Friedrich Berner

Friedrich Berner

Friedrich Berner (* 12. November 1904 in Zwickau; † 2. März 1945 bei Wronke im Landkreis Samter) war ein deutscher Röntgenologe und SS-Hauptsturmführer. Berner war als Leiter der Tötungsanstalt Hadamar an den nationalsozialistischen Krankenmorden der Aktion T4 beteiligt.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Der Sohn eines Frauenarztes beendete 1925 den Besuch des Realgymnasiums seiner Heimatstadt mit der Reifeprüfung. Nach eigenen Angaben[1] strebte Berner zunächst ein Ingenieursstudium an, entschied sich aber dann auf Bitten seiner Eltern für ein Studium der Medizin. Nach Semestern an den Universitäten München, Halle und Rostock schloss er 1931 seine Promotion zum Thema Untersuchungen über die Reid-Huntsche Reaktion bei Thyreosen, vegetativ Nervösen und Ulcus-Kranken ab. Im gleichen Jahr erhielt er seine Approbation und wurde Assistent an der Rostocker Universitätsklinik unter Hans Curschmann. Im September 1934 übernahm er die Leitung der Röntgenabteilung am städtischen Krankenhaus Erfurt. Im Mai 1935 wechselte er als Oberarzt an das Zentral-Röntgeninstitut im Städtischen Krankenhaus Mainz. Nach der Facharztanerkennung als Röntgenologe erhielt er im September 1937 eine Assistentenstelle bei Hans Holfelder an der Universität Frankfurt am Main. Berner hatte 1933 geheiratet, aus der Ehe gingen drei Kinder hervor.

In der Zeit der Weimarer Republik war Berner Mitglied der Technischen Nothilfe und des Wehrwolfs, eines rechtsgerichteten, überwiegend in Mitteldeutschland tätigen Wehrverbands. Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten trat er am 1. Mai 1933 der NSDAP (Mitglieds-Nr. 2.804.744) und der SA bei, für die er als Obertruppführer zahlreiche Röntgenuntersuchungen durchführte. Im November 1934 trat er in Erfurt von der SA zur SS über. Zunächst SS-Anwärter, wurde er am 26. August 1936 SS-Mitglied (Mitglieds-Nr. 276.832) im SS-Abschnitt „Rhein“ und übernahm ab dem 1. Januar 1937 die Führung des Sanitäts-Sturms im SS-Abschnitt. Seit September 1939 im Rang eines SS-Obersturmführers, war Berner später Angehöriger des von Hans Holfelder geführten Röntgensturmbanns beim SS-Führungshauptamt.

Ende August 1939 wurde Berner zur Luftwaffe eingezogen und nahm am deutschen Angriff im Westen, zuletzt im Rang eins Oberstabsarztes teil. Anfang 1940 legte er seine Habilitationsschrift[2] an der Frankfurter Universität vor; am 30. April 1940 erhielt er den Titel eines Dr. med. habil. zugesprochen. Nach einer Probevorlesung während eines Fronturlaubs im September 1940 wurde Berner am 21. Oktober zum Dozenten für Radiologie ernannt. Berners weiterer Verbleib bis Mitte 1941 ist unbekannt, möglicherweise befand er sich weiter bei der Wehrmacht.[3]

Nach einer Liste der Zentraldienststelle-T4 war Berner unter der Rubrik „Ärzte in den Anstalten“ vom 15. Mai 1941 bis zum 31. Dezember 1941 Angehöriger der T4-Organisation.[4] Ab Mitte Juni 1941 bis Herbst 1941 war er im Rahmen des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programms Direktor und erster Vergasungsarzt in der NS-Tötungsanstalt Hadamar. Zusammen mit ihm traf auch Bodo Gorgaß als zweiter Vergasungsarzt und sein Stellvertreter in Hadamar ein. Beide Ärzte lösten ihre Vorgänger Ernst Baumhard und Günther Hennecke ab, die vom 13. Januar 1941 in Hadamar tätig waren und nach Differenzen mit dem T4-Organisator Viktor Brack im Sommer 1941 zur Kriegsmarine gingen. Als wahrscheinlich gilt, dass die Zentraldienststelle-T4 von Friedrich Mennecke, dem Direktor der Landesheilanstalt Eichberg, oder von Fritz Bernotat, dem Dezernenten für Anstaltswesen des Bezirksverbandes Nassau, auf Berner aufmerksam gemacht wurde.[5] Nach Zeugenaussagen wurde Berner vor seiner Zeit in Hadamar in der Tötungsanstalt Hartheim eingearbeitet.[6] Auf Grund widersprüchlicher Zeugenaussagen ist unsicher, ob Berner auch an der Selektion von KZ-Häftlingen im KZ Buchenwald im Zuge der Aktion 14f13 beteiligt war.[6]

Wie alle T4-Ärzte in den NS-Tötungsanstalten verwendete auch Berner einen Tarnnamen und unterschrieb im Schriftverkehr mit „Dr. Barth“. Nach späteren Aussagen des T4-Personals von Hadamar fiel er durch soldatisches Auftreten, Betriebsappelle sowie ein insgesamt strenges Regiment auf. So wurde das Personal zum Frühsport kommandiert und bei den gemeinsamen Mahlzeiten war es üblich, dass nationalsozialistische Kampflieder gesungen wurden.[7]

Im August 1941 lud Berner das Personal der Tötungsanstalt verpflichtend zu einer „Jubiläumsfeier“ anlässlich des 10.000sten Vergasungstoten in Hadamar ein. Die in zahlreichen Zeugenaussagen bestätigte[8] „Jubiläumsfeier“ stellte laut dem Mitarbeiter der Hadamarer Gedenkstätte, Peter Sandner, den „Gipfel des zynischen Umgangs mit dem mörderischen Alltag“[9] in Hadamar dar. Einer der Angeklagten im Hadamarprozess wurde 1946 zu der Veranstaltung vernommen, bei der auch Berner eine Ansprache hielt[9] und Musik gespielt wurde:

„[…] Dr. Berner [erklärte] bei dem gemeinschaftlichen Mittagstisch, es würde heute der 10.000ste Tote verbrannt werden, hierzu habe sich das gesamte Personal einzufinden. Wir versammelten uns dann gegen Abend auf dem Flur im rechten Flügel, wo jeder eine Flasche Bier empfing und von wo aus es dann in den Keller ging. Dort war auf einer Bahre ein nackter männlicher Toter mit einem grossen Wasserkopf aufgebahrt. Auf Vorhalt erkläre ich mit Bestimmtheit, daß es ein wirklicher Toter und keine Papierleiche war. Der Tote wurde von den Brennern auf eine Art Trog gelegt und in den Verbrennungsofen geschoben. Hierzu hielt [der Verwaltungsangestellte] Märkle, der sich nach Art eines Geistlichen zurechtgemacht hatte, eine Leichenpredigt.“[10]

Nach dem sogenannten Hartheimer Dokument, einer Statistik der T4-Organisation, wurden vom Januar 1941 bis Ende August 1941 in Hadamar 10.072 Menschen getötet. Damit wurde hier die höchste Zahl von Getöteten aller sechs Vergasungsanstalten erzielt; also durchschnittlich 1.439 pro Monat. Allein auf den Zeitraum, in dem Berner die Vergasungsanstalt leitete, entfielen 4.170 Opfer.[11]

Nach dem Stopp der ersten Phase des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programms im August 1941 wurde Berner Ende 1941 von Curt Schmalenbach als Leiter der nicht mehr genutzten Vergasungsanstalt Hadamar abgelöst. Ob Berner von Hadamar direkt nach Frankfurt zurückkehrte oder zwischenzeitlich erneut bei der Wehrmacht war, ist nicht sicher bekannt.[12] In der zweiten Jahreshälfte 1942 hielt Berner in Vertretung Holfelders Vorlesungen an der Frankfurter Universität; ab September 1943 war er als Assistenzarzt beim Universitäts-Röntgeninstitut des Städtischen Krankenhauses Sachsenhausen beschäftigt. Im Oktober 1943 wurde Berner mit der stellvertretenden Leitung des Röntgen-Instituts Holfelders beauftragt.[13]

Mit Wirkung vom 15. November 1944 wurde Berner von der Wehrmacht in die Waffen-SS überführt. Nach Angaben von seiner Ehefrau galt Berner ab Februar 1945 als vermisst; nach Informationen des Städtischen Krankenhauses hielt er sich zuletzt im Raum Posen auf,[14] wo er als Hauptsturmführer beim SS-Röntgensturmbann eingesetzt war.[15] Nach der Befreiung wurde Berner auf Befehl der amerikanischen Militärregierung von der Stadt Frankfurt entlassen. Berners Verbleib klärte sich im Januar 1950 durch eine Mitteilung der Deutschen Dienststelle (WASt), der zufolge er am 2. März 1945 bei Wronke gefallen war.[16]

Literatur

  • Udo Benzenhöfer: Friedrich Berner – Radiologe in Frankfurt, leitender Arzt des NS-„Euthanasie“-Zentrums in Hadamar. In: Udo Benzenhöfer (Hrsg.): Mengele, Hirt, Holfelder, Berner, von Verschuer, Kranz: Frankfurter Universitätsmediziner der NS-Zeit. Klemm & Ölschläger, Münster 2010, ISBN 978-3-932577-97-0, S. 61–78.
  • Ernst Klee: „Euthanasie“ im NS-Staat. 11. Auflage. Fischer-Taschenbuch, Frankfurt/Main 2004, ISBN 3-596-24326-2.
  • Ernst Klee: Friedrich Berner. Eintrag in ders.: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Aktualisierte Ausgabe. Fischer-Taschenbuch, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 42.
  • Henry Friedlander: Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung. Berlin-Verlag, Berlin 1997, ISBN 3-8270-0265-6.
  • Peter Sandner: Verwaltung des Krankenmordes. Der Bezirksverband Nassau im Nationalsozialismus. Psychosozial-Verlag, Gießen, 2003, ISBN 3-89806-320-8.
  • Gerhard Baader, Johannes Cramer, Bettina Winter: „Verlegt nach Hadamar.“ Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, Kataloge Band 2, Kassel 1994, ISBN 3-89203-011-1.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Lebenslauf in der Habilitationsakte vom 12. Januar 1940, siehe Benzenhöfer, Berner, S. 61f. Biografische Angaben auch bei Sandner, Verwaltung, S. 726.
  2. Titel der Habilitation: Untersuchungen über die Wirkungen von Röntgenstrahlen auf den Mineralstoffwechsel von Einzellern mit dem Ziel einen Bestrahlungsrhythmus zu finden, der Kulturen von Einzellern in kurzer Zeit bei niedriger Gesamtstrahlmenge restlos vernichtet. Zur Habilitation siehe Benzenhöfer, Berner, S. 64ff.
  3. Benzenhöfer, Berner, S. 66.
  4. Heidelberger Dokumente, „Gutachter“-Liste, Faksimilie in Klee „Euthanasie im NS-Staat“, S. 228f.
  5. Diese Einschätzung bei Sandner, Verwaltung, S. 437. Zustimmend Benzenhöfer, Berner, S. 70.
  6. a b Benzenhöfer, Berner, S. 69.
  7. Alice Platen-Hallermund: „Die Tötung Geisteskranker in Deutschland. Aus der Deutschen Ärztekommission beim Amerikanischen Militärgericht“, Frankfurt/Main 1948, S. 98. Siehe auch Benzenhöfer, Berner, S. 70.
  8. Siehe Sandner, Verwaltung, S. 465, Fußnote 163.
  9. a b Sandner, Verwaltung, S. 465.
  10. Aussage des Hadamarer Verwaltungsangestellten Maximilian Lindner vom 6. April 1946, zitiert bei: Thomas Vormbaum (Hrsg): „Euthanasie“ vor Gericht. Die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim OLG Frankfurt/M. gegen Dr. Werner Heyde u. a. vom 22. Mai 1962. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-8305-1047-0, S. 698.
  11. Statistik in: Ernst Klee: Dokumente zur „Euthanasie“. Fischer-Taschenbuch, Frankfurt/Main 1985, ISBN 3-596-24327-0, S. 232/233.
  12. Benzenhöfer, Berner, S. 72.
  13. Benzenhöfer, Berner, S. 73.
  14. Benzenhöfer, Berner, S. 74
  15. Klee, Personenlexikon, S. 42.
  16. Benzenhöfer, Berner, S. 75.

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