Fatti di Rovereta

Fatti di Rovereta

Die Auseinandersetzungen von Rovereta (auf Italienisch Fatti di Rovereta) stellen ein kontroverses Ereignis in der san-marinesischen Geschichte dar, das im Jahre 1957 stattfand.

Inhaltsverzeichnis

Die politischen Hintergründe

Nach der Absetzung der nationalen Einheitspartei infolge des Ende des Faschismus regierte nach den Wahlen vom 11. März 1945 eine Linkskoalition aus der Kommunistischen Partei San Marinos (PCS) und der Sozialistischen Partei San Marinos (PSS) die Republik, deren Amt in den Wahlen im Jahre 1955 bestätigt wurde. Bei diesen Wahlen holten PCS und PSS gemeinsam 35 von insgesamt 60 Sitzen im Großen und Allgemeinen Rat (Consiglio Grande e Generale). Es kam allerdings in den folgenden Jahren zu politischen Wendungen bei verschiedenen Abgeordneten (hauptsächlich wegen der Aktionen von fünf gegen die Koalition mit der PCS gewandten PSS-Dissidenten), die zu einer Spaltung des Rates bis Mitte Februar 1957 führte.

Diese politischen Fragen standen im internationalen Rahmen des Kalten Krieges, denn die damalige italienische Regierung konnte eine amtierende kommunistische Regierung in der kleinen Republik nicht tolerieren. Außerdem hatte die damalige san-marinesische Regierung eine stark sozial ausgerichtete Politik verabschiedet und engere diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion angeknüpft. Ein Teil der San-Marinesen hielt den Ausstieg der PCS aus der Regierungskoalition für unentbehrlich, um finanzielle Unterstützung von Italien und den Vereinigten Staaten zu erhalten.

Die Entwicklungen vom Sommer bis zum Herbst 1957

Die genau gleich starke Sitzverteilung im Rat unterband zunächst die Funktionalität der Kammer nicht. Die san-marinesische Kammer war aber ab Mitte April 1957 in der Krise, als sozialistische Dissidenten eine neue Partei gründeten, die Partito Socialista Indipendente Sammarinese, die sich in die “demokratische Koalition” mit der Partito Democratico Cristiano Sammarinese und der Partito Socialista Democratico Sammarinese verbündete. Wegen dieser parlamentarischen Krise weigerten sich den ganzen Sommer über die beiden Capitani Reggenti, Giordano Giacobini und Primo Marani, die Kammer einzuberufen. Sie waren allerdings gezwungen, die Kammer zur Wahl der Capitani Reggenti einzuberufen, wie die Statuti (das san-marinesische Grundgesetz) bestimmen. Die Wahl wurde auf den 19. September am Nachmittag festgesetzt.

Am 18. September stieg Attilio Giannini, der 1955 als Parteiloser in die Liste der PCS gewählt wurde, aus der Regierungskoalition aus. Deshalb bildete eine neue knappe Mehrheit die neue Regierung (23 Abgeordnete der Partito Democratico Cristiano Sammarinese, 5 der Partito Socialista Indipendente Sammarinese, 2 der Partito Socialista Democratico Sammarinese und der parteilose Abgeordnete Giannini).

Nachdem die Opposition die Bildung der neuen Regierungsmehrheit angekündigt hatte, erhielt die provisorische Regierung die blauen Briefe auf Stempelpapier von 34 zurücktretenden Abgeordneten der vorherigen Mehrheit, versiegelt und mit dem Datum des 19. September 1957. Gewöhnlich ließ die PCS ihre Abgeordneten einen Rücktrittsbrief auf freiem Papier und ohne Datum unterzeichnen, als Zeichen ihres Respekts den Tätigkeiten der Partei im Parlament gegenüber. Deswegen galten als Zurücktretende auch vier weitere PSIS-Abgeordnete, obwohl sie vorher ihre Kündigungen in der Kammer zurückgezogen hatten, sowie Giannini.

Nachdem die Kündigung vom Großteil der Abgeordneten bestätigt wurde, löste die provisorische Regierung die Kammer auf und setzte neue Wahlen auf den 3. November fest. Außerdem beauftragten die Capitani Reggenti die Gendarmeria (die Polizeieinheit San Marinos) dazu, den Palazzo Pubblico (den Regierungssitz) in San Marino abzusperren und zu bewachen, während die Abgeordneten der neuen Koalitionsregierung sich dorthin begaben.

Die Entscheidung der amtierenden Regierung führte zu einer gesetzlich kontroversen Lage, denn die Auflösung des Rates war infolge der Entlassungen der Regierungsmehrheit Pflicht, obwohl das die Amtsverlängerung der amtierenden Capitani bedeutete. Diese in San Marino sehr seltene Rechtslage war zuvor niemals vorgekommen, zumindest theoretisch wäre sie nur auf Beschluss des Rates und im Falle besonders schwerwiegender Ereignisse denkbar gewesen.

Die 31 Abgeordneten der neuen Mehrheitsregierung versammelten sich vor der Kathedrale der Hauptstadt und stellten Ansprüche an die Staatsführung, nachdem sie ein neues von Federico Bigi, Alvaro Casali, Pietro Giancecchi und Zaccaria Giovanni Savoretti geleitetes Regierungskomittee ins Leben gerufen hatten. Ihrer Meinung nach war die fehlgeschlagene Wahl der neuen Reggenti ein Staatsstreich. Allerdings bildeten sie weder eine neue Regierung noch ernannten sie neue Staatsführer.

In Folge dieser Ereignisse kam es zwar nicht zu Unruhen, doch das Spannungsklima dauerte fort. In den folgenden Tagen suchten alle politischen Parteien Unterstützung und Kontakte bei italienischen Politikern.

Die Unruhen von Rovereta

Am Abend des 30. September besetzten die Abgeordneten der neuen selbsternannten Mehrheit Rovereta, ein Industriegebiet der Gemeinde Serravalle in einer durch italienisches Staatsgebiet umschlossenen san-marinesischen Landzunge. Am 1. Oktober um Mitternacht, bei Amtsablauf der Regierenden Capitani Reggenti, riefen die Mitglieder des Regierungskomitees eine provisorische Regierung aus. Kurz danach belagerten italienische Carabinieri, teilweise mit Panzern, alle drei an Italien grenzenden Seiten des Gebiets. Die italienische Regierung erkannte umgehend die provisorische Regierung als legitim an.

Nach der Bildung der provisorischen Regierung berief die Regierung in San Marino eine freiwillige Milizeneinheit (Corpo di Milizia Volontaria) ein, denn ein militärischer Einmarsch der provisorischen Regierung in Richtung Hauptstadt mit Hilfe von italienischen Soldaten war nicht auszuschließen.

In diesem zunehmend gespannten Zustand, gesteigert durch die Einfuhr vieler Waffen aus Italien und das Scheitern der Verhandlungsversuche, zeigte sich der Leiter der Gendarmeria (die san-marinesiche Polizeieinheit) Ettore Sozzi im Stande, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten.

Eben dieser Sozzi erhielt am 8. und 9. Oktober von der provisorischen Regierung die Vollmacht, die öffentliche Sicherheit zu erhalten und den Auftrag zur Bildung einer neue Gendarmeria-Einheit in der Hauptstadt.

Am 11. Oktober setzten die Reggenti der Krise ein Ende, erkannten die provisorische Regierung an und lösten die freiwillige Milizeneinheiten auf. Am 14. Oktober verließ die provisorische Regierung ihr Hauptquartier in Rovereta und bestieg den Titano, um im Regierungspalast ihr Amt anzutreten.

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