Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands

Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands
Dom-Kathedrale in Riga

Die Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands (lettisch: Latvijas Evaņģēliski Luteriskā Baznīca) ist die von der Anzahl ihrer Mitglieder her bedeutendste religiöse Gemeinschaft in Lettland.

Inhaltsverzeichnis

Verbreitung

Die Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands hat nach eigenen Angaben 580.000 Mitglieder (2006).[1] Der Kommunikationsausschuss lutherischer Minderheitskirchen gibt für Januar 2005 600.000 Lutheraner an, davon 50.000 aktive Mitglieder.[2] Das Forschungsinstitut „Glaube in der 2. Welt“ gibt an, dass die lettische lutherische Kirche von 2004 bis 2007 24.500 neue Mitglieder gewonnen habe (11.133 Austritte in derselben Zeit) und damit in drei Jahren um 6 % auf 250.000[3] Mitglieder angewachsen sei. Somit sei sie eine der wenigen lutherischen Kirchen in Europa, die im 21. Jahrhundert wachse.[4]

Organisation

Die Evangelisch-Lutherische Kirche von Lettland wird von einem Erzbischof geleitet, seit 1993 Jānis Vanags. 2006 hat die Synode beschlossen, neben dem Erzbistum Riga die Bistümer Daugavpils und Liepāja zu schaffen. Am 13. Oktober 2007 wurden die an der Synode im Juni 2007 gewählten Bischöfe Einārs Alpe und Pāvils Brūvers geweiht.[5]

In der neuen Organisation umfasst die Erzdiözese von Riga sieben Propsteien um Riga und Vidzeme, die Diözese von Liepāja sechs Propsteien in den Regionen Kurzeme und Zemgale im Westen Lettlands und die Diözese von Daugavpils drei Propsteien in den Regionen Latgale und Sēlija im Süden.

Die Evangelisch-Lutherische Kirche von Lettland besteht aus 300 Gemeinden. Für 2006 werden ca. 140 Pastoren und 40 nicht-ordinierte Evangelisten angegeben. Die Lettische Kirche lehnt sich an die Pfarrerdienstordnung der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche an, zu der sie eine vertraglich geregelt Partnerschaft unterhält.

Geschichte

Die erste lutherische Gemeinde wurde bereits 1523 in Riga gegründet; die lutherische Kirche war jedoch vorerst weitgehend eine Kirche der herrschenden deutschsprachigen Minderheit. Zu einer Erweckung (und nach manchen Quellen sogar zur eigentlichen Christianisierung) der lettischsprachigen Bevölkerung kam es im 18. Jahrhundert durch die Mission der Herrnhuter Brüdergemeine.[6]

Die Geistlichkeit der lutherischen Kirche blieb weitgehend deutsch geprägt. Der deutschbaltische Pfarrer Oskar Schabert zählt unter den Evangelischen Geistlichen, die 1905/1906 und während der bolschewistischen Herrschaft getötet wurden, zahlreiche Deutschbalten aber nur sieben Letten auf.[7]

Mit der Gründung des lettischen Staates wurden die 194 lettischen Gemeinden und die 20 rein deutschsprachigen Gemeinden zu einer einzigen lutherischen Kirche vereinigt. 1922 wurden vom schwedischen Bischof Nathan Söderblom der von der Synode gewählte Kārlis Irbe zum Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche konsekriert und gleichzeitig P. Pölchau zum Bischof der deutschen Gemeinden. Durch die von der lettischen Regierung durchgeführte Agrarreform verloren die Kirchengemeinden einen großen Teil ihres Grundbesitzes, und die Kommunen wurden von obligatorischen Abgaben an die Kirchengemeinden befreit. Der Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche erhielt das Nutzungsrecht auf den Dom zu Riga. An der neu gegründeten Lettischen Universität wurde eine theologische Fakultät geschaffen, in der bis 1934 über 100 Pfarrer ausgebildet wurden.[1] Bischof Irbe gründete das von der liberalen theologischen Fakultät unabhängige konservative Herder-Institut, das auf die Ausbildung für den Kirchendienst ausgerichtet war. Dieses Seminar blieb im Untergrund auch während der sowjetischen Herrschaft aktiv.[8]

1932 entschied sich die Kirche für ein einziges Oberhaupt, und Teodors Grīnbergs wurde zum Erzbischof der evangelisch lutherischen Kirche Lettlands gewählt.[1]

Durch den Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche schwer beeinträchtigt. 1944 mussten Erzbischof Grīnbergs und die Kirchenverwaltung auf Druck des deutschen Sicherheitsdiensts das Land verlassen, etwa sechzig Prozent der evangelischen Pastoren flohen vor der Roten Armee. Die Kirchenleitung übernahm Propst Kārlis Irbe (1885–1966). Bald nach Beginn der sowjetischen Herrschaft wurden Irbe und andere aktive Geistliche deportiert, so dass die Kirche etwa 80 % ihrer Geistlichen verlor. 1954 erzwang die Sowjetunion eine Änderung der Kirchenverfassung, Erzbischof Grīnbergs wurde zur Abdankung gezwungen und Gustavs Tūrs zum Erzbischof gewählt. Um 1967 zählte die Lettische Evangelisch-Lutherische Kirche 400.000 bis 450.000 Mitglieder mit ca. 90 Pastoren.[9] Das Leben der Kirche war auf das Abhalten von Sonntagsgottesdiensten in den Kirchen beschränkt.

Unter der Perestroika kam es wieder zu einer radikalen Veränderung in der Haltung der Menschen zur Kirche. Religion, Bibel und Christentum wurden auch in den Medien wieder zum Thema, und die Zahl der Gottesdienstbesucher stieg anfänglich stark an. Die lutherische Kirche hatte jedoch viel zu wenige Geistliche, die noch dazu nicht für diese neue Erwartungen an die Kirche ausgebildet waren. Dazu kam, wie bei praktisch allen Kirchen des früheren Ostblocks, die innere Spaltung zwischen den während der Zeit des Kommunismus entstandenen Flügeln der „Märtyrer“ und der „Kollaborateure“. Auf der Synode 1989 ersetzte Kārlis Gailitis den bisherigen Erzbischof Eriks Mesters, und das gesamte Konsistorium wurde ausgewechselt, was für die Kirche einen von der Vergangenheit unbelasteten Neuanfang ermöglichte. Eine Umfrage von 1999 ergab, dass die Kirche von den Letten vor Fernsehen, Presse und Parlament als die glaubwürdigste Institution angesehen wurde.[10] Es gelang jedoch trotz des Pfarrermangels, insbesondere mit der Hilfe der Nordelbischen Kirche, in allen Kirchengemeinden Sonntagsschulen einzurichten, Krankenhaus- Gefängnis und Militärseelsorge, Blaukreuzarbeit und Telefonseelsorge und die lokale diakonische Arbeit neu aufzubauen.[11]

Allmählich wurden aber auch theologische Unterschiede sichtbar, die Juris Rubenis folgendermaßen beschreibt: während die westlichen Kirchen über eine fortgeschrittene Theologie verfügte, durch die sich jedoch die Basis oft nicht angesprochen fühlte, hatte die lettische Kirche einen lebendigen Glauben, volle Kirchen, aber kaum Theologen, die die existenzielle Erfahrung der Kirche während der Zeit des Kommunismus theologisch kommunizieren konnten.[10]

Ökumene

Die Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands gehört dem Weltkirchenrat und der Konferenz Europäischer Kirchen an.

Sie ist Mitglied des Lutherischen Weltbunds und in voller Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft mit der Lutheran Church – Missouri Synod.

Verhandlungen bezüglich Mitgliedschaft in der Porvoo-Gemeinschaft werden gegenwärtig geführt.

Kontroversen

Frauenordination

Die Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands nimmt bezüglich der Frauenordination eine ablehnende Haltung ein, wie einige andere lutherische Kirchen weltweit auch. Jānis Matulis (Erzbischof 1969–1983) ordinierte einige Pastorinnen, was in der Kirche ziemliche Überraschung und Opposition hervorrief.

Sein Nachfolger Eriks Mesters (Erzbischof 1983–1989) war persönlich gegen Frauenordination und wurde von der Pfarrerschaft gebeten, keine Frauen zu ordinieren. Der Erzbischof verzichtete auf die Ordination von Frauen, bezog jedoch keine klare Stellung in der Frage; es kam zu einem Moratorium. Eine von der Synode bestimmte Kommission von fünf Pastoren entschied sich 3:2 gegen die Frauenordination.

Auf der Synode 1989, die Mesters abwählte und Karlis Gailitis zum neuen Erzbischof wählte, wurde gegen Ende der Synode ohne Beratung abgestimmt, die Frauenordination zuzulassen. Gailitis war ein starker Befürworter der Frauenordination, und in den nächsten Jahren wurden einige Frauen ordiniert. In der Pfarrerschaft kam es zu zahlreichen Protesten; aber die Kirchenleitung ließ keine neue Diskussion der Frage zu. Einige konservative Gemeinden waren entschlossen, eine eigene Kirche zu gründen, wenn der Nachfolger von Gailitis ebenfalls Frauen ordinieren würde.

Bei der Wahl des Nachfolgers von Gailitis wurden beide Kandidaten nach ihrer Haltung zur Frauenordination befragt. Der eine Kandidat, Elmārs Ernsts Rozītis, Erzbischof der Lettischen Evangelisch Lutherischen Kirche im Ausland, war dafür; Janis Vanags erklärte, er würde als Erzbischof keine Frauen ordinieren, warnte jedoch davor, dass diese Haltung die Kirche einem starken Druck von liberalen lutherischen Kirchen aussetzen würde. Nach Egils Grislis, einem kanadischen Beobachter, waren 80 % der Synodalen gegen Frauenordination. Die Wahl von Jānis Vanags führte zu einem erneuten Moratorium in der Frauenordination. Die unter seinen Vorgängern ordinierten Frauen konnten im Amt bleiben, aber nicht als Gemeindepfarrerinnen amtieren.[8]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c The History of the ELCL
  2. kalme.net Zahlen und Fakten
  3. http://www.lutheranworld.org/lwf/wp-content/uploads/2011/03/LWF-Statistics-2010.pdf
  4. ideaSpektrum 24. November 2007
  5. Bilder von der Bischofsweihe
  6. Getaufte Heiden. Phänomene des Fortlebens naturreligiöser Bräuche und Sitten im Ostseeraum und in Südamerika in der Frühen Neuzeit in vergleichender Perspektive
  7. Björn Mensing: Baltische Märtyrer und Konfessoren in Björn Mensing und Heinrich Rathke (Hrsg.): Widerstehen, 2002
  8. a b Latvia Revived: Interview des Touchstone Magazine mit Erzbischof Jānis Vanags
  9. Walter Graßmann: Geschichte der evangelisch-lutherischen Rußlanddeutschen in der Sowjetunion, der GUS und in Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
  10. a b Juris Rubenis: Die Wiedergeburt und Erneuerung in den europäischen Kirchen unserer Zeit. Ein Blick aus der Perspektive der Kirche Lettlands. In: Beiträge zur ostdeutschen Kirchengeschichte 3, 1999
  11. Claus von Aderkas: Kirchliche Aufbauhilfe in Lettland. In: Beiträge zur ostdeutschen Kirchengeschichte 3, 1999

Weblinks


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