Ernst May

Ernst May

Ernst May (* 27. Juli 1886 in Frankfurt am Main; † 11. September 1970 in Hamburg) war ein deutscher Architekt und Stadtplaner. Zwischen 1925 und 1930 war er als Siedlungsdezernent der Stadt Frankfurt verantwortlich für die Schaffung wegweisender Siedlungen mit erschwinglichem Wohnraum.

Inhaltsverzeichnis

Ausbildung

May kam 1886 als Sohn eines Herstellers von Lederwaren zur Welt, der schon früh sein künstlerisches Interesse förderte. Auf Anraten seines Vaters begann er 1908 am University College London mit dem Studium der Architektur, kam aber noch im selben Jahr wieder zurück nach Deutschland um in Darmstadt seinen Wehrdienst abzuleisten. Im Anschluss blieb er dort und setzte an der Technischen Hochschule Darmstadt sein Architekturstudium fort. 1910 ging er für ein Praktikum bei Raymond Unwin wieder nach Großbritannien, lernte dort während der Arbeit an der Siedlung Hampstead die Prinzipien der Gartenstadtbewegung kennen und übersetzte Unwins Werk Grundlagen des Städtebaus ins Deutsche. 1912 kehrte er nach Deutschland zurück und beendete sein Studium an der Technischen Hochschule München bei Friedrich von Thiersch und Theodor Fischer, einem Mitbegründer des Deutschen Werkbundes.

Die ersten Jahre

Ab 1913 arbeitete May als selbständiger Architekt in Frankfurt am Main, wurde jedoch 1914 als Soldat einberufen. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er als Technischer Leiter der Schlesischen Landesgesellschaft in Breslau und beschäftigte sich dort mit der Förderung bäuerlicher Landsiedlungen. 1921 nahm er an einem städtebaulichen Wettbewerb für einen Generalbebauungsplan für Breslau teil, der ihm einen Auftrag für den Entwurf eines Bebauungsplanes für den Landkreis Breslau einbrachte. Mays Tätigkeit in dieser Zeit ist mit dem Begriff der Trabantenstadt verbunden. Unter diesem Begriff verstand May eine von der Kernstadt räumlich losgelöste, jedoch durch Eisenbahnstrecken rasch erreichbare Stadterweiterung mit einem hohen Maß an Eigenständigkeit, wie z.B. eigenen Arbeitsstätten.

Aufgrund des von ihm dort vorgeschlagenen innovativen Konzepts der dezentralen Siedlungen wurde er 1925 als Stadtbaurat in seine Heimatstadt Frankfurt am Main berufen, wo er unter Oberbürgermeister Ludwig Landmann das Hochbau- und Siedlungsamt leitete. Dort war für das gesamte Bauwesen der Stadt von der Stadt- und Regionalplanung über Hoch- und Tiefbau bis hin zum Garten- und Friedhofswesen zuständig.

Frankfurt

Siedlung Römerstadt, Frankfurt a. M.
Ende des „Rundling“, Frankfurt-Römerstadt
Wohngebäude der Siedlung Bornheimer Hang vom Bornheimer Hang aus gesehen
Endhaltestelle Ernst-May-Platz in Frankfurt-Bornheim
Villa May in Frankfurt-Ginnheim

Um die Wohnungsnot in Frankfurt zu lindern, initiierte May unter Ausnutzung seiner neuen Machtfülle das großangelegte Wohnungsbauprogramm „Neues Frankfurt“, das auf zehn Jahre angelegt war. Zusammen mit Martin Elsaesser und einem großen Stab an fortschrittlichen Architekten suchte May nach Wohn- und Siedlungskonzepten, die nicht nur erschwinglichen Wohnraum schaffen, sondern auch die sozialen und hygienischen Probleme des herkömmlichen Wohnungsbaus vermeiden sollten. May und seine Mitarbeiter setzten dabei auf eine einfache und industrialisierte Bauweise mit vorgefertigten Bauteilen, funktional optimierten Grundrissen und einem hohen Freiraumbezug mit einer aufgelockerten Zeilenbauweise und Dachterrassen. Er verknüpfte dabei die Ansätze der Gartenstadtbewegung mit den Zielen des Neuen Bauens.

„Die Architekten des Neuen Bauens eint über alle Grenzen der Länder hinaus ein warm empfundenes Herz für alle Menschen in Not, sie sind ohne soziales Empfinden undenkbar, ja man kann geradezu sagen, daß diese Schar die sozialen Momente bewußt in den Vordergrund des Neuen Bauens stellt.“
Ernst May in Das Neue Frankfurt 1928

Im Rahmen der Optimierung von Funktionsabläufen entsteht auch die von Margarete Schütte-Lihotzky entworfene Frankfurter Küche, eine Vorläuferin der heutigen Einbauküchen, die alle relevanten Funktionen der Küche platzsparend auf kleinster Fläche unterbringt.

Kernstück des großen Stadtentwicklungsprojekts war das Niddatal-Projekt, das die bekanntesten und größten Siedlungen Römerstadt, Praunheim, Westhausen, Bornheimer Hang, Höhenblick, das Anwesen am Dornbusch an der Fallersleben- Ecke Raimundstraße sowie der Miquelallee umfasst. Obwohl sich der Frankfurter Architekten- und Ingenieurverein deutlich gegen eine Bebauung des überschwemmungsgefährdeten Niddatals aussprach, setzte May sein Konzept durch, da dieser Ort einen günstigen Baulandpreis bot und ihm ermöglichte, in einem größeren Maßstab mehrere Siedlungen zu planen und diese landschaftlich in den bestehenden Grünzug einzupassen.

Besonders in der Anordnung der Baukörper gelang es May trotz einfacher Grundelemente individuelle Akzente zu setzen - so wurden in Praunheim die Zeilen noch rechtwinklig angeordnet, in der Siedlung Römerstadt geschwungen an den Verlauf der Nidda angepasst und in der Siedlung Bruchfeldstraße sägezahnartig, weshalb sie im Volksmund auch „Zickzackhausen“ genannt wird.

1923 wurde das Wohnhaus von Ernst May in der Ludwig-Tieck-Str. 11 in der Siedlung Höhenblick in Frankfurt-Ginnheim gebaut. Das Gebäude ist bis heute eine private Villa.

Die Bauprojekte begleitend gab May ab 1926 mit anderen zusammen die Zeitschrift Das Neue Frankfurt heraus, die als Sprachrohr und zur breiten und leicht verständlichen Information der Bevölkerung dienen sollte. Darin vertrat er eine Abkehr von den überkommenen Wohn- und Gestaltungsvorstellungen.

Insgesamt entstanden unter May innerhalb von fünf Jahren rund 15.000 neue Wohnungen. Nicht zuletzt aufgrund seiner großen Erfolge wurde Frankfurt am Main im Jahr 1929 zum Tagungsort des zweiten CIAM-Konferenz Die Wohnung für das Existenzminimum. Obwohl das große Wohnungsbauprojekt noch nicht abgeschlossen war, kam es Ende der 1920er Jahre infolge der Weltwirtschaftskrise zum Erliegen.

Sowjetunion und Afrika

1930 wurde May von der Regierung der Sowjetunion eingeladen, in Russland zu arbeiten, und gemeinsam mit einer Reihe von Mitarbeitern wie Erich Mauthner aus Wien und Gustav Hassenpflug (Brigade May) folgte er der Einladung. Bis 1933 entwarf er mehrere Generalbebauungspläne neuer Industriestädte in Sibirien, u.a. für Magnitogorsk, Leninsk-Kusnezki und Kusnezk. Seine unprätentiösen Entwürfe führten zu Meinungsverschiedenheiten und mit dem Ablauf seines Arbeitsvertrages 1933 verließ er die Sowjetunion.

In Deutschland waren unterdessen die Nationalsozialisten an die Macht gekommen, die die Modernität des Neuen Bauens ablehnten und einen Heimatstil propagierten, weshalb May nicht nach Deutschland zurückkehrte, sondern nach Kenia emigrierte, wo er ein Stück Land erwarb und Kaffee, Getreide und Pyrethrum anbaute. Ab 1937 machte er die gelegentlichen Architekturprojekte wieder zu seiner Hauptbeschäftigung und eröffnete ein Büro in Nairobi, wo er bis zu seiner Internierung durch die Briten 1939 arbeitete. von 1940 bis 1942 war er in Südafrika interniert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann May wieder als Architekt und Stadtplaner zu arbeiten.

Nachkriegszeit

Nach den großen Kriegszerstörungen in Deutschland beteiligte sich May am Wiederaufbau. Von 1954 an bis 1956 leitete er die Planungsabteilung der Neuen Heimat in Hamburg. Mehrere der bekanntesten deutschen Nachkriegssiedlungen und Wiederaufbauplanungen, wie Neu-Altona in Hamburg und die Neue Vahr in Bremen sind mit seinem Namen verbunden. Mit dem Wettbewerb Umgebung Fennpfuhl (1956-57) gewann May den einzigen städtebaulichen Wettbewerb, an dem ost- und westdeutsche Architekten gleichberechtigt teilnehmen konnten. Dabei orientierte sich May nun an den aktuellen Leitbildern der gegliederten und aufgelockerten Stadt und des Organischen Städtebaus und nahm Abstand von dem Wohnungsbau der 1920er Jahre. In den 1960er Jahren und bis zu seinem Tod im Jahr 1970 war May an mehreren Projekten zur Flächensanierung älterer Stadtteile und an Planungen für verdichtete Wohnsiedlungen beteiligt, die dem Leitbild Urbanität durch Dichte folgten. May veröffentlichte neben seiner Tätigkeit als Architekt und Städtebauer zahllose Artikel und Beiträge zu Büchern. Seit 1957 war May Honorarprofessor der TH Darmstadt.

Heutige Würdigung

Ernst-May-Haus

In der Siedlung Römerstadt in Frankfurt am Main wurde ein unter der Leitung Mays entworfenes Reihenhaus aus den 1920er Jahren als Ernst-May-Haus von dem Verein Ernst-May-Gesellschaft e. V. denkmalgerecht saniert. Das Haus in der Straße Im Burgfeld 136 wurde im Jahr 2010 fertiggestellt und der Öffentlichkeit vorgestellt.

Am 15. August 2010 nahm es auch an der Veranstaltungsreihe 2010 der Route der Industriekultur Rhein-Main teil. Herausgestellt wurde dabei insbesondere die Frankfurter Küche als Prototyp der modernen Einbauküche und der Beitrag von Ernst May zum modernen Wohnungsbau unter Berücksichtigung sozialer Grundbedürfnisse der Bevölkerung.

Ernst-May-Platz

1995 wurde in Frankfurt-Bornheim im Zentrum einer seiner Siedlungen ein Platz nach May benannt. Die dortige Endhaltestelle der Linie 14 der Frankfurter Straßenbahn wurde durch den Betreiber Stadtwerke Frankfurt von Inheidener Straße nach Ernst-May-Platz umbenannt.

Projekte

  • Villa May, Frankfurt am Main, 1925
  • Villa Elsaesser, Frankfurt am Main, 1925–1926
  • Siedlung Höhenblick, Frankfurt am Main, 1926–1927
  • Siedlung Bruchfeldstraße, Frankfurt am Main, 1926–1927
  • Siedlung Riederwald, Frankfurt am Main, 1926–1927
  • Siedlung Praunheim, Frankfurt am Main, 1926–1928
  • Siedlung Römerstadt, Frankfurt am Main, 1926–1928
  • Wohnsiedlung Bornheimer Hang, Frankfurt am Main, 1926–1930
  • Heimatsiedlung, Frankfurt am Main, 1927–1934
  • Hellerhofsiedlung, Frankfurt am Main, 1929–1932
  • Röderberg-Reformschule, Frankfurt am Main, 1929–1930
  • Siedlung Westhausen, Frankfurt am Main, 1929–1931
  • Anwesen Dornbusch, Frankfurt an Main, 1927–1931
  • Kenwood House, Nairobi, Kenia, 1937
  • Haus für eine afrikanische Familie, 1945
  • Siedlung St. Lorenz-Süd, Lübeck, 1954–1957
  • Siedlung Grünhöfe, Bremerhaven, 1954–1960
  • Neu Altona, Hamburg, 1955–1960
  • Gartenstadt Vahr, Bremen, 1954–1957
  • Neue Vahr, Bremen, 1956–1961
  • Wettbewerb Umgebung Fennpfuhl, Berlin-Lichtenberg, 1956–1957
  • Siedlung Parkfeld, Wiesbaden, 1959–1970
  • Siedlung Heidberg (Braunschweig), Braunschweig, 1961–1965
  • Siedlung Rahlstedt-Ost, Hamburg, 1960–1966
  • Siedlung Klarenthal, Wiesbaden, 1960–1965
  • Siedlung Kranichstein, Darmstadt, 1965–1970

Ausstellung

Veröffentlichungen

  • Ernst May: Unser Ziel, die Stadt von morgen, sieben Beiträge aus sozialer Verpflichtung in Stadt Nr. 2/1986, Seiten 10-26
  • Ernst May: von Frankfurt nach dem Neuen Russland in Bauwelt Nr. 48/1987, Seiten 1807-1809

Ernst-May-Preis

Seit 1988 vergeben die Nassauischen Heimstätten den Ernst-May-Preis für besonders sozial orientierten Wohnungs- und Städtebau an Architektur-Studenten der TU Darmstadt. Er ist mit 2.500 Euro dotiert.

Literatur

  • Eckhard Herrel: Ernst May - Architekt und Stadtplaner in Afrika 1934-1953, Ausstellungskatalog, Wasmuth Verlag, 2001, (= Schriftenreihe zur Plan- und Modellsammlung des Deutschen Architektur-Museums in Frankfurt am Main ; 5) ISBN 3803012031
  • Ernst May und das Neue Frankfurt 1925-1930, Ausstellungskatalog, Hrsg. von Heinrich Klotz. Ernst und Sohn, Berlin 1986, ISBN 3433022542
  • Christoph Mohr und Michael Müller: Funktionalität und Moderne. Das Neue Frankfurt und seine Bauten 1925-1933, R. Müller Verlag, Köln 1984, ISBN 3481501714
  • K. C. Jung, D. Worbs, M. Schütte-Lihotzky, F. C. F. Kramer, L. Kramer, C. Mohr, P. Sulzer, J. Ganter, H. Blumenfeld, R. Hillebrecht, C. Farenholtz: Lebenslang für die "grosse Sache": Ernst May 27. Juli 1886 - 11. September 1970 in Bauwelt Nr. 28/1986, Seiten 1050-1075
  • K. C. Jung, D. Worbs: Ernst Mays "Neue Heimat" in Bauwelt Nr. 33/1991, Seiten 1688-1689
  • Justus Buekschmitt: Ernst May. Bauten und Planungen, (= Bauten und Planungen ; 1) Stuttgart 1963
  • Florian Seidel: Wohnklima. Siedlungsplanungen Ernst Mays in den Jahren 1954-1970. Ausstellungskatalog. München 2006. ISBN 978-3-00-020168-4
  • Florian Seidel: Ernst May: Städtebau und Architektur in den Jahren 1954-1970. TU München 2008, Dissertation (PDF-Datei; 7,43 MB)
  • Helen Barr, Ulrike May, Rahel Welsen: Das neue Frankfurt. B3 Verlag, Frankfurt, 2007, ISBN 978-3-938783-20-7
  • UNSERE STÄDTE SIND KRANK. In: Der Spiegel. Nr. 52, 1963 (25. Dezember 1963, Interview, online).

Weblinks

 Commons: Ernst May – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Frankfurter Küchen für Nairobi in: FAZ vom 27. Juli 2011, Seite 37
  2. Doch die Dächer sieht man nicht in: FAZ vom 4. August 2011, Seite 31

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