Epikuros

Epikuros
Epikur (Louvre)

Epikur (griechisch Ἐπίκουρος, Epíkouros; * um 341 v. Chr. auf Samos; † 271 oder 270 v. Chr. in Athen) war ein griechischer Philosoph und Begründer des Epikureismus. Diese im Hellenismus parallel zur Stoa entstandene philosophische Schule hat durch die von Epikur entwickelte hedonistische Lehre seit ihren Anfängen zwischen Anhängern und Gegnern polarisierend gewirkt. Sie war und ist durch ein verbreitetes Missverständnis des epikureischen Lustbegriffs Fehldeutungen ausgesetzt. Nach dem Garten, in dem Epikur und seine Anhänger sich versammelten, wird dessen Schule auch Kepos genannt.

Inhaltsverzeichnis

Biographie

Epikur wurde um 341 v. Chr. auf der ägäischen Insel Samos geboren; sein Geburtstag, der 20. Tag des Monats Gamelion, wurde später nach seinem testamentarischen Wunsch alljährlich von seinen Schülern gefeiert.[1] Sein Vater Neokles war als Kolonist (Kleruch) von Athen nach Samos umgesiedelt worden, wo er als Elementarlehrer und Landwirt ein nur geringes Einkommen fand. Die Überlieferung von Epikurs Lebenslauf ist mit Lücken und Unsicherheiten behaftet, die sich u.a. daraus ergeben, dass sein wichtigster Biograph, Diogenes Laertios, erst aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert stammt.

Schon als 14-Jähriger fand Epikur zur Philosophie. Ursächlich für seine Studienanfänge, so heißt es, seien Zweifel über die Beschaffenheit des Chaos gewesen, jenen „gähnenden Abgrund“, von dem nach Hesiod alle Dinge abgeleitet sind, was ihm seine Lehrer nicht befriedigend erklären konnten.[2] Der Platoniker Pamphiles und der Demokriteer Nausiphanes waren seine ersten Lehrer. Pamphiles machte jedoch keinen besonders guten Eindruck auf Epikur, da er sich vor allem durch rhetorische Prahlerei hervortat, die Epikur der Rhetorik insgesamt entfremdete. Nachhaltiger sah er sich auf den Atomismus des Demokrit verwiesen, den er sich zu Eigen machte.

Mit 18 Jahren kam Epikur nach Athen, wo er als Ephebe im Gymnasium eine zweijährige vormilitärische Ausbildung absolvierte, die durch die Mündigkeitserklärung und die Aufnahme in die Bürgerliste abgeschlossen wurde. Epikur hatte gerade seine Zeit als Ephebe beendet, als 323 v. Chr. Alexander der Große starb und die Athener sich gegen die makedonische Vorherrschaft auflehnten. Sie erlitten eine schwere Niederlage, in deren Folge auch Neokles, Epikurs Vater, als athenischer Kolonist seinen Besitz auf Samos an die makedonischen Besatzer unter Perdikkas verlor. Neokles floh nach Kolophon bei Ephesos ins Exil, wohin Epikur seinem Vater bald nachfolgte. Als 319 v. Chr. Samos an Athen zurückgegeben wurde, erhielt Neokles eine finanzielle Entschädigung für den Verlust seines Grundstücks.

Über die nachfolgenden Jahre fehlt jegliche Kunde von Epikur. Vielleicht war er 311 v. Chr. - 306 v. Chr. Lehrer der Philosophie zuerst in Mytilene auf Lesbos, später in Lampsakos am Hellespont. In dieser Zeit könnte er mit Metrodoros von Lampsakos, dessen Bruder Timokrates, Idomeneus, Leonteus und dessen Frau Themista, Kolotes und Polyainos seine treuesten Jünger gewonnen haben. Im Jahre 306 v. Chr. zog Epikur nach Athen, wo nach dem Sturz des Demetrios von Phaleron die Attische Demokratie wieder aufzuleben schien. Dort erwarb er für 80 Minen jenen Garten (Kepos), in dem er seine Schule gründete. Der Kepos diente seinen aus Menschen aller Gesellschaftsschichten stammenden Anhängern als Versammlungsort, und er lebte dort mit seinen Schülern (anfänglich sollen es 200 gewesen sein), die teilweise von weither zu ihm kamen, nach Art einer 'Kommune' oder eines weltlichen Klosters ohne individuellen persönlichen Besitz. Im scharfen Gegensatz zu den herrschenden Sitten nahm er auch Ehepaare, Frauen (Hetären) und Sklaven als Schüler bei seinen Symposien auf.

Behauptungen über Schwelgereien und sonstige Exzesse der Epikureer stammen nicht aus glaubwürdigen Quellen, zumindest soweit es um Angehörige der Schule geht. Sie stehen im Widerspruch zur Lehre Epikurs, der seine Gäste am Eingang des Gartens mit folgender Inschrift begrüßte: Tritt ein, Fremder! Ein freundlicher Gastgeber wartet dir auf mit Brot und mit Wasser im Überfluss, denn hier werden deine Begierden nicht gereizt, sondern gestillt. Die sinnlichen Begierden, deren Berechtigung nur eingeschränkt akzeptiert wurde (s.u.), sollten sich auf die kleinen, leicht erreichbaren Freuden richten: Schicke mir ein Stück Käse, damit ich einmal gut essen kann.

Etwa 40 Jahre lang, bis zu seinem (wohl durch Nieren- oder Harnsteine verursachten) Tod im Jahr 271 oder 270 v. Chr.,[3] blieb Epikur der geistige Mittelpunkt des Gartens, in dessen Schutz freundschaftliche Beziehungen besonders gepflegt wurden. Da Metrodoros vor Epikur verstorben war, ging die Leitung des Kepos nach dessen Tod auf Hermachos über.

Epikurs Schule strebte keinen politischen Einfluss an und fand - von Ausnahmen abgesehen - kaum Zugang zu den Reichen und Mächtigen. Dennoch hielt sich der Kepos, zuletzt noch von dem Stoiker Mark Aurel gefördert, bis über das 2. Jahrhundert n. Chr. hinaus.

Quellen

Vom umfangreichen Schaffen Epikurs (mindestens 40 Abhandlungen, darunter 37 Bücher seines Hauptwerks Peri physeos (Über die Natur)) sind nur noch Fragmente erhalten:

  • Brief an Menoikeus zur Ethik[4]
  • Brief an Herodot zu Erkenntnistheorie und Naturphilosophie
  • Brief an Pythokles zu Astronomie und Meteorologie

Außerdem sind zwei Sammlungen von Lehrsätzen überliefert:

  • Die Kyriai doxai – 40 Hauptlehrsätze zum Auswendiglernen
  • Das Gnomologium Vaticanum Epicureum – eine 1888 in einem Vatikan-Kodex entdeckte Zitatsammlung mit Aussprüchen Epikurs und wichtiger Schüler

Wegen der großen Überlieferungslücken stützt sich die Rekonstruktion seiner Lehre auch auf Texte seiner Anhänger (Lukrez, Horaz, Plinius der Jüngere) sowie auf Angaben von Cicero und Seneca. Dabei ist zu beachten, dass Cicero ein scharfer Gegner des Epikureismus war. Wichtige Sekundärquellen über Epikur und seine Lehre sind:

  • Diogenes Laertios, De vitis et dogmatibus clarorum philosophorum (Leben und Meinungen berühmter Philosophen) Buch X, wo sich unter anderem die oben genannten Briefe und der umstrittene Brief an Pythokles befinden
  • Lukrez: De rerum natura (ein Lehrgedicht, das die Naturphilosophie Epikurs wiedergibt)
  • Marcus Tullius Cicero: De natura deorum (Vom Wesen der Götter); De finibus bonorum et malorum (Über das höchste Gut und das größte Übel); De fato (Über das Fatum)
  • Plutarch: Placita philosophorum, Contra Colotem
  • Diogenes von Oinoanda, der Verfasser einer umfangreichen Inschrift, in der die Lehre Epikurs dargestellt wird.

Epikurs Lehre

Eine Gemeinsamkeit der in hellenistischer Zeit entstandenen philosophischen Schulen (neben den Epikureern zählen dazu die Skeptiker und die Stoiker) ist ihre Ausrichtung auf das individuelle Lebensglück bzw. Seelenheil, das der griechische Begriff Eudaimonie meint. Jeweils spezifisch sind dagegen die Wege, die zu diesem Ziel führen sollen. Charakteristisch für die Lehre Epikurs sind die Entwicklung spezieller Formen der Bedürfnisregulation zum Zweck der Lustmaximierung und die radikale Diesseitigkeit aller Strebungen, begründet in der Auffassung, dass auch die menschliche Seele mit dem Tod zur Auflösung kommt. Nicht ein ewiges Leben, sondern der bei Lebzeiten zu vollendeter Seelenruhe (Ataraxie) gelangte epikureische Weise ist das Grundmotiv der Epikureer.

Auch Epikurs Lehre umfasst die drei klassischen Felder der antiken Philosophie: die Physik (Naturlehre), die Logik oder hier: Kanonik (Erkenntnislehre) und die Ethik (Verhaltenslehre). Dabei tragen Naturerklärung und erkenntnistheoretische Überlegungen gemeinsam mit den ethischen Grundprinzipien zur Ausschaltung individuell beunruhigender Faktoren bei, „indem sie Unbekanntes verständlich machen, Unerreichbares als irrelevant und Unvermeidbares als akzeptabel erweisen.“ [5] Die Theorie der Naturerklärung wird so zwar Mittel zum Zweck des menschlichen Seelenfriedens, behauptet aber als Glücksvoraussetzung einen hohen Stellenwert, während die Ethik als Zentrum und Konstruktionsziel des gesamten Lehrgebäudes anzusehen ist.[6]

Die erhaltenen epikureischen Schriften bieten außer zusammenhängender Argumentation bevorzugt eingängig formulierte Merksätze oder einprägsame Zusammenfassungen komplexer Sachverhalte, die, auswendig gelernt, als Meditationshilfen dienen und zur ruhigen Betrachtung der Dinge verhelfen sollten. [7]

Natur- und Erkenntnislehre

Epikur übernahm Demokrits atomistische Lehre und entwickelte sie weiter. Mit ihrer Hilfe erklärte er die gesamte Wirklichkeit auf rein materialistische Weise, also mit konsequentem Verzicht auf alle transzendenten und metaphysischen Annahmen. Er deutete alles Existierende als Ergebnis der Bewegung und unterschiedlichen Verteilung unveränderlicher Atome im Raum.

Nach Epikur ist die Materie ungeschaffen und unvergänglich. Ihre letzten unteilbaren Einheiten, die Atome, sind unsichtbar und haben als Eigenschaften Größe, Gestalt und Schwere. Die Anzahl der Atomformen und ihrer möglichen Kombinationen ist sehr groß, aber endlich. Die Anzahl der Atome hingegen ist unendlich. In dem unendlich großen Raum existiert eine unendliche Anzahl von Welten. Es gibt unendlich viele Welten, die der unsrigen ähnlich sind, und unendlich viele, die ihr nicht ähnlich sind; sie sind alle vergängliche Zusammenballungen unvergänglicher Atome. Außer dem leeren Raum und den Atomen bzw. Atomverbindungen existiert nichts. Auch die Seele, die im ganzen Körper verbreitet ist, aber ihren hauptsächlichen Sitz im Herzen hat, besteht aus Atomen. Der Kosmos, der die Gestirne, die Erde und alle Phänomene umfasst, existiert aber nicht notwendigerweise allein. Epikur spricht stellenweise von Welten im Plural und führt deren Vielzahl auf die unbegrenzte Anzahl der Atome zurück.[8]

Alle möglichen Kombinationen von Atomen müssen in der verflossenen zeitlichen Unendlichkeit unendlich oft realisiert worden sein, so dass die Aufteilung des unendlichen Atomreservoirs auf die möglichen Kombinationen eine gleichmäßige ist. Bewegung ist die Daseinsweise und eine unabdingbare Eigenschaft der Atome. Epikur bestimmte den senkrechten Fall als die grundlegende, naturgemäße Urform der Bewegung.

Aber wie sollte es in Anbetracht der wohlgeordneten regulär-linearen Fallbewegung zur Bildung von Atomverbindungen kommen? Infolge einer Abweichung der Atome von der Senkrechten um ein Minimum kommt es nach Epikur zu den verschiedenen Bewegungsformen, die aus dem Zusammenprall und der folgenden Repulsion der Atome hervorgehen. Diese Abweichung der Atome ist nicht von außen, sondern von ihnen selbst verursacht. Sie ermöglicht Atomverbindungen und ist damit die Ursache aller Phänomene. Mit dieser Annahme kann ein strenger Determinismus, den Epikur verwirft, vermieden werden.

Erkenntnistheoretisch vertrat Epikur im Wesentlichen die Abbildtheorie. Im Gegensatz zu Demokrit sah er die Sinnesempfindungen nicht als zweitrangig an. Da die Wahrnehmung für ihn das einzige Wahrheitskriterium darstellt, ist sie auch das Kriterium für die Schlussfolgerungen über solche Dinge, die nicht unmittelbar wahrgenommen werden, wenn nur diese Schlussfolgerungen nicht im Widerspruch zu den Angaben der Wahrnehmung stehen. Deshalb ist die logische Folgerichtigkeit eine wichtige Bedingung der Wahrheit. Wo mehrere Erklärungen von Phänomenen nicht in Widerspruch zur wahrnehmbaren Wirklichkeit geraten, stehen sie im Sinne Epikurs anscheinend gleichberechtigt nebeneinander.[9]

Die Hochschätzung Epikurs für ein den Gesetzen der Logik verpflichtetes Handeln lässt sich daran ermessen, dass er es als Merkmal des Weisen bezeichnete, lieber mit einem Plan zu scheitern als zufallsbedingt erfolgreich zu sein: „Denn es sei schöner, dass, wenn man etwas tut, die richtige Entscheidung nicht zum Erfolg führt, als dass die falsche Entscheidung durch Zufall zum Erfolg führt.“[10]

Ethik

Epikurs Ethiklehre zielt im Kern auf Erhöhung und Verstetigung der Lebensfreude durch den Genuss eines jeden Tages, womöglich jeden Augenblicks, wie es das Motto des Horaz: carpe diem (nutze den Tag) besagt. Dazu gilt es, alle Beeinträchtigungen des Seelenfriedens zu vermeiden bzw. zu überwinden, die aus Begierden, Furcht und Schmerz erwachsen können. Die Lust am Leben stetig auszukosten, macht die Kunst des epikureischen Weisen aus.[11]

Der epikureische Lustbegriff

Die innere Logik der epikureischen Lehre wird u.a. in der Begründung der zentralen Stellung von Lust und Lebensfreude deutlich, wie sie Cicero wiedergegeben hat. Demnach gibt das noch durch keinerlei soziale Konditionierung geprägte frühkindliche Empfinden die natürliche Richtung menschlichen Strebens an: Lust suchen (und ggf. lautstark einfordern) – Unlust vermeiden. Dieser Primat liege für Epikur so auf der Hand, dass dafür kein sonderlicher Begründungsaufwand getrieben werden müsse: „Er meint, man spüre dies, wie man fühle, dass das Feuer wärmt, der Schnee kalt und der Honig süß ist.“[12] Die starken Schwankungen, denen das kindliche Lust- und Glücksempfinden ausgesetzt ist, können in der Jugend durch das Hinzukommen vernunftgegründeter Einsicht (Phronesis) unter Kontrolle gebracht und allmählich in stetigere Bahnen gelenkt werden. Einsicht und stabile Daseinslust bedingen einander: Die Phronesis weist in der Art eines Lust-Unlust-Kalküls (Euringer, S. 64) den Weg zu einem Höchstmaß an Lebensfreude und zur Vermeidung von Unlust. Ohne diese Funktion und Ausrichtung aber wäre die Fähigkeit, vernünftig zu denken aus der Sicht Epikurs nutzlos, wie er mit einer Spitze gegen die philosophische Konkurrenz in dem Brief an Menoikeus ausgeführt hat: „Daher ist die Einsicht sogar wertvoller als die Philosophie: ihr entstammen alle übrigen Tugenden, weil sie lehrt, dass es nicht möglich ist, lustvoll zu leben, ohne einsichtsvoll, vollkommen und gerecht zu leben, ebenso wenig, einsichtsvoll, vollkommen und gerecht zu leben, ohne lustvoll zu leben.“ [13] Maßgebliche Bedeutung für das Verständnis des epikureischen Lustprinzips hat nicht zuletzt die Unterscheidung zwischen katastematischer Lust (im Sinne anhaltender Daseinslust) und kinetischer Lust (im Sinne der Lustvariation) [14]. Letztere hat dann – und nur dann – ihre Berechtigung, wenn sie in der Art der Ausübung bzw. des Ausgelebt-Werdens die Daseinsfreude nicht am Ende beeinträchtigt. Umgekehrt aber muss und wird es der Lebensfreude des sattelfesten Epikureers keinen Abbruch tun, wenn es an der Gelegenheit zur Lustvariation fehlt.

Die Überwindbarkeit von Furcht, Schmerz und Begierden als Widersachern der Lebensfreude

Furcht, Schmerz und Begierden sind für Epikur die drei großen Klippen, die umschifft werden müssen, damit dauerhaft Lebenslust und Seelenruhe herrschen können. Bezüglich der Furcht sind es vor allem zwei Motive, mit denen Epikur sich auseinandersetzt: Furcht vor den Göttern und Todesfurcht.

Ein zentrales Anliegen Epikurs war sein Kampf gegen die Vorstellung, dass Götter in das Weltgeschehen und insbesondere in die menschlichen Schicksale eingreifen, dass ihr Zorn zu fürchten ist und sie daher durch Opfer und Gebete beeinflusst werden müssen. Er verwarf dies als Aberglauben und beseitigte damit die Gottesfurcht. Allerdings war dies keine Besonderheit der Epikureer, denn auch andere philosophische Richtungen, besonders die Platoniker, lehnten die Gottesfurcht (deisidaimonia) strikt ab und betrachteten sie als etwas Verächtliches.[15]

Ebenso bemühte sich Epikur um die Behebung der Furcht vor dem Tod. Er argumentierte, dass der Tod gar keinen Anteil am individuell erfahrbaren Leben hat. An Menoikeus schrieb er[16]:

„Gewöhne dich daran zu glauben, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat. Denn alles, was gut, und alles, was schlecht ist, ist Sache der Wahrnehmung. Der Verlust der Wahrnehmung aber ist der Tod. Daher macht die richtige Erkenntnis, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat, die Vergänglichkeit des Lebens zu einer Quelle der Lust, indem sie uns keine unbegrenzte Zeit in Aussicht stellt, sondern das Verlangen nach Unsterblichkeit aufhebt. […] Das schauerlichste aller Übel, der Tod, hat also keine Bedeutung für uns; denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht da.“

Anders als der Tod im Sinne Epikurs gehören Schmerzen normalerweise zur sinnlich wahrnehmbaren Erfahrung eines jeden Menschen. Doch auch in ihnen sah Epikur keine ernsthafte Gefahr für die Daseinslust. Im vierten Hauptlehrsatz[17] heißt es: „Der Schmerz bleibt nicht lange ununterbrochen im Fleisch, sondern der äußerste dauert ganz kurze Zeit, derjenige, der das Lustvolle im Fleisch bloß überwiegt, tritt nicht viele Tage auf, und bei den Langzeitleiden dominiert das Lustbetonte im Fleisch über den Schmerz.“

Realitätsnähe und Deutung dieser Setzungen erschließen sich dem heutigen Interpreten nicht zweifelsfrei[18]. Den wichtigsten Hinweis auf den Sinn des Gemeinten hat Epikur noch selbst gegeben, indem er die Schmerzen eines Nierensteinleidens in den beiden Wochen vor seinem Tod gelassen und in heiterer Stimmung ertrug. In seinem Abschiedsbrief an Idomeneus heißt es: „Den seligen und zugleich letzten Tag meines Lebens verbringend, schreibe ich euch diese Zeilen. Ich werde von Harn- und Ruhrbeschwerden verfolgt, die keine Steigerung der Größe mehr zulassen. All dem aber steht gegenüber die Freude der Seele über die Erinnerung an die von uns geführten Gespräche.“[19]

Das im praktischen tagtäglichen Leben wichtigste Bewährungsfeld dürfte für Epikur und seine Anhänger der Umgang mit den Begierden und Gelüsten gewesen sein, mit dem also, was heute in den mehr oder minder weit gefassten Rahmen der menschlichen Bedürfnisse gerechnet wird. Epikur unterschied wiederum drei Kategorien: „Die Begierden sind teils natürlich und notwendig, teils natürlich und nicht notwendig, teils weder natürlich noch notwendig, sondern durch leere Meinung begründet.“[20]

Nur die Erfüllung von Grundbedürfnissen wie Essen, Trinken und Kälteschutz galt Epikur als unabdingbar für den Genuss des Daseins. Die sexuelle Lust gehörte dagegen bereits seiner zweiten Kategorie an: natürlichen Ursprungs, aber nur in Maßen der katastematischen Lust dienlich und im Zweifel durchaus verzichtbar. Luxusbedürfnisse aber (bzw. Bedürfniserzeugung im Sinne heutiger Bedarfsweckungswirtschaft) gründen letztlich – der dritten Kategorie Epikurs entsprechend – in „leerer Meinung," d.h. in Unvernunft, und können schädliche Abhängigkeiten zur Folge haben[21]:

„Auch die Unabhängigkeit von äußeren Dingen halten wir für ein großes Gut, nicht um uns in jeder Lage mit Wenigem zufrieden zu geben, sondern um, wenn wir das Meiste nicht haben, mit Wenigem auszukommen, weil wir voll davon überzeugt sind, dass jene, die den Überfluss am meisten genießen, ihn am wenigsten brauchen, und dass alles Natürliche leicht, das Sinnlose aber schwer zu beschaffen ist und dass eine einfache Brühe die gleiche Lust bereitet wie ein üppiges Mahl […] und dass Wasser und Brot die höchste Lust bereiten, wenn man sie zu sich nimmt, weil man Hunger hat. Die Gewöhnung an einfache und nicht üppige Nahrung dient also einerseits in jeder Hinsicht der Gesundheit und nimmt andererseits auch dem Menschen die Sorgen angesichts der Grundbedürfnisse des Lebens, stärkt uns, wenn wir uns in Abständen an üppige Tafeln begeben, und macht uns furchtlos gegenüber dem Schicksal.“

Das „vierfache Heilmittel“ und weitere Verhaltensregeln

Mit Berufung auf die Überlieferungen durch Cicero und Plutarch ist es in der neueren Forschung gängig geworden, die epikureische Lehre als ein Therapieangebot zur Erlangung des Seelenfriedens (Ataraxia) bzw. eines seelischen Gleichgewichtzustands anzusehen[22]. Als wichtigstes Therapeutikum fungiert demnach das Tetrapharmakon[23](„vierfaches Heilmittel“) mit der Formel[24]:

„Wenn uns nicht die Vermutungen über die Himmelserscheinungen und die angstvollen Gedanken über den Tod, als ob er uns irgendetwas anginge, ferner die mangelnde Kenntnis der Grenzen von Schmerzen und Begierden belasteten, brauchten wir keine Naturphilosophie.“

Dieser Lehrsatz bündelt die oben angeführten Aspekte und betont zugleich den Gesamtzusammenhang der Philosophie Epikurs.

Für die Alltagsgestaltung der Epikureer waren darüber hinaus weitere Dogmen maßgeblich, die einerseits ihre individuelle Lebensführung betrafen und andererseits das Gemeinschaftsleben. So heißt es in den Hauptlehrsätzen mit individuellem Bezug u.a., dass es nicht viel bedürfe, um unserer menschlichen Natur mit dem Notwendigen zu genügen; nur dem, der sich auf darüber Hinausgehendes fixiere, eröffne sich ein praktisch unbegrenztes Feld von die Seelenruhe beeinträchtigenden Wunschvorstellungen und Strebungen (Nr. 15 in der Überlieferung des Diogenes Laertios). Der Grundbedarf für ein leidensfreies Leben sei leicht zu beschaffen; niemand benötige also Dinge, um die er erst kämpfen müsste (Nr. 21). Wer sich nicht in jeder Lebenssituation die seiner Natur entsprechenden Ziele setze, werde nicht zu einer Übereinstimmung zwischen Denken und Handeln gelangen (Nr. 25). Da ein Weiser alle wichtigen Angelegenheiten des Lebens vernünftig bedacht habe und ordne, könne er allenfalls in Kleinigkeiten durch Zufälle überrascht werden (16). Der Freitod als Möglichkeit in auswegloser Lage scheint angesprochen zu sein in dem Satz: “Der Zwang ist schlimm; doch es besteht kein Zwang, unter Zwang zu leben.“[25]

Zweck und Gestaltung sozialer Beziehungen

Das individuelle Seelenheil und wie es zu erlangen sei, steht im Zentrum der ersten 30 Hauptlehrsätze, wie sie von Diogenes Laertios überliefert wurden. Das letzte Viertel aber ist Fragen der gesellschaftlichen Ordnung gewidmet und der Rolle des Epikureers in ihr[26]:

„Das der menschlichen Natur entsprechende Recht ist eine Vereinbarung über das Mittel, mit dem verhindert wird, dass sich Menschen gegenseitig schädigen oder schädigen lassen.“

Ohne eine solche vertragliche Grundlage gebe es weder Recht noch Unrecht (Nr. 32). Besonderheiten in verschiedenen Ländern seien in der Ausgestaltung der Rechtsordnung zu berücksichtigen (Nr. 36), außerdem Anpassungen an veränderte Voraussetzungen vorzunehmen (Nr. 37 und 38), damit das geltende Recht tatsächlich dem allgemeinen Nutzen diene. Die von Epikur favorisierte Haltung des Einzelnen gegenüber dem gesellschaftlichen Umfeld ergibt sich aus dem 39. Hauptlehrsatz [27]:

„Wer seine Angelegenheiten am besten gegen die Bedrohungen von außen geordnet hatte, machte sich mit allem, was er beeinflussen konnte, vertraut. Was er aber nicht beeinflussen konnte, blieb ihm wenigstens nicht fremd. Wo ihm aber auch dies unmöglich war, vermied er jeden Kontakt und bemühte sich darum, alles zu tun, was dazu nützlich war.“

Die von Plutarch[28] überlieferte Losung „Lebe im Verborgenen!“ (λάθε βιώσας), galt demnach nicht unter allen Umständen: Wo Epikureer ihre Belange erfolgreich zur Geltung bringen konnten, sollte das auch geschehen. Aber anderseits „erwächst doch die deutlichste Sicherheit aus der Ruhe und dem Rückzug vor den Leuten.“[29]

Die Freundschaft war für Epikur die der Daseinsfreude am meisten förderliche Art der zwischenmenschlichen Beziehung: „Von allem, was die Weisheit für die Glückseligkeit des ganzen Lebens bereitstellt, ist der Gewinn der Freundschaft das bei weitem Wichtigste.“[30] Sie hatte ihren Wert vielleicht nicht allein in der wärmenden Mitmenschlichkeit an sich, sondern auch als ein Stärkungsmittel Epikurs und seiner Schüler gegen Anfeindungen von außen. Und so diente der Kepos auch wesentlich als Rückzugsraum befreundeter Menschen, die einander durch Weltanschauung und die darauf gegründete Lebenspraxis verbunden waren. Von Ehe und Nachkommenschaft hielt Epikur dagegen wie Demokrit nicht viel. Wahrscheinlich betrachtete er sie als mögliche Störquelle der Seelenruhe.[31] Ebenfalls verfehlt, weil den Seelenfrieden gefährdend, erschien ihm die Ausübung politischer Ämter. Stattdessen galt: „Man muss sich selbst aus dem Gefängnis der üblen Geschäfte und der Politik befreien.“ [32]

Der epikureische Weise

Die vollendete Verkörperung von Epikurs Lehre ist die Figur des epikureischen Weisen. Dessen Merkmale hat Cicero mit Berufung auf Epikur so zusammengefasst[33]:

„Er hat seinen Begierden Grenzen gesetzt; er ist gleichgültig gegen den Tod; er hat von den unsterblichen Göttern, ohne sie irgendwie zu fürchten, richtige Vorstellungen; er nimmt keinen Anstand, wenn es so besser ist, aus dem Leben zu scheiden. Mit solchen Eigenschaften ausgerüstet, befindet er sich stets im Zustand der Lust. Es gibt ja keinen Augenblick, wo er nicht mehr Genüsse als Schmerzen hätte.“

Mit der doppelten Einsicht in die Unvermeidlichkeit des Todes[34] wie in seine Bedeutungslosigkeit endet das unvernünftige, weil unstillbare Verlangen nach Unsterblichkeit[35]. Alles Glücksstreben ist folglich auf das endliche Leben verwiesen und mündet in eine „Philosophie des Augenblicks“ [36], dessen Fülle nach Forschner „ein Maximum und Optimum darstellt, das durch das Maß zeitlicher Extension und inhaltlicher Variation nicht mehr gesteigert oder vermindert zu werden vermag.“[37]

Mit den Attributen des Glückseligen und Unvergänglichen ist aber auch Epikurs Götterbild verbunden, so dass Bartling folgert, es sei Epikur bei der Bekämpfung des überkommenen Aberglaubens, in dem die Götter vielfach als personifizierte Naturgewalten erschienen, darauf angekommen, die Vorstellungen über die Eigenschaften der Götter den Vorgaben seiner ethischen Lehre anzugleichen.[38]

Epikurs Brief an Menoikeus endet - im Zusammenhang der Hochschätzung vernunftgesteuerten, planvollen Vorgehens und der Geringschätzung des Zufalls - mit den Worten: "Darum und um alles andere, was dazu gehört, kümmere dich Tag und Nacht, und zwar für Dich selbst allein und für den, der dir ähnlich ist, und dann wirst Du niemals, weder wenn Du wach bist noch wenn du schläfst, in Unruhe geraten, sondern leben wie ein Gott unter Menschen. Denn in nichts mehr gleicht einem vergänglichen Wesen ein Mensch, der umgeben ist von unvergänglichen Gütern."[39]

Theologie

Im Gegensatz zum modernen Menschen, der den Gottesbegriff mit der Vorstellung eines transzendenten Jenseits zu verbinden pflegt, hat Epikur die reale Existenz von Göttern angenommen, ja sogar für gesichertes Wissen gehalten, ohne dabei im geringsten von seinem strengen Materialismus abzuweichen. Für ihn waren auch die Götter, die er durchaus als Lebewesen auffasste, ebenso wie alle anderen Wesen materielle Phänomene, Atomverbindungen. Zwar bestritt er nachdrücklich die Schöpfung und die Lenkung der Welt durch eine göttliche Instanz, doch ging er davon aus, dass es tatsächlich Götter gibt, die eine selige, sorglose Existenz führen und sich nicht um die Menschenschicksale kümmern. Eine göttliche Vorsehung kam für Epikur nicht in Betracht, da er meinte, dass sie für die Götter eine Mühe und beschwerliche Arbeit bedeuten würde, die ihrer unwürdig wäre.

Die Atomtheorie ging von einer begrenzten Zahl von Atomformen, aber von unendlich vielen Exemplaren jeder einzelnen Form und damit auch von unendlich vielen Exemplaren jeder vorkommenden Atomzusammensetzung aus. Daraus ergab sich für die Götter, dass nicht nur ihre Anzahl unendlich ist, sondern auch jeder Gott bzw. Göttertypus in unendlich vielen Exemplaren vorkommt.[40]

Diese Götter sind für die Menschen unerreichbar, aber erkennbar. Solche Gotteserkenntnis ist nach Epikur so wie jede andere Erkenntnis über Objekte der Außenwelt nur durch Wahrnehmung möglich, die darauf beruht, dass sich Atome vom wahrgenommenen Objekt ablösen und zum wahrnehmenden Subjekt bewegen. Diese Atome sind die Trägersubstanz eines Bilderstroms, der kontinuierlich von den Göttern aus in alle Richtungen fließt und so die menschliche Gotteswahrnehmung ermöglicht. Aus dem Eintreffen der Bilder können die Menschen die Existenz der Götter als deren Quelle erschließen. Der Bilderstrom ist nämlich analog zu den normalen Sinneswahrnehmungen kontinuierlich, im Unterschied zu den vereinzelten Bildern, die Phantasievorstellungen hervorrufen. Er ist jedoch feiner als der Strom, der von optisch wahrnehmbaren Objekten ausgeht. Daher ist er nicht mit dem Auge, sondern nur mental für die Seele erfassbar, die ebenfalls aus feinen Atomen besteht. Durch das Abfließen der Atome erleiden die Götter einen Materieverlust. Sie sind aber im Unterschied zu den sterblichen Menschen unvergänglich, da sie den Verlust durch Aufnahme geeigneter Substanz von derselben Qualität aus ihrer Umgebung ausgleichen können. Sie haben also einen Stoffwechsel. Somit ist in der Lehre Epikurs, die jede Metaphysik verneint, die Theologie ein Teil der Physik. Sie ist in dem philosophischen System keineswegs nebensächlich, sondern ein wesentlicher Bestandteil. Die Informationen, die durch den Bilderstrom von den Göttern zu den Menschen gelangen, ermöglichen diesen nämlich, die Götter als Vorbilder zu erkennen, sie nachzuahmen und so selbst gottähnlich zu werden. Die Ansicht, Epikur habe die Götter für bloße Vorstellungen im menschlichen Bewusstsein gehalten, gilt heute als widerlegt.[41]

Epikur trat dafür ein, die Götter in ihrer Abgeschiedenheit zu verehren, doch nicht um ihrer selbst willen, sondern nur weil er meinte, dass es dem Wohlergehen der Menschen diene, sich an göttlichen Vorbildern zu orientieren. In diesem Sinne akzeptierte er die Volksgötter der olympischen Religion und deren Kult, nahm ihnen aber alle diejenigen Eigenschaften, die mit seiner Lehre unvereinbar waren, und entfernte damit auch alle entsprechenden Vorstellungen und Erwartungen aus dem Kult. Anscheinend fasste Epikur die einzelnen Götter der Volksreligion wie Zeus oder Apollon als Göttertypen auf, die in unendlich vielen Exemplaren vorkommen. Mit der Volksreligion stimmte er darin überein, dass er die Götter für menschengestaltig hielt.[42]

Der Kirchenschriftsteller Laktanz überliefert ein prägnant formuliertes, berühmt gewordenes Argument gegen die Annahme, dass ein wohlwollender Gott die Schicksale der Menschen lenke. Er schreibt es Epikur zu. Es besagt, dass Gott entweder nicht allmächtig oder nicht wohlwollend sei, da sonst die Übel in der Welt nicht bestehen könnten. Dieses Zitat, das bis heute in Diskussionen um die Theodizee angeführt wird, stammt allerdings in Wirklichkeit weder von Epikur noch aus seiner Schule, sondern von einem unbekannten Philosophen der skeptischen Richtung.[43]

Wirkungsgeschichte

Epikur selbst hat einige Vorsorge getroffen, im Bewusstsein seiner Anhänger präsent zu sein und zu bleiben. Er verfügte testamentarisch, dass monatlich ein Feiertag zu seinem Gedenken abgehalten werden sollte[44]. Außerdem hielt er seine Schüler an, sich immer so zu verhalten, als schaute er, Epikur, ihnen gerade zu[45]. Das epikureische Streben nach Orthodoxie konnte wohl einerseits die Langlebigkeit der Lehre begründen; es hat andererseits modernen Interpreten einen Eindruck von Starre vermittelt. Dagegen zeigen aber Texte späterer Epikuräerkreise, wie es sie z. B. auf Rhodos gab, dass man nicht überall und in allem mit der Mutterschule in Athen übereinstimmte und dass ein Interpretationsfreiraum blieb, der in Akzentverschiebungen zum Ausdruck kam.[46]

Einfluss Epikurs in der Römischen Antike

Der Epikureismus existierte über den Hellenismus hinaus auch im Römischen Reich, wo er bis zum 2. Jahrhundert großen Einfluss hatte. In einer der großen Dichtungen der Antike hat Lukrez in seinem Lehrgedicht "Von der Natur der Dinge" den Epikureismus in anschaulicher und bilderreicher Sprache dargestellt und popularisiert. Seine Verehrung Epikurs gipfelte in einer Vergöttlichung: [47]:

„Sollen wir reden, so wie es die Größe seiner Entdeckung fordert, so gilt es zu rufen: Ein Gott, tatsächlich, berühmter Memmius, war es, ein Gott, der den Sinn des Lebens als erster aufspürte, jene von uns gepriesene Weisheit, methodisch gründlich das Leben aus wütenden Stürmen in ruhige Bahnen, aus dem entsetzlichen Dunkel in strahlende Helligkeit lenkte!“

Auch der Dichter Horaz vertrat den Epikureismus. Soweit in der römischen Antike atheistische Positionen vertreten wurden, bezogen sie sich meist auf Epikur, der selbst allerdings kein Atheist war.

Verfemung Epikurs im Mittelalter und sein Einfluss auf Denker der Neuzeit

Epikur, den spätere Gegner seiner Philosophie als das große Schwein bezeichneten, stieß mit seiner persönlichen Lebensführung weder bei den Zeitgenossen auf Kritik noch bei denen, die sich biographisch mit ihm befasst haben. Umso verhasster wurde seine Lehre mit dem Erstarken des Christentums, da er jegliches göttliche Eingreifen in den Lauf der Welt, jede Furcht vor göttlicher Strafe und jede Hoffnung auf göttlichen Lohn zum Aberglauben erklärt hatte. Die Philosophie Epikurs wurde daher von christlicher Seite erbittert verfolgt und schließlich völlig unterdrückt.

Seine Lehre wurde vergröbert und verfälscht. Dies und zahlreiche unzutreffende Unterstellungen seiner Gegner führten dazu, dass Epikur bis in die Neuzeit verpönt war. Während des Mittelalters galt er lange Zeit als der Widersacher des Christentums schlechthin. Noch Dante Alighieri lässt Epikur in seiner "Göttlichen Komödie" (1307–1321) als „Erzketzer“ im 6. Kreis der Hölle in einem weißglühenden Eisensarg brennen. Heute ist die Forschung bemüht, das Zerrbild Epikurs und seiner Lehre vom historischen Epikur zu trennen.

Gab es schon im Mittelalter entsprechende Ansätze, so wurde der epikureische Hedonismus im 15. Jahrhundert von Lorenzo Valla (Vom wahren und falschen Guten) und seine Naturphilosophie ab Ende des 16. Jahrhunderts z.B. von Giordano Bruno (z.B. Vom Unendlichen, dem Universum und den Welten), Pierre Gassendi, Robert Boyle, Christian Huygens, Isaac Newton, John Dalton und anderen aufgegriffen. Ebenfalls mit der Physik Epikurs befasste sich Karl Marx in seiner 1841 erschienenen Dissertation.

Die epikureische Ethik und Gesellschaftstheorie übte einen beträchtlichen Einfluss auf das philosophische Denken der Neuzeit aus. Bei Thomas Hobbes, Samuel Pufendorf und anderen wird die epikureische Lehre vom Gesellschaftsvertrag zur Grundlage der gesamten modernen Staatstheorie. Denn bei Epikur findet sich nach Karl Marx' zutreffender Feststellung "zuerst die Vorstellung [...], dass der Staat auf einem gegenseitigen Vertrage der Menschen, einem contrat social [...] beruhe".

Siehe auch

Textausgaben

  • Diogenes Laertius: X. Buch. Epikur. Herausgegeben von Klaus Reich und Hans Günter Zekl, übersetzt von Otto Apelt. Meiner, Hamburg 1968 (griechischer Text und deutsche Übersetzung)
  • Epikur: Wege zum Glück. Herausgegeben und übersetzt von Rainer Nickel. Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich 2005, ISBN 3-7608-4115-5
  • Epikur: Briefe, Sprüche, Werkfragmente. Übersetzt und herausgegeben von Hans-Wolfgang Krautz. Reclam, Stuttgart 1980, ISBN 3-15-009984-6 (griechischer Text, deutsche Übersetzung, Anmerkungen und Nachwort)
  • Epikur: Philosophie der Freude. Eine Auswahl aus seinen Schriften. Übersetzt, erläutert und eingeleitet von Johannes Mewaldt. Kröner, Stuttgart 1973, ISBN 3-520-19805-3

Literatur

  • Bailey C. (1928) The Greek Atomists and Epicurus, Oxford.
  • Bakalis Nikolaos (2005) Handbook of Greek Philosophy: From Thales to the Stoics Analysis and Fragments, Trafford Publishing, ISBN 1-4120-4843-5
  • Heinz-Michael Bartling: Epikur: Theorie der Lebenskunst. Junghans, Cuxhaven 1994, ISBN 3-926848-39-1
  • Edelstein Epicureanism, Two Collections of Fragments and Studies Garland Publ. March 1987
  • Eugene O’ Connor The Essential Epicurus, Prometheus Books, New York 1993.
  • Michael Erler: Epikur, in: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike, Bd. 4/1: Die hellenistische Philosophie, hrsg. von Hellmut Flashar, Schwabe, Basel 1994, ISBN 3-7965-0930-4 (maßgebliche Gesamtdarstellung von Leben und Werk mit umfangreicher Bibliographie)
  • Michael Erler: Epikur. In: Friedo Ricken (Hrsg.), Philosophen der Antike, Bd. 2, Stuttgart 1996, ISBN 3-17-012720-9
  • Martin Euringer: Epikur. Antike Lebensfreude in der Gegenwart. Kohlhammer, Stuttgart 2003, ISBN 3-17-017957-8
  • Carl-Friedrich Geyer: Epikur zur Einführung. Junius, Hamburg 2000, ISBN 3-88506-328-X
  • Gordon, Pamela. "Epicurus in Lycia: The Second-Century World of Diogenes of Oenoanda." 1997
  • Katharina Held: Hēdonē und Ataraxia bei Epikur. Mentis,Paderborn 2007, ISBN 389785578X
  • Malte Hossenfelder: Epikur. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54122-4
  • Inwood, Brad, tr. The Epicurus Reader, Hackett Publishing Co, March 1994.
  • Josef M. Werle: Epikur für Zeitgenossen. Ein Lesebuch zur Philosophie des Glücks. Goldmann, München 2002, ISBN 3-442-07741-9

Anmerkungen

  1. Zur Datierung der Geburt siehe Erler (1994) S. 64f. Nach der Chronik des Apollodoros war das Geburtsjahr das dritte Jahr der 109. Olympiade, unter dem Archon Sosigenes; Diogenes Laertios 10,14.
  2. Diogenes Laertios X 2; Holger Sonnabend: Epikur. In: Kai Brodersen (Hrsg.), Große Gestalten der griechischen Antike, München 1999, S. 408.
  3. Nach der Chronik des Apollodoros war das Todesjahr das zweite Jahr der 127. Olympiade, unter dem Archon Pytharatos; Diogenes Laertios 10,15.
  4. (Text in deutscher Übersetzung)
  5. Erler (1996) S. 42.
  6. vgl. Hossenfelder, S. 27.
  7. Erler (1996) S. 42.
  8. Erler (1996) S. 50.
  9. Erler erläutert: „Mag man darin auch einen Mangel an Eindeutigkeit sehen, so wird dieser doch aufgewogen durch den Beitrag, den die bloße Existenz von Erklärungsmöglichkeiten für die Seelenruhe des Menschen leistet.“ (Erler [1996] S. 47).
  10. Brief an Menoikeus, zit.n. Nickel 2005, S.121
  11. Bartling 1994, S.77, und ihm folgend Euringer 2003, S. 54, haben hervorgehoben, dass der griechische Begriff „hedone“ im Sinne Epikurs nicht einheitlich mit „Lust“ ins Deutsche zu übertragen ist, sondern dass (analog der Unterscheidung von katastematischer und kinetischer Lust bei Epikur, siehe nachfolgend: „Das epikureische Lustprinzip“) auch „Lebensfreude“ und entsprechende Equivalente je nach Sinnzusammenhang nötig sind.
  12. Cicero, De finibus, zit.n. Nickel 2005, S.40
  13. Krautz 1980, zit.n. Euringer S. 70
  14. vgl. Euringer S. 64f.; Nickel 2005, S. 149/173; abweichend: Hossenfelder, S. 68ff.
  15. Heinrich Dörrie: Überlegungen zum Wesen antiker Frömmigkeit, in: Pietas. Festschrift für B. Kötting, Münster 1980, S. 13.
  16. zit.n. Nickel 2005, S. 117
  17. zit.n. Hossenfelder S. 95
  18. vgl. Hossenfelder, S. 95; Werle, S. 325; Euringer, S. 63f.,
  19. zit.n. Hossenfelder, S.29
  20. 29. Hauptlehrsatz, zit.n. Nickel 2005, S. 129
  21. Brief an Menoikeus, zit.n. Nickel 2005, S. 119f.
  22. Bartling, S. 29; Euringer, S. 54; Werle, S. 299
  23. Statt „Tetrapharmakos“ (weibl.), wie Bartling, S.29, begründet herleitet, steht hier die grammatisch weniger iritierende Form „Tetrapharmakon“.
  24. 11. Hauptlehrsatz, zit.n. Nickel 2005, S. 126f.
  25. Gnomologium Vaticanum Nr. 9, zit.n. Nickel 2005, S.135; zur Deutung vgl. Werle, S.325; Nickel 2005, S. 171f.; anderer Auffassung ist Rudolf Schottlaender, Epikureisches bei Seneca. Ein Ringen um den Sinn von Freude und Freundschaft (1955). In: Gregor Maurach (Hrsg.), Seneca als Philosoph. Darmstadt, 2. Aufl. 1987, S. 181f.
  26. 31. Hauptlehrsatz, zit.n. Nickel 2005, S.129
  27. zit.n. Nickel 2005, S. 131
  28. Plut. mor. 1128ff.
  29. 14. Hauptlehrsatz, zit.n. Nickel 2005, S. 126
  30. 27. Hauptlehrsatz, zit.n. Nickel 2005, S. 129
  31. Die Überlieferungsfragmente 41 (Diog. Laert. 10,119) und 127 (Clem. Alex. Strom. 2, 138, 3 / 4) lassen diese Einstellung deutlich hervortreten. Nickel 2005, S. 186, kommentiert: „Der Verzicht auf Ehe und Kinder hat seinen Grund in der Verweigerung einer lustfeindlichen Fürsorge für Ehefrau und Kinder.“
  32. Gnomologium Vaticanum, Nr. 58, zit.n. Nickel 2005, S. 141
  33. De finibus bonorum et malorum I, 62; zit.n. Werle, S.86
  34. Gnomologium Vaticanum 31, zit.n. Nickel 2005, S.137: „Gegen alles Mögliche kann man sich Sicherheit verschaffen, angesichts des Todes aber bewohnen wir Menschen alle eine Stadt ohne schützende Mauern.“
  35. Maximilian Forschner, Über das Glück des Menschen, Darmstadt 1993, S. 40
  36. Bartling, S. 8, mit zustimmendem Rückbezug auf Pierre Hadot, Philosophie als Lebensform. Geistige Übungen in der Antike, 2. Aufl. Berlin 1987, S. 107
  37. Forschner a.a.O. S. 41
  38. Bartling, S. 60f. und S. 73-76
  39. zit.n. Nickel 2005, S. 122
  40. Dietrich Lemke: Die Theologie Epikurs. Versuch einer Rekonstruktion, München 1973, S. 78-85.
  41. Zu den Einzelheiten von Epikurs Theologie siehe Dietrich Lemke: Die Theologie Epikurs. Versuch einer Rekonstruktion, München 1973; Jaap Mansfeld: Aspects of Epicurean Theology, in Mnemosyne 46 (1993), S. 172-210; Marianne Wifstrand Schiebe: Sind die epikureischen Götter 'thought-constructs'?, in: Mnemosyne 56 (2003), S. 703-727; Daniel Babut: Sur les dieux d’Epicure, in: Elenchos 26 (2005), S. 79-110.
  42. Lemke S. 82-85; Erler (1994) S. 152.
  43. Reinhold F. Glei: Et invidus et inbecillus. Das angebliche Epikurfragment bei Laktanz, De ira dei 13,20-21, in: Vigiliae Christianae 42 (1988), S. 47-58; Arthur Stanley Pease (Hrsg.): M. Tulli Ciceronis De natura deorum. Libri secundus et tertius, Cambridge (Mass.) 1958, S. 1232f.
  44. Werle, S. 304
  45. “Tue alles so, als ob Epikur es sähe.“(Sen. Ep. 25,5, zit.n. Nickel 2005, S. 15
  46. „Dabei haben neben der Integration fremder Dogmen offenbar auch Anpassungsbestrebungen eine Rolle gespielt, welche die Einbürgerung des Epikureismus in Rom erleichtern sollten.“ (Erler (1996) S. 43.)
  47. Lukrez, De rerum natura (Von der Natur); zit.n. Werle, S. 41.

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