Epistulae ex Ponto

Epistulae ex Ponto

Die Tristia (dt.: traurigen Dinge) sind in fünf Büchern überlieferte poetische Briefe in elegischer Form, die der Dichter Ovid aus seinem Verbannungsort Tomis am Schwarzen Meer ungefähr in den Jahren 8 bis 12 n. Chr. an verschiedene Adressaten richtete. Sie werden fortgesetzt in vier Büchern Epistulae ex Ponto (Briefe vom Schwarzen Meer), die in den Jahren 12 bis 17 verfasst wurden.

Geschichte

Die Tristia erzählen die Geschichte eines ans Ende der Welt verbannten Poeten, seine Reise dorthin, die Gefahren der See mit ihren Stürmen; den Aufenthalt dann am Schwarzen Meer bei den barbarischen Geten; das Leben in der fernen Stadt Tomis, das dauernd bedroht ist von wilden Horden jenseits der Donau, in einem Land, das, adstricto perusta gelu, verbrannt wird vom härtesten Frost. Wir dürfen annehmen, dass die Darstellung des Exils hier nicht ganz der Realität entspricht, sondern Ovid sich vielmehr an literarischen Mustern orientiert und einfach nur abbildet, was andere vor ihm (und er selbst schon) geschrieben haben: kaum ein Epos ohne Seesturm und Schiffskatastrophe, kaum eine Erwähnung der fernen Skythen, Sarmaten oder Geten ohne Verweis auf ihr unwirtliches Land. Oder sollen wir Ovid ernsthaft glauben, er habe, qualiacumque manu, irgendwie und mit zitternder Hand an den Tristia geschrieben, während Wellen, hoch wie Berge, quanti montes aquarum!, das Schiff, das ihn nach Tomi bringen sollte, mitsamt seiner Besatzung beinahe verschlangen?

Andere Motive, die wiederkehren in den Briefen des Verbannten, sind wohl eher Ausdruck von Ovids eigenem Erleben und damit unmittelbare Erfahrung seines Exils. Dazu gehören jene Gedichte, die der in Ungnade Gefallene an seine Frau und die wenigen noch verbliebenen Freunde, vix duo tresve, mehr waren es nicht, gerichtet hat. Scis bene, cui dicam, du weißt schon, dass ich dich meine, schreibt er einem von ihnen, dessen Namen er nicht nennen darf, der aber Beispiel ist dafür, dass in der Not sich die wahren Freunde erst zeigen. Dazu zählen aber auch die schmeichelnden Briefe an Kaiser Augustus, den er als den sanftmütigsten Herrscher, mitissime Caesar, anspricht, in der Hoffnung, dieser würde ihn begnadigen oder ihm wenigstens einen der Stadt Rom näher gelegenen Verbannungsort zugestehen. Ein weiterer Gegenstand, der die Tristia maßgeblich bestimmt, ist der griechische Mythos: Die Rolle des Kaisers und das Schicksal des Dichters werden allenthalben durch Beispiele aus der Welt der Götter und Helden gespiegelt. Hier lenkt der Kaiser, maxime dive, wie Jupiter die Geschicke der Welt und der Menschen, da irrt einer fern der Heimat umher, a patria fugi victus et exul, wie ein zweiter Odysseus. Und der Ort des Exils, die Schwarzmeerküste, ist Ovid Anlass genug, von Medea und Iason zu sprechen.

Die Tristia markieren nicht nur den Beginn der Exilliteratur, das berühmte Gedicht 10 im 4. Buch ist auch die erste Autobiographie eines Dichters in einer Ausführlichkeit, wie wir sie bis dahin nicht kennen: Ille ego qui fuerim, tenerorum lusor amorum / quem legis, ut noris, accipe posteritas nennt sich Ovid einen verspielten Verfasser zärtlicher Liebesgedichte und breitet danach sein Leben aus vor der Nachwelt. Bei anderen Autoren sind wir zu oft auf das Werk allein angewiesen, wenn wir ihre Biographien erschließen, und laufen Gefahr, das Ich in den Zeilen für das des Autors zu halten. Ovids Biographie liegt in den Tristia vor.

Und dieses Werk ist auch die Quelle schlechthin für die Frage, weshalb eigentlich Ovid ans Schwarze Meer verbannt worden ist. Der Dichter selbst hält sich bedeckt, nennt als Grund nur lakonisch carmen et error: Eine Dichtung, die Liebeskunst nämlich, geschrieben unter Augustus - der hatte zuvor strenge Sittengesetze erlassen - sei ihm zum Verhängnis geworden und ein Vergehen, irrtümlich geschehen und ganz ohne Absicht, aber dem Kaiser zum Ärger. Es scheint klar, dass Ovid seine Ars amatoria, deren Veröffentlichung zum Zeitpunkt der Verbannung schon acht Jahre zurücklag, nur als Vorwand verwendet, um den wahren Grund seines Exils nicht aussprechen zu müssen. Denn worin jener error, das Vergehen, das den Kaiser verletzt haben soll, letztlich lag, erfahren wir nicht. Einmal nur sagt Ovid dazu, non sit causa cruenta, an seinen Händen klebe kein Blut, und an anderer Stelle, er habe zufällig etwas Schlimmes gesehen. Spekulationen über den Grund für die Verbannung sind Legion, eine besagt sogar, Kaiser Augustus habe im Wald von Aricia Vestalinnen vergewaltigt, und Ovid sei ein Augenzeuge der Szene gewesen. Finden wir uns lieber damit ab, dass diese Frage nach der derzeitigen Lage der Quellen ungelöst bleiben muss!

Die Tristia stehen am Beginn einer Tradition von Werken der Weltliteratur, die aus der Erfahrung des Exils erst möglich geworden sind. Und dabei unterscheidet sich Ovids Exilsituation zweifellos von der anderer, besonders jener Autoren, die im Zuge der Verbrechen des letzten Jahrhunderts ihre Heimat verlassen mussten. Ovid war, genau genommen, nur relegiert, d. h. er behielt sein Vermögen, und seine Bücher - die Liebeskunst freilich nicht - waren weiterhin geduldet in Rom, ja auch die in Tomi entstandenen Gedichte wurden gelesen. Tu tamen i pro me et aspice Romam schickt er das neue Buch auf den Weg, das, da es ihm selbst nicht erlaubt ist, stellvertretend für ihn in die Heimat zurückkehren soll. Ob Relegation oder Exil, viele der Erfahrungen und Beobachtungen Ovids, das Leben in der Fremde betreffend, mussten auch den Exilautoren des letzten Jahrhunderts aufgefallen sein. Das Ich in den Tristia etwa und der in Paris lebende Komponist Trautwein in Lion Feuchtwangers Roman "Exil", nur um ein Beispiel von vielen zu nennen, leiden an derselben Krankheit, an der Sehnsucht nach Heimat.

Die Exilliteratur des 20. Jahrhunderts hat den Tristia erst so richtig den Boden bereitet. Zuvor brachten Philologen und Leser für den klagenden, so „unmännlich“ wirkenden Ovid kaum Verständnis auf. Anders Ossip Mandelstam: Er berief sich mit seiner gleichnamigen Gedichtsammlung auf den römischen Dichter, und infolge der Exilerfahrung so manch anderer schließlich erfuhr das Werk nach dem 2. Weltkrieg eine neue, positive Bewertung. Dabei hatte Ovid selbst maßgeblich zu der Ansicht beigetragen, sein Spätwerk reiche in sprachlicher Hinsicht an die in Rom entstandenen Bücher nicht heran. Manchen Philologen freilich ist anzulasten, Bescheidenheitsformeln wie die folgende in ihrer Bedeutung nicht erkannt zu haben: ipse mihi videor iam DEDIDIKIsse Latine: nam DIDIKI GetiKE SarmatiKEQUE loQUI (Mir kommt vor, ich hab das Lateinische schon verlernt, und dafür getisch und sarmatisch zu sprechen gelernt). Solche Aussagen gehören natürlich ins Reich des Topos, wenn Ovid behauptet, er beherrsche seine Muttersprache nicht mehr, aber gleichzeitig auf glänzende Weise die rauen Kehllaute der neuen Sprachen in der alten erklingen lässt. Oder mit Niklas Holzberg, dem Philologen: „So hört sich´s also an, wenn man mit seinem Latein am Ende ist.“

Ausgaben

  • P. Ovidi Nasonis Tristia, ed. John Barrie Hall. Stutgardiae, Lipsiae: Teubner, 1995. ISBN 3-8154-1567-5
  • Briefe aus der Verbannung. Übertragen von Wilhelm Willige. München, Artemis 1990. ISBN 3-7608-1659-2
  • P. Ovidi Nasonis Tristium libri quinque, Ibis, Ex ponto libri quattuor, Halieutica, Fragmenta, ed. S. G. Owen. Oxonii: Clarendon, 1915. Auch Nachdrucke.

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