwei schulpflichtigen Kindern, die mit Brigitte Canaris befreundet waren, der Tochter des Admirals und Abwehrchefs Canaris und Lotte Friedenthal unter höchster Geheimhaltungsstufe legal aus Deutschland in die Schweiz ausreisen konnten.

Dorothee Fliess konnte in Basel ihr Abitur nachholen und an der dortigen Universität studieren. Sie wurde dort Gymnasiallehrerin.

Mit dem Tod von Dorothee Fliess wurde die Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e.V. mit einem Legat in Höhe von € 450.000,-- bedacht. Dieses Vermögen ist in einem an Dorothee Fliess erinnernden Fond angelegt. Mit den Erträgen aus diesem Fond sollen zukünftig junge Menschen, vornehmlich Doktoranden, finanziell unterstützt werden, die sich mit der wissenschaftlichen Erforschung des Widerstandes gegen das Dritte Reich beschäftigen.

Selbstzeugnisse

  • Dorothee Fliess: Geschichte einer Rettung. In: Rüdiger von Voss / Günther Neske (Hrsg.), Der 20. Juli 1944: Annäherung an den geschichtlichen Augenblick, Neske, Pfullingen, 1984 [ISBN 3-7885-0270-3], S. 69-87
  • Dorothee Fliess: "Unternehmen Sieben". Eine Aktion des deutschen militärischen Widerstands. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit, Teil 4: Rettung im Holocaust : Bedingungen und Erfahrungen des Überlebens, Metropol-Verlag, Berlin 2001 [ISBN 3-932482-80-8], S. 29-47 (überarbeitete Fassung der "Geschichte einer Rettung")
  • Auftritt als Zeitzeugin in: The Restless Conscience: Resistance to Hitler Within Germany 1933-1945, Dokumentarfilm von Hava Kohav Bella (1992)

Literatur

  • Winfried Meyer: „Unternehmen Sieben“: Eine Rettungsaktion für vom Holocaust Bedrohte aus dem Amt Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht. Anton Hain Verlag, Frankfurt am Main, 1993, ISBN 3-445-08571-4
  • Sylvia Rogge-Gau: „Begeisterte Berlinerin und Deutsche“ - Dorothee Fliess. In: Aubrey Pomerance in Verbindung mit dem Jüdischen Museum Berlin (Hrsg.), Jüdische Zwangsarbeiter bei Ehrich & Graetz, Berlin-Treptow. DuMont-Verlag, Köln / Jüdisches Museum, Berlin, 2003 [ISBN 3-8321-7839-2], S. 92-98
  • Heiko Schaumann u.a. (Hrsg.): Orte der Erinnerung: Menschen und Schauplätze in der Grenzregion Basel 1933 - 1945. Christoph-Merian-Verlag, Basel 2008, ISBN 3-85616-364-6
  • Cioma Schönhaus: Der Passfälscher: die unglaubliche Geschichte eines jungen Grafikers, der im Untergrund gegen die Nazis kämpfte. Bearbeitet, mit einem Nachwort versehen und herausgegeben von Marion Neiss, Scherz Verlag, Frankfurt a.M. 2004, ISBN 3-502-15688-3

Weblinks



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