Ehenichtigkeit (Kirchenrecht)

Ehenichtigkeit (Kirchenrecht)

Das Ehenichtigkeitsverfahren nach dem kanonischen Recht (auch als Eheannullierung bekannt) ist ein Verfahren, in dem von der zuständigen Stelle der katholischen Kirche die kirchenrechtliche Nichtigkeit der Ehe ausgesprochen, d. h. rechtswirksam festgestellt wird, dass eine Ehe nach katholischem Verständnis aufgrund des Fehlens eines ihrer konstitutiven Wesensmerkmale von Anfang an nicht gültig zustande gekommen ist. Die Annullierung bedeutet also keineswegs die Auflösung einer bestehenden Ehe, vielmehr handelt es sich um die bloße Feststellung der Ungültigkeit der Eheschließung nach katholischem Eherecht (im Sinne einer Tatsachenfeststellung), was bedeutet, dass nach katholischem Verständnis niemals eine Ehe bestanden hat.

Inhaltsverzeichnis

Voraussetzungen und Verfahren

Eine Ehe ist nach kirchlichem Recht ungültig geschlossen, wenn bei der Eheschließung

  • ein Konsensmangel vorlag, das heißt etwa
    • einer der Partner sich bei der Eheschließung über wichtige Tatsachen oder Wesensmerkmale der Ehe im Irrtum befand (bspw. glaubte, die Ehe sei nach katholischem Verständnis nicht unauflöslich);
    • einer der Partner bei der Eheschließung wichtige Vorbehalte gegen die Ehe hatte (bspw. die Zeugung von Kindern von Anfang an und für immer ausschloss oder sich schon bei der Eheschließung vorbehielt, während der Ehe außereheliche Beziehungen zu führen oder sich nach gewisser Zeit scheiden zu lassen);
    • einer der Partner bei der Eheschließung gar nicht in der Lage war, die Tragweite der Handlung zu begreifen,
    • oder die Ehe nur zum Schein eingehen wollte;
    • oder wenn die Ehe durch äußeren Zwang zustande kam
    • oder ihr künftiger Fortbestand bei der Eheschließung an eine heimliche Bedingung geknüpft war (z. B. einen Erbfall).

In diesen Fällen ist kein Ehekonsens zustande gekommen[1], weil rechtlich gesprochen ein Erkenntnis- bzw. Willensmangel der Beteiligten vorlag.
Außerdem kann eine Eheschließung auch unwirksam und die Ehe damit nichtig sein, wenn zwar ein einwandfreier Konsens zwischen den Brautleuten vorlag, aber andere (externe) Ungültigkeitsgründe bestanden, nämlich wenn

  • eine Verletzung der Formpflicht vorlag, das heißt, dass die Ehe nicht in der kirchlich vorgeschriebenen Form oder, bei deren Nichteinhaltung, mit bischöflicher Dispens von der Formpflicht geschlossen wurde (gilt nur, sofern mindestens einer der Partner „formpflichtig“, d. h. katholisch und zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht aus der Kirche ausgetreten war);
  • ein Ehehindernis vorlag, von dem entweder gar nicht dispensiert werden kann oder, wenn doch, tatsächlich nicht dispensiert wurde, etwa wenn
    • nahe Verwandte die Ehe miteinander eingegangen sind;
    • einer der Partner schon bei der Eheschließung zum Geschlechtsakt körperlich oder psychisch unfähig war (Beischlafsunfähigkeit, lat. impotentia coeundi; Unfruchtbarkeit allein ist dagegen nicht hinreichend);
    • oder dem Eheschließungsversuch bei einem Beteiligten das Hindernis der Weihe (Kleriker mit Zölibatsverpflichtung) oder eines öffentlichen Gelübdes eheloser Keuschheit (Ordensangehörige, geweihte Jungfrauen etc.) entgegenstand und vor der Heirat keine Dispens eingeholt wurde.

Eine Beeinträchtigung des Eheversprechens, die die Eheschließung für den kirchlichen Rechtsbereich ungültig macht, liegt nach kirchlicher Rechtsprechung ferner auch dann vor, wenn wenigstens einer der beiden Ehepartner zum Zeitpunkt der Heirat nicht über die seelischen Fähigkeiten verfügte, die nötig sind, um eine Ehe zu schließen oder zu führen (so genannte „seelische Eheunfähigkeit“). Auch hier wird von einem Konsensmangel ausgegangen, man spricht dann von einem „psychischen Mangel“.

Die Entscheidung wird auf Antrag eines oder beider Ehepartner durch das diözesane Kirchengericht (Ehegerichtsbarkeit), das Offizialat, mit bischöflicher Autorität getroffen, nachdem sich dieses durch Befragung der Beteiligten und gegebenenfalls weiterer Zeugen eine entsprechende Überzeugung gebildet hat. Die Parteien können sich in dem Verfahren von Rechtsanwälten, die eine kirchenrechtliche Ausbildung besitzen und über eine spezielle kirchliche Zulassung verfügen, vertreten und beraten lassen. Neben dem kirchlichen Richter und dem Kirchennotar (Gerichtssekretär) ist auch ein so genannter Ehebandverteidiger an dem Verfahren beteiligt, ein Kirchenanwalt, der die Aufgabe hat, Gründe zu finden, die für das Bestehen des Ehebandes sprechen. Das gesamte Verfahren wird in der Regel schriftlich geführt, persönliche Anhörungen der Beteiligten durch das Gericht sind aber möglich. Im Anschluss an den erstinstanzlichen Ausspruch wird die Entscheidung von Amts wegen, das heißt ohne Einlegung von Rechtsmitteln durch die Beteiligten, von der nächsthöheren Instanz, dem Metropolitangericht, überprüft. Kommt die Berufungsinstanz zu einem anderen Ergebnis als das erste Gericht, so muss eine dritte Instanz angerufen werden. Höchste Instanz für Berufungsverfahren in Ehesachen ist das päpstliche Gericht, die Römische Rota. Die rechtskräftige Feststellung der Nichtigkeit hat zur Folge, dass die Beteiligten nach der bürgerlichen Scheidung unter Umständen frei sind, eine neue, kirchlich gültige Ehe einzugehen.

Zu unterscheiden ist eine Eheannullierung von der sehr selten gewährten Auflösung der Ehe zu Gunsten des Glaubens (das heißt die Auflösung einer Ehe, an der Ungetaufte beteiligt sind, unter Inanspruchnahme des Paulinischen oder Petrinischen Privilegs) sowie auch von der Auflösung der Ehe bei Nichtvollzug (die auch unter Getauften möglich ist). Anders als die bloße Feststellung der von Anfang an gegebenen Nichtigkeit führen diese Verfahren tatsächlich zur Auflösung einer gültig geschlossenen und eventuell auch vollzogenen kanonischen Ehe.

Häufig diskutierte Probleme

Seelische Eheunfähigkeit

Die schwer zu beurteilende Frage der „seelischen Eheunfähigkeit“ zum Zeitpunkt der Eheschließung, die in der Praxis eine relativ große Rolle als Auffangtatbestand spielt, wenn (was häufig der Fall ist) andere Annullierungsgründe nicht greifen oder nicht zu beweisen sind, führt mitunter zu schweren Kontroversen zwischen dem Kirchengericht und Betroffenen, die diese Feststellung als anmaßende Zuschreibung betrachten und sich als „Schuldige“ diskriminiert fühlen. Zwar bemühen sich die Richter wenigstens in Deutschland in den meisten Fällen um eine möglichst einvernehmliche und für alle Beteiligten hilfreiche Abwicklung des Verfahrens und verstehen sich häufig auch als Seelsorger gegenüber den Betroffenen, doch kann der Wunsch, dem klagenden Partner eine neue kirchliche Heirat zu ermöglichen (in beinahe allen Fällen Anlass des Verfahrens), in den Augen des anderen, möglicherweise kirchenfernen Partners durchaus zu einer als ungerecht empfundenen Stigmatisierung führen, der er sich manchmal selbst dann nicht entziehen kann, wenn er die Mitwirkung an dem kirchlichen Verfahren verweigert. Das Gericht entscheidet nämlich gegebenenfalls auch in Abwesenheit des Betroffenen aufgrund anderer Zeugenaussagen über seinen (seinerzeitigen) „seelischen“ Zustand.

Annullierungsgrund Impotenz

Entgegen einer verbreiteten Anschauung spielt das Ehehindernis der Impotenz (impotentia coeundi) als Annullierungsgrund in kirchengerichtlichen Eheverfahren dagegen kaum eine Rolle, da es sich um einen sehr schwer nachzuweisenden Tatbestand handelt, der in der Praxis extrem selten vorkommt (gefordert ist die bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung bestehende, dauerhafte und tatsächliche Unfähigkeit der Eheleute, den Beischlaf auch nur ansatzweise miteinander zu vollziehen).

Bürgerliche Rechtsfolgen

Anders als bei der zivilrechtlichen Ehescheidung bleibt die Frage nachehelicher Unterhaltsansprüche im kirchengerichtlichen Eheverfahren regelmäßig ausgeklammert, weil das Kirchenrecht in wirtschaftlichen Belangen auf das jeweils geltende staatliche Recht verweist. Das rein theoretische Argument, dass sich aus einer niemals existenten Ehe nach kirchlicher Logik an sich auch keine Rechtsfolgen ergeben dürften, fällt demzufolge zumindest in Rechtsordnungen, die eine Trennung zwischen bürgerlichem und kirchlichem Eherecht kennen, nicht ins Gewicht. Auch Länder wie Polen, Griechenland, Spanien oder Portugal, wo eine römisch-katholisch geschlossene Ehe ohne zusätzliche zivile Eheschließung als zivilrechtlich wirksame Ehe anerkannt wird, sehen hinsichtlich der Rechtsfolgen der Ehe (etwa Unterhaltspflichten) eigene staatliche Regelungen vor, die ergänzend zum kirchlichen Recht Wirksamkeit erlangen. Im Übrigen muss auch dort, wo in Ermangelung einer staatlichen Regelung nach kirchlichem Recht über Unterhaltsfragen entschieden werden müsste, prinzipiell davon ausgegangen werden, dass die Verpflichtung zur Unterstützung des bedürftigen Partners auch durch eine Putativehe entstanden sein kann. In einzelnen Ländern mit katholisch geprägter Rechtsordnung, bekannteste Beispiele sind Malta[2] und Italien, führt die Annullierung einer katholisch geschlossenen Ehe jedoch auch heute noch automatisch zur bürgerlich-rechtlichen Nichtigkeit und somit zum rückwirkenden Erlöschen sämtlicher zivilrechtlichen Ansprüche aus der Ehe; in Italien wird dies bisweilen dazu genutzt, um sich den nachehelichen Unterhaltsverpflichtungen zu entziehen.[3]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. CIC Buch 4
  2. Malta erlaubt bislang (2011) keine Ehescheidung und kennt nur das kirchliche Annullierungsverfahren.
  3. (in italienischer Sprache:) Divorzio, Abschnitt "La Sacra Rota", Unione degli atei e degli agnostici razionalisti (UAAR)

Weblinks

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