Frauenwahlrecht

Frauenwahlrecht

Frauenwahlrecht bedeutet, dass die volljährigen Frauen eines Landes die Möglichkeit haben, in gleichem Umfang und mit denselben Rechten wie Männer an politischen Abstimmungen teilzunehmen.

Demonstrantinnen für das Frauenwahlrecht 1912 in New York

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

„Damenwahl am 19. Januar“
Karikatur von Gustav Brandt, Titelblatt der Zeitschrift Kladderadatsch vom 19. Januar 1919
Weibliche Stadtverordnete in Berlin, 1919
50 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland (Briefmarkenblock 1969)
Marie Juchacz, Marie-Elisabeth Lüders und Helene Weber

Dem Erlangen des Frauenwahlrechts ging ein langer Kampf der Frauenbewegung voraus, der bereits im 18. Jahrhundert begann. Die erste „moderne“ Kämpferin für das Frauenwahlrecht war Olympe de Gouges. Sie verfasste im Laufe der französischen Revolution unter anderem die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (veröffentlicht September 1791), wurde im Sommer 1793 verhaftet (also zur Zeit der Terrorherrschaft Robespierres) und im November 1793 nach kurzem Schauprozess hingerichtet (Näheres hier).

1776 erhielten Frauen im US-Bundesstaat New Jersey das Wahlrecht; dieses wurde 1807 jedoch wieder zurückgenommen. Die britische Kronkolonie Pitcairn, eine Insel im Südpazifik, bekam 1838 als erstes ein nachhaltiges Frauenwahlrecht. In Vélez, Kolumbien wurde als erster Stadt der Welt 1853 das Frauenwahlrecht eingeführt.[1]

1869 führte als erster neuzeitlicher Staat Wyoming Bundesstaat der Vereinigten Staaten, das Frauenwahlrecht ein. 1871 führte die Pariser Kommune das Frauenwahlrecht ein. Nach der Niederschlagung durch die französischen Regierungstruppen am 21. Mai desselben Jahres wurde dieses Recht jedoch wieder aberkannt. Colorado war 1893 der erste Staat, in dem sich Männer in einer Volksabstimmung für das Frauenwahlrecht entschieden haben.[2] In Neuseeland, damals ein britisches Territorium mit begrenzter Selbstverwaltung, erhielten 1893 Frauen das aktive Wahlrecht und 1919 das passive Wahlrecht. Im Jahre 1894 folgte die damalige Kolonie Südaustralien mit aktivem und passiven Wahlrecht. 1902 folgte das neu gegründete Commonwealth of Australia, das ein Jahr zuvor von Großbritannien in die staatliche Selbständigkeit entlassen worden war. Damit ist Australien der erste moderne souveräne Staat, der das Frauenwahlrecht eingeführt hat.

Als erstes europäisches Land gewährte Finnland mit seiner Landtagsordnung vom 1. Juni 1906 Frauen das Wahlrecht. Finnland war damals ein russisches Großfürstentum. 1915 wurde das Frauenwahlrecht in Dänemark durch Änderung der dänischen Verfassung eingeführt.

Plakat der Frauenbewegung zum Frauentag 8. März 1914
„Heraus mit dem Frauenwahlrecht“

In Österreich erhielten Frauen das allgemeine Wahlrecht am 12. November 1918 durch das Gesetz über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich, mit dem dieses sich im Zuge des Zerfalls von Österreich-Ungarn zur Republik erklärte: Artikel 9 spricht für die kommende Wahl der konstituierenden Nationalversammlung vom „allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Stimmrecht aller Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts“, was im folgenden Artikel auf „Wahlrecht und Wahlverfahren der Landes-, Kreis-, Bezirks- und Gemeindevertretungen“ ausgeweitet wird.[3] Am selben Tag veröffentlichte in Deutschland der Rat der Volksbeauftragten einen Aufruf an das deutsche Volk, in dem diese im Zuge der Novemberrevolution an die Macht gekommene Reichsregierung „mit Gesetzeskraft“ verkündete: „Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystem für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.“[4] Kurz darauf wurde das Wahlrecht mit der Verordnung über die Wahlen zur verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung vom 30. November 1918 gesetzlich fixiert.[5] Somit konnten Frauen in Deutschland bei der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919 erstmals auf nationaler Ebene ihr Wahlrecht nutzen.[6] Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde ihnen das passive Wahlrecht 1933 wieder entzogen.

Schaufenster der amerikanischen Antisuffragisten-Organisation um 1911

US-Frauen erhielten 1920 mit der Verabschiedung des 19. Verfassungszusatzes das vollständige Wahlrecht auf Bundesebene. Großbritannien kam am 2. Juli 1928 hinzu, nachdem Frauen ab 1919 nur eingeschränkt wählen durften (Mindestalter 28 Jahre und nur, falls sie selbst oder ihre Ehegatten das an Besitz gebundene kommunale Stimmrecht besaßen). In der Türkei haben die Frauen seit 1930 das aktive Wahlrecht und seit 1934 das passive. Als Frankreich sich im Sommer 1944 mit Hilfe der Alliierten von der deutschen Besatzung befreit hatte, erhielten die französischen Frauen, 1946 dann die Belgierinnen und ebenfalls 1946 die Italienerinnen volles Wahlrecht (vorher hatten sie – seit 1925 – nur ein kommunales Wahlrecht, lt. Zeittafel Frauenwahlrecht). In Indien wurde das Wahlrecht für Frauen 1950, im Iran 1963 eingeführt.

Das Frauenwahlrecht wurde am 7. Februar 1971 nach einer erfolgreichen Volksabstimmung in der Schweiz auf Bundesebene eingeführt. Im Jahre 1959 noch lehnte die Mehrheit der wahlberechtigten Männer das Frauenwahlrecht ab.[7] Der Kanton Appenzell Innerrhoden führte das Recht auf kantonaler Ebene erst 1990 ein. Im Jahr 1984 kam Liechtenstein dazu, nachdem zuvor in zwei Volksabstimmungen (1971 und 1973) die Einführung abgelehnt worden war.[8] Seit 2003 dürfen in Afghanistan Frauen wählen. Seit 2005 besitzen Frauen in Kuwait das aktive sowie das passive Wahlrecht.

Die Zeittafel Frauenwahlrecht dokumentiert die Einführung des Frauenwahlrechts während der letzten 230 Jahre in den verschiedenen Staaten der Welt.

Das Frauenwahlrecht in Europa

Erste Forderungen

In Europa wurden erste Stimmen nach politischer Partizipation von Frauen zuerst während der französischen Revolution laut, als Olympe de Gouges 1791 die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin veröffentlichte. Auch während der Revolutionen von 1831 und 1848 forderten Französinnen ihr Recht zu wählen; in Großbritannien wurde die erste Petition für das Frauenwahlrecht 1832 eingebracht. Davon abgesehen waren es die skandinavischen Staaten, in denen Frauen relativ früh in den 1880er Jahren ihren Anspruch auf politische Rechte proklamierten. Dagegen gab es in Mitteleuropa die ersten Forderungen nach 1900 und in einigen mediterranen Ländern erst nach dem Ersten Weltkrieg. In Großbritannien setzte sich die Suffragettenbewegung um Christabel Pankhurst im frühen 20. Jahrhundert für das Frauenwahlrecht und für allgemeine Frauenrechte ein.

Auslöser für die Entstehung einer Frauenwahlrechtsbewegung waren:

  1. Wahlrechtsreformen, die ausschließlich Männern zugute kamen und Frauen ignorierten
  2. Wahlgesetze, die einer Minderheit von privilegierten Frauen das Wahlrecht entzogen, das sie wie in Großbritannien und Österreich traditionell besaßen und
  3. das Erstarken von Frauenbewegungen, die nicht nur bürgerliche, sondern auch politische Rechte erstrebten. In den osteuropäischen Ländern, die von Russland, Österreich und Preußen beherrscht waren, konnte sich keine eigenständige Frauenbewegung entwickeln. Hier gab es nur wenige Stimmen nach Frauenrechten; der Kampf um nationale Unabhängigkeit hatte Priorität.

Strategien und Kampfmethoden

Veranstaltungshinweis zur Forderung nach dem Frauenwahlrecht (ca. 1908)

In allen Ländern erhoben die Frauen ihre Forderungen zuerst in Zeitungen und eigenen Mitteilungsblättern. Später griffen sie auf klassische Elemente des Lobbyismus und der Öffentlichkeitsarbeit zurück wie Petitionen und Gesetzesinitiativen. Frauenrechtlerinnen in protestantischen Ländern engagierten sich sehr im Sammeln von Unterschriftslisten. So konnte 1907 die Frauenwahlrechtsvereinigung in Island 11.000 Unterschriften von Frauen vorweisen, was etwa der Zahl der wahlberechtigten Männer entsprach. Nur in wenigen Ländern kamen wie in Großbritannien und den Niederlanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts Straßenproteste, Demonstrationen und Mahnwachen zum Protestrepertoire hinzu.

Aufklärungsarbeit in Form von fiktiven Geschichten und Theaterstücken waren in Schweden verbreitet; die Schweiz benutzte in den 1920er Jahren moderne Werbeträger wie Film und Leuchtreklame. Weiter war es beliebt, Alltagsgegenstände wie Fingerhut, Bleistift, Geschirr oder Taschenspiegel mit der Forderung nach dem Frauenwahlrecht zu versehen. Am fantasiereichsten waren die englischen Suffragetten, die eigene Läden eröffneten und ein „Corporate Identity“ in den Farben purpur, weiß und grün entwickelten.

Französische Aktivistinnen unternahmen einzelne Aktionen zivilen Ungehorsams wie Steuerboykott und Verbrennen des Code civil, sie konnten damit aber keine Anhängerschaft finden. Nur in Großbritannien kam es zu einer Massenbewegung. Während die große Mehrheit gemäßigt eingestellt war, wurde eine kleine Minderheit nach 40–50 Jahren erfolglosen Protesten radikal: Sie griffen Abgeordnete an, warfen Fensterscheiben ein und legten Brände. Auf ihre Verhaftung reagierte ein Teil mit Hungerstreik.

Insgesamt war es für die Wahlrechtsbewegungen wichtig, ihr Anliegen in einem kulturell akzeptierten Rahmen zu formulieren. Wenn das vorherrschende Geschlechterbild aber kein öffentliches Auftreten für Frauen vorsah, mussten wie in Südeuropa erst neue Identitäten geschaffen werden, damit die Forderung nach politischer Partizipation legitim wurde.

Internationale Vernetzung

1904 gründete sich in Berlin der „Weltbund für das Frauenstimmrecht“. Eines seiner Ziele war es, die stimmrechtliche Distanz zwischen den Geschlechtern zu verringern. Er vereinte sowohl Anhängerinnen eines eingeschränkten wie auch eines allgemeinen Frauenwahlrechts. Viele seiner bürgerlichen Mitgliedsverbände traten nur für ein Zensuswahlrecht ein. Der Weltbund war ein wichtiger Motor, der mit seinen regelmäßigen Kongressen für eine weltweite Vernetzung sorgte und einzelne Frauen sowie Gruppen aus vielen Ländern motivierte, sich für ihre Rechte einzusetzen. Er nahm aber nur die jeweilige Dachorganisation eines Staates auf. Daher waren Frauen aus besetzten Ländern wie Polen, Tschechien oder die baltischen Staaten nicht im Weltbund vertreten und fanden kein Gehör für ihre Forderung nach nationaler Unabhängigkeit, die verbunden war mit politischen Rechten für Frauen und Männer.

Die sozialistischen Frauen waren in der „Fraueninternationale“ vereinigt. Der erste sozialistische Frauenkongress wurde 1907 in Stuttgart unter Leitung von Clara Zetkin veranstaltet. Die Genossinnen forderten das Frauenwahlrecht mit derselben Dringlichkeit wie das allgemeine Männerwahlrecht für die sozialen Unterschichten. Beim zweiten Treffen 1910 in Kopenhagen beschlossen sie die Einführung des Internationalen Frauentags als „Kampftag“ für das Frauenwahlrecht. Sie organisierten in vielen Ländern die ersten Demonstrationen für das Frauenwahlrecht.

Abschaffung von Klassen- oder Geschlechterschranken

Der Weg zum allgemeinen Frauenwahlrecht verlief parallel mit der heftig umkämpften Abschaffung des Zensuswahlrechts für Männer. Nur in wenigen Staaten wurde das allgemeine Wahlrecht für beide Geschlechter zum selben Zeitpunkt eingeführt wie 1906 im damaligen zu Russland gehörenden Großherzogtum Finnland. Je eher die Männer das uneingeschränkte Wahlrecht bekamen, desto länger mussten die Frauen darum ringen. Frankreich und die Schweiz wurden zu Nachzüglerstaaten, weil sie die ältesten Männerdemokratien Europas waren; ähnlich sah es in Griechenland und Bulgarien aus.

SPD-Wahlplakat 1919

Die Sozialdemokraten waren in einigen Ländern die ersten, die die Frauen in ihrer Forderung unterstützen. Doch sie engagierten sich nur dann für ein Frauenstimmrecht, wenn sie es mit ihrem Interesse an der Ausdehnung des Männerwahlrechts verbinden und weibliche Unterstützung gebrauchen konnten. Vielfach befürchteten sie jedoch, dass das Frauenwahlrecht ein Hindernis sei, um das volle Arbeiterwahlrecht durchzusetzen.

In vielen Staaten sympathisierten die Liberalen mit dem Frauenwahlrecht. Entscheidend aber ist, dass liberale Politiker oft an einem Zensus festhielten und politische Partizipation vom sozialen Stand oder von der Bildung abhängig machten. Entsprechend verlangte die Mehrheit der bürgerlichen Frauen für ihr Geschlecht ebenfalls ein eingeschränktes Wahlrecht. Es ging ihnen in erster Linie um die Aufhebung der Geschlechterbarrieren, wobei ein Teil der Frauenrechtlerinnen dies nur als ersten Schritt ansah, dem das allgemeine Wahlrecht folgen würde.

Die europaweit diskutierte Frage lautete, ob der Arbeiterklasse oder dem weiblichen Geschlecht der Vorrang zu geben sei. Jede politische Seite befürchtete für sich negative Konsequenzen. Sozialisten und Liberale glaubten vielfach, dass vom Stimmrecht der Frauen vor allem die Konservativen und Klerikalen profitieren würden, dagegen beschworen konservative Parteien die Gefahr, dass Frauen mit ihrer Stimme linke und liberale Parteien stärken würden. Zudem sahen sie im Frauenwahlrecht den ersten Schritt zur vollständigen Emanzipation. Dies war auch ein Grund, weshalb sich die Aufhebung der Klassenbarriere eher durchsetzte.

Antifeminismus

Plakat von 1927 gegen das Frauenstimm- und Wahlrecht in der Schweiz

In fast allen Staaten reagierten Männer mit den gleichen Vorbehalten auf die Forderung der Frauen nach politischer Partizipation. Unterstützt von der antifeministischen Strömung der Kaiserzeit, wurde immer wieder die „natürliche“ Bestimmung der Frau ins Feld geführt, die sie für die Arbeit im Hause prädestiniere, während die Politik in die männliche Welt gehöre. Ein großer Teil der Männer wollte ihren Aufgabenbereich nicht mit Frauen teilen, und erst recht nicht mit ihren Ehefrauen. Man dachte aber auch, dass Frauen wegen ihrer sozialen Rolle nicht unabhängig urteilen könnten. Britische Reformer verhinderten zum Reform Act of 1867 ein Frauenwahlrecht vor allem deshalb, weil es politische Differenzen innerhalb von Familien zwischen den Ehepartnern verursachen könnte.[9] Aus diesem Grund wurde in Skandinavien und Großbritannien zunächst nur für ledige und verwitwete Frauen das kommunale Wahlrecht eingeführt – mit der offiziellen Begründung, dass verheiratete Frauen schon durch ihre Ehemänner vertreten seien.

Frauen hatten gegen geschlechtsspezifische Barrieren zu kämpfen, von denen Männer nicht betroffen waren. In einigen katholischen Staaten wie Belgien, Italien und im orthodoxen Bulgarien wurde verheirateten Müttern das kommunale Wahlrecht zuerst zugestanden, weil sie als „wertvoller“ galten als kinderlose Frauen. Man kam dagegen nie auf die Idee, bei Männern die Wahlberechtigung von der Zeugung ehelicher Kinder abhängig zu machen.

Um die angeblich unvorhersehbaren Folgen eines Frauenstimmrechts zu minimieren, diskutierten die Parlamentarier alle möglichen Formen eines spezifisch weiblichen Zensus. In einigen Staaten wie in Griechenland wurde für Frauen ein gewisser Bildungszensus eingeführt; im Gegensatz zu männlichen Wählern mussten sie Schulbildung nachweisen. In England, Ungarn und Island unterlagen Frauen zeitweise einem Alterszensus, dem zufolge sie erst mit 30 bzw. 40 Jahren ihr Wahlrecht ausüben konnten. Eine weitere Form war der Moralzensus, der Prostituierten in Österreich, Spanien und Italien zunächst das Wahlrecht vorenthielt, während die Freier von dieser Einschränkung nicht betroffen waren.

Europäisches Nord-Süd-Gefälle

Insgesamt lassen sich drei geographische Linien feststellen, in denen sich in zeitlich abgestufter Reihenfolge das Frauenwahlrecht durchsetzte. Vorreiterinnen waren die Skandinavierinnen. Die möglichen Ursachen hierfür sind nicht untersucht, liegen aber wahrscheinlich in der Gesellschaftsform und der wirtschaftlichen Situation in den betroffenen Ländern begründet.

Im mittleren Europa haben fast alle Länder nach dem Ersten Weltkrieg das Frauenwahlrecht eingeführt. In den meisten dieser Staaten vollzog sich um 1918 ein vollständiger Umbruch, der entweder im Zuge einer Revolution oder einer neuen Staatsgründung die Einführung des allgemeinen Wahlrechts für beide Geschlechter umfasste. Der politische Neubeginn basierte auf demokratischen Prinzipien. Zur Stabilisierung des neuen Systems waren die Regierungen auch auf die Unterstützung der Frauen angewiesen. Nur in Großbritannien und in den Niederlanden waren die Frauenwahlrechtsbewegungen so stark, dass sie mehr oder weniger aus eigener Kraft die Durchsetzung ihrer Forderungen erreichten – wenn auch hier die Kriegsaktivitäten der Frauen bzw. die revolutionären Ereignisse die Durchsetzung beschleunigten.

Die meisten südlichen und südöstlichen Länder erlangten nach dem Zweiten Weltkrieg bzw. in der Nachkriegszeit das Frauenstimmrecht, wobei auch Belgien und Frankreich in diese Zeitschiene fallen. In den romanischen Ländern, in denen der Code Civil bzw. ein patriarchales, nicht entkonfessionalisiertes Rechtssystem galt, war die Unmündigkeit der Frauen stärker in der Gesellschaft verankert. Feudal-agrarische Strukturen und der dominante Einfluss der Kirche prägten noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Geschlechterordnung. In vielen südlichen Ländern wurde der Wert der Frauenaktivitäten erst im Widerstand gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg anerkannt, worauf sie als „Belohnung“ bzw. Gegenleistung das Wahlrecht bekamen.

Ausnahmen in der Nord-Süd-Entwicklung stellen die Schweiz und Liechtenstein sowie die iberischen Staaten dar. Die beiden Alpenländer sind die einzigen, in denen die Einführung des Frauenwahlrechts (in der Schweiz auch das Stimmrecht) von einer männlichen Volksabstimmung abhing, was den Kampf der Frauen sehr erschwerte. Denn gegen einen Beschluss der Regierung ließ sich leichter protestieren als gegen ein „Volksnein“.

Portugal und Spanien unterscheiden sich vom übrigen Europa. Gemeinsam ist beiden Ländern die lange Diktatur eines autoritären Regimes, das in Portugal ein allgemeines Frauenstimmrecht verhinderte und in Spanien die früheren frauenpolitischen Errungenschaften rückgängig machte. So dauerte es in beiden Ländern bis zum Ende der Diktatur Mitte der 1970er Jahre, bis die Frauen in den Besitz ihrer Bürgerrechte kamen. Auch in anderen Staaten verhinderten autoritäre bzw. faschistische Regime wie in Italien (bis 1946) und Bulgarien die Durchsetzung des allgemeinen Frauenwahlrechts.

Auswirkungen auf die Politik

Frauen wählen im Durchschnitt anders als Männer. Die Ursachen dafür sind wissenschaftlich nicht abschließend geklärt. Zu den möglichen Gründen gehören eine größere Risikoaversion von Frauen, und ihre relativ stärkere Anfälligkeit für Einkommenseinbrüche nach Scheidungen.[10][11]

Die Einführung des Frauenwahlrechts in den Vereinigten Staaten hat bis heute bedeutende Effekte auf die Politik. Sie führte zu signifikanten Ausdehnungen der bundesstaatlichen Ausgaben und Einnahmen. Ähnliche Veränderungen ergaben sich auf Bundesebene, wo sich die Wahlergebnisse zugunsten der Demokraten verschoben. Im Senat war das Frauenwahlrecht für eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Republikanern und Demokraten von fast 20% verantwortlich.[10]

Frauen in der Politik

Hauptartikel: Frauen in der Politik

Neben dem aktiven Wahlrecht (also dem Recht zu wählen) gibt es das passive Wahlrecht (das Recht, gewählt zu werden). Noch lange nach Einführung des (aktiven) Wahlrechts hätte jedoch keine größere Partei die Spitzenkandidatur einer Frau angetragen, weil ihre Wahlchancen gering gewesen wären.

In der Öffentlichkeit wird es besonders wahrgenommen, wenn zum ersten Mal eine Frau ein politisches Spitzenamt besetzt:

  • 1960 wurde Sirimawo Bandaranaike (1916–2000) erste Premierministerin von Ceylon (heute Sri Lanka) – und auch erste Regierungschefin der Welt
  • Indira Gandhi war vom 24. Januar 1966 - 24. März 1977 erste indische Premierministerin
  • Golda Meir war vom 17. März 1969 bis 1974 erste israelische Ministerpräsidentin
  • Vigdís Finnbogadóttir war von 1980 bis 1996 Präsidentin von Island und damit das erste demokratisch legitimierte weibliche Staatsoberhaupt eines europäischen Landes
  • Im Oktober 1984 wurde Elisabeth Kopp als erste Bundesrätin der Schweiz gewählt
  • Im November 2005 wurde Angela Merkel erste deutsche Bundeskanzlerin
  • Im Januar 2006 wurde Ellen Johnson Sirleaf die erste Frau, die durch eine Wahl das Amt eines Staatsoberhauptes in Afrika erhielt
  • Im Juni 2010 wurde Julia Gillard erste australische Premierministerin
  • Seit November 2010 hat die Schweiz eine Frauenmehrheit in der Regierung

Literatur

  • Bettina Bab; Gisela Notz; Marianne Pitzen; Valentine Rothe (Hrsg.): Mit Macht zur Wahl! 100 Jahre Frauenwahlrecht in Europa. Frauenmuseum, Bonn 2006, ISBN 978-3-928239-54-7, (Veröffentlichung zur gleichnamigen Ausstellung im Frauenmuseum, Bonn)
  • Gisela Bock: Frauen in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Beck, München 2000, ISBN 978-3-406-46167-5
  • Barbara J. Nelson; Nadjma Chowdhury: Women and Politics Worldwide. Yale University Press, New Haven 1994, ISBN 0-300-05407-6
  • Sylvia Paletschek; Bianka Pietrow-Ennker: Women's Emancipation Movements in Europe in the Long Nineteenth Century: Conclusions. In: Sylvia Paletschek; Bianka Pietrow-Ennker (Hrsg.): Women's Emancipation Movements in the Nineteenth Century. A European Perspective. Stanford University Press u. a., Stanford Calif. u. a. 2004, ISBN 0-8047-4764-4
  • Mariette Sineau: Recht und Demokratie. In: Georges Duby; Michelle Perrot: Geschichte der Frauen. Band 5: 20. Jahrhundert. Campus Verlag, Frankfurt am Main u. a. 1995, ISBN 3-593-34909-4

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Frauenstimmrecht – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Deutschland
Österreich
Schweiz

Einzelnachweise

  1. Bernd Marquardt: Staat, Demokratie und Verfassung in Hispano-Amerika seit 1810, 1. Band, Das liberale Jahrhundert (1810–1916), Bogotá 2008, S. 173.
  2. Gesetz vom 7. April 1893 über die Ausweitung des Wahlrechts auf Frauen gemäß Artikel 2 Absatz 2 der Verfassung von Colorado, Bestätigung durch den Governor von Colorado vom 2. Dezember 1893 über das Zustandekommen des Gesetzes aufgrund der Volksabstimmung vom 7. November 1893 mit 35.798 Zustimmungen gegen 29.451 Ablehnungen.
  3. Gesetz vom 12. November 1918 über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich im Staatsgesetzblatt in retrodigitalisierter Form bei ALEX – Historische Rechts- und Gesetzestexte Online
  4. Aufruf des Rates der Volksbeauftragten an das deutsche Volk (dokumentarchiv.de)
  5. Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung vom 30. November 1918 (dokumentarchiv.de)
  6. Wahlrechtslexikon von Wahlrecht.de zum Frauenwahlrecht
  7. [1] Historisches Lexikon der Schweiz: Frauenstimmrecht, abgerufen am 27. März 2010
  8. Liechtensteiner Landtag: Frauenstimmrecht, abgerufen am 30. April 2010
  9. Catherine Hall; Keith McClelland; Jane Rendall: Defining the Victorian Nation: Class, Race, Gender and the British Reform Act of 1867, Cambridge Univiversity, 2000, ISBN 0-521-57218-5
  10. a b John Lott; Lawrence Kenny: Did Women’s Suffrage Change the Size and Scope of Government? Journal of Political Economy, Vol. 107, Nr. 6, 1999, S. 1163-1198.
  11. Steffen Schmidt; Sabrina Röser: Politische Partizipation von Frauen Bundeszentrale für politische Bildung, 10. Juni 2011
  12. Deutschlands erste Regierungschefin Heide Simonis Der Spiegel, 19/1993

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