Ethnischer Proporz (Südtirol)

Ethnischer Proporz (Südtirol)

Der ethnische Proporz (italienisch proporzionale etnica) dient in Südtirol dazu, um die Gleichberechtigung bei der Stellenvergabe von öffentlichen Ämtern zwischen der deutsch-, ladinisch- und italienisch-sprachigen Bevölkerung sicherzustellen.

Außerdem gilt der Proporz, mit dem gleichen Ziel, um gewisse Rechte geltend zu machen, beispielsweise bei der Vergabe von Sozialwohnungen und Wohnbauförderung.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

In den 1920er und 1930er Jahren wurden die deutschsprachigen Südtiroler aus den öffentlichen Ämtern verdrängt und weitestgehend ferngehalten.

Obwohl das Pariser Abkommen die Gleichbehandlung der deutschen Südtiroler forderte, waren noch 1972 über 90 % der staatlichen Ämter mit Italienern besetzt (nur 662 von 7131 Stellen waren von Deutschen besetzt). Bei den Landesämtern waren die deutschen Muttersprachler angemessener vertreten.

Auch bei der Vergabe von Sozialwohnungen waren italienische Muttersprachler bevorzugt. Im Jahr 1984, also über 10 Jahre nach Verabschiedung des Südtirol-Paketes, waren 68,4 % der 12.024 Wohnungen von Italienern bewohnt.

Das Südtirol-Paket 1972 und dessen Umsetzung

Das 1972er Statut für Trentino-Südtirol, das die Landeskompetenzen deutlich stärkte und Südtirol mit finanzieller Autonomie ausstattete, sieht vor, dass die Stellenpläne in der öffentlichen Verwaltung den „Bürgern jeder der drei Sprachgruppen vorbehalten [sind] und zwar im Verhältnis zur Stärke der Sprachgruppen, wie sie aus den bei der amtlichen Volkszählung abgegebenen Zugehörigkeitserklärung hervorgeht“ (Art. 89 Abs. 3).

Die Durchführungsbestimmung zum Proporz (D.P.R. Nr. 752/1976) sieht darüber hinaus ein Vorrecht für Kandidaten vor, welche bereits seit mindestens zwei Jahren in Südtirol ansässig sind.

Die erste Volkszählung, die von der Zugehörigkeitserklärung begleitet wurde, geht auf das Jahr 1981 zurück. Es folgten die von 1991 und 2001.

Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung

Geografische Verteilung der Sprachgruppen in Südtirol gemäß der Volkszählung des Jahres 2001.

Anlässlich der Volkszählung müssen alle in Südtirol wohnhaften Bürger und Bürgerinnen, die das 14. (vormals 18.) Lebensjahr vollendet haben und nicht wegen Geisteskrankheit entmündigt sind, eine persönliche Erklärung abgeben, mit der sie

  • die Zugehörigkeit oder
  • Zuordnung zu einer der drei Sprachgruppen

bekannt geben (Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 752/1976 abgeändert mit gesetzesvertretendem Dekret Nr. 99/2005).

Die Zuordnung zu einer Sprachgruppe wurde für jene Personengruppen vorgesehen, die sich zu keiner der drei Sprachgruppen bekennen möchten, hat aber dieselben Auswirkungen.

Für die Bürger, die das 14. Lebensjahr nicht vollendet haben, wird die Erklärung von den Eltern abgegeben. Wenn die Eltern zwei verschiedenen Sprachgruppen angehören und sich nicht einigen, müssen sie für ihr Kind keine Erklärung abgeben.

Die abgegebene Erklärung hat bis zur nächsten Volkszählung, also zehn Jahre, Gültigkeit. Jedoch kann man seit 2005 die Erklärung jederzeit ändern. Um Missbrauch zu vermeiden, tritt die Änderung erst nach 2 Jahren in Kraft.

Sprachverteilung nach Sprachgruppenzugehörigkeits- und -zuordungserklärungen

Sprache 1991 2001
Deutsch 67,99 % 69,15 %
Italienisch 27,65 % 26,47 %
Ladinisch 4,36 % 4,37 %

Die nächste Volkszählung in Südtirol und damit einhergehende Erhebung des ethnischen Proporzes findet am 9. Oktober 2011 statt. Spannungen zwischen den Sprachgruppen blieben im Vorfeld der Befragung im Gegensatz zu den vorangegangenen Zählungen bisher aus. Als Grund dafür nimmt man die erstmalige Erhebung aus rein statistischen Zwecken an, da die Sprachgruppenzugehörigkeit seit 2005 jederzeit geändert werden kann. [1]

Der Proporz bei der Stellenvergabe

Der Proporz gilt nicht nur für öffentliche Ämter der Landesverwaltung, sondern auch für die staatlichen Einrichtungen innerhalb des Landes. Auch beim Zugang zum Richteramt findet der Proporz Anwendung: Ausnahme ist das Verwaltungsgericht, wo die eine Hälfte der Richter deutsch-, die andere Hälfte italienischsprachig ist. Auch bei ehemaligen Staatsunternehmen, die heute privatisiert sind, wird der Proporz angewendet. Das gilt zum Beispiel für Post und Eisenbahn.

Der Proporz ist allerdings allgemein gelockert worden, für den Fall dass es innerhalb einer Sprachgruppe zu wenige Bewerber gibt.

Nach den Ergebnissen der Volkszählung von 2001 stehen von 100 Stellen 69 der deutschen, 27 der italienischen und 4 der ladinischen Sprachgruppe zu.

Keinerlei Anwendung findet der Proporz im Falle der rund 4.000 Beschäftigten der Behörden des Innen- und Verteidigungsministeriums: Regierungskommissariat, Quästur (Polizeipräsidium), sonstige Polizei- und Militäreinrichtungen.[2]

Kritik

Vor allem von italienischsprachiger Seite wird der Proporz immer wieder kritisiert, da die Italiener dadurch nicht so viele Stellen im öffentlichen Dienst erhalten wie vor der Einführung des Proporzes.

Andere Kritik setzt an bei der immer noch mangelnden Flexibilität dieser Regelung. So kommen in Bozen, aber auch auf Landesebene, geeignete Leute nicht zu leitenden Aufgaben, weil sie der „falschen“ Sprachgruppe angehören. Aus diesem Grund werden Ausschreibungen für technische Berufe oder leitende Ärzte im Krankenhaus in letzter Zeit nicht mehr nach Sprachgruppe, sondern (nur) nach Fähigkeiten ausgeschrieben. Davon unberührt bleibt das Prinzip, dass das Verhältnis der Sprachgruppen im Einzugsbereich dem Verhältnis der Sprachgruppen auf allen Ebenen des öffentlichen Dienstes entsprechen muss.

Einzelnachweise

  1. http://www.provinz.bz.it/land/landesregierung/1838.asp?aktuelles_action=4&aktuelles_article_id=370322
  2. ASTAT - Die öffentlich Bediensteten in Südtirol - 2000-2004

Weblinks


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