Agrapha

Agrapha

Agrapha (griechisch Άγραφα wörtl.: die Ungeschriebenen, singular: Agraphon) nennt man die nicht in den kanonischen Evangelien des Neuen Testamentes enthaltenen, aber in anderen urchristlichen (z. T. apokryphen) oder altkirchlichen Schriften (etwa der Kirchenväter) überlieferten "Herrenworte", also Aussprüche von Jesus Christus. Der Ausdruck wurde erstmals 1776 vom deutschen Gelehrten Johann Gottfried Körner benutzt und hat sich seit dem Standardwerk von Alfred Resch [1] durchgesetzt. Dass es vor, neben und nach den kanonischen Evangelien Sammlungen von Jesusworten gegeben hat, wird nicht nur durch die hypothetische, sog. Logienquelle Q, sondern auch in einigen Schriften des Neuen Testaments selbst bestätigt (z. B. Apg 20,35). Der Apostel Paulus etwa zitiert mehrfach Jesusworte, die nicht aus den Evangelien bekannt sind (1 Kor 14,34-37 EU; 1 Thess 4,15-17 EU u. ö.).

Die Bedeutung dieser Herrenworte für die neutestamentliche Exegese wird regelmäßig unterschätzt.[2]

Inhaltsverzeichnis

Definition

A. Maas definiert ein Agraphon mithilfe der folgenden drei Kriterien:[3]

  • Es muss ein echtes "Wort" (im Sinne eines realen Ausspruches) sein, kein Diskurs, keine Abhandlung oder Predigt (wie z.B. die Pistis Sophia).
  • Es muss ein tatsächlicher Ausspruch von Jesus sein (es gibt z.B. Kirchenväterstellen, die Jesus fälschlicherweise alttestamentliche Zitate oder zu ihrer Zeit bekannte Sprichwörter in den Mund legen).
  • Es darf keine einfache Variante zu einem bereits aus dem Neuen Testament bekannten Ausspruch sein.

Um als authentisches Jesuswort in Betracht gezogen zu werden, muss ein Agraphon außerdem externe und interne Kriterien erfüllen:[3]

  • Extern: Die Quelle des Agraphon muss in einer realistischen Nähe zum historischen Jesus stehen. Für den im frühen 2. Jahrhundert schreibenden Papias kann z. B. angenommen werden, dass er Zugang zu authentischem Jesusmaterial hatte, das nicht in die Evangelien aufgenommen wurde. Für die im 3. Jahrhundert geschriebene Pistis Sophia ist das dagegen weit unwahrscheinlicher.
  • Intern: Das Agraphon darf inhaltlich dem bekannten kanonischen Material nicht diametral entgegen stehen, wogegen Ergänzungen, Nebenaspekte, Schwerpunktverlagerungen oder zusätzliche Gedanken durchaus möglich sind.

Aus diesen Gründen lassen kritische Forscher wie J. Jeremias oder W. Morrice (siehe Literaturliste) nur einige wenige Dutzend der mehreren hundert Agrapha als tatsächliche Jesusworte gelten.

Ausgaben

  • Alfred Resch (Hrsg.): Agrapha. Aussercanonische Schriftfragmente. Gesammelt und untersucht. Unveränderter reprographischer Nachdruck der 2. völlig neu bearbeiteten durch alttestamentliche Agrapha vermehrten Auflage Leipzig 1906. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1967, (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur N. F. Bd 15., H. 3/4, ISSN 0082-3589).
  • William G. Morrice: Hidden Sayings of Jesus. Words attributed to Jesus outside the four Gospels. SPCK, London 1997, ISBN 0-281-04922-X.
  • Joachim Jeremias: Unbekannte Jesusworte. 4. unveränderte Auflage. Unveränderter Nachdruck der 3. unter Mitwirkung von Otfried Hofius völlig neu bearbeiteten Auflage. Mohn, Gütersloh 1965.
  • Klaus Berger, Christiane Nord: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften. Insel-Verlag, Frankfurt am Main u. a. 1999, ISBN 3-458-16970-9, S. 1112–1162.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Alfred Resch: Agrapha: aussercanonische Evangelien-Fragmente in möglichster Vollständigkeit zusammengestellt und quellenkritisch untersucht. 1. Auflage, 1889 (online)
  2. Klaus Berger , Christiane Nord: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften. Insel-Verlag, Frankfurt am Main u. a. 1999, ISBN 3-458-16970-9, S. 1112.
  3. a b Agrapha. Aus der "Catholic Encyclopedia 1917"

Weblinks


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