Franks Casket

Franks Casket

Das Runenkästchen von Auzon (auch Franks Casket) ist ein mit Abbildungen und Runen verziertes Kästchen aus Walknochen und wurde Anfang des 7. Jahrhunderts im angelsächsischen Northumbria, wohl im klösterlichen Umfeld, hergestellt. Das Kästchen ist nach seinem Fundort in Auzon (Frankreich), beziehungsweise nach seinem Käufer und Stifter Sir Augustus W. Franks, benannt. Es befindet sich heute im Britischen Museum, London.

Mit seinen Bildern aus christlicher und heidnischer Tradition (letzterer sind szenische Darstellungen eigentlich fremd) sowie mit seinen runischen Inschriften ist es das eindrucksvollste frühmittelalterliche Kunstwerk, das wir kennen. Es ist das Produkt einer synkretistischen Epoche, und das ist das eigentlich Spannende dieser Arbeit.

Inhaltsverzeichnis

Weltlich-heroische Deutung

Bei näherer Betrachtung kann man im Bild-, Vers- und Runengebrauch eine genau durchdachte programmatische Intention erkennen. Kein Bild ist lediglich ornamental, kein Text dient allein der Erläuterung. Von der Anbetung Christi durch die Magier („Könige“ wurden sie im Volksglauben erst später) bis hin zu einer mythischen Szene auf dem Deckel des Kästchens beschreibt der Schnitzer den Lebensablauf eines Kriegers von der Geburt bis zum Tod und Eingang ins Jenseits, das hier als Walhall gesehen wird. Da es sich sehr wahrscheinlich um ein Schatzkästchen handelt, dürfte es einem König gehört haben, der daraus seine Recken mit feohgift (Ringe usw.) ehrte und entlohnte. Hier könnte man an Edwin, König von Northumbria (reg. 616-632; 627 getauft) oder den heidnischen König Penda von Mercia († 655) denken.

Runenkästchen von Auzon (spätes 7. Jh.) mit altenglischen Stabreimversen in Runen, vordere Tafel: Szene aus der Wieland-Sage

Am Beispiel der Vorderseite des Kästchens lässt sich die magische Praxis des Runenmeisters ablesen. Die Stabreimverse vom Wal, die die Bilder rahmen, haben scheinbar nichts mit den Darstellungen zu tun. Betrachtet man die beiden stabtragenden Runen (f und g) jedoch näher, dann erkennt man den Bezug: Die f-Rune (feoh, Vieh) steht für den beweglichen Besitz wie Gold und Geschmeide; die g-Rune (gifu, Gabe) bezeichnet das Geschenk. Wieland, den das linke Bild zeigt, stellt eben jenes feoh her, während die drei Magier (die heiligen drei Könige) auf dem rechten Bild gifu bringen. Und feohgifu, die Ehrengabe, ist genau das, was die königliche Schatulle enthält. Gleichzeitig steht das Magierbild für die herausragende Geburt. Bemerkenswert ist hier der Wasservogel statt eines Engels, vermutlich die Fylgja (spirituelle Begleiterin, Walküre) in ihrer Tiergestalt (vgl. Schwanenjungfrau). Die Hilfe einer solchen Fylgja zeigt das Wielandbild, wo sie eine Flasche herbeibringt, Bier, mit dem der albische Schmied die Königstochter betäubt, um sie zu schwängern. Durch diese Rache (Tötung der Söhne und Vergewaltigung der Tochter seines Peinigers) erlangt er seine Freiheit und kann (in Vogelgestalt) entfliegen. Die Inschrift setzt sich aus 72 Zeichen zusammen, was ohnehin als magische Zahl (3 x 24) verstanden wird, darüber hinaus aber hat sie - wenn man jeder Rune den Wert ihrer Position in der Runenreihe zumisst, den Runenwert 720. Nach diesem Muster verfährt der Schnitzer auch bei den anderen Inschriften und Darstellungen.

Damit ist es eine eher weltliche Parallele zum Gandersheimer Kästchen, das aus demselben Raum und derselben Zeit stammt, aber nur Bezug auf Jesu Leben, Tod und Auferstehung nimmt. Letztlich gleichen sich beide Werke auch in ihrer Absicht: Sie wollen das Schicksal ihres Besitzers positiv beeinflussen; doch die Mittel unterscheiden sich. Bei Franks Casket, das auch Motive und Techniken verwendet, die erst das Christentum vermittelte, ist jedes Element funktional. Damit erinnert es in seiner Absicht an die altenglischen „charms“, während die christlichen Darstellungen auf Reliquiaren eher apotropäische Funktion haben, indem sie durch Bild und Text himmlischen Beistand, und mittels einer Reliquie den Schutz und die Fürbitte des hier verehrten Heiligen zu sichern suchte.

Christlich-mystische Deutung

Im Gegensatz zur weltlich-heroischen Deutung stellt die christlich-mystische Deutung, die Marijane Osborn [1] vorgestellt hat, die einzelnen Bilder zueinander in Bezug. Wieland, der fern seiner Heimat von König Nidhad gefangengehalten wird, tötet aus Rache - statt sein Leiden duldsam zu ertragen - einen Knaben, dessen Knochen auf dem Bild auf dem Boden liegen. Aus dem Schädel des Getöteten reicht er der Königstochter einen Liebestrank um sie sexuell gefügig zu machen. Zwar gelang es ihm darauf mit Hilfe der Federn der getöteten Gänse Flügel zu bauen und in die Freiheit zu entrinnen. Aber die Gänse (=Seelen) von Kindermördern und Frauenschändern sind tot! Besser wäre er dem Ruf seiner Seele gefolgt, so wie die drei Könige der Gans folgten, um dem wahren Erlöser und Befreier, dem Heiland, zu huldigen.

Auch die Darstellung von Romulus und Remus greift das Thema wieder auf. Rhea Silvia, eine Vestalin und somit Jungfrau, wird durch Mars, einen Gott, schwanger. Die Parallele zur Jungfrau Maria ist unübersehbar. Aber im Gegensatz zur biblischen Geschichte, wird die Mutter nach ihrer Niederkunft im Tiber ertränkt und die Söhnchen ausgesetzt, fern der Heimstatt, wie der Text ausdrücklich erwähnt. Die weitere Geschichte wird im Bild von der Eroberung Jerusalems erzählt. Die Römer, Nachkommen vom Remus, erobern Jerusalem (und die Welt) und treiben Frauen und Kinder ins Exil oder schleppen sie als Gefangene fort. Aber das weltliche Rom ist genauso wenig ewig, wie das weltliche Jerusalem. Zur Zeit des Kästchens war das Römische Reich bereits Geschichte.

Das keltische Bild thematisiert den Mythos der Rhiannon, einer kymrischen Göttin, die sich in ein Pferd verwandeln konnte. In der Nacht nach ihrer Niederkunft wird ihr Söhnchen geraubt und eine Dienerin beschmiert Rhiannon mit Blut. Dann verleumdet sie ihre Herrin beim König und beschuldigt diese des Kindermordes. Zur Strafe muss Rhiannon sieben Jahre lang vor dem Hof der Königsburg auf einem Stein sitzen und jedem Vorbeikommenden ihre (angebliche) Untat berichten. Dann muss sie den Fremden auf ihrem Rücken zur Burg tragen.

Somit demonstriert der Hersteller des Kästchens die moralische Überlegenheit des Christentums über die drei Kulturen - Kelten, Römer und Germanen - die den Grundstock der angelsächsischen Kultur bildeten. Aber das Kästchen zeigt dem erkennenden Betrachter auch die Vergänglichkeit und Unsicherheit weltlichen Daseins, was schön ausgedrückt wird im Vers über den gestrandeten Wal, der dann zum Kästchen verarbeitet wurde. Endlich noch das Deckelbild. Der Bogenschütze Egil wird von Kriegern bedroht und verschanzt sich.

Der Psalm 72 verlangt, dass alle Nationen Gott dienen sollen; und in der Völkertafel der Genesis werden 72 Völker genannt, die die Menschheit symbolisieren.

Quellen

  1. Marijane Osborn: The Lid as Conclusion of the Syncretic Theme of the Franks Casket, in A. Bammesberger (ed.): Old English Runes and their Continental Background, Heidelberg 1991, pp. 603-628

Literatur

  • Alfred Becker: Franks Casket, Zu den Bildern und Inschriften des Runenkästchens von Auzon. Sprache und Literatur. Regensburger Arbeiten zur Anglistik und Amerikanistik. Bd. 5. Hans Carl, Regensburg 1973. ISBN 3-418-00205-6
  • Th. Müller-Braband: Studien zum Runenkästchen von Auzon und zum Schiffsgrab von Sutton Hoo. in: Göppinger Arbeiten zur Germanistik. Kümmerle, Göppingen 728.2005.
  • A. Bammesberger (ed.): Old English Runes and their Continental Background, Heidelberg 1991. ISBN 3-533-04463-7. Mit zwei Artikeln über das Thema von Marijane Osborn (S.249-268) und Heiner Eichner (S. 603-628) und einen Kommentar dazu von Alfred Bammesberger (S. 629-632).

Weblinks


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