Entwicklungsgesetz

Entwicklungsgesetz

Historizismus ist in der Philosophie ein Begriff, der im Allgemeinen eine bestimmte Denkrichtung kennzeichnet, die Geschichte und wie mit dieser umzugehen sei eine zentrale Bedeutung zuweist.

Für Karl R. Popper ist Historizismus ein Irrglaube, welcher auf der Vorstellung einer geschichtlichen Notwendigkeit beruht und daher geschichtliche Voraussagen zum Ziel wissenschaftlicher Erkenntnis macht.

Dieser Begriff von Historizismus darf nicht verwechselt werden mit dem Historismus, wie er von der Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert (Leopold von Ranke, Johann Gustav Droysen, Historische Rechtsschule, Historische Schule der Nationalökonomie, Neukantianismus) zur Grundlage genommen wurde. Für den Historismus ist Geschichtserkenntnis von Naturerkenntnis dadurch geschieden, dass die Naturwissenschaften Erklären durch Gesetzmäßigkeiten anstreben, indessen die Geschichtswissenschaften auf das Verstehen von Sinnzusammenhängen abzielen. Während Popper am Historizismus die Unterstellung geschichtlicher Ablaufgesetze kritisiert, kritisiert Hans Albert am Historismus gerade den Verzicht auf oder die Verkennung der Bedeutung nomologischer Erkenntnis im Bereich der Sozialwissenschaften.[1]

Nicht selten wird der Terminus Historizismus jedoch auch einfach im Sinne von historischem Relativismus verwendet [2]: Eine jede Geschichtsepoche könne nur nach ihren eigenen Begriffen und Wertvorstellungen beurteilt werden.

Im Poststrukturalismus tritt der Begriff des New Historicism auf.

Inhaltsverzeichnis

Varianten

Poppers Historizismus-Kritik

Der Historizist will den Sinn des Spiels begreifen, das auf der historischen Bühne aufgeführt wird, indem er versucht, die Gesetze der historischen Entwicklung zu finden. Und wenn ihm dies gelungen ist, so kann er damit auch zukünftige Entwicklungen voraussagen. Er vermag dann die Politik auf einer soliden Grundlage aufzubauen und praktische Hinweise zu geben, welche politischen Handlungen aller Wahrscheinlichkeit nach erfolgreich sein werden und welche nicht.

Was Popper eine "Prophezeiung" nennt, ist eine unbedingte Prognose mit technologisch nicht beeinflussbaren Randbedingungen. Eine "technologische Prognose" hingegen sei eine bedingte Prognose mit technologisch beeinflussbaren Randbedingungen. Eine "Prophezeiung" liege vor, sobald eine Vorhersage "unbedingt", d. h. unabhängig von Randbedingungen gemacht werde. Eine Prophezeiung unterschlage also ein logisch notwendiges Element zu einer wissenschaftlichen Prognose.

Der Historizist sei jedoch gezwungen, unkonditionale Voraussagen zu machen, weil er nach Langzeitprognosen für Gesellschaften strebe, nämlich nach einer "historischen Prognose großen Stils"[3]. Die sei jedoch für Gesellschaften nicht möglich, weil Gesellschaften keine isolierten, stationären und zyklischen Systeme darstellten.

Schließlich behauptet Popper, es sei ihm gelungen, eine strenge Widerlegung des Historizismus anzugeben: Er habe gezeigt, dass es aus streng logischen Gründen unmöglich ist, den zukünftigen Verlauf der Geschichte mit rationalen Methoden vorherzusagen.

Der Gedankengang lässt sich in den folgenden fünf Schritten zusammenfassen:

(1) Der Ablauf der menschlichen Geschichte wird stark beeinflusst durch das Anwachsen des menschlichen Wissens .

(2) Wir können mit rational-wissenschaftlichen Methoden das zukünftige Anwachsen unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht vorhersagen.

(3) Daher können wir den zukünftigen Verlauf der menschlichen Geschichte nicht vorhersagen.

(4) Das heißt, dass wir die Möglichkeit einer theoretischen Geschichtswissenschaft verneinen müssen, also die Möglichkeit einer historischen Sozialwissenschaft, die der theoretischen Physik oder der Astronomie des Sonnensystems entsprechen würde. Eine wissenschaftliche Theorie der geschichtlichen Entwicklung als Grundlage historischer Prognosen ist unmöglich.

(5) Das Hauptziel der historizistischen Methoden ist daher falsch gewählt und damit ist der Historizismus widerlegt.

Popper selbst beansprucht, mit seiner Historizismus-Kritik den wesentlichen Kern der Geschichtsphilosophie Hegels oder auch den Historischen Materialismus erledigt zu haben. Ob Popper damit wirklich eine wissenschaftlich adäquate Rekonstruktion der betreffenden Theorien gelungen ist (und nicht lediglich eine verbreitete Vulgärinterpretation derselben), ist umstritten. Walter Kaufmann moniert bei Popper Verstöße schon gegen einfache wissenschaftliche Zitierregeln.[4] Es stellt sich die grundsätzliche Frage, inwieweit Poppers eigene Vorgehensweise mit den von ihm verkündeten methodologischen Regeln übereinstimmt.[5]

Anthropologischer Historizismus

Für die Anthropologie entwickelte Franz Boas die Variante des historischen Partikularismus. Boas setzte sich für eine Betrachtung von Kulturkreisen einschließlich der religiösen, historischen, sprachlichen und künstlerischen Aspekte ein. Besonders spezielle Kulturgeschichten kleinerer Regionen werden betont, die durch linguistische und ethnologische Studien verbunden werden sollen. Boas lehnte also den Evolutionismus ab, weil es kein allgemein-normatives Entwicklungsspektrum gibt, sondern jede Region und jede Kultur andere Anpassungen erfordert. Boas wird neben Malinowski und Luschan als Wegbereiter der modernen Ethnologie angesehen.

New Historicism

Seit 1950 argumentierten Jacques Lacan und Michel Foucault, dass jede Epoche ein mehr oder weniger vollständig eigenes System des Wissens besitze. Viele Post-Strukturalisten teilen die Ansicht, dass jede Fragestellung nur in ihrem eigenen kulturellen und sozialen Kontext beantwortbar ist. Antworten lassen sich nicht in Bezug auf ewige Wahrheiten finden. Es werden vielmehr lediglich die heute noch bestehenden Texte, Gegenstände oder andere Überlieferungen als aussagekräftig anerkannt. Diese Geistesrichtung wird häufig als New Historicism bezeichnet (siehe auch: Historismus).

Literatur

  • Albert, Hans: Die Erkenntnis des historischen Geschehens, in: Kritik der reinen Erkenntnislehre, (J.C.B. Mohr) Tübingen 1987.
  • Boas, Franz [Hg.]: Die fremde Welt der Kwakiutl. Indianische Mythen der Nord-Westküste Kanadas. Zerling 1994 ISBN 3-88468-057-9.
  • Boas, Franz: Rasse und Kultur. (Rede, gehalten am 30. Juli 1931 in der Aula der Christian-Albrechts-Universität in Kiel) G. Fischer, Jena 1932.
  • Habermehl, Werner: Historizismus und Kritischer Rationalismus. Einwände gegen Poppers Kritik an Comte, Marx und Platon. Freiburg München 1980.
  • Popper, Karl: Das Elend des Historizismus (1957) ISBN 3-16-148025-2.
  • Popper, Karl: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. 2 Bände: 1. Der Zauber Platons. 2. Falsche Propheten. Hegel, Marx und die Folgen. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1992.

Weblinks

Anthropologie
  • Historicism in Anthropology
Karl Raimund Popper
New Historicism

Einzelnachweise

  1. Carlos Leone: Rescuing Hempel From His World. Essays in Philosophy, Vol. 7, No. 2, June 2006 erörtert die Aktualität von Carl Gustav Hempel: The Function of General Laws in History. Bobbs-Merrill, 1942 (The journal of philosophy, v. XXXIX, 1942).
  2. zum Beispiel in Georg Lukács: Geschichte und Klassenbewußtsein. Frühschriften II, Bd. 2, Neuwied Berlin 1968, S. 133
  3. Otto Neurath: Empirische Soziologie. Der wissenschaftliche Gehalt der Geschichte und Nationalökonomie. Wien 1931, S. 38
  4. Walter Kaufmann: Hegel: Legende und Wirklichkeit. In: Zeitschrift für philosophische Forschung Band X, 1956, 191–226.
  5. Werner Habermehl: Historizismus und Kritischer Rationalismus. Einwände gegen Poppers Kritik an Comte, Marx und Platon. Freiburg München 1980; Roland Walter Müller: Das Elend des Globalismus

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