François-Marie Arouet

François-Marie Arouet
Voltaire (Portrait von Nicolas de Largillière)

Voltaire [vɔlˈtɛːʀ], eigentlich François Marie Arouet [fʀɑ̃ˈswa maˈʀi aˈʀwɛ] (* 21. November 1694 in Paris; † 30. Mai 1778 ebenda) war einer der einflussreichsten Autoren der französischen und europäischen Aufklärung. In Frankreich nennt man das 18. Jahrhundert deshalb auch „das Jahrhundert Voltaires“ (le siècle de Voltaire). [1] Viele wichtige Werke wurden mehr oder weniger umgehend in andere europäische Sprachen übertragen. Mit der Kritik an den Missständen des Absolutismus und der Feudalherrschaft sowie am weltanschaulichen Monopol der katholischen Kirche war Voltaire einer der wichtigsten Wegbereiter der Französischen Revolution. Seine Waffen im Kampf für seine Vorstellungen waren ein präziser und allgemein verständlicher Stil sowie Sarkasmus und Ironie.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jugend

François Marie Arouet alias M. [=Monsieur] de Voltaire, wie er sich ab 1718 nannte, war das spätgeborene dritte Kind von François und Marie Marguerite Arouet, geborene Daumart. Der dem Jansenismus nahestehende Vater war ein vermögender bürgerlicher Notar, der es zum Hohen Richter (Conseiller du roi) gebracht hatte und kurz nach der Geburt seines Jüngsten das einträgliche Amt eines Gebühreneinnehmers (receveur d’épices) am Obersten Finanzgericht erhielt.[F 1] Die gebildete Mutter stammte ebenfalls aus einer Pariser Juristenfamilie. Sie starb, als François sechs Jahre alt war.

Nach ihrem Tod wurde Voltaire zunächst von seiner acht Jahre älteren Schwester betreut und kam 1704 als Internatsschüler auf das Jesuitenkolleg Louis-le-Grand (heute Lycée Louis-le-Grand). Hier erwarb er eine solide humanistische Bildung. Früh schon bewies er mit Gedichten seine literarische Begabung und wurde deshalb 1706 von seinem Patenonkel, dem Abbé de Châteauneuf, in den epikureischfreidenkerischen Kreis um Philippe de Vendôme eingeführt, dem Statthalter des Malteserordens in Frankreich. Auch seine Theaterbegeisterung nahm zu dieser Zeit ihren Anfang. Wohl aus der späten Schulzeit stammen erhaltene Fragmente einer Tragödie. 1710 gaben seine Lehrer ein Gedicht von ihm gedruckt heraus, eine Ode auf die Hl. Genoveva. Im selben Jahr erhielt er mehrere Schulpreise und wurde dem seinerzeit bekanntesten Lyriker, Jean-Baptiste Rousseau, vorgestellt. Darüber hinaus gewann er unter seinen überwiegend adeligen Mitschülern einige Freunde, z. B. die Brüder René-Louis und Marc-Pierre d’Argenson, die später Außen- bzw. Kriegsminister wurden.

Da er nach dem Willen des autoritären Vaters Jurist werden sollte wie sein neun Jahre älterer Bruder, schrieb er sich 1711 an der Pariser juristischen Hochschule ein. In der Hauptsache betätigte er sich als Verfasser eleganter und geistreicher Verse und machte sich in den literarischen Zirkeln der Stadt einen Namen. Im Frühjahr 1713 wurde er vom unzufriedenen Vater genötigt, eine Stelle als Notariatsangestellter (clerc de notaire) in der Provinzstadt Caen anzutreten. Jedoch verkehrte er bald auch hier in schöngeistigen und freidenkerischen Kreisen, so dass ihn der Vater im Herbst dazu zwang, den französischen Gesandten, Bruder seines Patenonkels, als Sekretär nach Den Haag zu begleiten. Dort begann er eine Liebschaft mit einer jungen Hugenottin, Tochter einer Madame Denoyer, die eine frankreichkritische satirische Zeitschrift herausgab. Wie aus erhaltenen Liebesbriefen der jungen Leute hervorgeht, dachte Voltaire sogar an eine Entführung der siebzehnjährigen „Pimpette“. Die entsetzte Mutter beschwerte sich beim Gesandten, worauf dieser seinen neunzehnjährigen Sekretär nach Paris zurückschickte. Der Vater drohte ihm empört mit Enterbung und Deportation nach Amerika.

Erste Werke und Veröffentlichungen

Wieder in Paris, arbeitete er 1714 nochmals kurz bei einem Anwalt, war aber zunehmend literarisch tätig, was der Vater schließlich akzeptierte. Er verkehrte wie zuvor in literarischen und intellektuellen Zirkeln und machte sich erste Feinde, z.B. mit einem Pamphlet gegen die Académie française, die eine von ihm eingereichte Ode auf Ludwig XIII. nicht preisgekrönt hatte, oder mit einer Verssatire auf den arrivierten Autor und Literaturtheoretiker Antoine Houdar de la Motte, der für die Benutzung von Prosa statt Versen in erzählenden Werken und sogar Tragödien eintrat – eine Ansicht, die Voltaire 30 Jahre später als Erzähler und gelegentlich als Dramatiker durchaus teilte. Die Ode Le vrai Dieu von 1715 ist einer seiner ersten philosophischen Texte.

Zunehmend öffneten sich ihm auch adelige Häuser, wo er als vielseitiger Lyriker, vor allem aber als Autor witziger, häufig spöttischer Gedichte geschätzt wurde. Eine seiner vornehmsten Adressen war der kleine Hof eines außerehelichen, aber legitimierten Sohnes von Ludwig XIV., des Duc du Maine, und seiner an Literatur und Kunst interessierten Gemahlin Bénédicte. Maine war 1715 von seinem sterbenden Vater zusammen mit seinem Cousin Philipp von Orléans zum Regenten für den jungen Ludwig XV. bestimmt, jedoch von Philipp mit Hilfe des Pariser Parlements kaltgestellt worden.

Bei den Maines las Voltaire 1716 ein satirisches Gedicht vor, worin er auf das Gerücht anspielte, Philipp unterhalte ein inzestuöses Verhältnis mit seiner Tochter. Natürlich erfuhr dieser davon, und verbannte in seiner Eigenschaft als Regent Voltaire aus Paris. Erst nach einigen Monaten, die er größtenteils als Gast auf dem Schloss des jungen Duc de Sully verlebte, durfte er zurück, nachdem er eine Bitt- und Huldigungsepistel an Philipp gerichtet hatte. Kaum in Paris, dichtete er jedoch eine neuerliche Satire auf ihn. Diesmal war die Strafe härter: Im Mai 1717 wurde er in der Bastille inhaftiert.

Hier stellte er seine mit Sophokles und Corneille wetteifernde erste Tragödie Œdipe fertig. Vor allem begann er unter dem Titel La Ligue ein Epos über die schlimmste Phase der Hugenottenkriege und ihre Beendigung durch Heinrich IV., der die Katholische Liga besiegt und 1598 mit dem Edikt von Nantes den Protestanten religiöse Toleranz zugestanden hatte. Das seinerseits mit Vergils Romgründungsepos, der Äneis, wetteifernde Werk war als eine Art nationales Epos gedacht und verschaffte Voltaire später tatsächlich den Ruf des größten französischen Epikers seiner Zeit.

Dank der Fürsprache einflussreicher Gönner wurde er nach elf Monaten aus der Haft entlassen, blieb aber zunächst noch aus Paris verbannt. Als er im Oktober 1718 nach fast anderthalb Jahren dorthin zurückkehrte, trat er unter dem neuen Namen „de Voltaire“ auf − wahrscheinlich einem Anagramm aus A-R-O-V-E-T--L[e]--I[eune] (mit Vertauschung der handschriftlich damals identischen Buchstaben V/U und J/I sowie vorangesetztem adeligen „de“).

Die erfolgreiche Aufführung von Œdipe machte ihn im Herbst 1718 schlagartig bekannt. Wieder verkehrte er in literarischen Salons und war auch gerngesehener Gast in den Landschlössern des Hochadels rund um Paris. Hierbei lernte er den im Exil lebenden Politiker Lord Bolingbroke kennen, der ihm England näher brachte. In dieser Zeit entstanden die Tragödie Artémire (1720) und die Épître à Uranie (1722), wo er erstmals explizit seine theistischen Ideen formuliert. Außerdem arbeitete er weiter an La Ligue.

Als 1722 sein Vater starb, erbte Voltaire seinen Anteil an dessen Vermögen. Da er im gleichen Jahr vom Regenten Philipp eine „pension“ (jährliche Gratifikation) aus der königlichen Schatulle zugesprochen bekam, war er finanziell nun gut gestellt. Ebenfalls 1722 unternahm er seine erste längere Reise − in die österreichischen Niederlande. Hier besuchte er in Brüssel u.a. den aus Frankreich verbannten Jean-Baptiste Rousseau, der sich jedoch mit ihm zerstritt. 1723 ging er mit der adeligen Madame de Bernières, der Gattin eines Vorsitzenden Richters (président) am Parlement, ein Liebesverhältnis ein und demonstrierte damit seinen stark verbesserten sozialen Status.

Im selben Jahr machte er erstmals mit der Zensur Bekanntschaft, als ihm die Druckerlaubnis für La Ligue, ou Henri le Grand verweigert wurde, obwohl er darum ersucht hatte, das Werk dem König widmen zu dürfen. Er ließ es deshalb 1723 anonym in Rouen erscheinen mit dem falschen Impressum „Genève“.

1724 fiel seine Tragödie Mariamne bei der Uraufführung durch. Sie erlebte jedoch nach einer Überarbeitung unter dem neuen Titel Hérode et Mariamne im folgenden Jahr 27 Aufführungen in Folge.

Im Mai 1725 erhielt Voltaire dank der einflussreichen Marquise de Prie, der Geliebten des Ersten Ministers, des Herzogs von Bourbon, den Auftrag, Theateraufführungen zur Hochzeit Ludwigs XV. zu organisieren. Dies verschaffte ihm Zutritt zum Hof in Versailles und brachte ihm eine zweite „pension“ ein, nunmehr aus der Schatulle der jungen Königin. Als einer der gefragtesten Autoren Frankreichs und dazu wohlhabende Person schien er bestens in das herrschende System integriert.

Voltaire in England

1726 ließ ihn der Chevalier de Rohan, Spross eines alten Adelsgeschlechts, von seinen Dienern verprügeln. Voltaire hatte auf die spöttische Frage Rohans, wie er zu seinem neuen Namen komme, schnippisch geantwortet: „Je commence mon nom, monsieur, vous finissez le vôtre“ (etwa: Ich bin der Erste meines Namens, Sie nur der Letzte). Der über die Prügel empörte Voltaire nahm Fechtunterricht, um den Chevalier zum Duell zu fordern. Die Rohans erwirkten jedoch einen königlichen Haftbefehl gegen ihn, und wieder kam er in die Bastille. Da er inzwischen berühmt war, bot ihm der König die Freiheit an unter der Bedingung, dass er Frankreich verließ.

Voltaire akzeptierte und ging nach England, das sich anschickte, in die industrielle Revolution einzutreten. Er war fasziniert von der intellektuellen und wirtschaftlichen Aufbruchstimmung sowie von der relativ großen geistigen Freiheit und sozialen Mobilität in dieser multikonfessionellen Gesellschaft, in der die Religion Privatangelegenheit war und die Macht des Königs und die Privilegien des Adels eingeschränkt waren. Besonders beeindruckten ihn das parlamentarische System und der Schutz der Bürger vor staatlicher Willkür. Er ließ sich von Lord Bolingbroke, der 1723 nach England hatte zurückkehren können, in die tonangebenden Kreise Londons einführen und wurde auch dem frankophilen König Georg I, bis 1714 Kurfürst von Hannover, vorgestellt. Zudem durfte er sein Epos über Heinrich IV. der englischen Königin widmen, als er es, nochmals überarbeitet, 1728 in London drucken ließ. Hierbei änderte er den Titel zu La Henriade, vermutlich in Anlehnung an den des unvollendet gebliebenen Epos’ La Franciade von Pierre de Ronsard.

Für einen Franzosen damals durchaus nicht selbstverständlich, lernte Voltaire Englisch sprechen, lesen und auch schreiben. So studierte er u. a. die Werke des Empiristen und Theoretikers des „common sense“ John Locke und die Dramen William Shakespeares. Außerdem befasste er sich mit den revolutionären Theorien des Physikers und Astronomen Isaac Newton sowie mit anderen neuen naturwissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen.

Ende 1728 kehrte er nach zweieinhalb Jahren nach Frankreich zurück, blieb zunächst aber in Dieppe. Unter den fertigen und angefangenen Werken, die er mitbrachte, waren u. a.: die „philosophischen Briefe“ (Lettres anglaises oder Lettres philosophiques), die als erste programmatische Schrift der Aufklärung gelten können; weiterhin sein erstes historiografisches Buch Histoire de Charles XII, roi de Suède (=Karl XII. von Schweden), dessen erste Auflage 1730 sogleich größtenteils beschlagnahmt wurde, als es zum Verkauf nach Paris eingeschmuggelt werden sollte; sowie die Tragödien Brutus und Zaïre, die 1730 bzw. 1732 erfolgreich aufgeführt wurden.

Da er spätestens in England erkannt hatte, wie wichtig finanzielle Unabhängigkeit für einen kritischen Literaten wie ihn war, begann er nach seiner Rückkehr mit Hilfe u. a. der Brüder d’Argenson geschickt sein Vermögen zu vermehren, so dass er bald mehr als nur wohlhabend war.

Als 1730 die junge Schauspielerin Adrienne Lecouvreur starb und ihre Leiche auf den Schindanger geworfen wurde, empörte sich Voltaire mit der Ode sur la mort de Mademoiselle Lecouvreur darüber, dass einer stadtbekannten und bewunderten Person eine würdige Bestattung verwehrt wurde, weil sie den von vielen immer noch verachteten und vom Klerus angefeindeten Beruf einer Schauspielerin ausgeübt hatte.

1733 karikierte er mit dem satirischen Gedicht Le Temple du goût die Welt der Pariser Literaten und erregte deren Unmut.

1734 erschienen zugleich in London in einer eigenständigen englischen Fassung und in Paris im Original die Lettres philosophiques. Hierin stellt er England seinen Landsleuten als Modell vor, was die Herrschenden in Frankreich erwartungsgemäß als Affront empfanden. Besonders verärgert waren die meist jansenistisch-frommen Hohen Richter des Pariser Parlements, die sich vor allem an einer Diatribe gegen den anthropologischen Pessimismus des Jansenisten Blaise Pascal stießen, die den Briefen angehängt war. Sie verboten das Buch, was seiner Verbreitung eher förderlich war, und erließen Haftbefehl gegen den Autor.

Die Jahre mit Émilie du Châtelet

Émilie du Châtelet (Porträt von Marianne Loir). Bordeaux, Musée des Beaux-Arts

Voltaire zog sich daraufhin auf das kleine Schloss Cirey in der Champagne zurück, das dem Ehemann seiner neuen Geliebten (seit Juni 1733) Émilie du Châtelet gehörte und von wo aus er notfalls ins nahe Lothringen flüchten konnte, das de jure noch zum Deutschen Reich gehörte.

In den nächsten zehn Jahren führte er ein unstetes Wanderleben mit Cirey, das er auf seine Kosten umbauen ließ, als Mittelpunkt und mit Émilie du Châtelet als engster Bezugsperson. Er besuchte Paris, wenn es ihm möglich schien, z. B. zu dortigen Uraufführungen seiner Stücke; er blieb in Cirey (oder floh noch weiter), wenn er sich gefährdet fühlte. Daneben war er viel auf Reisen. Er hielt sich länger in Brüssel sowie mehrmals in Holland auf, das zur Druckerei Europas avanciert war. Hier publizierte er insbesondere seine kritischeren Werke, die illegal nach Frankreich eingeführt wurden.

Dank Mme du Châtelet (1706–49), einer aktiven Naturforscherin und Mathematikerin, entwickelte Voltaire ein vertieftes Interesse für die Naturwissenschaften. So reagierten sie 1734 beide auf eine Preisfrage der Académie des Sciences zur Natur des Feuers und reichten jeder eine Abhandlung ein, worin sie eine physikalische Erklärung versuchten. Angeregt durch die Beschäftigung Mme du Châtelets mit dem englischen Physiker und Astronomen Isaac Newton (dessen Philosophiae naturalis principia mathematica sie später übersetzte), verfasste Voltaire 1736/37 das sachbuchartige Werk Éléments [= Grundlagen] de la philosophie de Newton, worin er in allgemeinverständlicher Form dessen bahnbrechende, in Frankreich noch wenig bekannten Theorien vorstellte. Seine philosophischen Diskussionen mit Mme du Châtelet, einer Verehrerin von Leibniz, könnten 1735 den religionskritischen „metaphysischen Traktat“ (Traité de métaphysique) angeregt haben, den er auf ihr Drängen aber unpubliziert ließ (gedruckt erst postum 1784).

Seine Domäne blieb jedoch die Literatur. 1736 verfasste er das satirische Langgedicht Le Mondain, das mit seiner Wertschätzung irdischer Vergnügen und Annehmlichkeiten den Unwillen vieler Asketen und Weltfluchtprediger erregte. Des weiteren schrieb er Stücke, überwiegend Tragödien, und inszenierte sie probeweise mit Freunden und Bekannten sowie, in Nebenrollen, sich selbst in einem kleinen Theater, das er in Cirey hatte einrichten lassen. Die wichtigsten Stücke dieser Zeit sind: Adélaïde du Guesclin, 1734; La Mort de César, 1735; Alzire, 1736; Mérope, 1736; Zulime, 1740; Mahomet, 1740. Das letztere wurde 1741 in Lille erfolgreich uraufgeführt, 1742 jedoch in Paris nach der dritten Aufführung abgesetzt. Der Königliche Zensor Crébillon und Teile des katholischen Klerus diagnostizierten eine religionskritische Tendenz, weil Mohammed als ein zynischer Machtmensch gezeigt wird, der den Glauben als Mittel zum Zweck der Herrschaft missbraucht, fanatisierte Jünger als politische Attentäter einsetzt und zur Last gewordene Ex-Jünger beseitigt. (Immerhin, vielleicht weil er Mohammed damit bestraft, dass die geliebte Frau ihn am Ende durchschaut und sich ihm durch Selbstmord entzieht, durfte Voltaire das Stück wenig später Papst Benedikt XIV. widmen, dessen Antwortschreiben er in der Dresdner Werkausgabe von 1748 mit abdruckte.)

Neben der Literatur beschäftigte Voltaire sich in Cirey wieder mit historischen Studien und arbeitete an dem seit 1732 geplanten Siècle de Louis XIV. 1734 begann er das bewusst respektlose burleske Epos La Pucelle (dt. Die Jungfrau [von Orléans]) über die mittelalterliche Kriegsheldin Jeanne d'Arc, das er lange nur in privaten Abschriften zirkulieren ließ.

Versailles

Schon seit 1736 stand er in Briefkontakt mit dem knapp zwanzig Jahre jüngeren Kronprinzen Friedrich II. von Preußen und wurde von diesem umworben. Bald nach der Thronbesteigung Friedrichs hatte er ihn im September 1740 in Kleve getroffen und war im November sogar einer Einladung nach Berlin gefolgt. 1742 hatte er ihn in Aachen besucht. Im Juni 1743 wurde er deshalb vom neuen französischen Kriegsminister, seinem Schulfreund Marc-Pierre d’Argenson, nach Potsdam entsandt mit dem Auftrag, er solle Friedrich, der 1742 seine Kriegsziele im Österreichischen Erbfolgekrieg (1740-1748) erreicht hatte und aus dem Bündnis gegen Habsburg ausgetreten war, an die Seite Frankreichs zurückholen.

Die diplomatische Mission blieb zwar ohne konkretes Ergebnis, doch Voltaire galt nun als wichtiger Verbindungsmann zu Preußen. Obwohl er König Ludwig XV. unsympathisch war, bekam er wieder Zutritt zum Hof. Anlässlich der Hochzeit des Dauphins (Kronprinzen) 1745 brachte er zusammen mit dem Komponisten Rameau seine Ballettkomödie La Princesse de Navarre zur Aufführung und etwas später sein Singspiel Le Temple de la Gloire (=der Ruhmestempel, Musik ebenfalls von Rameau). Da ihn inzwischen auch die neue Mätresse Ludwigs, Madame de Pompadour, protegierte, die er schon seit Anfang der dreißiger Jahre näher kannte, wurde er zum Königlichen Chronisten (historiographe du roi) ernannt und zum Kandidaten für das begehrte Amt eines Königlichen Kammerherrn (gentilhomme de la chambre) bestimmt. 1746 erhielt er das Amt und wurde offiziell in den Adelstand erhoben. Im selben Jahr wurde er, nicht zuletzt aufgrund des langandauernden Erfolges der Tragödie Mérope (Urauff. 1743), zum Mitglied der Académie française gewählt, was der König 1743 noch verhindert hatte. Seine Position am Hof blieb jedoch unsicher. Ein Vorfall am Spieltisch der Königin ließ ihn 1747 bei Ludwig, der ihn nach wie vor nicht mochte, in Ungnade fallen. Voltaire hatte Mme du Châtelet auf Englisch vor hochadeligen Falschspielern gewarnt.

Er zog sich weitgehend zurück auf das nahe Schloss Sceaux der Duchesse du Maine, die er mit erzählenden Werken in Prosa unterhielt. Hierbei entstand z.B. Memnon, eine Vorstufe des späteren Kurzromans Zadig. Allerdings war sein Kontakt zum Hof noch eng genug, dass er 1748 hautnah mitbekam, wie die neue Tragödie Catilina seines von ihm wenig geschätzten Dichterkonkurrenten und königlichen Zensors Crébillon bei der Uraufführung auf Kosten des Königs demonstrativ gelobt und beklatscht wurde, um ihn zu kränken. Er rächte sich, indem er in den Folgejahren zu nicht weniger als fünf Tragödien Crébillons themengleiche eigene Versionen schrieb, um seine Überlegenheit zu demonstrieren. Dies hinderte ihn später (1762) aber nicht daran, beim Tod des einstigen Rivalen eine Éloge [Lobrede] de M. de Crébillon zu verfassen.

1748/49 lebte Voltaire, zusammen mit Mme du Châtelet, meist im Schloss von Lunéville/Lothringen, der Residenz des polnischen Ex-Königs und Schwiegervaters von Ludwig XV. Stanislaus I. Leszczyński. Dort verliebte sie sich in den 10 Jahre jüngeren Offizier, Höfling und Dichter Saint-Lambert und wurde schwanger. Sie starb am 10. September 1749 im Kindbett; auch das Neugeborene, ein Mädchen, überlebte nicht. Voltaire war tief betroffen, obwohl er schon seit einiger Zeit ein intimes Verhältnis mit seiner Nichte Marie Louise Mignot (1712-1790), verwitwete Denis, unterhielt.

Am Hof Friedrichs II. von Preußen

Adolph Menzel: Tafelrunde König Friedrich II. (Mitte) in Sanssouci mit Voltaire (rechts) und den führenden Köpfen der Berliner Akademie, 1850, ehemals Nationalgalerie, Berlin, 1945 im Flakturm Friedrichshain verbrannt.

Nach einem kurzen Aufenthalt in Paris folgte er im Sommer 1750 der Einladung von Friedrich dem Großen nach Potsdam, wo schon andere französische Literaten und Gelehrte Hofämter innehatten. Er trat das gut dotierte Amt eines Königlichen Kammerherrn an und wurde behandelt wie ein hochrangiger Gast.

Das Verhältnis zu Friedrich litt allerdings schon Anfang 1751, als dieser erfuhr, dass sein neuer Kammerherr sich in Berlin (wo er einen zweiten Wohnsitz unterhielt) auf ein unerlaubtes Wertpapiergeschäft mit sächsischen Staatsschuldverschreibungen (sog. Steuerantizipationsscheinen) eingelassen hatte. Die Sache kam heraus, weil Voltaire sich mit seinem Mittelsmann, dem jüdischen Bankier Hirschel, zerstritten und, nachdem das Geschäft geplatzt war, einen Prozess gegen ihn angestrengt hatte, bei dem es u. a. um den Wert einiger Juwelen ging, die als Sicherheit gedient hatten. Als er versuchte, die Sache mit den Steuerscheinen zu verschweigen, packte Hirschel aus, und Voltaire wurde sogar verdächtigt, er habe einen der beiderseitigen Verträge durch eine nachträgliche Manipulation zu seinen Gunsten verändert. Er vermochte sich nur mühsam aus der Affäre zu ziehen.[2]

1751 brachte er in Berlin sein Siècle de Louis XIV (=Das Jahrhundert Ludwigs XIV.) heraus, eine Darstellung der französischen Geschichte des 17. Jahrhunderts. Darin wies er der Kulturgeschichte eine zentrale Rolle zu und setzte so der Geschichtsschreibung neue Maßstäbe. Seine kulturhistorische Ausrichtung wurde noch deutlicher im Abrégé de l’Histoire universelle (=Abriss der Universalgeschichte), den er 1750/51 abschnittweise im Mercure de France publizierte. 1751 erschien in elf Bänden bei Lambert in Paris die einzige Gesamtausgabe seiner Werke, die zu seinen Lebzeiten mit Duldung der Zensur in Frankreich gedruckt werden konnte.

Zu einer tiefen Verstimmung Friedrichs führten schließlich die Querelen Voltaires mit anderen Höflingen. Vor allem hatte dieser es auf einen alten Bekannten von Mme du Châtelet abgesehen, den Präsidenten der Berliner Akademie, Pierre-Louis Moreau de Maupertuis, einen durchaus verdienten Mathematiker und Naturforscher, mit dem er einst gemeinsam für die Verbreitung der Lehre Isaac Newtons gekämpft und den er selber Friedrich empfohlen hatte. Der Streit eskalierte, als Maupertuis seine Macht als Akademiepräsident dazu benutzte, die Mitglieder zu einer gemeinsamen Stellungnahme gegen den Mathematiker Johann Samuel König zu nötigen. Dieser hatte die Priorität am Prinzip der kleinsten Wirkung Maupertuis ab- und Leibniz zugesprochen und wurde nun bezichtigt, dessen Brief, der ihm als Beweismittel diente, gefälscht zu haben.[3] Als Friedrich sich diesem unhaltbaren Vorwurf öffentlich anschloss, widersprach Voltaire und verspottete Maupertuis in der satirischen Schrift La Diatribe du Docteur Akakia (1752). Nachdem er sie entgegen der Bitte Friedrichs hatte drucken lassen, sprach dieser ein Verbot aus und ließ sie verbrennen. Da Voltaire schon vorher zu Ohren gekommen war, dass der König über ihn gesagt habe:[4] „J’aurai besoin de lui encore un an, tout au plus; on presse l’orange et on en jette l’écorce“ (Ich brauche ihn noch höchstens ein Jahr; man presst die Orange aus und wirft die Schale weg), bat er gekränkt um Entlassung aus seinem Hofamt, wurde aber zunächst nur für eine Kur beurlaubt. Als er von Leipzig aus Maupertuis nochmals angriff, wurde er in Unehren entlassen. Bei einem Aufenthalt in der Freien Reichsstadt Frankfurt wurde er auf Ersuchen Friedrichs sogar festgesetzt und unter dem Verdacht, er habe ein Manuskript von ihm mitgehen lassen, einer demütigenden Gepäckkontrolle unterzogen. Schon 1757 jedoch vermittelte Friedrichs Schwester Wilhelmine eine Versöhnung zwischen beiden Männern und sie wechselten wieder höfliche Briefe.

Neuerliche Wanderjahre

Wohnhaus von Voltaire in Lausanne Ende der 1750er-Jahre

Nach Aufenthalten an einigen kleineren deutschen Höfen (Gotha, Kassel, Mainz, Mannheim) wartete Voltaire in den elsässischen Städten Straßburg und Colmar vergeblich auf die Erlaubnis, nach Paris zurückkehren und wieder in seine Versailler Hofämter eintreten zu dürfen. 1755 schließlich kaufte er sich in der Stadtrepublik Genf ein Anwesen am Stadtrand. Auch in Lausanne erwarb er ein Haus. Doch während in Paris mit Erfolg sein neues Stück L’Orphelin de la Chine (=das Waisenkind aus China) aufgeführt wurde, bekam er in Genf ersten Ärger mit dem theaterfeindlichen calvinistischen Kirchenrat, weil er, wie einst in Cirey, private Aufführungen in seinem Haus organisierte.

Wie viele Autoren der Aufklärung war auch Voltaire 1755 erschüttert über das zerstörerische Erdbeben von Lissabon. Er reagierte mit dem Langgedicht Poème sur le désastre de Lisbonne (1756). Hierin stellt er den grenzenlosen Optimismus des englischen Schriftstellers und Fortschrittsverneiners Alexander Pope (1688-1744) und vieler seiner naturreligiösen Zeitgenossen in Frage, wonach alles, was ist, gut und recht ist („Whatever is, is right“). Im selben Jahr veröffentlichte er seinen Essai sur l'histoire générale et sur les mœurs et l'esprit des nations (= Essay über die allgemeine Geschichte und die Sitten und den Geist der Nationen), eine Universalgeschichte der Menschheit, die er insgesamt auf dem Weg des Fortschritts sieht, auch wenn er selbst seinen einstigen Optimismus weitgehend eingebüßt hatte und weiter einbüßte angesichts der Gräuel des beginnenden Siebenjährigen Krieges (1756-63).

Ebenfalls 1756 begann er seine Mitarbeit an dem 1746 von Diderot und d'Alembert initiierten Groß-Lexikon, der Encyclopédie, was ihm 1757 neuen Ärger in Genf eintrug wegen des kritischem Encyclopédie-Artikels „Genève“, dessen Verfasser d'Alembert er mit Informationen versorgt hatte. Ende der 1750er Jahre beteiligte er sich mit Pamphleten, u.a. gegen den Feuilletonisten Fréron, an der Abwehrschlacht der Autoren und Sympathisanten der Encyclopédie gegen deren Gegner, die aber 1758 ein zweites Verbot erwirkten und 1759 sogar die Indizierung durch den Papst.

1757 kehrte Voltaire Genf den Rücken und ging einmal mehr auf Reisen. 1758 schrieb er (z.T. im Schloss von Schwetzingen) den heute als sein bestes Werk geltenden philosophischen Kurzroman Candide, Ou l'optimisme. In einer turbulenten Handlung, die den zeitgenössischen Liebes- und Abenteuerroman mit seinen oft unwahrscheinlichen Wendungen parodiert, führt Voltaire sarkastisch-ironisch den ihm als unhaltbar erscheinenden Optimismus à la Leibniz („Unsere Welt ist die beste aller möglichen Welten“) und Wolff ad absurdum und empfiehlt am Ende, keine metaphysischen Luftschlösser zu bauen, sondern sich auf das sicherste Mittel gegen das Unglück in der Welt zu besinnen: die Arbeit. Nebenher nimmt er die Naturverklärung Jean-Jacques Rousseaus und seiner Jünger aufs Korn, indem er im Lissabon-Kapitel (Kap. V) die zerstörerische Wirkung der Naturgewalten Sturm und Erdbeben zeigt.[5]

Sesshaftigkeit und erfüllte letzte Jahre

Mit 64 Jahren befolgte Voltaire das Schlusswort von Candide, wonach man „seinen Garten bestellen“ soll, und kaufte im französischen Grenzgebiet nahe Genf die Landgüter Ferney und Tourney (1758 und 1759). Diese bewirtschaftete er bis zu seinem Tod innovativ und effizient sowie auch zum Vorteil seiner Pächter und Landarbeiter, für die er im Winter einträgliche Heimarbeit organisierte. Auch setzte er sich für die Abschaffung der Leibeigenschaft ein. Zusammen mit seiner Nichte Madame Denis, seinem treuen Sekretär Wagnière und einigen anderen Vertrauten verbrachte er in Ferney seinen letzten Lebensabschnitt, der den Zenit seiner Karriere bedeuten sollte. Der Genfer Jurist und Stadtrat Jean Huber hat die Jahre in Ferney als Porträtist begleitet.

Wie eh und je schrieb er weiterhin unablässig, und zwar Dutzende von Werken. So beteiligte er sich 1760 mit dem gegen seine Gewohnheit in Prosa abgefassten Stück Le Café, ou L’Écossaise erfolgreich an der Durchsetzung der neuen Gattung „drame (bourgeois)“ (Bürgerliches Trauerspiel), die kurz zuvor von Diderot lanciert worden war. Daneben verfasste er nach dem Erfolg des Candide weitere Erzählungen, u.a. den meisterhaften empfindsam-philosophischen Kurzroman L'Ingénu (Das Naturkind; eigentlich Der Unbedarfte, 1767). Aber auch die Geschichtsschreibung blieb auf seinem Programm, mit z.B. der Histoire de l’Empire de Russie sous Pierre le Grand (1763). Ein anderer Schwerpunkt seines Schaffens waren philosophische Werke im engeren Sinne, darunter zahlreiche „philosophische Dialoge“ (Dialogues philosophiques) oder, als Reaktion auf eine religiös motivierte Justizmord-Affäre, der Traité sur la tolérance (1763) oder das seine Bibel- und Religionskritik auf den Punkt bringende „tragbare philosophische Lexikon“ (Dictionnaire philosophique portatif, 1764). Es deckte die zahlreichen Widersprüche innerhalb der Bibel sowie auch Schwachstellen der katholischen Theologie auf und versorgte die Sympathisanten der Aufklärung mit bibel- und religionskritischen Argumenten. Noch im 19. Jahrhundert wurde es von der laizistischen und antiklerikalen französischen Bourgeoisie benutzt im Kampf um die Trennung von Kirche und Staat. Es trug andererseits viel bei zu der hasserfüllten Ablehnung, die Voltaire zur selben Zeit in katholisch-konservativen Kreisen entgegengebracht wurde.

Vor allem aber empfing er als „patriarque de Ferney“ in seinem Schlösschen Besucher aus ganz Europa und wechselte Briefe mit zahllosen, meist hochstehenden Personen. Zugleich kämpfte er mit der Macht seiner stetig wachsenden Autorität publizistisch gegen staatliche Willkür, Rückständigkeit, Obskurantismus und Intoleranz. Als er sich z.B. 1762 und 1766 unter dem Beifall des gesamten aufgeklärten Europas in die Justizmord-Affären um den Protestanten Jean Calas und den angeblichen Atheisten (und Dictionnaire-Leser) La Barre einschaltete, konnte er die Opfer zwar nicht retten, erreichte aber die nachträgliche Rehabilitierung zumindest von Calas. Für den ebenfalls von einem Justizmord bedrohten Protestanten Sirven (1764) erkämpfte er eine Revision des Urteils mit Freispruch und Entschädigung.

1777 erwies sich sein gesamteuropäisches Ansehen darin, dass ihn Kaiser Joseph II. in Ferney besuchte, wenn auch nur inkognito unter falschem Namen.

Im Februar 1778 reiste Voltaire nach Paris, um der Uraufführung seines neuen Stücks Irène beizuwohnen. Er wurde wie in einem Triumphzug empfangen und konnte sich der Ehrungen und Einladungen kaum erwehren. So übertrug man ihm am 30. März für das kommende Trimester die Leitung der Sitzungen der Académie française, und am 7. April wurde er in Gegenwart von etwa 250 Freimaurern in die Pariser Freimaurerloge „Les Neuf Sœurs“ aufgenommen.[F 2][6][7] Drei Wochen später brach der 83-Jährige entkräftet zusammen und starb. Es bedurfte einer List seines Neffen, ihm gegen den Willen der Geistlichkeit zu einem kirchlichen Begräbnis in der Abtei Scellières in der Champagne zu verhelfen.

Am 11. Juli 1791 wurden die Gebeine Voltaires von dort in das Panthéon überführt. Sein Sarkophag erhielt die Inschrift: POETE HISTORIEN PHILOSOPHE IL AGRANDIT L'ESPRIT HUMAIN ET LUI APPRIT Q'UIL (sic) DEVAIT ETRE LIBRE (Als Dichter, Historiker, Philosoph machte er den menschlichen Geist größer und lehrte ihn, dass er frei sein soll).

Erst nach seinem Tod wurde nach und nach seine umfängliche Korrespondenz publiziert. Sie umfasst mehr als 22.000 Briefe (darunter gut 15.000 eigene) und erscheint nachträglich als ein bedeutender Teil seines Schaffens. Zu seinen Briefpartnern zählte auch die russische Zarin Katharina II., in Voltaires Augen eine Philosophin auf dem Thron und der „strahlendste Stern des Nordens“. Sie erwarb nach seinem Tod seine Bibliothek, die sich heute in der Russischen Nationalbibliothek in Sankt Petersburg befindet.

Leistungen

5-Francs-Münze (1994 zum 300. Geburtstag Voltaires in Frankreich geprägt)

Voltaire war kein systembildender Denker, sondern ein „philosophe“ im französischen Sinn, d. h. ein Autor, der sowohl belletristische als auch philosophische, historische und naturwissenschaftliche Schriften verfasste sowie publizistisch tätig war.

Die weiteste und dauerhafteste Verbreitung fanden seine ab ca. 1746 verfassten philosophischen Erzählungen (contes philosophiques), in welchen er zentrale Gedanken der Aufklärung auf undogmatische und unterhaltsame Weise einem breiteren Publikum näher brachte.

Er selbst hielt sich vermutlich in erster Linie für einen bedeutenden Theaterdichter aufgrund seiner mehr als fünfzig Bühnenstücke, die teilweise sehr erfolgreich waren. Insbesondere die Tragödie Zaïre (1736) wurde mit großer Resonanz auch in Italien, Holland, England und Deutschland (1810 in Weimar von Goethe) aufgeführt[8], sie gehörte mehr als 200 Jahre lang zum festen Repertoire des Théâtre français. Auch von den Zeitgenossen wurde er als würdiger Nachfolger der großen Tragöden Corneille und Racine anerkannt. Goethe übersetzte die Tragödien Mahomet und Tancrède ins Deutsche.

Bahnbrechend wirkte Voltaire als Begründer einer kulturhistorisch orientierten Geschichtsschreibung. Wissenschaftlich ambitioniert und gemeinverständlich geschrieben, eröffneten seine historiografischen Werke eine Tradition, die noch heute in Frankreich lebendig ist.

Die Kleinschreibung in der französischen Schriftsprache geht ebenfalls auf ihn zurück. Er praktizierte sie als Erster konsequent in seinem Siècle de Louis XIV.

Die Inschrift auf dem Sarkophag Voltaires im Panthéon (s. o.), die 1791 vermutlich von einem Mitglied der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres formuliert und von dieser abgesegnet wurde, versucht sichtlich, die drei Hauptseiten seines Schaffens als etwa gleichgewichtig vorzustellen: die Belletristik, die Geschichtsschreibung, die Philosophie.

Voltaire und die Religion

Voltaire war einer der bedeutendsten Kirchenkritiker des 18. Jahrhunderts. Dies brachte ihm früh die Missbilligung der katholischen Kirche ein, die ihn als Atheisten brandmarkte und seine Schriften verbot.

Der Erbauer einer Kapelle in Ferney mit der Inschrift: « Deo erexit Voltaire, 1761 » („Für Gott erbaut von Voltaire“) wehrte sich jedoch stets gegen den Vorwurf des Atheismus. Bei aller Distanz zu den überkommenen Religionen vertrat er eine Haltung, die der deistischen Position verwandt war, d.h. einen toleranten und undogmatischen und von archaischen Vorstellungen befreiten Monotheismus. So folgerte auch er aus der Gesetzmäßigkeit des Kosmos die Existenz einer höchsten Intelligenz (Traité de métaphysique, 1735) und betonte er die moralische Nützlichkeit des Glaubens an Gott: „Wenn Gott nicht existierte, müsste man ihn erfinden“ (in Épitre à l'auteur du livre des trois imposteurs, 1770). Ohne jeden dogmatischen Anspruch bejahte Voltaire auch die Unsterblichkeit der Seele und die Freiheit des Willens.[F 3]

An der katholischen Kirche und ihrer Verquickung mit der weltlichen Macht übte er schärfste Kritik. Viele seiner späteren Briefe beschloss er mit der berühmt gewordenen Parole „Écrasez l'infâme!“ (wörtlich: „Zermalmt die Niederträchtige!“), was in der Regel auf die Kirche als Institution bezogen wird. Einer anderen Lesart zufolge war mit „l'infâme“ der von Voltaire oft gegeißelte Aberglaube („l'infâme superstition“) gemeint.[9] Im Jahr 1768 veröffentlichte er unter dem Pseudonym Corbera das Pamphlet Epître aux Romains, das zum Widerstand gegen den Papst aufruft.

Voltaire wünschte sich ein kirchliches Begräbnis, doch verweigerte er auf dem Totenbett die Kommunion ebenso wie den von der Kirche verlangten umfassenden Widerruf seiner Schriften. Auch von seiner Verneinung der Gottessohnschaft Jesu rückte er nicht ab.[10]

Politisch-soziale Haltung

Voltaire kämpfte für die Gleichheit der Bürger (z. B. auch der Protestanten) vor dem Gesetz, keineswegs aber für Gleichheit in puncto Status und Besitz. Er war der Meinung, dass es immer Arme und Reiche geben werde. Als Staatsform favorisierte er die Monarchie, an deren Spitze er sich einen „guten König“ wünschte. Einen solchen glaubte er lange Zeit in Friedrich II. zu sehen, bis es zum Zerwürfnis kam.

Stilmittel

Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Witz und Sarkasmus kritisierte Voltaire die Missstände seiner Zeit, aber auch persönliche Gegner. Meisterhaft beherrschte er hierbei insbesondere die Stilmittel der Ironie sowie die Antiphrase, den Euphemismus und die Hyperbel. Anerkennung erhielt er für die spielerische Eleganz seiner kürzeren Gedichte, die perfekten Verse und Reime seiner Tragödien und Epen sowie die Prägnanz seiner darstellenden Prosa. Auch als Parodist hat sich Voltaire hervorgetan. Die philosophische Erzählung Candide ist der Form nach eine Parodie der Liebes-, Abenteuer- und Reiseromane seiner Zeit.

Werke

Hauptartikel: Werke von Voltaire

Voltaire hinterließ mit weit über 700 einzelnen Texten (die er zumindest in seinen späten Lebensjahren einem Sekretär diktierte) eines der umfangreichsten und umfassendsten Werke der Literatur- und Geistesgeschichte. Die Einzelheiten der Drucklegung und Veröffentlichung vieler Schriften sind, nicht zuletzt wegen der oft fast konspirativen Umstände, bis heute ungeklärt und nur unvollständig erforscht. Meilensteine der Bibliografie sind die Arbeiten und Werkverzeichnisse von Adrien-Jean-Quentin Beuchot, Georges Bengesco, Louis Moland und Theodore Besterman.

Literatur

  • David Friedrich Strauß: Voltaire: Sechs Vorträge, Bonn: Emil Strauß, 1895
  • Georg Brandes,Voltaire. Berlin: Erich Reiss, 1923
  • Josef Popper-Lynkeus, Voltaire Wien und Leipzig: R. Löwit, 1925
  • Joachim G. Leithäuser: Voltaire: Leben und Briefe, Stuttgart: Cotta, 1961
  • Theodore Besterman, Voltaire. München: Winkler, 1971
  • Alfred J. Ayer: Voltaire, eine intellektuelle Biographie. Athenäum-Verlag 1987. ISBN 3-610-09223-8
  • Georg Holmsten: Voltaire. 14. Aufl., Rowohlt, 2002, ISBN 3-499-50173-2
  • Jean Orieux: Das Leben des Voltaire. Insel-Verlag, 1994, ISBN 3-458-33351-7
  • Katharina die Große/Voltaire: Monsieur − Madame Manesse Verlag, ISBN 3-7175-8186-4 (die Korrespondenz zwischen Katharina der Großen und Voltaire)
  • David Bodanis: Emilie und Voltaire. Eine Liebe in Zeiten der Aufklärung, Reinbek: Rowohlt, 2007

Belletristik

  • Helene Luise Köppel: Die Affäre Calas. 1. Auflage, Aufbau-TB-Verlag, Berlin, Jan. 2008, ISBN 978-3-7466-2370-2 [8]. (Umfangreicher literarischer Anhang zu Voltaire und dem Fall Calas.)

Weblinks

Biografien und Gesamtwürdigungen

Organisationen

Sonstiges

Einzelnachweise

  1. Beispielsweise Louis Veuillot in Mélanges religieux, historiques, politiques et littéraires, 1857: "C'est avec raison qu'on l'appelle le siècle de Voltaire.", oder Alfred Rambaud in Histoire de la civilisation française: "Le siècle de Voltaire s'étend du premier emprisonnement de celui-ci à la Révolution."
  2. Ausführliche Darstellung der Affäre bei Thomas Carlyle: History of Friedrich II of Prussia (1865) [1] und (mit teilweise abweichenden Bewertungen) bei Wilhelm Mangold: Voltaires Rechtsstreit mit dem königlichen Schutzjuden Hirschel 1751 (Berlin 1905)
  3. J. J. O'Connor, E. F. Robertson: The Berlin Academy and forgery (2003) [2]
  4. Voltaire erwähnt den Vorfall in einem Brief an Madame Denis am 2. Sept. 1751.
  5. Christophe Paillard: Le désastre de Lisbonne : de Voltaire à Rousseau (preisgekr. Diss., Univ. Lyon, 2000/2002)
  6. Eugen Lennhoff, Oskar Posner, Dieter A. Binder: Internationales Freimaurer Lexikon. 5. Auflage 2006, Herbig Verlag, ISBN 978-3-7766-2478-6, Lemma Voltaire, S. 881
  7. William R. Denslow, Harry S. Truman: 10,000 Famous Freemasons from K to Z, Part Two. Kessinger Publishing, ISBN 1-4179-7579-2.
  8. Karl Goedeke: Goethe und Schiller, 1859
  9. Roger Alexandre: Les mots qui restent (1901) [3]
  10. Franz Strunz: Voltaires Tod in: Aufklärung und Kritik 1/2000 (S. 116 ff.) [4]

Fußnoten

  1. Voltaire selbst hielt sich für den außerehelich gezeugten Sohn eines Freundes der Familie, des literarisch dilettierenden Ex-Offiziers de Rochebrune.
  2. Meister vom Stuhl war der Astronom Jérome Lalande, Benjamin Franklin führte ihn in den Tempel, sein Bürge war der Historiker Abbé Cordier de St. Firmin und Graf Stroganow bereitete ihn auf die Aufnahme vor. Sein Maurerschurz stammte von Claude Adrien Helvétius.
  3. Nach Ansicht einiger Autoren ist Voltaire in seinen späteren Jahren von diesen Positionen teilweise abgerückt. Vgl. Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie (1902) [5], ferner Franz Strunz: Voltaires Tod in: Aufklärung und Kritik 1/2000 (S. 116 ff.) [6]. Strunz: Andererseits überkamen ihn immer wieder Zweifel an der Unsterblichkeit der Seele, an der Existenz Gottes, an der Hoffnung auf ein Nachleben. An Condorcet etwa schrieb er am 4. April 1777, daß er sich wohl bald „da oben oder da unten oder nirgendwo“ präsentieren werde.
  4. Die im Auftrag Voltaires durch Henning in Berlin gedruckte Erstauflage betrug 3000 Exemplare. 2400 dieser Exemplare gelangten mit dem Impressum Hennings in den Handel. 500 Exemplare gingen an Dodley in London und kamen mit neuem Titelblatt und dem Impressum Dodleys 1752 in den Handel. 100 Exemplare verblieben beim Autor. Verfasst ab 1733 und bis zur endgültigen Fassung in der Werksausgabe Kehl kontinuierlich überarbeitet und erweitert.


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