Finanzzentrum

Finanzzentrum

Ein Finanzplatz (oder Finanzzentrum) ist ein Ort (in der Regel eine Stadt) in dem es eine hohe Konzentration von Banken und anderen Finanzinstitutionen gibt und in dem die Existenz und Entwicklung von Finanzmärkten nicht eingeschränkt werden, sodass finanzielle Aktivitäten und Transaktionen effizienter durchgeführt werden können als in anderen Orten.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Angebot und Nachfrage

Auf der Nachfrageseite stehen inländische und transnationale Finanzunternehmen, die Expansion und Diversifikation anstrebend eine andauernde Nachfrage nach städtischen Einrichtungen erzeugen. Auf der Angebotsseite können nur die Städte dieser Nachfrage gerecht werden, die intensiv in die benötigte Infrastruktur (Flughäfen, Häfen, Straßen, Eisenbahnverbindungen, Telekommunikation usw.) investiert haben und die den Finanzsektor mit einer erstklassigen Informationstechnologie versorgen können.

Auch auf einer anderen Ebene spielen Angebot und Nachfrage eine Rolle. Wirtschaftswachstum und expandierender Außenhandel führen zu einer größeren Nachfrage nach Finanzierung. Innovative Finanzinstitutionen können diese Nachfrage am besten erfüllen.

Krieg, Politik und Ideologie

Frieden und politische Stabilität sind Voraussetzungen für die Entstehung von Finanzplätzen. Die Einstellung der Regierung zum Finanzsektor muss positiv oder zumindest neutral sein. Zum Beispiel führte eine negative Einstellung und der marxistische Glaube, dass Finanzwirtschaft unproduktiv sei, nach den Kriegen von 1937 bis 1949 zum Untergang des Finanzsektors in Shanghai, das vor dem Zweiten Weltkrieg das bedeutendste Finanzzentrum im Fernen Osten war.

weitere begünstigende Faktoren

  • gut erreichbare geographische Lage
  • eine moderne Infrastruktur (Kommunikation, Personenverkehr, Transport)
  • Lage in einer Zeitzone, die es erlaubt, während eines Arbeitstages möglichst viel mit anderen Zentren zu kommunizieren
  • etablierte kommerzielle oder industrielle Zentren
  • Orte, deren Hinterland ein großes Wachstumspotential hat
  • eine gastfreundliche Umgebung
  • im Idealfall keine Diskriminierung ausländischer Banken
  • starke inländische Wirtschaft
  • Technologie: effektive und schnelle Nutzung von Fortschritten in der Telekommunikation und niedrigerere Transaktionskosten
  • Steuersystem (z.B. Steueranreize)
  • Rechtsstaatlichkeit: ein auf die Unabhängigkeit der Justiz gegründetes solides Rechtssystem, das international Vertrauen gewinnen kann
  • gut ausgebildete Arbeitskräfte (nicht nur im Bereich der Finanzwirtschaft, sondern auch Anwälte, Unternehmensberater, Volkswirte, Wirtschaftsprüfer, Versicherungsfachmänner, Systemanalytiker, Programmierer usw.)
  • Informationsfreiheit, frei Verbreitung von Nachrichten und Informationen (Finanzwirtschaft ist im Grunde eine Informationswirtschaft)
  • gute Englischkenntnisse der Bevölkerung

Typologie

  • geographische Perspektive
    • nationales Zentrum
    • internationales Zentrum
      • regionales Zentrum
      • globales Zentrum
  • teleologische Perspektive
    • Buchungszentrum: hauptsächlich Aufzeichnung von Transaktionen, aber nur wenig tatsächliche finanzielle Geschäfte

Beispiele: Anguilla, Nassau (Bahamas), Bahrain, die Kaimaninseln, Jersey und die Niederländischen Antillen

    • funktionelles Zentrum: finanzielle Dienstleistungen und Transaktionen werden ausgeführt und angeboten
      • integriertes Zentrum: keine Grenze zwischen Onshore- und Offshore-Märkten
      • isoliertes Zentrum (Offshore Financial Centre OFC): Behörden unterscheiden deutlich zwischen Onshore- und Offshore-Märkten; ausländische Unternehmen sind auf den Offshore-Bereich beschränkt oder im Onshore-Bereich deutlich eingeschränkt
  • historische Perspektive
    • traditionelles Zentrum: internationaler Netto-Kreditgeber

Beispiele: London vor dem Zweiten Weltkrieg, New York nach dem Zweiten Weltkrieg und in zunehmendem Maße Tokio

    • vermittelndes Zentrum (financial entrepôt): versorgt sowohl Einheimische als auch Ausländer mit Leistungen seiner Finanzunternehmen, Geldmärkte und Wertpapiermärkte

Beispiele: London seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und New York seit den späten 70er Jahren, Schweiz, Luxemburg, Singapur, Hong Kong, die Bahamas, die Kaimaninseln und Panama

  • Offshore Banking Centre

Geschichte

Das wohl erste internationale Finanzzentrum war wohl Florenz im 13. Jahrhundert, das diese Rolle vor allem durch internationalen Handel und durch den Verleih von Geld an Herrscher erreichte. Im 14. Jahrhundert wurde die finanzielle Vormacht der Florentiner beendet als Edward III, der König von England, seine Schulden nicht anerkannte.

Im 16. Jahrhundert entstand ein neues Finanzzentrum in einem italienischen Stadtstaat, Genua durch die Errichtung eines Kreditsystems, das sowohl auf Gold als auch Silber basierte.

Im 17. Jahrhundert wurde Amsterdam der Nachfolger Genuas. Im Gegensatz zu dem italienischen Stadtstaat konnte sich Amsterdam auf die Wirtschaft eines Flächenstaates stützen.

Innerhalb der nächsten 200 Jahren verlor Amsterdam seine Position an London. Dies folgte aus der Vormachtstellung Großbritanniens im 19. Jahrhundert in der Wirtschaft durch die industrielle Revolution, im Militär nach dem Sieg über Napoleon und der Expansion des britischen Imperiums und aus dem Vorsprung in der Entwicklung des Bankwesens und finanzieller Instrumente (zum Beispiel Schecks). Im 19. und 20. Jahrhundert entstanden auch einige andere Finanzzentren, wie zum Beispiel Genf, Paris, Frankfurt am Main, Zürich und Mailand, von denen aber keines London herausfordern konnte.

Am Ende des 19. Jahrhunderts holten Deutschland und die USA in der Industrie zu Großbritannien auf. New York konnte London bis zum Ende des ersten Weltkrieges aber nicht herausfordern und die Weltwirtschaftskrise 1929 unterbrach den Aufstieg New Yorks, obwohl auch London hart getroffen wurde. New York wurde schließlich nach dem zweiten Weltkrieg zum dominanten Finanzstandort, da es der einzige größere internationale Finanzplatz war, der nicht direkt vom Krieg betroffen war. Diese Position konnte New York aber nicht lange halten. Schon ab 1958 kehrte London an die Spitze der Finanzwirtschaft zurück.

In den 1980er Jahren war Japan das einzige Land, das in der Lage war, Kapital in großem Maße zu exportieren. Normalerweise hätte das dazu führen müssen, dass Tokio zum vorherrschenden Finanzstandort der Welt wird. Die japanische Finanzwirtschaft ist aber weniger nach außen orientiert als die der meisten anderen internationalen Finanzzentren. Außerdem hat das Platzen der japanischen "Seifenblasenwirtschaft" auch die Finanzwirtschaft des Landes in eine tiefe Krise gestürzt.

Shanghai war vor dem Zweiten Weltkrieg der führende Finanzstandort im Fernen Osten. Die dortige Finanzwirtschaft wurde aber durch den Zweiten Weltkrieg (1937 bis 1945) und den darauf folgenden Bürgerkrieg (1946 bis 1949) zerstört. Danach wurde ein erneuter Aufstieg Shanghais als internationaler Finanzplatz durch die kommunistische Regierung unmöglich gemacht, da Finanzwirtschaft nach marxistischen Vorstellungen unproduktiv ist. In der Region entstanden in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zwei neue internationale Finanzzentren: Hong Kong und Singapur.

Die bedeutendsten Finanzplätze Deutschlands sind inzwischen Frankfurt, Stuttgart und München. Dabei hat Frankfurt in den Bereichen Banken, globaler Investment-Fonds (DWS) und Börsen (Börse Frankfurt) eine herausragende Stellung. Der Stuttgarter Finanzplatz ist geprägt durch die größte deutsche Landesbank (LBBW) und die größte Börse für verbriefte Derivate in Europa (Börse Stuttgart). München gilt vor allem als eine der weltweit wichtigsten Versicherungsstädte.

Siehe auch

Literatur

Merki, Christoph Maria (Hg.): Europas Finanzzentren. Geschichte und Bedeutung im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M./New York 2005, ISBN 3-593-37743-8


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