Fraktionsloser Abgeordneter

Fraktionsloser Abgeordneter

Ein fraktionsloser Abgeordneter ist ein Mitglied des Parlamentes, das keiner Fraktion angehört. Abgeordnete gleicher Parteizugehörigkeit bilden im Parlament üblicherweise eine Fraktion. Ein Abgeordneter besitzt den Status eines fraktionslosen Abgeordneten, wenn es entweder zu wenige Mitglieder seiner Partei im Parlament gibt, mit denen er eine Fraktion bilden könnte, wenn er schon bei seiner Wahl keiner Partei oder Wählergemeinschaft angehörte, wenn er aus seiner Fraktion ausgetreten ist oder wenn er von seiner bisherigen Fraktion ausgeschlossen wurde.

Inhaltsverzeichnis

Europaparlament

Im Europaparlament gibt es 29 Abgeordnete, die keiner der sieben Fraktionen angehören. Die meisten dieser fraktionslosen Abgeordneten sind Mitglieder einer nationalen Partei, die keiner europäischen politischen Partei angehört oder deren europäische Partei zu wenig Abgeordnete stellt, um eine eigene Fraktion zu gründen. Letzteres ist der Fall bei den Mitgliedern des rechtsnationalistischen Bündnisses Euronat, das im Januar 2007 die Fraktion Identität, Tradition, Souveränität gründete, die aber nach nur zehn Monaten wieder aufgelöst wurde: Nach internen Streitigkeiten war die rumänische Mitgliedspartei PRM aus der Fraktion ausgetreten, sodass diese nicht mehr auf die Mindestzahl von 20 Abgeordneten kam.

Deutschland

Von grundsätzlicher Bedeutung für die politische Stellung fraktionsloser Abgeordneter war das Wüppesahl-Urteil in einem vom Mitglied des Bundestages Thomas Wüppesahl beantragten Verfahren. Wüppesahl wehrte sich gegen seine Abberufung aus allen Ausschüssen, und wollte als fraktionsloser Abgeordneter u.A. in einer der beiden vorderen Bankreihen des Bundestages sitzen und wie die Fraktionen einen Zuschuss aus dem Haushalt bekommen, was vom Bundestagspräsidium abgelehnt wurde. Als er zu diesen Punkten die Aussprache im Bundestag begehrte, wurde ihm Redezeit durch das Parlament verweigert. Dagegen führte Wüppesahl ein Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Dieses entschied mit Urteil vom 13. Juni 1989[1], dass die Verwehrung der Mitgliedschaft in einem Ausschuss mit Rede- und Antragsrecht (aber ohne Stimmrecht) gegen das Recht des Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen würde; die anderen Anträge Wüppesahls wurden abgelehnt. Außerdem stellte das Verfassungsgericht fest, dass die Ausschüsse des Parlaments die Zusammensetzung des Plenums verkleinert abbilden müssen und dass die Vorbereitung von Entscheidungen und Beschlüssen des Plenums die Erarbeitung mehrheitsfähiger Entscheidungsgrundlagen voraussetzt. Damit wäre nicht vereinbar, wenn sich die politische Gewichtung innerhalb des Parlamentes nicht in den Ausschüssen widerspiegeln würde.

Später formulierte das Bundesverfassungsgericht in der so genannten „zweiten PDS-Entscheidung“ den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit noch deutlicher. In Abweichung von dem üblicherweise bei der Gremienbesetzung angewandten Verfahren liegt ausdrücklich keine missbräuchliche Handhabung der „Geschäftsordnungsautonomie“.

Im 16. Deutschen Bundestag gab es mit Jörg Tauss, Gert Winkelmeier und Henry Nitzsche zeitweise drei fraktionslose Abgeordnete.[2]

Einzelnachweise

  1. BVerfG Urteil vom 13. Juni 1989, Az. 2 BvE 1/88, BVerfGE 80, 188
  2. Sitzverteilung im 16. Deutschen Bundestag. Deutscher Bundestag, 15. Juli 2009, abgerufen am 29. Juli 2009.

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