Dynamiklenkung

Dynamiklenkung

Das Wort Dynamiklenkung ist eine Verkaufsbezeichnung der AUDI AG für eine in verschiedenen Baureihen des Fahrzeugherstellers angebotene Überlagerungslenkung. Sie stellt eine elektronisch geregelte, mechanische Überlagerung eines Winkels zur Lenkeingabe des Fahrers (Lenkrad) dar. Ein solches Lenksystem ermöglicht sowohl von der Lenkeingabe des Fahrers abhängige, als auch davon unabhängige Lenkeingriffe über die Vorderachse des Fahrzeugs. Eine Auftrennung der mechanischen Kopplung zwischen Lenkrad (Fahrer) und Vorderachse ist dabei nicht notwendig.

Inhaltsverzeichnis

Grundlagen

Der zusätzliche Freiheitsgrad ermöglicht die kontinuierliche und situationsabhängige Adaption der Lenkeigenschaften. Komfort, Lenkaufwand, Handlichkeit und Lenkdynamik werden dadurch der Fahrsituation angepasst. Darüber hinaus sind auch Lenkeingriffe zur Verbesserung der Fahrzeugstabilisierung und damit der Fahrsicherheit möglich.

Das Herzstück der Dynamiklenkung ist ein Überlagerungswellgetriebe, das seine Übersetzung in Abhängigkeit von der Fahrzeuggeschwindigkeit und der gewählten Fahrzeugkonfiguration (etwas durch Audi drive select) variieren kann. Da das Wellgetriebe sehr kompakt und leicht ausgeführt ist kann es im Bereich der Lenkzwischenwelle im Fahrzeug verbaut werden.

Die Dynamiklenkung wurde von ZF Lenksysteme GmbH, in Zusammenarbeit mit der AUDI AG entwickelt.

Technik und Funktionsweise

Das System besteht im Wesentlichen aus einer Zahnstangenlenkung, einem Überlagerungsgetriebe, einem Stellmotor, Sensoren und einem Steuergerät. Der Elektromotor ist mit einer Hohlwelle ausgeführt um eine axiale und damit Platz sparende Ausrichtung von Motor und Getriebe zu realisieren. Bei dem verwendeten Wellgetriebe erfolgt die Überlagerung über zwei koaxiale Zahnräder, deren Eingriff über ein vom Hohlwellenmotor angetriebenes Oval verändert wird. Das Wellgetriebe addiert bzw. subtrahiert einen regelbaren Motorwinkel zum Fahrerlenkwinkel. Die Summe dieser beiden Winkel wirkt dann auf das Lenkgetriebe, welches den Radeinschlag mit Hilfe der Achskinematik stellt. Der regelbare Motorwinkel des Elektromotors ermöglicht es, in das Lenkverhalten und die Fahrdynamik des Fahrzeugs aktiv einzugreifen.

Ausgehend von den Signalen der Fahrzeugsensoren (Lenkradwinkel, Geschwindigkeit, Gierrate etc.) berechnen Assistenz- und Stabilisierungsfunktionen (z. B. variable Lenkübersetzung und Gierratenregelung) einen gewünschten Überlagerungswinkel. Dieser dient als Sollwert und damit als Eingangsgröße für den geregelten Stellmotor.

Handelt es sich beim Lenkgetriebe um eine hydraulische Lenkung, kann über ein geeignetes Ölstromventil zusätzlich die hydraulische Momentenunterstützung abhängig von der Fahrzeuggeschwindigkeit gesteuert werden.

Die Hauptfunktion der Überlagerungslenkung ist die geschwindigkeitsabhängige Anpassung der Lenkübersetzung. Sie beruht auf dem variablen Verhältnis zwischen dem Lenkradwinkel und dem Radlenkwinkel (Einschlagwinkel der Vorderräder). Damit fällt, je nach Fahrsituation, der wirksame Radlenkwinkel bei gleichem Lenkradwinkel größer oder kleiner aus. Ruht der Elektromotor, besteht wie bei konventionellen Lenkungen ein direkter Durchgriff vom Lenkrad auf die Zahnstange und damit auf die Vorderräder des Fahrzeugs.

Die Systemvernetzung der Überlagerungslenkung mit dem elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP) ermöglicht in Kombination mit Brems- und Dämpfereingriffen automatische Lenkeingriffe zur Fahrwerksregelung und Fahrzeugstabilisierung. Der Vorteil dabei: der Eingriff in die Lenkung ist sehr schnell und für den Fahrer kaum spürbar. Die oft störenden und akustisch wahrnehmbaren ESP-Bremseingriffe werden reduziert bzw. können weiter Richtung Grenzbereich verschoben werden.

Fahrdynamische Situationen

Die Dynamiklenkung stellt bei niedrigem Tempo eine direkte Übersetzung und eine hohe Servokraft bereit. Beim Rangieren/Parkieren wird der Komfort durch leichtes Lenken, also ein niedriges Handmoment für den Fahrer, erhöht. Um den vollen Lenkeinschlag der Vorderräder zu erreichen genügt eine Lenkradumdrehung, ausgehend von der Geradeausstellun des Lenkrads. Bei langsamer Fahrt im Stadtverkehr, wenn viel Lenkarbeit notwendig ist, ergibt sich durch den Einsatz des Stellmotors bei gleichem Kraftaufwand eine geringere Anzahl von Lenkradumdrehungen.

Mit steigender Geschwindigkeit wird die Übersetzung kontinuierlich immer indirekter, parallel dazu sinkt die Unterstützung der Servokraft. Bei hohen Geschwindigkeiten wird die hierdurch die Fahrzeugstabilität durch einen ruhigen Geradeauslauf gesteigert.

Die Dynamiklenkung ist mit dem ESP gekoppelt und deshalb über Fahrsituationen im Grenzbereich informiert. Wenn das Fahrzeug - beispielsweise nach einem abrupten Ausweichmanöver – zu übersteuern droht, lenkt die Dynamiklenkung selbsttätig gegen.

Beim Untersteuern wird das System ebenfalls aktiv – es macht die Lenkübersetzung kurzfristig indirekter, so dass der Fahrer den Bereich, in dem die Reifen noch guten Kraftschluss mit der Fahrbahn haben, sehr wahrscheinlich nicht überlenkt.

Geschichte und Ausblick

Bereits seit 2003 wird die Überlagerungslenkung von der BMW AG in verschiedenen Modellen der 3er, 5er, 6er und 7er-Reihe sowie im X5 und X6 unter der Verkaufsbezeichnung Aktivlenkung bzw. in Kombination mit einer Hinterachsschräglaufregelung (5er (F10/F11) bzw. 5er-GT (F07), 6er (F12/F13) und 7er (F01/F02)) unter der Verkaufsbezeichnung Integralaktivlenkung angeboten. Bei der Aktiv- bzw. Integralaktivlenkung erfolgt die Winkelüberlagerung an der Vorderachse über ein Planetengetriebe. Hierzu treibt ein Elektromotor den Planetenträger ("Stern") an. Aufgrund der ungleichen Übersetzungen von Eingangs- und Ausgangswelle des Planetengetriebes (Durchtriebsübersetzung ≠ 1) entsteht eine Relativbewegung zwischen den beiden Wellen, welche die Winkelüberlagerung darstellt. Eine konstante Winkelüberlagerung findet somit auch bei nicht drehendem Elektromotor, also rein mechanisch, immer statt.

Weiterentwicklungen kombinieren die Eigenschaften von Überlagerungslenkung (z.B. Dynamiklenkung) mit den Eigenschaften der Momentenüberlagerung (Elektromechanische Lenkung - EPS). Damit können Steer-by-Wire-ähnliche Funktionen ohne dessen Nachteile realisiert werden.

Quellen

- Pfeffer, Peter; Harrer Manfred: Lenkungshandbuch, Vieweg + Teubner 2011, ISBN 978-3-8348-0751-9


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