FTY-720

FTY-720
Strukturformel
Allgemeines
Freiname Fingolimod
Andere Namen

FTY-720
2-Amino-2-(2-(4-octylphenyl) ethyl)propan-1,3-diol

Summenformel C19H33NO2
CAS-Nummer 162359-55-9
PubChem 107970
Eigenschaften
Molare Masse 307,471 g/mol
Aggregatzustand

fest

Sicherheitshinweise
Gefahrstoffkennzeichnung [1]
keine Einstufung verfügbar
R- und S-Sätze R: siehe oben
S: siehe oben
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Fingolimod (ältere Bezeichnung FTY-720) ist ein experimenteller Arzneistoff, der vom Schweizer Unternehmen Novartis für die Behandlung von multipler Sklerose (MS) entwickelt wird. Es ist momentan noch nicht als Arzneimittel zugelassen.

Fingolimod ist eine synthetische Nachbildung des natürlichen Wirkstoffs Myriocin. Myriocin stammt aus dem in der traditionellen chinesischen Medizin genutzten Pilz Isaria sinclairii.

Inhaltsverzeichnis

Mögliche Anwendungsgebiete

Nierentransplantation

Novartis testete Fingolimod in Kombination mit Cyclosporin zur Unterdrückung der Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantation. In der klinischen Prüfung der Phase-III zeigten sich jedoch Nebenwirkungen (Makula-Ödeme) besonders bei Diabetikern mit Prädisposition zu diabetischer Retinopathie. Zusätzlich trat eine leichte Funktionseinschränkung der frisch transplantierten Nieren auf. Da die Unterdrückung der Abstoßungsreaktion mit Fingolimod nicht besser war als die in der Kontrollgruppe mit Mycophenolatmofetil, wurde die Entwicklung von Fingolimod für die Transplantationsmedizin eingestellt.

Multiple Sklerose (MS)

Gegenwärtig wird Fingolimod als orale Behandlungsoption für Patienten mit MS untersucht. In der abgeschlossenen Phase-II-Studie wurden 281 MS-Patienten behandelt. Nach sechs Monaten konnte eine Verringerung der aktiven Herde in der Kernspintomografie von bis zu 80 % (Median; im Mittel bis zu 60 %) sowie eine Reduktion der Schubrate von ca. 50 % im Vergleich zu Placebo festgestellt werden.[2] In einer 18-monatigen offenen Anschlussstudie konnte gezeigt werden, dass die festgestellten positiven Effekte über diesen Zeitraum anhalten.

In Entwicklungsphase III wird seit Sommer 2006 bei schubförmiger und primär progressiver Verlaufsform untersucht, ob die in der Phase II beobachteten Wirkungen über längere Zeit stabil bleiben und ob eine Behandlung mit Fingolimod die Entwicklung der mit der MS verbundenen Behinderung verlangsamen kann.

Ein Jahres Ergebnisse der TRANSFORMS Phase-III Studie aus dem Jahr 2008[3] bei schubförmiger MS deuten auf ein positives Ergebnis hin. Die Schubrate war gegenüber Interferon beta-1a um etwa 50% reduziert.

Chronische Virusinfektionen

Eine Forschungsgruppe der Emory University bei Atlanta berichtete 2008, dass eine dreitägige Behandlung mit niedrig dosiertem Fingolimod bei Mäusen, die an der Virusinfektion lymphozytäre Choriomeningitis litten, zu einem vollständigen Verschwinden des Erregers führte.[4] Die Behandlung erhielt oder verstärkte die Immunantwort.

Auch in der Veröffentlichung werden diese Ergebnisse als paradox bewertet, da Fingolimod eigentlich ein Immunsuppressivum ist (siehe Nebenwirkungen). Der antivirale Effekt wurde jedoch nur bei einer sehr kurzen Behandlung mit sehr niedriger Dosierung beobachtet. Unter diesen Bedingungen hält Fingolimod die virus-spezifischen Lymphozyten in den Lymphknoten kurzzeitig zurück und erlaubt so deren optimale Aktivierung. Nach Absetzen von Fingolimod wandern dann die aktivierten Lymphozyten an den Ort der Virusinfektion und töten das Virus ab.

Im Gegensatz zu diesem antiviralen Behandlungsschema muß Fingolimod bei der Behandlung der MS langfristig in einer ca. 100-fach höheren Dosierung eingesetzt werden.

Unerwünschte Wirkungen (Nebenwirkungen)

Im Juni 2008 wurden zwei Fälle von schwerwiegenden Infektionen unter Fingolimod bekannt. Ein MS-Patient verstarb an Windpocken während ein zweiter Patient eine lebensbedrohliche Herpes-Enzephalitis entwickelte. In beiden Fällen gab es Begleitumstände, die den Verlauf der Infektionen möglicherweise ungünstig beeinflusst haben: Der erste Patient wurde zeitgleich mit hohen Glucocorticoid-Dosen behandelt während die antivirale Behandlung für den zweiten Patienten nur mit Verzug begonnen wurde. Nach Beratung mit dem Sicherheitskomitee der Zulassungsbehörde FDA führt die Firma Novartis die Phase-III-Studien fort.

Pharmakologische Eigenschaften

Wirkungsmechanismus (Pharmakodynamik)

Im Gegensatz zu den bisher verfügbaren immunsuppressiven Medikamenten werden durch Fingolimod die Immunzellen nicht abgetötet oder an der Vermehrung gehindert. Stattdessen hemmt Fingolimod die Auswanderung von Lymphozyten aus den lymphoiden Organen in das Blut.

Fingolimod wird nach Einnahme durch das Enzym Sphingosin-Kinase-2 zu FTY720-Phosphat (FTY720-P) umgebaut, welches dann an die auf Zelloberflächen vorhandenen Sphingosin-1-phosphat (S1P) Rezeptoren S1P1, S1P3, S1P4, und S1P5 binden kann.[5]

Wichtig für den Wirkmechanismus von FTY720-P ist vor allem der S1P1-Rezeptor auf T- und B-Lymphozyten. S1P1 wird von FTY720-P 'internalisiert', somit aus der Zellmembran ins Innere der Zelle verlagert und abgebaut.[6][7] Dadurch wird die S1P1-abhängige Auswanderung der Lymphozyten aus den Lymphknoten ins Blut gehemmt.[6] Dies reduziert die Zahl der Lymphozyten im Blut, und somit auch die Zahl entzündungsfördernder Lymphozyten, die aus dem Blut in periphere Organe und ins zentralen Nervensystem einwandern könnten.[6][7][8]

Sonstige Informationen

Geschichtliches

Anfang der 1990er Jahre entdeckte ein japanisches Forscherteam der Universität Kyoto die immunsupressive Wirkung von Myriocin. Myriocin wurde chemisch zu FTY720 (Fingolimod) verändert und so eine bessere Verträglichkeit erzielt. 1997 lizenzierte die japanische Firma Yoshitomi Fingolimod an Novartis aus.[9] Der Arzneistoff wurde zunächst in Kombination mit Cyclosporin zur Unterdrückung der Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantation klinisch getestet; später wurde die Entwicklung von Fingolimod für die Transplantationsmedizin jedoch eingestellt.

Gegenwärtig wird Fingolimod bei Patienten mit MS untersucht. Es befindet sich in der Entwicklungsphase III. Die kürzlich aufgetretenen schwerwiegenden Infektionen werfen jedoch einen Schatten auf die weitere Entwicklung.[9] Fachkreise rechnen mit einem Zulassungsantrag für Mitte 2010.[9]

Einzelnachweise

  1. In Bezug auf ihre Gefährlichkeit wurde die Substanz von der EU noch nicht eingestuft, eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  2. Kappos L, Antel J, Comi G et al. Oral fingolimod (FTY720) for relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med. 2006;355:1124-40. PMID 16971719
  3. Pressemitteilung zur TRANSFORMS Studie
  4. Premenko-Lanier M, Moseley NB, Pruett ST et al. Transient FTY720 treatment promotes immune-mediated clearance of a chronic viral infection. Nature. 2008;454:894-8. PMID 18704087
  5. Brinkmann V, Davies MD, Heise CE et al. The immune modulator FTY720 targets sphingosine 1-phosphate receptors. J Biol Chem. 2002;277:21453-7. PMID 11967257
  6. a b c Matloubian M, Lo C, Cinnamon G et al. Lymphocyte egress from thymus and peripheral lymphoid organs is sphingosine 1-phosphate receptor-1 dependent. Nature. 2004;427:355-60. PMID 14737169
  7. a b Brinkmann V, Cyster JG, Hla T. FTY720: Sphingosine 1-phosphate receptor-1 in the control of lymphocyte egress and endothelial barrier function. Am J Transplant. 2004;4:1019-25. PMID 15196057
  8. Brinkmann V. Sphingosine 1-phosphate receptors in health and disease: Mechanistic insights from gene deletion studies and reverse pharmacology. Pharm Ther. 2007;115:84-105. PMID 17561264
  9. a b c Garber K. Infections cast cloud over Novartis’ MS therapy. Nature Biotechnol. 2008;26:844-5. PMID 18688218

Weblinks


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