Evolutionsökonomie

Evolutionsökonomie

Die Evolutionsökonomik oder "evolutorische Ökonomik" ist ein relativ junges Forschungsgebiet der Wirtschaftswissenschaft. Eine einheitliche Auffassung über die Stellung der Evolutionsökonomik innerhalb der Wirtschaftswissenschaft existiert nicht, vielmehr sind zwei grundlegend verschiedene Ansätze zu unterscheiden. Die eine, auf Joseph Schumpeter aufbauende Richtung sieht die Evolutionsökonomik als ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft, das sich mit den durch Innovationen, technischem Fortschritt und Unternehmertum erzeugten Wandlungsprozessen der Wirtschaft beschäftigt. Der andere, auf den Ideen von Friedrich August von Hayek basierende Ansatz betrachtet die Evolutionsökonomik als grundlegendes Paradigma in Konkurrenz zur neoklassischen Mikroökonomik.[1] Während diese von der Bildung von wirtschaftlichen Gleichgewichten auf Märkten ausgeht, rekonstruiert die Evolutionsökonomik Wirtschaftsprozesse analog zur biologischen Evolution: Es existiert für keinen Markt und damit auch für kein Unternehmen ein anzustrebender Gleichgewichtszustand, vielmehr sorgt ein permanenter Wettbewerb zwischen Produkten, Dienstleistungen, Unternehmensformen und sogar Wirtschaftssystemen dafür, dass nur die Wettbewerbsteilnehmer weiterbestehen können, die den jeweiligen Umweltanforderungen entsprechen und sich an die laufend wechselnden Wettbewerbsbedingungen anpassen. Bedürfnisse werden als eine Form von Wissen aufgefasst.

Inhaltsverzeichnis

Grundbegriffe

Zentrale Grundbegriffe der Evolutionsökonomik sind:

Wissen: Regeln, die Handlungsmuster und Zusammenhänge abbilden stellen Wissen dar, das die Beziehung eines Systems zu seiner Umwelt koordiniert. Diese Kenntnisse können direkt oder indirekt gewonnen werden und können wahr oder falsch sein. Anders als die klassische Nationalökonomie definiert die Evolutionsökonomik das Grundproblem der Wirtschaft als Wissensmangel. Da die Wahrnehmung des Menschen subjektiv ist, nimmt das gemeinsame Wissen im Vergleich zum gesamten in einem System enthaltenen durch jede für einen Aktor neue Information ab.

Aktor: An die Stelle des Individuums im Sinne des Homo oeconomicus der klassischen Ökonomie tritt der Aktor als Handelnder. Ein Aktor besitzt weder die Fähigkeit unmittelbar und absolut rational zu Handeln, noch verfügt er über absolutes Wissen. Die drei Kriterien des Homo oeconomicus werden nicht erfüllt. Eine bestimmte Menge von Aktoren bildet eine Population. Zu unterscheiden sind fundamentale Aktoren, zuvorderst der Mensch, und derivative wie Organisationen und Unternehmen. Jeder Handelnde ist selbst bimodal und vereint in sich singulär wahres sowie falsches Wissen und Vermögen.

Element: Evolutionsökonomisch ist das Element ein Träger von Wissen, welcher selbst wiederum Teil einer größeren Einheit sein kann. Das gespeicherte Wissen muss nicht personenbezogen sein sondern kann auch auf Datenträgern gespeichert werden.

Netzwerk: Geordnete Systeme von Elementen und den in ihnen wirkenden Aktoren bilden Netzwerke durch die Beziehungen, die jeder Aktor zu anderen Teilnehmern unterhält. Beziehungen, die in einer Transaktion münden, stellen die Konfiguration des Netzwerkes dar.

Denktradition

Die Evolutionsökonomik wurde beeinflusst von:

der Institutionenökonomik

der Klassischen Nationalökonomie

sowie Beiträgen von George Lennox Sharmann Shackle ("The Nature and Role of Profit") und Nicholas Georgescu-Roegen. Mit Erscheinen des Werks An Evolutionary Theory of Economic Change von Richard R. Nelson und Sidney G. Winter im Jahr 1982 hat sich der Begriff der Evolutionsökonomik in der Wissenschaft etabliert.

Zentrale Prämissen

Als zentrale Prämissen gelten

  • Historische Bedingtheit von Entwicklungspfaden, Ressourcen usw.; dadurch besteht per se eine Ressourcenheterogenität der Aktoren;
  • Unvollkommene Information der Akteure; dadurch Berücksichtigung echter Unsicherheit und des Informationsparadoxon von Kenneth Arrow.

Deshalb sind aus evolutionsökonomischer Perspektive keine absolut "besten" Lösungen möglich, sondern es besteht immer eine Fülle möglicher zielführender Wege.

Der evolutionsökonomische Ansatz negiert das in der Neoklassik verwendete Modell des Homo oeconomicus als dem rationalen Entscheider, der stets über alle Informationen verfügt und auf dieser Grundlage die für ihn beste Lösung anstrebt.

Evolutorische Netzwerke sind nicht zur Gänze darstellbar, da der Darstellende selbst über alle relevanten Daten verfügen müsste. Wissenschaftsphilosophisch ist dieses Problem dem Quines Theorem vergleichbar. Die Einzigartigkeit jedes Aktors bedingt, dass ein Netzwerk eine nicht-integrale Struktur ist.

Literatur

  • Herrmann-Pillath, Carsten / Lehmann-Waffenschmidt, Marco, Handbuch der Evolutorischen Ökonomik, Berlin 2001
  • Lambert T. Koch: Evolutorische Wirtschaftspolitik. ISBN 3-16-146555-5
  • Kraus, Sascha / Reschke, Carl Henning, Evolutionäres Strategisches Management von Gründungsunternehmen, Köln/Lohmar 2004.
  • Nelson, Richard R. / Winter, Sidney G., An Evolutionary Theory of Economic Change, Cambridge 1982
  • Schumpeter, Joseph: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. ISBN 3-428-07725-3

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Carsten Herrmann-Pillath: Grundriß der Evolutionsökonomik

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