Erdkunde

Erdkunde
Physische Weltkarte
Forschungsgegenstand der Geographie: Die Erde

Die Geographie (griechisch γεωγραφία geographia) oder Erdkunde ist die Wissenschaft, die sich mit der räumlichen Struktur und Entwicklung der Erdoberfläche befasst, sowohl in ihrer physischen Beschaffenheit wie auch als Raum und Ort des menschlichen Lebens und Handelns.[1] [2] Sie beschreibt und erklärt darüber hinaus, wie sich der Geographische Raum und die Vorgänge an der Erdoberfläche auf den Menschen auswirken. Sie entwickelt Konzepte zum Verständnis und zur Lösung von Problemen zwischen Mensch und Umwelt. Sie bewegt sich dabei oft an der Nahtstelle zwischen den Naturwissenschaften und den Sozialwissenschaften.

Gegenstand der Geographie ist die gesamte Geosphäre hinsichtlich ihrer Phänomene und Querverbindungen. Die mathematisch-physikalische bzw. biologische Erforschung ihrer Erscheinungen ist jedoch Gegenstand anderer Geowissenschaften wie Bodenkunde, Geodäsie, Geologie, Geophysik, Hydrologie, Ozeanographie oder Meteorologie.


Inhaltsverzeichnis

Geschichte der Geographie

Jan Vermeer: Der Geograph

Die Bedeutung geographischen Wissens wurde, soweit historisch überliefert, erstmals in der Antike von den Griechen erkannt. Von Anaximander aus Milet wird berichtet, dass er der erste war, der um 550 v. Chr. eine Karte der Erde und der Meere skizzierte. Herodot von Halikarnassos (484–424 v. Chr.) verfasste eine Vielzahl von geographischen Berichten. Claudius Ptolemäus (ca. 100 bis ca. 175) sammelte topographisches Wissen und gab Anleitungen für das Zeichnen von Karten. Die Erkenntnisse der Griechen nutzten die Römer weiter. Während des Mittelalters geriet die Geographie, wie andere Wissenschaftszweige auch, in Europa wieder in Vergessenheit. Lediglich aus dem Kaiserreich China und dem aufstrebenden Orient kamen neue Impulse.

Die neuzeitliche Geographie wurde von Bartholomäus Keckermann (1571–1608) und Bernhard Varenius (1622–1650) begründet. Sie entwickelten ein Begriffssystem, unterschieden „Allgemeine Geographie“ (geographia generalis) und die „Regionale Geographie“ bzw. Länderkunde (geographia specialis). Sie sahen Völker, Staaten und Orte in einem räumlichen, historischen und auch religiösen Kontext.

Das Zeitalter der Aufklärung förderte Erklärungsversuche von Naturerscheinungen durch Wissenschaftler wie Johann Gottfried Herder (1744–1803) und Georg Forster (1754–1794). Anton Friedrich Büsching (1724–1763) verfasste die elfbändige Neue Erdbeschreibung mit Beschreibungen der Länder und deren Wirtschaft. Alexander von Humboldt (1769–1859) und Carl Ritter (1779–1859) begründeten schließlich die moderne wissenschaftliche Geographie. Ferdinand von Richthofen (1833–1905) definierte die Geographie als „Wissenschaft von der Erdoberfläche und den mit ihr in ursächlichem Zusammenhang stehenden Dingen und Erscheinungen“. Die Geographen Alfred Kirchhoff (1838–1907) und Friedrich Ratzel (1844–1904) waren schon von Darwin geprägt.

George Perkins Marsh (1801–1882) erkannte bereits 1864 den Einfluss des Menschen auf die Natur im Gegensatz zur geodeterministischen Betrachtung. Elisée Reclus (1830–1905) entwickelte die Sozialgeographie, Paul Marie Vidal de la Blache (1845–1918) das Konzept des Possibilismus. Albrecht Penck (1859–1945) führte die Geomorphologie voran. Alfred Hettner (1859–1941) definierte die Geographie als Raumwissenschaft. Carl Troll (1899–1975), Karlheinz Paffen (1914–1983), Ernst Neef (1908–1986) und Josef Schmithüsen (1909–1984) entwickelten die Landschaftsökologie, Sebald Rudolf Steinmetz (1862–1940) die Soziographie, Karl Haushofer (1869–1946) die Geopolitik und Hans Bobek (1903–1990), Wolfgang Hartke (1908–1997) sowie Walter Christaller (1893–1969) die Wirtschafts- und Sozialgeographie weiter.

Durch diese wachsende Spezialisierung im 20. Jahrhundert entstand die Vielfalt der heutigen Teildisziplinen und insbesondere die Spaltung zwischen Physischer Geographie und Humangeographie. Seit den 1960er Jahren versteht sich die Geographie auch zunehmend als angewandte Wissenschaft und sucht ihre Themen im Zusammenhang mit Städtebau, Entwicklung des ländlichen Raumes, Raumplanung oder dem Umweltschutz.

Siehe auch: Liste der Entdecker, Geschichte der Kartographie, Geograph

Die verschiedenen Bereiche der Geographie

Unterteilung der Geosphäre

Die Geographie lässt sich in zwei große Bereiche einteilen − die Allgemeine Geographie und die Regionale Geographie.

Allgemeine Geographie

Die Allgemeine Geographie ist jener Teil der Geographie, welcher sich nomothetisch mit den Geofaktoren der Erdoberfläche (Geosphäre) beschäftigt. Im Mittelpunkt steht ein Geofaktor (z. B. Wasser, Boden, Klima etc.) und dessen Wechselwirkungen mit seiner Umwelt. Die allgemeine Geographie beschäftigt sich somit mit allgemeinen Gesetzmäßigkeiten in der gesamten Geosphäre.

Hierzu lassen sich zwei große Teilgebiete bilden − die Physische Geographie und die Humangeographie.

Physische Geographie

Die Physische Geographie (oder Physiogeographie) beschäftigt sich in erster Linie mit den natürlichen Bestandteilen und Strukturen der Erdoberfläche. Dabei wird die Tätigkeit des Menschen zur Erklärung der Landschaftsgenese auch behandelt.

Klimageographie: Klimaklassifikation nach Köppen und Geiger

Teilgebiete der Physischen Geographie sind unter anderem:

Humangeographie

Die Humangeographie (oder Anthropogeographie, oder Kulturgeographie) beschäftigt sich sowohl mit dem Einfluss des Menschen auf den geographischen Raum, als auch mit dem Einfluss des Raums auf den Menschen − beispielsweise im Zusammenhang mit der räumlichen Verteilung von Bevölkerung oder Wirtschaftsgütern. Leser (2001) definiert die Humangeographie als denjenigen „Teilbereich der Allgemeinen Geographie, der sich mit der Raumwirksamkeit des Menschen und mit der von ihm gestalteten Kulturlandschaft und ihren Elementen in ihrer räumlichen Differenzierung und Entwicklung befasst.“

Verkehrsgeographie: Die Daseinsgrundfunktionen

Teilgebiete der Humangeographie sind unter anderem:

Regionale Geographie

Die Regionale Geographie ist jener Teil der Geographie, welcher sich idiographisch oder typologisch mit bestimmten Teilgebieten der Erdoberfläche (Geosphäre) beschäftigt (siehe auch Landeskunde). Im Mittelpunkt steht somit eine Region, z. B. ein Land oder eine Landschaft, deren räumliche Strukturen, Prozesse und Funktionsweisen (Wechselwirkungen zwischen den Geofaktoren) erfasst und erklärt werden.

Die Regionale Geographie lässt sich unterteilen in:

Weitere Bereiche

Angewandte Geographie

Die Angewandte Geographie, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand, wird heute gelegentlich auch als dritter großer Bereich der Geographie bezeichnet. Gegenstand der Angewandten Geographie ist die Analyse und Planung räumlicher Strukturen und Prozesse, sowie die Lösung raumbezogener Probleme. Praktische Anwendungsgebiete sind beispielsweise die Raumplanung, die Entwicklungshilfe oder der Umweltschutz.

Geoinformatik

Ein neuer Teilbereich, der zunehmend Bedeutung in der Geographie erlangt und auch der Mathematischen Geographie zugerechnet werden kann, ist die Geoinformatik. Sie verwendet Methoden der Informatik bei der Bearbeitung geographischer Fragestellungen.

Aufgabenfelder der Geoinformatik sind:

  • Entwicklung, Erstellung und Pflege von Geographischen Informationssystemen (GIS): Mit ihnen werden räumliche Daten gesammelt, verarbeitet, ausgewertet und kartographisch dargestellt.
  • digitale Kartographie: Dieser Bereich beschränkt sich nur auf die Visualisierung räumlicher Daten.
  • Fernerkundung: Satelliten- oder luftfahrtgestützte Beobachtung der Erde mit Hilfe elektromagnetischer Strahlung, die von Sensoren erfasst wird.
  • Modellierung: Idealisierte Nachbildung realer Phänomene, um Prognosen zu erstellen (z. B. Klima- oder Abflussmodelle).
  • Statistik: Verwendung von Software-Werkzeugen, um Datensätze mit statistischen Methoden auszuwerten (siehe auch: Geostatistik).

Andere

Ästhetische Dimension

Obwohl sich die Geographie immer wieder neu verstanden und ausgerichtet hat, sieht Gábor Paál ein kontinuierliches Merkmal in der ästhetischen Grundlage, die der Wissenschaft zugrunde liegt.[3] Demnach ist es immer ein zentrales Motiv von Geographen gewesen, räumliche Muster zu erkunden und zu verstehen; und zwar insbesondere solche Muster, die sich in ihrer Größenordnung innerhalb des menschlichen Aktionsradius bewegen: Sie befasst sich mit Mustern „von der Größenordnung dessen, was das menschliche Augen ohne große Anstrengung noch erkennen kann bis zur gesamten Erdoberfläche.“[4]

Überschneidungen mit den Nachbarwissenschaften

Da die Geographie sehr interdisziplinär ist, und sowohl natur- und humanwissenschaftliche Themen als auch technisch-ingenieurwissenschaftlichen Methoden vereint, gibt es zahlreiche Überschneidungsbereiche mit ihren Nachbarwissenschaften.

So gibt es in der Physischen Geographie enge Verbindungen zu anderen Geowissenschaften wie Geologie, Meteorologie und Hydrologie sowie zu den Biowissenschaften Biologie und Ökologie. Die Humangeographie bezieht sich auf Inhalte von Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (Ökonomik, Soziologie, Geschichte) und liefert diesen Wissenschaften selbst Erkenntnisse zurück.

Überschneidungen zu den technisch-ingenieurwissenschaftlichen Fächern finden sich beispielsweise über die Informatik und die Geodäsie.

Schreibweise

Gemäß den neuen amtlichen Rechtschreibregeln wird der Wortbestandteil „-graph“ häufig zu „-graf“. Beide Schreibweisen sind korrekt. Traditionell wird in wissenschaftlichen Texten und unter Fachleuten überwiegend die Schreibweise mit „ph“ genutzt. So empfahl das Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Geographie einstimmig, die Schreibweise Geographie beizubehalten.

Zitate

„Es ist nichts, was den geschulten Verstand mehr kultiviert und bildet, als Geographie.“

Immanuel Kant

„Und er warf einen Blick um sich auf den Planeten des Geographen. Er hatte noch nie einen so majestätischen Planeten gesehen.“

Antoine de Saint-Exupéry: Der kleine Prinz

„Wie oft habe ich ihm schon gesagt, dass – abgesehen von jeglicher Berufsblindheit – das Charakteristische des Geographen meiner Meinung nach darin besteht, sich vorzugsweise auf fremdem Terrain zu verirren. .. weil der Geograph eine verirrte Persönlichkeit ist. Weil er sich nicht scheut zuzugeben, dass er vom Weg abgekommen ist, seine Veranlagung einzugestehen, die Ferne zu erkunden, ohne sich von der Stelle zu rühren.“

Brigitte Paulino-Neto: Die Melancholie des Geographen

Siehe auch

Portal
 Portal: Geographie – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Geographie
Portal
 Portal: Geowissenschaften – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Geowissenschaften

Literatur

  • Hans Gebhardt, Rüdiger Glaser, Ulrich Radtke, Paul Reuber (plus 130 Autoren): Geographie - Physische Geographie und Humangeographie. Spektrum Akademischer Verlag in Elsevier, Heidelberg 2006/2007, ISBN 3827415438. 
  • Hans Heinrich Blotevogel: Geographie. In: E. Brunotte, H. Gebhardt, M. Meurer, P. Meusberger, J. Nipper (Hrsg.): Lexikon der Geographie. Spektrum, Heidelberg 2002, ISBN 3-8274-0416-9. 
  • Hartmut Leser (Hrsg.): Wörterbuch Allgemeine Geographie. DTV und Westermann, München 2005, ISBN 3-423-03422-X. 
  • Katharina Fleischmann; Ulrike Meyer-Hanschen, Stadt Land Gender: Einführung in feministische Geographien, Königstein/Taunus: Helmer, 2005, ISBN 1-4051-0186-5

Einzelnachweise

  1. Diercke, Wörterbuch der Allgemeinen Geographie.
  2. Blotevogel: Geographie, S. 15
  3. Paál, Gábor (1994): Die ästhetische Grundlage der Geographie und ihre Bedeutung im Geographieunterricht. Z. f. d. Erdkundeunterricht, 46, 226-29. Berlin.
  4. Gábor Paál: Was ist schön? Ästhetik und Erkenntnis., Würzburg 2003, S. 169-174 ("Fallstudie Geographie")

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