Franz Lang (Höß-Pseudonym)

Franz Lang (Höß-Pseudonym)
Rudolf Höß beim Gerichtsprozess in Polen

Rudolf Franz Ferdinand Höß (* 25. November 1900 in Baden-Baden; † 16. April 1947 in Auschwitz) war ein deutscher Nationalsozialist, SS-Obersturmbannführer und von Mai 1940 bis November 1943 Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz. Er wurde als Kriegsverbrecher 1947 zum Tode durch den Strang verurteilt und im Stammlager hingerichtet.

Inhaltsverzeichnis

Leben bis 1933

Rudolf Höß wurde am 25. November 1900 als Sohn katholischer Eltern in Baden-Baden geboren. Nach dem Umzug nach Mannheim besuchte er dort das Karl-Friedrich-Gymnasium. Sein Vater (Franz Xaver Höß, von Beruf Kaufmann) wollte, dass er katholischer Priester werde. Nach dem Tod des Vaters blieb Höß in der Schule sitzen, meldete sich im Alter von 15 Jahren freiwillig zur Armee, wurde in der Türkei an der Irakfront und später an der Palästinafront gegen die Engländer eingesetzt, wo er bereits im Alter von 17 Jahren als Unteroffizier mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse ausgezeichnet wurde.

1919 schloss Höß sich dem Freikorps Roßbach an und nahm an Kämpfen im Baltikum, im Ruhrgebiet und in Oberschlesien teil. Danach versuchte er erfolglos sich eine Zeit lang als Tagelöhner durchzuschlagen. Die dabei erlittenen persönlichen Niederlagen hätten ihn fast zum Suizid veranlasst, bis er auf die NSDAP aufmerksam wurde. Höß trat dieser Partei im Jahre 1922 bei. Ein Jahr später war er am „Fememord” an Walter Kadow beteiligt. Einer seiner Komplizen war sein späterer Förderer Martin Bormann. Aus Angst als Mitwisser selbst liquidiert zu werden, zeigte einer der Beteiligten den Mord offiziell an. Höß wurde verhaftet und zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Bereits 1928 kam er aufgrund einer Amnestie wieder vorzeitig frei.

In den folgenden Jahren betätigte sich Höß in Ahlen-Vorhelm in der Landwirtschaft und gehörte als Führungsperson verschiedenen auf die Landbevölkerung zugeschnittenen Nazibünden, wie zum Beispiel dem Bund der Artamanen, an. In der Zeit begegnete er zum ersten Mal Heinrich Himmler, der von Höß' Unterwürfigkeit und Gründlichkeit begeistert war. 1929 heiratete er Hedwig Hensel, aus deren gemeinsamer Ehe fünf Kinder hervorgingen.

Tätigkeiten in der SS

20.09.1933 Eintritt in die allgemeine SS. 1934 forderte Himmler ihn nach seiner Angabe auf, der Totenkopf-SS beizutreten. In diesem Jahr wurde er als Block- und Rapportführer im KZ Dachau eingesetzt. 1938 wurde er Adjutant des Lagerkommandanten im Konzentrationslager Sachsenhausen und ab November 1938 Schutzhaftlagerführer im Rang eines SS-Hauptsturmführers. Im Mai 1940 erfolgte seine Versetzung als Lagerkommandant ins Konzentrationslager Auschwitz.

Am 1. März 1941 wurde Höß von Himmler der Befehl zum Aufbau des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau gegeben. Im Sommer 1941 wurde er zu Himmler nach Berlin befohlen. Himmler erklärte ihm, dass der Führer die „Endlösung der Judenfrage“ befohlen habe, und er diese Aufgabe auszuführen hätte. Kurz darauf wurde Höß von Adolf Eichmann (IKL) in Auschwitz aufgesucht. Dieser nannte ungefähre Zahlen der Transporte und stellte klar, dass zur Vernichtung nur „Gas“ in Frage kommen würde, da die zu erwartenden Massen durch Erschießen nicht zu beseitigen wären. Im übrigen sei dies für die SS-Männer eine zu große Belastung wegen der Frauen und Kinder – so Eichmann. Im Herbst 1941 hatte der Vertreter von Höß – Hauptsturmführer Karl Fritzsch – eigenmächtig eine Vergasung russischer Kriegsgefangener mit Zyklon B durchgeführt; Höß war zu diesem Zeitpunkt auf einer Dienstreise. Er einigte sich mit Eichmann auf diese Methode. Fritzsch rühmte sich später, der Erfinder der Gaskammern in Auschwitz zu sein und als erster Zyklon B erfolgreich zur Massenvernichtung eingesetzt zu haben.

Höß leitete die um den Jahreswechsel 1941/1942 beginnende Vernichtung der Juden. Diese wurden in zwei provisorisch zu Gaskammern umgebauten Bauernhäusern umgebracht. Ende 1942 wurde mit dem Bau von vier großen Krematorien mit Gaskammern begonnen, die ab März 1943 in Betrieb gingen. Im November 1943 teilte der Obergruppenführer Oswald Pohl (WVHA) die zentrale Kommandantur der Konzentrationslager Auschwitz auf. In diesem Zuge wurde Höß am 10. November 1943 mit der Wahrnehmung der Geschäfte der Amtsgruppe D im SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS (WVHA) betraut und dazu nach Berlin berufen. Am 1. Mai 1944 wurde er zum Chef des Amtes D I im WVHA ernannt. Von Mai bis Juli 1944 war Höß im Auftrag des WVHA als Standortältester erneut im KZ Birkenau, um für den reibungslosen Ablauf der Vernichtung der ungarischen Juden zu sorgen.

Nach Kriegsende

Der Galgen, an dem Rudolf Höß gehenkt wurde.

Im Mai 1945 tauchte er unter und gab sich unter dem Namen „Franz Lang” als Maat der Marine aus, bis er am 11. März 1946 von der britischen Militärpolizei auf einem Bauernhof in der Nähe von Flensburg festgenommen wurde.

Im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess sagte er als Zeuge der Verteidigung von Ernst Kaltenbrunner, und anschließend im Prozess Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS als Zeuge gegen den Leiter des SS-WVHA Oswald Pohl aus.

Am 25. Mai 1946 wurde Höß an Polen ausgeliefert und unter Richter Jan Sehn vor Gericht gestellt. Während des Prozesses trug er durch seine Aussagen zur Klarstellung vieler historischer Fragen bei. Er verstand angeblich bis zum Schluss nicht, warum er zur Rechenschaft gezogen wurde, da er nur Befehle ausgeführt habe. Am 2. April 1947 wurde Höß in Warschau zum Tode verurteilt, und vierzehn Tage später vor seiner ehemaligen Residenz in Auschwitz gehenkt.

Psyche

Vom Gerichtspsychologen Gustave M. Gilbert wird Höß als geistig normal, mit einer schizoiden Apathie, fehlendem Einfühlungsvermögen und Gefühllosigkeit beschrieben. Gilbert beschreibt ihn in bei den Gesprächen als geduldig, sachlich und leidenschaftslos.[1] Charakteristisch für Höß war seine vorauseilende Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt, immer im Dienste einer höheren Autorität.[2] Sadistische Neigungen wie etwa beim aus Schindlers Liste bekannten Kommandanten des KZ Plaszow Amon Göth waren bei Höß nicht nachweisbar.

In Bezug auf die Judenvernichtung hatte Höß keine ethischen Bedenken. Beeinflusst durch die antisemitischen Schriften und Reden von Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler stellte er die Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit dieser Taten nie in Frage. Er ging nicht davon aus, dass er jemals dafür zur Rechenschaft gezogen würde. Auf die Frage des Gerichtspsychologen Gilbert „ob die Juden, die er ermordet hätte, schuldig seien bzw dieses Schicksal verdienen?“ antwortete er: „Solche Fragen sind unrealistisch... wir SS-Leute sollten über solche Dinge nicht nachdenken; es kam uns auch nicht in den Sinn“.[1] Höß wurde dabei nicht von der plumpen Propaganda angesprochen. Er gab an, den „Stürmer“ nur selten zu lesen, weil dieser zu oberflächlich sei. Laut Höß hätten Untergebene, die den „Stürmer“ regelmäßig lesen, meist einen begrenzten Horizont.

Das Paradoxe an Rudolf Höß ist, dass er nicht der sadistische, rohe und brutale Massenmörder ist. Vielmehr ist er eher durchschnittlich, kleinbürgerlich, keineswegs bösartig, mit vielen Sekundärtugenden wie Ordnungsliebe, Pflichtbewusstsein und Naturverbundenheit ausgestattet. Diese Qualitäten haben ihn nicht vor Inhumanität, Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern und einer totalen Ausblendung jeglicher Moral und Ethik bewahrt. Er hat sein Pflichtbewusstsein und seine Sorgfalt in einer pervertierten Art und Weise in den Dienst der Massenmörder gestellt.[3]

Aussagen

Eidesstattliche Erklärung Rudolf Höß' im Nürnberger Prozeß am 14. Mai 1946

Nach der Gefangennahme von Rudolf Höß durch die britische „92. Field Security Section“ wurde er mehrfach vernommen, sagte als Zeuge der Verteidigung beim Nürnberger Prozess aus und hat in polnischer Untersuchungshaft umfangreiche autobiografische Aufzeichnungen erstellt.

Aussage in britischer Gefangenschaft

Am 14. März 1946 unterzeichnete Rudolf Höß ein in deutscher Sprache abgefasstes Vernehmungsprotokoll. Dieses Dokument umfasste 8 Seiten und ist von Captain William Cross, Kommandeur der „92. Field Security Section“ gegengezeichnet. Die Dokumentennummer beim Nürnberger Prozess ist NO-1210. Er schätzt in diesem Dokument die Opferzahl in Auschwitz auf 3 Millionen wobei er annimmt, dass 2,5 Millionen vergast wurden. Bei dieser Schätzung verweist er auf eine Berichterstattung von Adolf Eichmann an den Reichsführer SS im April 1945. In persönlicher Erinnerung waren ihm noch die großen Massentransporte mit 250.000 aus Oberschlesien und Polen, 100.000 aus Deutschland und Theresienstadt, 90.000 aus Holland, 20.000 aus Belgien, 110.000 aus Frankreich, 65.000 aus Griechenland, 400.000 aus Ungarn und 90.000 aus der Slowakei.

Des Weiteren gab Rudolf Höß eine detaillierte Beschreibung des Ablaufes der Massenvernichtung, der Kapazitäten der Anlagen und weiterer organisatorischer Details.

Vernehmung als Zeuge

Am 1. und 2. April 1946 wurde Rudolf Höß im Zuge der Vorbereitungen auf seine Aussage als Zeuge der Verteidigung beim Nürnberger Prozess vernommen. Die Vernehmung wurde in englischer Sprache durchgeführt, nachdem Höß erklärte, dass er diese verstehe, weil er auf einem Gymnasium war und als Kavallerist zwei Jahre im Irak und in Palästina verbracht habe.

Während dieser Vernehmung erklärte Höß, dass er mit der Planung eines Vernichtungslagers von Heinrich Himmler direkt beauftragt wurde. Er wurde angewiesen, das Vernichtungslager Treblinka zu besuchen, und die dort herrschenden Probleme bei der Massenvernichtung in Birkenau zu lösen. Nach diesem Besuch wollte er die Vernichtung so organisieren, dass die Opfer absolut im Unklaren darüber gelassen werden, dass sie vergast werden. Die mit Benzinmotoren betriebenen Gaskammern waren ihm zu unzuverlässig, so dass Zyklon B zum Einsatz kam, was in großen Mengen zur Sachentwesung zur Verfügung stand. Bezüglich der Vergasung gab er an, dass die Vergasungzeiten vom Wetter und vom gesundheitlichen Zustand der Opfer abhingen. Während die Opfer direkt an der Einwurfstelle in Augenblicken bewusstlos waren, brauchte dies bei weiter entfernten Opfern durchaus über fünf Minuten. Innerhalb von 15 Minuten waren alle sicher getötet und nach einer halben Stunde wurden die Kammern geöffnet.

Er gab sehr detaillierte Beschreibungen der Vorgänge und der chronologischen Abläufe ab. Er korrigierte seine Befrager mehrfach, wenn diese etwas falsch interpretierten oder falsch verstanden. Obwohl er den Massenmord ohne Ausflüchte in allen Details zugab, verwehrte er sich total dagegen, als die Befrager ihm unterstellten, dass man die Häftlinge bewusst verhungern ließ. Genauso verwehrte er sich dagegen, dass auf seinen Befehl willkürliche Gewaltexzesse an den Häftlingen vollzogen würden. Er räumte ein, dass Gewaltexzesse vorkamen, sofern ihm das bekannt wurde, hätte er die Verantwortlichen aber zur Rechenschaft gezogen.[4]

Eidesstattliche Erklärung

Die von Höß während der Vernehmungen am 1. und 2. April gemachten Aussagen wurden in einer eidesstattlichen Erklärung (Affidavit) in englischer Sprache zusammengefasst. Diese vierseitige Erklärung wurde von Höß am 5. April 1946 unterzeichnet. Die Dokumentennummer beim Nürnberger Prozess ist 3868-PS bzw US-819. [5]

Die Erklärung selbst ist stark gestrafft, viele Details sind dabei verloren gegangen und auch teilweise verfälscht worden. Insbesondere der im Kontext der Opferzahlen der Konzentrationslager Auschwitz wichtige Hinweis, dass die von Höß genannten Zahlen aus einem Rapport von Eichmann an den Reichsführer SS im April 1945 stammen, ist nicht enthalten, obwohl dies aus den Vernehmungsprotokollen klar hervorgeht.

Aussage beim Nürnberger Prozess

Am 15. April 1946 sagte Rudolf Höß als Zeuge der Verteidigung beim Nürnberger Prozess aus. Höß wurde zum Zustand der Gefangenen bei der Befreiung der Lager, zu Mißhandlungen und zu den Lagerräumungen befragt. Als die Befragung zur Massenvernichtung kam, wurde von Oberst John Amen (Ankläger für die Vereinigten Staaten) Bezug auf die eidesstattliche Erklärung 3868-PS genommen. Oberst Amen hat Abschnitte aus dieser Erklärung verlesen und Höß mehrfach gefragt, ob dies stimme. Höß antwortete immer mit „Jawohl!“. Dies wird von Holocaustleugnern gerne als Beweis für eine erzwungene Aussage interpretiert. Da Höß aber in den vorhergehenden Vernehmungen die Ungereimtheiten bereits ausgeräumt hatte, bestätigte er in der ihm eigenen Art den Inhalt mit einem knappen „Jawohl!“. Hermann Göring war laut den Berichten des Gerichtspsychologen Gustave M. Gilbert nach den Aussagen von Höß niedergeschlagen, da seine Verteidigungsstrategie zusammenbrach. Göring war immer davon ausgegangen, dass der Massenmord nicht beweisbar sein würde.

Erklärung zur Opferzahl von 2,5 Millionen

Angetrieben durch Zweifel von Hermann Göring an der praktischen Durchführbarkeit der Vernichtung von 2,5 Millionen Opfer in den Gaskammern stellte Rudolf Höß weitere eigene Überlegungen zu dieser Frage an. Am 24. April 1946 verfasste Höß eine handschriftliche Erklärung, in der er den Vernichtungsvorgang noch einmal in allen Details beschrieb. Er berechnete, dass in den 27 Monaten (36 Monate – insgesamt 9 Monate Pause zwischen den Aktionen) bei 3000 Opfern/Tag in diesem Zeitraum 2,43 Millionen vernichtet werden könnten. Dies sei technisch möglich. Nach seinem Wissen scheint ihm diese Zahl allerdings viel zu hoch. Die Summe der größeren Aktionen gab er mit 1,125 Millionen an und schätzte die Gesamtzahl der Vergasten auf höchstens 1,5 Millionen. Er betonte allerdings immer noch, dass er sich an die Angaben seines Vorgesetzten Eichmann zu halten habe.[6]

Autobiografie

In polnischer Gefangenschaft hat Höß seine Autobiografie mit umfangreichen Aufzeichnungen zu den Ereignissen im Konzentrationslager Auschwitz verfasst. Dabei hat er einige Ausführungen seiner Aussage korrigiert und präzisiert. Diese Aufzeichnungen stimmen in weiten Zügen mit anderen Aussagen, insbesondere dem von Pery Broad in britischer Gefangenschaft verfassten Bericht überein. Seine detailreichen Ausführungen zeigen, dass er das Geschehene in seinen Aussagen selbst erlebt hatte und es ihm nicht von den Vernehmern in den Mund gelegt wurde:

Die Zahl der in Auschwitz zur Vernichtung eingelieferten Juden gab ich in früheren Vernehmungen mit 2,5 Millionen an. Diese Zahl stammt von Eichmann, der sie kurz vor der Einschließung Berlins, als er zum Rapport zum RFSS befohlen war, meinem Vorgesetzten, Gruppenführer Glücks gab... Nach jeder größeren Aktion mussten in Auschwitz alle Unterlagen, die Aufschluss über die Zahl der Vernichteten geben konnten, laut RFSS-Befehl verbrannt werden... Ich halte die Zahl 2 1/2 Millionen für viel zu hoch. Ich selbst wußte nie die Gesamtzahl, habe auch keine Anhaltspunkte, um sie wiedergeben zu können. Es sind mir lediglich noch die Zahlen der größeren Aktionen in Erinnerung, die mir wiederholt von Eichmann oder dessen Beauftragten genannt worden waren.

  • Aus Oberschlesien und GG [Generalgouvernement] 250.000
  • Deutschland und Theresienstadt 100.000
  • Holland 95.000
  • Belgien 20.000
  • Frankreich 110.000
  • Griechenland 65.000
  • Ungarn 400.000
  • Slowakei 90.000
Die Zahlen der kleineren Aktionen sind mir nicht mehr in Erinnerung, sie waren aber im Vergleich zu obigen Zahlen unbedeutend. Ich halte die Zahl 2,5 Millionen für viel zu hoch. Die Möglichkeiten der Vernichtung hatten auch in Auschwitz ihre Grenzen. Die Zahlenangaben ehemaliger Häftlinge sind Phantasiegebilde und entbehren jeder Grundlage.

Kommandant in Auschwitz, S. 252

Die Summe der von Rudolf Höß genannten großen Aktionen ergibt 1,13 Millionen. Sie deckt sich mit der vom Historiker Franciszek Piper veröffentlichen Zahl von 1,1 – 1,5 Millionen. Auch in den Details wird der Stand der Forschung sehr gut wiedergegeben. Insofern ist der historische Wert von Höß' Autobiografie in weiten Teilen gesichert.

Zuverlässigkeit der Aussagen und der Autobiografie

Holocaustleugner versuchen regelmäßig die Zuverlässigkeit der Aussagen und der Autobiografie von Rudolf Höß in Zweifel zu ziehen, um das umfassende Eingeständnis seines Beitrags zum Holocaust unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Seine Ausführungen in den Vernehmungsprotokollen und in seiner Autobiografie zeigen jedoch einen durchgehenden Handlungsstrang, der immer wieder um weitere Facetten und Details ergänzt wird. Haupthandlung und Randgeschehen werden mit derselben großen Detailfülle vorgetragen. Dies spricht gegen eine erfundene bzw. erpresste Aussage.

Teilweise wird aufgrund des Buches von Rupert ButlerLegions of Death“ behauptet, dass die Aussagen von Höß durch Folter erpresst worden seien. Das Buch schildert, dass Höß bei seiner Verhaftung schwer misshandelt und unter Alkoholeinfluss gesetzt wurde. Laut „Legions of Death“ waren die Täter der britisch-jüdische Sergeant „Bernard Clarke“ und britisch-jüdische Sergeanten des Arrestierungskommandos der „92. Field Security Section“, deren Eltern auf seinen Befehl ermordet worden.

„Hoess screamed in terror at the mere sight of British uniforms. Clarke yelled: What is your name? With each answer of „Franz Lang“, Clarke's hand crashed into the face of the prisoner. The fourth time that happened, Hoess broke and admitted who he was. The admission suddenly unleashed the loathing of the Jewish sergeants in the arresting party whose parents had died in Auschwitz following an order signed by Hoess. The prisoner was torn from the top bunk, the pyjamas ripped from his body. He was then dragged naked to one of the slaughter tables, where it seemed to Clarke the blows and screams where endless. ... A blanket was thrown over Hoess and he was dragged to Clarke's car, where the sergeant poured a substantial slug of wisky down his throat.“

Rupert Butler:Legions of Death S. 237

Danach wurde er arrestiert und während der nächsten drei Tage vernommen. Dabei war er beim Reden nicht mehr zu bremsen und hat eingeräumt, dass er für den Tod von zwei Millionen Menschen verantwortlich ist.

„It took three days to get a coherent statement out of him. But once he started talking, there was no holding him. The man who suffered most during the interrogation, however, was not the prisoner but Bernard Clarke. He Recalls: ... It was not due to the strain of events. I could cope with that. But Hoess had repeated with pride the instructions that he had given to prisoners to dig pits in which they where subsequently shot. He revealed how the bodies where ignited and how oozing fat from them was poured over others. He admitted without a trace of remorse that he had been responsible for around two million deaths and that killings had frequently been carried out at the rate of 10.000 a day.“

Rupert Butler:Legions of Death S. 237

Bei der Zensur des Schriftverkehrs an seine Frau und seine Kinder zeigten sich für Sergeant Bernard Clarke zwei Seiten von Rudolf Höß: Den sanften und liebevollen Familienvater und den brutalen, sich nicht um menschliches Leben scherenden Kommandanten. Laut Clarke hat Höß nie versucht seine Verantwortung zu leugnen oder zu relativieren.

In seiner Autobiografie beschrieb Rudolf Höß die Umstände dieser „Ersten Vernehmung“:

Unter schlagenden Beweisen kam meine erste Vernehmung zustande. Was in dem Protokoll drin steht, weiß ich nicht, obwohl ich es unterschrieben habe. Doch Alkohol und Peitsche waren auch für mich zuviel.

„Kommandant in Auschwitz”, S. 225

Die Autobiografie und das Buch von Butler stellen zwar einen Gewaltexzess während der Verhaftung und vor der ersten Vernehmung dar, aber gerade nicht, dass das Geständnis durch Folter erpresst worden sei. Im Gegenteil: Butler beschreibt, dass Höß nach der Misshandlung aus freien Stücken aussagte und dabei nicht zu bremsen war. Dies zeigt insbesondere auch die Zuverlässigkeit der in polnischer Gefangenschaft von Höß erstellten Autobiografie, da unter Zensur bzw. Folter die Beschreibung der Misshandlungen sicher nicht enthalten wären.[7]

Teilweise wird auch behauptet, Höß hätte seine Aussagen laufend geändert und deshalb seien sie erfunden. Zuerst würde er von 2,5 Millionen Opfern sprechen und diese dann später auf 1,5 Millionen reduzieren. Höß hat bereits in seiner ersten Vernehmung durch die britische „92. Field Security Section“ eingeräumt, dass die Zahl von 2,5 Millionen von Adolf Eichmann stammt. Er gab bereits in der ersten Vernehmung die größeren Aktionen an, die in der Summe 1,13 Millionen ergeben. Während der weiteren Vernehmungen stellte er die von Eichmann genannte Zahl von 2,5 Millionen immer mehr in Zweifel und stellte eine eigene Abschätzung mit maximal 1,5 Millionen an.

„Wolzek“

Eine weiteres, von Geschichtsrevisionisten wiederholt aufgegriffenes Motiv ist das „Konzentrationslager Wolzek“, das Höß in seiner Aussage nannte. Ein KZ dieses Namens ist unbekannt. Dies wird dann als Argument dafür verwendet, dass Höß unter Folter einfach Aussagen erfunden habe. Höß bezeichnete dieses Lager als „Wolzek bei Lublin“. Aus dem Vernehmungsprotokoll geht hervor, dass Heinrich Himmler ihm diese Lager im Juni 1941 nannte: [8]

„...Ich wurde im Juni 1941 zu Himmler befohlen wo er dem Sinne nach ungefähr folgendes sagte. Der Führer hat die Lösung der Judenfrage in Europa befohlen. Es bestehen im Generalgouvernment schon einige sogenannte Vernichtungslager BELZAK<sic> bei RAVA RUSKA Ostpolen, TREBLINKA bei Malina am Flusse Bug, und Wolzek bei Lublin...“

Vernehmungsprotokoll vom 14. März 1946 S. 2 (Dokument NO-1210)

Höß konnte sich bei seiner der Vernehmung am 1. April 1946 nicht mehr genau an den Namen des Lagers erinnern, bezeichnete es aber als ein 40Km in östlicher Richtung von Kulm (Chełm) liegendes Lager.[9]

Sender Jaari: What were these extermination camps? Where were they, and what were their names? Rudolf Höß: There were three camps: first, Treblinka, Belzak <sic> near Lemberg and the third one was about 40 kilometers in the direction of Kulm. It was past Kulm in an easterly direction.“

Vernehmungsprotokoll vom 1. April 1946

Höß hatte außer Treblinka keines dieser Lager besucht, sondern die genannten Lager bei der Vernehmung fünf Jahre später aufgrund der Informationen von Himmler aus dem Gedächtnis wiedergegeben. Bei dem von ihm im Frühjahr 1942 besuchten Lager Treblinka (das als Einziges richtig geschrieben wurde) hat er in hoher Detailfülle den Vernichtungsprozess beschrieben. Im Juni 1941 waren die beschriebenen Lager mit Sicherheit noch nicht in Betrieb, sondern in Planung.

Eine Erklärung für die Bezeichnung „Wolzek bei Lublin“ durch Himmler kann man durch die Anfahrt per KFZ zum Lager erhalten: Fährt man in östlicher Richtung aus Chełm (östlich von Lublin) heraus, befindet sich nordöstlicher Richtung die Kleinstadt Włodawa. Davor liegt der Ort Sobibor und noch etwa 5 km davor das Dorf Wołczyny. Kurz nach dem Dorf Wołczyny biegt man nach Westen ab und erreicht nach knapp 3Km das Vernichtungslager Sobibor. Die Ortschaft Sobibor wird auf dieser Wegstrecke nicht durchfahren. Der letzte Ort vor dem Vernichtungslager Sobibor ist das Dorf Wołczyny.

Himmler bezog sich offensichtlich auf das Vernichtungslager Sobibor. Das Dorf Wołczyny wurde wahrscheinlich auf deutsch Wolzek genannt oder von Höß so erinnert.[10]

Roman und Verfilmung

Im Jahr 1952 veröffentlichte der französische Schriftsteller Robert Merle den biografischen Roman „La mort est mon métier“ (ins Deutsche übersetzter Titel: „Der Tod ist mein Beruf“), der auf den Verhörprotokollen aus dem Kriegsverbrecherprozess gegen Rudolf Höß und auf dessen autobiografischen Notizen während seiner Inhaftierung nach dem zweiten Weltkrieg beruht. Der Autor verwendete den von Höß 1945 auf seiner Flucht gebrauchten Nachnamen Lang für den Erzähler des in der Ich-Form geschriebenen Romans. 1977 wurde dieser Roman unter der Regie von Theodor Kotulla im (west)deutschen Spielfilm „Aus einem deutschen Leben“ verfilmt. Das Leben der Hauptfigur Franz Lang (dargestellt von Götz George) deckt sich im Wesentlichen mit dem Leben von Höß.

Literatur

  • Rudolf Höß: Kommandant in Auschwitz, dtv, München 1963 (18. Auflage 2002), ISBN 3-423-30127-9
  • Manfred Deselaers: Und Sie hatten nie Gewissensbisse?. Die Biografie von Rudolf Höß, Kommandant von Auschwitz, und die Frage nach seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen. 2. Auflage, Leipzig 2001. ISBN 3-7462-1474-2
  • Andrzej Gass: Auschwitz-Kommandant Rudolf Hoess am Galgen. In: Focus Historia 1/2007 vom 24/04/2007r, mit Fotografien von Stanisław Dąbrowiecki, 1947. (polnisch. Die polnische Monatszeitschrift Focus Historia veröffentlichte Fotos der Hinrichtung des Lagerkommandanten von Auschwitz Rudolf Hoess auf dem Lagergelände im April 1947. Link bei www.auschwitz.org.pl/new/)
  • Robert Merle: Der Tod ist mein Beruf, ISBN 3-7466-1212-8
  • Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau: Akten zum Höß-Prozeß im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau, Bd. 23. (Verfahrenseröffnung)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Gustave M. Gilbert:Nürnberger Tagebuch S. 253,Fischer,Frankfurt am Main, 1962 (5. Auflage 1982), ISBN 3-596-21885-3
  2. Martin Broszat: Kommandant in Auschwitz S. 13, dtv, München 1963 (20. Auflage 2006), ISBN 3-423-30127-9
  3. Martin Broszat: Kommandant in Auschwitz S. 19, dtv, München 1963 (20. Auflage 2006), ISBN 3-423-30127-9
  4. Protokolle der Vernehmung von Höß am 1. und 2. April 1946
  5. Eidesstattliche Erklärung vom 5. April 1946 Dokument 3868-PS
  6. Höß Erklärung vom 24. April 1946 – Gustave M. Gilbert:Nürnberger Tagebuch S. 448, ISBN 3-596-21885-3
  7. John C. Zimmerman:Zuverlässigkeit der Höß Aussagen
  8. Vernehmungsprotokoll vom 14. März 1946 (Dokument NO-1210)
  9. Jamie McCarthy: The Wolzek Paradox
  10. Karte mit den Lagen des KZ Sobibor, dem Ort Sobibor und dem Dorf Wołczyny


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