Franz Lüdtke

Franz Lüdtke

Franz Lüdtke, Pseudonym Frank Hinrich Brastatt (* 5. August 1882 in Bromberg (poln. Bydgoszcz); † 30. April 1945 in Oranienburg bei Berlin) war ein deutscher Volkstumspolitiker, der vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus als Geschichtsschreiber, Schriftsteller und Mitherausgeber der Schriftenreihe „Deutsche Männer“ (1935 ff.) hervortrat.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Politiker

Das volkstumspolitische Programm des promovierten Lehrers Lüdtke, der Geschichte, Philosophie und Erziehungskunde studiert hatte und in Bromberg und Oranienburg unterrichtete, resultierte teilweise aus seiner Herkunft aus Bromberg, das seit 1920 zu Polen gehörte. Als „Führer der nationalen Ostbewegung“ in den Jahren 1928/29 tätig, und zwar im „Deutschen Ostmarkenverein, strebte er jetzt gegenüber dem jungen Nationalstaat Polen erneut die Rückgewinnung „altgermanischen Raumes“ an.

Trotz früherer Zugehörigkeit zu einer Freimaurerloge wurde Lüdtke 1932 Mitglied der NSDAP.[1] Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 überführte er den Ostmarkenverein in den „Bund Deutscher Osten“ (BDO), dessen Reichsführer er war, bis er von Theodor Oberländer abgelöst wurde. Im Herbst 1933 stellte er in einer Rede vor Historikern in Königsberg seine Ostvisionen vor, indem er sagte, keine andere deutsche Ostgrenze anzuerkennen als eine, die vom Baltikum nach Siebenbürgen, von der Weichsel bis zur Wolga, insgesamt von der Ostsee bis ans Schwarze Meer verlaufe.[2] 1936 befasste er sich in König Heinrich I. mit der „gewaltigsten Leistung unseres Volkes“, mit der „Ostkolonisation“, i.e. Ostsiedlung, des Mittelalters. Lüdtke deutete sie im Sinne der „Ostforschung“ als Rückgewinnung „altgermanischen Raumes“ aus slawischer Hand, „den das lebendige Blut unzähliger Geschlechter arthaft und heimatlich formen durfte“.[3] Als Hauptabteilungsleiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP arbeitete er eng mit Albert Brackmann zusammen, der dafür sorgte, dass jede wissenschaftliche Arbeit, die sich mit Ostgeschichte beschäftigte, vom BDO gebilligt wurde.[4] Daneben war er Vortragsredner der Reichsdienststelle Deutsches Volksbildungswerk.[1]

Geschichtsschreiber

Kernfigur des an die „kleindeutsch-norddeutsch-protestantische Geschichtsauffassung“[5] angelehnten völkischen Geschichtsbildes Lüdtkes war zunächst Heinrich I. (919–936). Dieser galt seit Heinrich von Sybel als nationaler Reichsgründer. Ganz im Sinne der Position Sybels im Sybel-Ficker-Streit kritisierte er mit seiner Wertung Heinrichs „den Scheinglanz eines kirchlich und römisch geprägten Kaisertums“ und integrierte ihn in die „rassischen Erkenntnisse unserer Tage“.[6] Heinrich Himmler stützte sich in seiner Rede am 2. Juli 1936 in Quedlinburg zum 1000. Todestag Heinrichs I., die er für die wichtigste seiner Karriere hielt, in einigen Passagen auf Lüdtkes Monographie.[7] Wie Himmler mit dem „Anschluss“ Österreichs von seiner Verunglimpfung des mittelalterlichen Kaisertums abließ und seine „kleindeutsche“ Sichtweise in eine „großdeutsche“ ausweitete und 1944 sogar Karl den Großen als Reichsgründer ansehen konnte, so wandelte sich auch Lüdtkes Perspektive mit der in Bewegung geratenen expansiven Politik der Nationalsozialisten. In seinem für den Schulgebrauch verfassten „Abriss der Deutschen Kaisergeschichte 900 bis 1250“ zählte er Otto I., den er wegen des „Bluts der fränkischen Großmutter“ 1936 noch den „niedersächsischen Weg“ für das römische Kaisertum aufgeben gesehen hatte, „zu den bedeutendsten Persönlichkeiten und Gestaltern unserer Geschichte“.[8] Als 1939 die „entrissenen Ostlande zu Großdeutschland“ kamen – im 1939 bis 1945 kurzfristig wieder deutsch gewordenen Bromberg erhielt eine Straße seinen Namen –, schrieb er 1941 in seinem Buch „Ein Jahrtausend Krieg zwischen Deutschland und Polen“:

„Der Osten des neuen Jahrtausends steht im Zeichen des Hakenkreuzes. […] Mit der Zerschmetterung des Bolschewismus ist unser Ostland endgültig befreit worden. Der Sieg über den Bolschewismus aber ist zugleich ein Sieg über den Polen. Dies zu begründen ist nicht nötig. Wer den Osten kennt, weiß, daß es so ist. Er weiß auch, daß die Lösung der Judenfrage notwendig ist, in Europa und ganz besonders in Osteuropa. Alle diese Dinge stehen in einem inneren Zusammenhang. Erst mit der Beendigung des 1000jährigen Kampfes gegen Polen wurde der Weg offen für die Lösung der gesamten Ostfrage.“[9]

Das Buch wurde in einem anderen Sinne bedeutsam insofern, als es auf polnischer Seite eine Antwort auslöste, die als „Flaggschiff“ des polnischen Westgedankens in den vierziger Jahren bezeichnet wird – „Wojciechowskis Buch ‚Polska-Niemcy. Dziesięć wieków zmagań‘ (= Deutschland und Polen. Tausend Jahre des Ringens), dessen Titel [...] zweifellos auf das 1941 in Stuttgart veröffentlichte Buch von Franz Lüdtke ‚Ein Jahrtausend Krieg zwischen Deutschland und Polen‘ anknüpfte“. Wojciechowski entwickelte darin den Gedanken, dass Polen mit der „Rückkehr“ an Oder und Neiße „die Gesamtheit seiner Mutterlande“ wiedergewönne.[10]

Werk

Nach Kriegsende wurden zahlreiche von Lüdtke verfasste und herausgegebene Schriften in der Sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.[11][12][13][14][15][16][17]

Schriftsteller

Das dichterische Werk Lüdtkes ist vergessen. Es sind Gedichte (z. B. „Lieder eines Suchenden“, 1909; „Land an der Grenze“ 1938), Novellen („Die Nacht der Erlösung“), Romane („Menschen um 18“) und zuletzt historische Romane („König aller Deutschen. Roman des völkischen Aufbruchs“, 1942; „Das Reich ohne Grenzen. Roman deutscher Sendung“, 1944).

Lyrik

In dem seit 1836 bis heute erscheinenden „Echtermeyer“ sind in der von Richard Wittsack gestalteten Ausgabe von 1936 zwei Gedichte abgedruckt, „Tod von Tannenberg“, eine Ballade über den Sieg Jagiellos über den „Deutschen Orden“ 1410 bei Tannenberg, und ein Stimmungsgedicht über die nach dem Ersten Weltkrieg an Polen gefallene Weichsel in Westpreußen, woher der Autor stammt:

„Abend am Weichselufer

Hoch am Ufer des Stromes wölbt das Gotteshaus
Seine gotischen Bogen jäh in den Abend aus.

Drinnen um Chor und Pfeiler dämmert es schwer und dicht,
Heimlich nur vom Altare flackert das ewige Licht.

Rötlich im Meer des Dunkels schwimmt der Ampelschein,
Glänzt in die wehen Herzen all der Beter hinein.

Vesperklänge zittern weich aus des Mettners Hand,
Hauchen als Abendsegen über das stille Land.

Draußen aber im Westen leuchtet, wie Rosenblühn
Über schlummernden Gärten, leise ein letztes Glühn.

Unten in grauer Tiefe raunen die Wasser sacht.
Auf die flutende Weichsel gleiten die Schleier der Nacht.“[18]

Historische Romane

Die späten Romane sollen die volkstumspolitische Tätigkeit und die Geschichtsschreibung Lüdtkes in eine epische Gesamtschau einbetten. Sie stehen in „großdeutschem“ Licht, wobei die mittelalterlichen Kaiser in romferne „germanische“ Tradition eingepasst werden: in die „Ostsicherung“ Europas gegen „Asien“, nämlich gegen Slawen, Ungarn, Awaren und Hunnen. Das zeigt sich z. B. in seinem „Roman des völkischen Aufbruchs“ von 1942, in dem er noch einmal Heinrich I. zur Hauptfigur macht. Karl der Große ist jetzt ein starker Herrscher, der Heinrich „den Weg gewiesen hat“. In seinem Sohn Otto I. fließen „die besten Blutströme des sächsischen Volkes“, „Bauernblut, das zur Scholle drängt, und Wikingerblut, das zur Ferne drängt“. Am Schluss legt Heinrich die von ihm erworbene Heilige Lanze in des neuen Königs Rechte, aber nicht mehr als christliches Symbol, sondern als „Wodes Speer“, Wotans Speer. – Wie sehr sich Lüdtke auch in der belletristischen Darstellung „germanisch-völkischer“ Geschichte seit Heinrich I. üben mochte, so kam er für Himmler doch nicht in die engere Auswahl von Autoren, die ihn als denjenigen preisen sollten, der diese Geschichte in der Fortsetzung des zum völkisch-rassistischen Ostimperialisten stilisierten Heinrichs I. im Programm Heinrich von der Wewelsburg aus zu vollenden sich vorgenommen hatte.

Werke (Auswahl)

  • König Heinrich I., Berlin 1936.
  • Kaiser Lothar der Sachse. Deutschlands Wendung zum Osten, Berlin 1937.
  • Ein Jahrtausend Krieg zwischen Deutschland und Polen (Geschichtsfibeln für Wehrmacht und Volk 3), Stuttgart 1941.
  • König aller Deutschen. Roman des völkischen Aufbruchs, Berlin 1942.
  • Abriss der Deutschen Kaisergeschichte 900 bis 1250, 1943 (6. Auflage).

Literatur

  • Der Neue Brockhaus, 1937 (biographischer Eintrag).
  • Hermann Heimpel: Bemerkungen zur Geschichte König Heinrichs I., Leipzig 1937 (Kritik der Heinrichsmonographie).
  • Friedrich Schneider: Die neueren Anschauungen der deutschen Historiker über die deutsche Kaiserpolitik des Mittelalters und die mit ihr verbundene Ostpolitik, Weimar 1940 (4. Auflage), S. 15–17.
  • Ingo Haar: Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der „Volkstumskampf“ im Osten. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2000, ISBN 3-525-35942-X .

Weblinks

Anmerkungen

  1. a b Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 381.
  2. Ingo Haar, Historiker im Nationalsozialismus: Deutsche Geschichtswissenschaft und der ‚Volkstumskampf‘ im Osten, 2., durchges. u. verb. Auflage, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2002, S. 156; ISBN 3-525-35942-X.
  3. Franz Lüdtke, König Heinrich I., Berlin 1936, S. 3.
  4. Ingo Haar, „Revisionistische“ Historiker und Jugendbewegung: Das Königsberger Beispiel, S. 85 f., 100 f. in: Peter Schöttler (Hg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945, Frankfurt/M. 1999, S. 52-103.
  5. Friedrich Schneider, Die neueren Anschauungen der deutschen Historiker über die deutsche Kaiserpolitik des Mittelalters und die mit ihr verbundene Ostpolitik, Weimar 1940, S. 22.
  6. Franz Lüdtke, 1936, S. 5.
  7. Frank Helzel, Ein König, ein Reichsführer und der Wilde Osten. König Heinrich I. (919–936) in der nationalen Selbstwahrnehmung der Deutschen, Bielefeld 2004, S. 186.
  8. Franz Lüdtke, Abriss der Deutschen Kaisergeschichte 900 bis 1250, 1943 (6. Auflage), S. 46.
  9. F. Lüdtke, Ein Jahrtausend Krieg zwischen Deutschland und Polen, 1941, S. 7-8.
  10. Grzegorz Strauchold, Der Westgedanke in der polnischen Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 69; in: Jan M. Piskorski, Jörg Hackmann, Rudolf Jaworski (Hg.), Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. Disziplinen im Vergleich, Osnabrück-Poznań 2002, S. 47-80. ISBN 3-929759-58-6.
  11. http://www.polunbi.de/bibliothek/1946-nslit-l.html
  12. http://www.polunbi.de/bibliothek/1946-nslit-m.html
  13. http://www.polunbi.de/bibliothek/1947-nslit-l.html
  14. http://www.polunbi.de/bibliothek/1948-nslit-b.html
  15. http://www.polunbi.de/bibliothek/1948-nslit-l.html
  16. http://www.polunbi.de/bibliothek/1953-nslit-k.html
  17. http://www.polunbi.de/bibliothek/1953-nslit-l.html
  18. Echtermeyer. Auswahl deutscher Gedichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, hrsg. v. Richard Wittstock, Halle (Saale)-Berlin 1936, S. 605 f., 798 (biographische Notiz).

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