Exodusmotiv

Exodusmotiv

Das Exodusmotiv, das auf den Erzählungen vom Auszug aus Ägypten beruht, hat in der biblischen Tradition und der abendländischen Kultur tiefgreifende Auswirkungen gehabt.

Inhaltsverzeichnis

Bedeutung

Bedeutung gewann diese Geschichte als Gründungsmythos für den israelitischen Stämmebund vor allem in dem spätexilisch/frühnachexilischen deuteronomistischen Schrifttum, eben zu der Zeit, als die Exulanten aus der "Knechtschaft" (im Babylonischen Exil) wieder nach Israel heimkehrten. Für die gewonnene Freiheit dankten sie nicht dem Wegführer Mose, sondern dem Gott „JHWH“. Dies hatten damals auch bereits die Prophetin Mirjam (2. Mose 15, 20) und ein midianitischer Priester (2. Mose 18, 10) getan. Dieses Urbekenntnis zu JHWH, „der dich aus Ägypten herausgeführt hat“, steht als Leitformel über 200-mal im Alten Testament und zeigt die große Verbundenheit der Israeliten und des jüdischen Glaubens zum Exodus.

Folge

Monotheismus bzw. Henotheismus. Bei Pharao Echnaton, den Hyksos oder den Persern diente der eine Gott der Stabilisierung der Macht. Dagegen wurde im Auszug ein Gott erkannt, der sich „der Elenden erbarmt“! Daraus resultierte für Israel Herrschaftskritik und Sozialgesetze zum Schutz von Fremden und Schwachen. Einen solchen Gott für unterdrückte Israeliten gab es im ganzen Orient nicht, was die damalige Einzigartigkeit der jüdischen Religion zeigt. Obwohl die verschiedenen biblischen Traditionen wahrscheinlich erst seit dem babylonischen Exil (6. Jahrhundert v. Chr.) mit Gesetzen zusammen zur schriftlichen „Thora“ geformt wurden, ist der Auszug aus Ägypten keine reine Legende.[1] Israel bezog die ältere Sozialkritik als Sozialgesetze immer wieder auf den Exodus (z. B. 3. Mose 19, 33-36 und 25, 35-38) und erfüllte das deuteronomistische Geschichtswerk mit Kritik an den Herrschern. Im Orient war der Herrscher als Gottessohn durch die Religion gestützt (z. B. Ramses = Kind des Ra, aber auch David = Geliebter (der Gottheit)). Das Volk Israel hielt sich aber selbst für das Volk Gottes, weshalb auch der König die Gebote über sich anerkennen musste und von daher kritisiert werden konnte. Sogar ein Aufstand gegen Salomos Sohn Rehabeam (926 v. Chr.) wurde mithilfe des Exodus begründet, weil dieser König den Frondienst verschärfen wollte (1. Könige 11 und 12).

Diese Eigenart der jüdischen Religion für das eigene Volk erklärt sich, wenn man die Rolle Moses hinsichtlich des Exodus betrachtet. Er hatte das Erlebnis mit dem brennenden Dornbusch und folgerte daraus, dass Gott hinter der Natur steht und nicht ihr Teil (Sonne, Planeten) ist. Die Schöpfung (einschließlich der Menschen) steht unter dem göttlichen Gesetz. Das Überleben der Auswanderergruppe im Sinai hing von der Führung des wüstenerfahrenen und am ägyptischen Königshof erzogenen Moses und seinem Gott ab.

Trotz der schlechten Erfahrungen in der ägyptischen Knechtschaft übten die Israeliten aber weiterhin selbst Sklaverei aus. Nach der Torah war die Sklavenzeit eines Hebräers bei einem Hebräer auf 6 Jahre beschränkt, für Fremde und Besiegte galt dies jedoch nicht. So wurde alles Volk, das übrig war von den Amoritern, Hetitern, Perisitern, Hewitern und Jebusitern versklavt, wenn sie nicht Israeliten waren, und zu schwerer Zwangsarbeit gezwungen. Über diese Vorgänge berichten die Bücher 1 Könige (z. B. 9,21), Richter (z. B. 1,28) und 2 Samuel (z. B. 12,31).

Wirkungsgeschichte

Im Judentum

Die Befreiung aus Ägypten ist nicht so sehr wegen der abgeschüttelten körperlichen Sklaverei, als vielmehr vom Geistigen her denkwürdig. Das Volk Israel sollte von allen fremden Einflüssen befreit und dem Dienst an Gott geweiht werden. Die Verordnungen über das Pessachfest eröffnen den religiös-gesetzlichen Teil der Tora. Die Gelegenheit, anlässlich derer sie gegeben werden, und die Art ihrer Einschärfung zeigen die grundlegende Bedeutung, die das Fest und somit auch der Exodus im Leben und in der Geschichte Israels einnimmt. "Der Auszug aus Ägypten ist nicht allein eine der größten Begebenheiten in der jüdischen, sondern auch in der Menschheitsgeschichte." (Claude J. G. Montefiore, 1858–1938, jüdischer Gelehrter und Gründer der "World Union for Progressive Judaism")..

Im Christentum

Im Christentum wurde der eigentliche Kern des Auszugs, die Selbstfindung durch den Glauben an einen einzigen Gott, vielfach durch Deutungen überdeckt: allegorisch (als Weg der Seele) und typologisch (Durchzug durchs Wasser als Vorbild, Typos, für die Taufe). Mose wurde oft für den christlich unterströmten Machterhalt missbraucht, z. B. wurde Kaiser Konstantin als „Neuer Mose“ gefeiert; Papst Sixtus IV. ließ in der Sixtinischen Kapelle in Rom mehrere Wandgemälde vom Auszug malen - keine Befreiung, sondern wie Mose Abtrünnige bestraft.

Allgemein

Dennoch wurde die Auszugs-Geschichte zum Treibsatz für die meisten Freiheitsbewegungen innerhalb und außerhalb der Kirche: für Katharer in der Provence, Waldenser in Italien, Hussiten in Prag, Calvinisten in den Niederlanden, Puritaner in England, Pilgrim Fathers in den USA, Befreiungsbewegungen der Schwarzen in den USA (mit dem Spiritual: „When Israel was in Egypts land, let my people go...“, die Befreiungsbewegung der Rastafari auf Jamaica ("Back-to-Africa") und Befreiungs-Theologen in Südamerika. Ihre Inspiration, ihr Heilsvokabular und ihre Legitimation bezogen sie aus dem Exodus (leider auch für blutige „Säuberungen“). Auch die 12 Artikel, die Forderungen der Bauern im Deutschen Bauernkrieg 1525 waren mit dem Exodus begründet.

Darstellungen

Kunst, Literatur und Musik haben den Exodus-Freiheitsgedanken durch Unterdrückungszeiten hindurch getragen.

Gemälde

Von den Katakomben Roms bis zu Marc Chagalls Exodus-Zyklus gibt es nicht nur Gemälde von Mose als Gesetzgeber, sondern auch, wie Mose mutig vor Pharao tritt und Freiheit für die Fronarbeiter fordert.

Gedichte

Schon im 11. Jahrhundert gab es deutsche Gedichte, die diese Befreiung weitertrugen. Im 16. Jahrhundert z. B.: „...wenn man die Ziegel dupliziert / und gar zu sehr tyrannisiert / und das Volk zu Gott seufzt und schreit, / so ist Moses gewiss nicht weit...“ Besonders beim Aufkommen des Nationalsozialismus gab es Exodus-Gedichte der Freiheitshoffnung. Auch Friedrich Schiller, Heinrich Heine, Sigmund Freud, Franz Werfel, Thomas Mann u. a. schrieben darüber. Johann Wolfgang von Goethe hielt den normalen Auswanderungszug von Ägypten nach Palästina für längstens in zwei Jahren durchführbar, wenn er in völliger Freiheit erfolgt wäre. Aber auch er ging von einem jahrzehntelangen Aufenthalt im Sinai aus.

Musik

Musik trug vielfach den Freiheitsgedanken weiter: Seit dem 17. Jahrhundert sind Oratorien und Opern bekannt, z. B.: „Israel in Egypt“ von Georg Friedrich Händel – oder auch von Arnold Schönberg und Kurt Weill. Oft waren es aber einfache Lieder, nicht nur Spirituals. Besonders ab etwa 1960 gibt es viele deutsche Lieder dazu, die besonders durch Kirchentage bekannt wurden, z. B.: „Wenn das rote Meer grüne Welle hat, dann ziehen wir frei, heim aus dem Land der Sklaverei. ... Wenn unsre Tränen Früchte tragen, dann bleiben wir hier, dann bleiben wir hier, weil sich das Land gewandelt hat...“. Der Reggaemusiker Bob Marley verarbeitete das Motiv in seinem Song "Exodus".

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Die neuere Archäologie bezweifelt allerdings die Historizität des biblischen Exodus. vgl dazu: Israel Finkelstein/Neil A, Silberman: Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel, C. H. Beck, München 2002, S. 61-85

Literatur

  • John J. Bimson: Auszug und Landnahme – Mythos oder Realität – in: P. van der Veen, U. Zerbst (Herausgeber): Biblische Archäologie am Scheideweg? Hänssler 2004. ISBN 377513851X
  • Pentateuch und Haftaroth. Mit Kommentar von Dr. J. H. Hertz, Oberrabbiner des Britischen Reiches. 2. Bd. Exodus. Morascha, Zürich 1984.
  • Kamal Salibi: Die Bibel kam aus dem Lande Asir. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1985, ISBN 3-498-06179-8
  • Siegfried Herrmann, Ferdinand Dexinger, Heinz-Wolfgang Kuhn, Henning Schröer: Exodusmotiv I. Altes Testament II. Judentum III. Neues Testament IV. Praktisch-theologisch. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd 10, de Gruyter, Berlin 1982, S. 732-747 (wiss. Überblick), ISBN 3-11-008575-5

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