Erinnerungsarbeit

Erinnerungsarbeit

Erinnerungsarbeit ist eine Arbeits-Methode sich als Subjekt zu dekonstruieren und kritisch seine eigenen − scheinbar authentischenErfahrungen zu hinterfragen und neu zu ordnen, neu zu erzählen. Eine solche Dekonstruktion schließt selbstverständlich nicht aus, dass die Persönlichkeit des Sich-Erinnernden in ihrer lebensgeschichtlichen Integrität neu gefestigt wird.

Inhaltsverzeichnis

Kollektive Erinnerungsarbeit

Als sogenannte kollektive Erinnerungsarbeit wurde sie im Zusammenhang mit der deutschen Frauenbewegung (Feminismus) in den 1970er Jahren vorgestellt. Sie wurde von Frigga Haug und Kornelia Hauser entwickelt.

Methode: In einer Gemeinschaft werden Texte über sich selbst in der dritten Person geschrieben, um möglichst wenig als selbstverständlich vorauszusetzen. Anhand eines konkreten Themas, etwa "wie mich ein Film berührte, den ich schlecht fand", diskutiert wurde hier Pretty Woman, wird erarbeitet, wie sich Frauen widersprüchlich in die Gesellschaft einarbeiten, wie Sprache nicht nur als Werkzeug, sondern wie die Sprache auch mit den Subjekten "arbeitet" (vgl. Poststrukturalismus), konkret etwa:

  • Aktiv- und Passivformen der Verben
  • Werden Gefühle als passiv erlitten/erduldet?
  • Klischees und Phrasen

Es geht darum, "Erinnerung zur Befreiung zu nutzen" (Haug).

Individuelle Erinnerungsarbeit

In der klassischen Form der Autobiografie wurde sie seit der Antike geübt, im 20. Jahrhundert etwa von Bernward Vesper mit "Die Reise" (Hamburg 1983), Anna Wimschneider mit "Herbstmilch" (München 1985) und Ruth Klüger mit "Weiter leben: eine Jugend" (Göttingen 1992). Eine eigenwillige Form hat jüngst Horst Fleig in seinem Buch "Odyssee in die Kindheit" (Norderstedt 2006) erprobt. Es trägt den Untertitel "Selbstversuch zur Erinnerungsbeschreibung" und weist darin auf eine Doppelform der Erinnerungsdarbietung hin: Zum einen ist es der schriftliche Erinnerungsprozeß, der so weit wie eben möglich in der Perspektive und Sprache des (damaligen) Kindes durchgeführt wurde; und zum anderen, als Text typographisch abgesetzt, der laufende Kommentar des Erwachsenen, der dies und das aus seiner entwickelteren Perspektive zu ergänzen, zu berichtigen und zu interpretieren weiß - dies nicht zuletzt dank vieler Gespräche mit ehemaligen Weggefährten. Diese mehrjährige Erinnerungsbeschreibung gab einige seelische Konstanten bei der Erinnerungsbildung zu erkennen, die von der Psychologie wie auch von Erinnerungsvirtuosen wie Marcel Proust offenbar übersehen oder nicht recht gewürdigt wurden. Dazu gehören vor allem:

  • vor dem inneren Auge wie automatisch ablaufende Erinnerungsprozesse an bestimmte frühkindliche Lebensbereiche; sie fassen eine Serie von zeitlich auseinanderliegenden Erlebnisszenen in einer festen räumlich-visuellen Abfolge zusammen und präsentieren so einen Lebenszeitraum, der in dieser Kohärenz und Ereignisdichte nie zu erleben war, doch offenbar die Quintessenz des dort einst Erfahrenen festhält;
  • gewisse hartnäckige Phantasiebilder ("Auraphantasien" und "Alter-Ego-Figuren"), die sich im Lauf der Zeit nahezu unbemerkt um unsere Lebenszentren zu lagern pflegen, insbesondere um die wechselnden Wohnbereiche und Schulen;
  • die verdeckte und doch dominierende Rolle, die überhaupt die Phantasie über die Jahrzehnte hin für unsere weithin unbewusst verlaufende Erinnerungsbildung sowie für die Bewältigung gravierender Seelen- und Lebenskonflikte spielt.
  • die eigenen Begleitträume, die bei einem so langwierigen Erinnerungsprozeß als Erkenntnisquellen ernst zu nehmen sind.

Siehe auch

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