Folgen der Gründerkrise

Folgen der Gründerkrise
Ein Bank Run in New York im Jahr 1873

Als Gründerkrach bezeichnet man den Börsenkrach des Jahres 1873, wobei im Speziellen der Einbruch der Finanzmärkte gemeint ist. Dieser Börsenkrach gilt als Ende der Gründerzeit, und die nachfolgende Depressionsphase ist als Gründerkrise bekannt. Der Krise voraus gegangen war eine Überhitzung der Konjunktur, die von verschiedenen Faktoren begünstigt worden war – in Deutschland vor allem durch den gewonnenen Krieg gegen Frankreich 1870/71, die daraus erworbenen Reparationszahlungen Frankreichs und die Reichsgründung.

Die Begriffe „Gründerzeit“, „Gründerkrach“ und „Gründerkrise“ werden insbesondere auf die Situation im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn angewendet, wobei 1873 aber weltweit Finanzmärkte einbrachen. Die Volkswirtschaften der industrialisierten Staaten gingen in eine Phase des verlangsamten Wachstums und der Deflation über, der bis in die 1890er Jahre anhielt. Von Wirtschaftstheoretikern der 1920er Jahre wurde dafür der Begriff „Große Depression“ geprägt.

Inhaltsverzeichnis

Faktoren ab 1870 in Deutschland

Die Zeit ab 1870 war in Deutschland geprägt durch zahlreiche Gründungen von Firmen und Aktiengesellschaften, die starke Erweiterung der Industrieproduktion und die Ausdehnung des Eisenbahnnetzes, die im Deutschen Reich maßgeblich durch den Eisenbahnpionier Bethel Henry Strousberg betrieben wurde. Dieses Wachstum wurde durch mehrere Faktoren hervorgerufen und wurde außerdem von einer allgemeinen Euphorie bezüglich der wirtschaftlichen und, besonders in Deutschland durch die Reichsgründung, der allgemeinen Entwicklung begünstigt.

Ein Faktor war der gewonnene Deutsch-Französische Krieg, der sich in mehrerlei Hinsichten auswirkte. Zunächst flossen durch den Frieden von Frankfurt französische Reparationszahlungen in Höhe von etwa fünf Milliarden Francs (was etwa 4,5 Mrd. Mark entsprach) nach Deutschland, von denen etwa 2,5 bis 3 Mrd. Francs direkt dem deutschen Kapitalmarkt (Kreditinstitute und Börsenplätze) zugute kamen. Weiterhin war während der Einigungskriege 1864–1871 ein großer Teil der Industrieproduktion auf den Krieg ausgerichtet gewesen, sodass nun längst Überfälliges realisiert werden konnte. Der Aufschwung glich also lediglich die Reduzierung der Industrieproduktion in den vorherigen Jahren aus. Die Schaffung eines größeren Wirtschaftsraumes durch die Reichsgründung hatte ebenfalls einen belebenden Einfluss auf die wirtschaftliche Konjunktur.

Ein weiterer Grund für das wirtschaftliche Wachstum war, dass in Deutschland 1870 die Konzessionspflicht für Aktiengesellschaften aufgehoben wurde; das heißt, die Gründung von Aktiengesellschaften unterlag weniger strengen gesetzlichen Einschränkungen (vgl. Gewerbefreiheit). Zum Beispiel konnte eine Aktiengesellschaft mit nur 50 % des Nennwertes ausgestattet werden. Die Folge war die Gründung von über 500 Aktiengesellschaften im Zeitraum von 1871 bis 1873 allein in Preußen. Dadurch wurde immer mehr privates Kapital in die Wirtschaft investiert. Es etablierten sich 61 neue Banken. Die Wirtschaft wuchs rasant; ebenso stiegen die Kurse der Aktien. Das schaffte Vertrauen in den Markt und veranlasste weitere Aktionäre zu Aktienkäufen.

Die Börse wurde zu diesem Zeitpunkt zum Schauplatz zügelloser Spekulationen, wobei die Wertsteigerungen zusätzlich die Spekulationslust steigerten. Dies führte dazu, dass schon bald die Grundsätze seriöser Finanzierung außer Acht gelassen und auch Kredite langfristig vergeben wurden, die de facto durch kurzfristiges Kapital finanziert und in Folge dessen nicht mehr gedeckt waren. Allgemein herrschte oft die naive Denkweise vor, die Banken könnten immer mehr Kapital zur Verfügung stellen.

Gründerkrach von 1873

Die Folge des rasanten wirtschaftlichen Aufstieges waren unter anderem eine Überproduktion und die Schaffung von Überkapazitäten, die die Nachfrage überstiegen. Außerdem waren wie oben genannt viele Aktien überbewertet und letztlich waren auch langfristige Investitionen besonders im Eisenbahnenbau getätigt worden, die nun nicht mehr rückgängig gemacht werden konnten. Ab Mai 1873 sanken allmählich auch die Aktienkurse.

Nachdem Mitte des Jahres 1873 die Franko-Ungarische Bank in Budapest Einzahlungsforderungen nicht mehr nachkommen konnte, erklärten sich kurze Zeit später weitere Banken in Wien zahlungsunfähig. Aufgrund dieser Ereignisse wurden immer mehr Anleger und Bankkunden misstrauisch, verkauften ihre Wertpapiere und „räumten ihre Konten“ aus Angst vor Wertverlusten. Dadurch wurde dem Kapitalmarkt viel Geld entzogen, was die Krise auf immer mehr europäische und amerikanische Börsenplätze ausweitete, bis im Oktober 1873 mit dem Zusammenbruch der Quistorpschen Vereinsbank auch Berlin betroffen war und ein weitgreifender Zusammenbruch von Börsen-, Aktien- und Spekulationsunternehmen begann. Zur gleichen Zeit erging an Deutschland die letzte Kriegskontributionszahlung aus Frankreich. Diese Art von Kapitalquelle fiel für die deutsche Industrie also in Zukunft aus.

Die Wirtschaft steckte fortan in einer Krise, die Produktion ging zurück, es kam zu umfangreichen Entlassungen und Lohnkürzungen. Ein allgemeiner Rückgang der Nachfrage, der Kaufkraft, des Konsums, der Investitionen und der Preise war zu verzeichnen. Der Kurswert von 444 deutschen Aktiengesellschaften sank vom Dezember 1872 bis zum Dezember 1874 um ca. 2 Mrd. Mark.[1] Mark. Offenbarungseide, Selbstmorde und Familientragödien häuften sich. Viele Menschen wanderten nach Amerika aus.

Man kann beim Gründerkrach eigentlich nicht von einer Depression, sondern nur von einer Stagnation sprechen, da in dieser Zeit nur die in den vorhergehenden Jahren überhöhten Wachstumsraten ausgeglichen wurden. Auch die gesamte Zeit von ca. 1873 - 1890 war nicht eine, wie von den Zeitgenossen wahrgenommen, große Depression, sonder vielmehr eine Zeit des schwankenden Wirtschaftswachstums.

Folgen der Gründerkrise

Die Gründerkrise hatte zur Folge, dass der Staat wieder mehr in die Wirtschaftsabläufe eingriff und sich somit vom Wirtschaftsliberalismus verabschiedete. Konkret bedeutete dies die Abkehr von der Idee des Freihandels. Es war auch gleichzeitig der Beginn des Neo-Merkantilismus und von Bismarcks Schutzzollpolitik: Der Staat sollte jetzt, im Gegensatz zum Wirtschaftsliberalismus, wieder bedingt in die Wirtschaftssteuerung eingreifen.

So führte man Schutzzölle auf ausländische Importe ein, um den deutschen Markt zu schützen. Im Deutschen Reich wurde das Preisniveau künstlich über dem des Weltmarktniveaus gehalten. Diese Zölle wurden sowohl auf Rohstoffe und Fertigwaren als auch auf landwirtschaftliche Erzeugnisse erhoben.

Tatsächlich erhöhten sich dadurch die Preise für Industriewaren, die lang anhaltende Aufwärtsbewegung blieb jedoch aus. Die während der Gründerjahre geschaffenen Überkapazitäten existierten schließlich immer noch und konnten auch jetzt noch nicht im Ausland abgesetzt werden, da viele andere europäische Staaten ebenfalls zu protektionistischen Maßnahmen griffen.

Der verlorene Glaube an die liberale Wirtschaftspolitik drückte sich auch darin aus, dass die Nationalliberale Partei 1871 im deutschen Reichstag mit 125 Sitzen (etwa 31 %) vertreten war, 1881 aber mit 47 Sitzen nur noch einen Anteil von etwa 12 % hatte.

Die von der Krise betroffenen Wirtschaftsbereiche ergänzten die staatlichen Maßnahmen durch eigene Kartelle, und ähnliche Zusammenschlüsse wurden gegründet, um wettbewerbsbehindernde Absprachen zu treffen, die vor einem weiteren Preisverfall schützen sollten. Preise von Produkten, Produktionszahlen und Absatzgebiete wurden unter den Firmen ausgehandelt.

Es schlossen sich Interessenverbände zusammen, um Forderungen gegenüber der Regierung durchzusetzen. Arbeitgeberverbände wurden gegründet; auf der anderen Seite entstanden immer mehr Gewerkschaften.

Ebenfalls eine Folge des Börsenkrachs war der „Theaterkrach“ bzw. Theaterkrise im gesamten deutschsprachigen Raum – der Zusammenbruch der Theaterszene als Folge ausbleibender Kundschaft.[2]

Antisemitismus

Die Gründerkise führt nicht zuletzt zu Verschwörungstheorien, die mit Geldkritik verbunden wurden und somit zu einer weiten Ausbreitung und Radikalisierung des Antisemitismus, der in den 1880er-Jahren zu einer breiten Unterströmung wurde. In dieser Wahrnehmung erfolgte eine Trennung in einerseits das "raffende" Finanzkapital und das "schaffende" Produktionskapital. Der "gute" "bodenständige" "deutsche" Fabrikbesitzer wurde in diesem Stereotyp dem "raffenden", "gierigen", "blutsaugenden", "jüdischen" Finanzkapitalist in Form des "Plutokraten" und "Wucherers" entgegengestellt. In der öffentliche Debatte in Deutschland kam es zum Berliner Antisemitismusstreit von 1879 bis 1881, beim dem die sogenannte "Judenfrage" gestellt wurde und um "den Einfluss des Judentums" gestritten wurde. [3]

Folgen der neuen gesetzlichen Bestimmungen

Aufgrund der Einfuhrzölle stiegen die Lebenshaltungskosten in der Folgezeit an; besonders Lebensmittel und Industriewaren wurden teurer. Bevor die Importzölle auf Getreide erhoben worden waren, war es erheblich günstiger aus dem Ausland zu importieren. Durch die steigenden Zölle wurde dies zunehmend reduziert, so dass die Preise für Brot und andere Getreideprodukte um die Jahrhundertwende bei etwa 130 % des Weltmarktniveaus lagen, jedoch eine Vollbeschäftigung in der Landwirtschaft erreicht wurde.

Zwar sanken auch im Deutschen Reich die Preise für Industriewaren. Allerdings fielen die Preissenkungen auf dem Weltmarkt wesentlich höher aus, sodass man relativ zum Weltmarktniveau von einer Preissteigerung sprechen kann. Nichtsdestoweniger wurde für Industriewaren 1886 im Vergleich zu 1871 etwa 80 % mehr ausgegeben. Dies hing damit zusammen, dass solche Güter immer häufiger konsumiert wurden und die Bevölkerung trotz der Auswanderungswelle gewachsen war.

Gemessen an der Wertschöpfung in Industrie und Handwerk, dem Kapitalstock und dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum entwickelte sich die Wirtschaft ab 1879/1880 also positiv.

Quellen

  1. Henning, Friedrich-Wilhelm, Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, Bd.2, Paderborn 1996
  2. Georg Wacks: Die Budapester Orpheumgesellschaft – Ein Varieté in Wien 1889–1919. Verlag Holzhausen, Wien 2002, ISBN 3-85493-054-2, S. 2f
  3. Gerhard Hanloser: Krise und Antisemitismus. Eine Geschichte in drei Stationen von der Gründerzeit über die Weltwirtschaftskrise bis heute. Münster, 2004.
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