Freidenkertum

Freidenkertum

Freidenker sind Menschen, die sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren und zum Humanismus bekennen ohne sich dabei an eine der etablierten Religionen zu binden. Sie sind daher meist entweder Atheisten oder Agnostiker. Ein verwandter und älterer Begriff ist Freigeist, der jedoch zur Entstehungszeit des Begriffs Freidenker oft abwertend gebraucht wurde.

Freidenker bestehen zwar auf ihrer Unabhängigkeit von Glaubensregeln wie Tabus und Dogmen, beziehen sich aber ausdrücklich auf ethische Grundsätze von Freiheit, Gleichheit, Toleranz und Gewaltverzicht.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Ursprünge in England und Frankreich

Free-Thinker nannten sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts Deisten in England, die sich zwar gegen die Institution der Kirche und deren umfassenden Einfluss auf die menschlichen Lebensumstände wandten, nicht jedoch gegen den Gottesglauben an sich. Diese Bezeichnung wurde 1697 erstmals von William Molyneux in einem Brief an John Locke verwandt und 1713 durch Anthony Collins in seinem Discourse of Free-Thinking populär gemacht. Erst die französischen Enzyklopädisten wie Denis Diderot, Jean le Rond d'Alembert und Voltaire besetzten den Begriff Libre-Penseur stärker atheistisch.

Deutsche Freigeister, Freireligiöse, Freidenker und Monisten

In Deutschland wurde bereits im Vormärz (1815–1848), also in den Jahren vor der europäischen Märzrevolution von 1848, der Widerstand bürgerlicher Freigeister gegen die Dogmen der Kirche deutlich geäußert. Ab 1844 entstanden unter dem Einfluss von Johannes Ronge und Robert Blum zahlreiche freireligiöse Gemeinden, die sich 1859 zum Bund Freireligiöser Gemeinden zusammenschlossen. Dieser Bund besteht noch heute, einige Gemeinden nennen sich mittlerweile Freie Humanisten. In dem 1881 in Frankfurt am Main von Ludwig Büchner gegründeten Deutschen Freidenkerbund versammelten sich die ersten ausdrücklichen Atheisten. In Hamburg entstand im Frühjahr 1882 die sozialdemokratische Freidenker-Gesellschaft, zu einer Zeit, als das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie, bekannt unter der Bezeichnung Sozialistengesetz, noch in Kraft war. Schließlich wurde 1906 von Ernst Haeckel der Deutsche Monistenbund gegründet.

Nicht allein bezogen auf Kirche und Glaubensrichtung, sondern auch politisch und gesellschaftspolitisch engagierte "Freidenker" verließen während und nach den politischen Kämpfen in Deutschland (Märzrevolution von 1848) ihr Heimatland und versuchten in Texas ein neues und freies Deutschland zu gründen. Ihre Siedlungen, die aus verschiedenen Gründen mehrheitlich nach kurzer Zeit wieder aufgegeben wurden, werden "Latin Settlements" genannt.

Spaltung und internationale Vereinigung

Die Arbeiter-Freidenkerbewegung trennte sich in vielen Ländern mehr und mehr von der ersten, eher „bürgerlichen“ ab, was 1925 in Teplitz-Schönau zur Gründung der Internationale Proletarischer Freidenker führte, die sich 1930 weiter in die sozialdemokratische IPF und die kommunistische IpF aufspaltete. 1931 wurde auf dem XXII. Weltkongress des Internationalen Freidenkerbundes in Berlin diese Spaltung wieder aufgehoben, die sozialdemokratische Internationale Proletarischer Freidenker und der Internationale Freidenkerbund verschmolzen zur Internationalen Freidenkerunion (IFU), der sich 1936 auch die kommunistische IpF anschloss.

Unterdrückung und Widerstand

Von den Nationalsozialisten wurden in Deutschland ab 1933 unterschiedslos fast alle Freidenkerorganisationen verboten. Viele Freidenker waren im Widerstand aktiv, der damalige Vorsitzende des Freidenker-Verbandes Max Sievers wurde am 17. Januar 1944 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet.

Neubeginn in Deutschland nach 1945

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bildeten sich zahlreiche Gruppierungen neu. Als erster Verband wurde am 24. Dezember 1945 auf Länderebene in Hamburg der Deutsche Freidenker-Verband (DFV) gegründet.

In der DDR waren die Freidenker als Organisation lange Zeit verboten, erst 1989 gründete sich ein Verband der Freidenker.

1993 entstand durch den Zusammenschluss verschiedener Freidenker- und freigeistiger Organisationen der Humanistische Verband Deutschlands (HVD). Bereits seit 1961 gibt es die Humanistische Union, die sich als Bürgerrechtsorganisation versteht und für eine strikte Trennung von Staat und Kirche (und Religion) eintritt.

Österreich

In Österreich gibt es zwei Freidenker-Vereinigungen:

  1. Der Freidenkerbund Österreichs existiert seit 1947, hat sich jedoch zu einer Organisation entwickelt, welche kaum mehr in der Öffentlichkeit auftritt.
  2. Die Allianz für Humanismus und Atheismus existiert seit 1988. Sie hat sich als Landesgruppe des Freidenkerbundes Österreichs definiert. Wegen der anhaltenden Inaktivität des Freidenkerbundes hat sie sich von dieser Selbstdefinition 2006 verabschiedet und 2007 die Geschäftsbeziehung zum Freidenkerbund eingestellt. Sie hat sich nach der Trennung vom Freidenkerbund trotz einiger Klagen des Freidenkerbundes konsolidiert und ist die einzige säkulare Organisation in Österreich, welche politisch und aktiv in der Öffentlichkeit auftritt.

Schweiz

Freidenker Vereinigung der Schweiz

Schweizer Freidenkerinnen und Freidenker sind seit 1908 als Freidenker-Vereinigung der Schweiz (FVS) landesweit organisiert. Der Landesverband besteht heute als zivilrechtlicher Verein im Sinne von Art. 60 ff ZGB. In lokale Sektionen unterteilt, versteht sich die Vereinigung als politische Interessenvertretung konfessionsloser Menschen. Mitglied kann jede Person werden, die das 16. Altersjahr vollendet und so gemäss schweizerischem Recht Urteilsfähigkeit in weltanschaulichen Fragen erreicht hat.

Die Freidenker-Vereinigung der Schweiz organisiert im Herbst des Jahres 2008 zu ihrem hundertjährigen Bestehen mehrere Veranstaltungen zum Thema säkulare und humanistische Philosophie und Ethik. Es nehmen unter anderem Carola Meier-Seethaler, Joachim Kahl und Michael Schmidt-Salomon an den Veranstaltungen teil.

Philosophie, Forderungen

Das Bedürfnis besondere Stationen im Leben eines Menschen durch ein Fest oder eine Feier zu würdigen wird von den Schweizer Freidenkerinnen und Freidenkern allgemein anerkannt. So bietet die nationale Vereinigung weltliche Riten als Alternative zu religiösen Taufen, Hochzeiten und Trauerfeiern an, bei der bewusst auf religiöse Sprache und Symbolik verzichtet wird.

Schweizer Freidenker setzen sich vornehmlich für eine stärkere Säkularisierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft ein. So Umfassen ihre Forderungen:

  • Die Aufhebung der steuerlichen Privilegierung der öffentlich-rechtlich anerkannten Landeskirchen.
  • Die Möglichkeit zur Befreiung juristischer Personen von der Kirchensteuer.
  • Die Einführung eines allgemein obligatorischen Fachs Ethik anstelle des Religionsunterrichts in der Grundschule.

Aufgrund der föderativen Struktur der Schweiz und der damit verbundenen weitgehenden Autonomie der Kantone finden sich säkulare Ideen in der Schweiz in unterschiedlichem Maße verwirklicht.

Weltliche Riten

Weil im 19. Jahrhundert nicht-kirchliche feierliche Zeremonien zu Geburt, Erwachsenwerden, Heirat und Bestattung praktisch unmöglich waren, entwickelten Freidenker eine Reihe weltlicher Riten wie Namensweihe (heute oft Begrüßungsfeier oder Namensfeier genannt), Schulentlassungsfeier (später Jugendweihe oder Jugendfeier), Lebensbundfeier und feierliche Feuerbestattung.

Siehe auch

Literatur

  • Joachim Kahl und Erich Wernig: Freidenker: Geschichte und Gegenwart. Pahl-Rugenstein, Köln 1981 (Kleine Bibliothek, Band 214)
  • Jochen-Christoph Kaiser: Arbeiterbewegung und organisierte Religionskritik: Proletarische Freidenkerverbände in Kaiserreich und Weimarer Republik. Klett-Cotta, Stuttgart 1981.
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