Friedrich Wilhelm Ernst (Schaumburg-Lippe)

Friedrich Wilhelm Ernst (Schaumburg-Lippe)
Joshua Reynolds: Wilhelm Graf zu Schaumburg-Lippe, Öl auf Leinwand, um 1764/1767

Graf Friedrich Wilhelm Ernst zu Schaumburg-Lippe (* 9. Januar 1724 in London; † 10. September 1777 auf Haus Bergleben, Wölpinghausen) war ein bedeutender Militärtheoretiker, Heerführer im Siebenjährigen Krieg und Souverän der reichsunmittelbaren Grafschaft Schaumburg-Lippe.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Wilhelm Graf zu Schaumburg-Lippe

Wilhelm war der zweite Sohn des Grafen Albrecht Wolfgang und der Margarete Gertrud, Gräfin von Oeynhausen. Er wurde in London geboren, erhielt seine Schulausbildung in Genf, studierte dann in Leiden und Montpellier und trat danach in England als Fähnrich in die königliche Leibgarde ein.

Nach dem Duelltod seines älteren Bruders, des Erbprinzen Georg (1722–1742), kehrte er als Erbe nach Bückeburg zurück. Er begleitete seinen Vater, der damals General in holländischen Diensten war, bei dem Feldzug gegen Frankreich, wo er sich in der Schlacht bei Dettingen am 27. Juni 1743 auszeichnete, und machte dann als Freiwilliger im kaiserlichen Heer den Feldzug von 1745 in Italien mit. Nach dem Tod seines Vaters (1748) beerbte er diesen als Regent der Grafschaft Schaumburg-Lippe. Für die weitere Entwicklung Wilhelms waren die Konflikte mit der Landgrafschaft Hessen-Kassel bedeutsam, die auf eine Gelegenheit wartete, die Grafschaft Schaumburg-Lippe zu annektieren. Die spätere Militärpolitik diente vor allem dazu, eine schnelle Annexion des Landes zu verhindern.

Um militärische Erfahrungen zu sammeln, begab er sich zuerst nach Berlin zu Friedrich dem Großen, wo er zum engeren Kreis um Voltaire gehörte. (Wilhelm sprach französisch, englisch, lateinisch, italienisch und portugiesisch.) Später reiste er dann wieder nach Italien und Ungarn. Beim Ausbruch des Siebenjährigen Kriegs stellte er ein eigenes Kontingent zur alliierten Armee, wurde kur-braunschweig-lüneburgischer Generalfeldzeugmeister (Generalmajor) und kämpfte mehrfach mit Auszeichnung. So wehrte die von ihm geführte Artillerie in der Schlacht bei Minden 1759 den Angriff des rechten Flügels der französischen Armee ab. 1759 erhielt er den Oberbefehl über die gesamte Artillerie der verbündeten Heere.

Wilhelms Ehefrau Marie Barbara Eleonore

Nach dem Angriff Frankreichs und Spaniens auf Portugal (1761) trug der leitende Minister Portugals, der große Reformer Markgraf von Pombal, Wilhelm den Oberbefehl der verbündeten englischen und portugiesischen Truppen an. Wilhelm folgte dem Ruf 1762 und wehrte im noch heute in Portugal so genannten "Fantastischen Krieg" (Guerra Fantástica) einen spanischen Invasionsversuch ab und bewahrte damit die portugiesische Unabhängigkeit. Er gründete eine Kriegs- und Artillerieschule und reformierte das portugiesische Heer. Außerdem ließ der das Fort Nossa Senhora da Graça im Stile Vaubans bei Elvas anlegen, das der König ihm zu Ehren „Fort Lippe“ nannte. Vorbild war die Festung Wilhelmstein im Steinhuder Meer. Da der Krieg noch 1762 durch den Frieden von Fontainebleau beendet worden war, kehrte er 1764 nach Deutschland zurück. In Anerkennung seiner überragenden militärischen Führungskunst und seiner Verdienste als Kommandeur der englischen Truppen in Portugal wurde er von der britischen Krone zum britischen Feldmarschall ernannt.

Graf Wilhelm heiratete erst sehr spät die 20 Jahre jüngere Marie Barbara Eleonore Gräfin zu Lippe-Biesterfeld. Die einzige Tochter Wilhelms starb bereits mit drei Jahren, seine Frau zwei Jahre später. Nach diesen Schicksalsschlägen zog er sich in sein Jagdhaus Bergleben bei Wölpinghausen zurück, wo er am 10. September 1777 nunmehr kinderlos starb, weshalb ihm sein Neffe Philipp II. in der Regierung folgte.

Seine letzte Ruhestätte fand er neben seiner Frau und seiner Tochter in dem von ihm erbauten Mausoleum beim Jagdschloss Baum im Schaumburger Wald. Anstelle des Jagdhauses Bergleben, in dem der Graf starb, wurde später der Wilhelmsturm errichtet. Haus Bergleben wurde abgetragen und 1790 in Bad Nenndorf als Kurapotheke wieder aufgebaut.

Der Theoretiker des Verteidigungskrieges

Büste von Graf Wilhelm in der Walhalla

Wilhelm entwickelte erstmals eine polemologische Theorie des reinen Verteidigungskrieges, den er aus ethischen Gründen für den einzig vertretbaren hielt: „Kein anderer als der Defensivkrieg ist rechtmäßig!“ Kernpunkt der von ihm dafür entwickelten Strategie war das Konzept der „befestigten Landschaften“ in für eindringende Heere besonders störenden Gebieten: eine Kombination von Stützpunkten, bewaffneter Landbevölkerung und im Frieden teils der Landwirtschaft obliegenden Soldaten.

Bedeutung für die preußische Reformära

Von Wilhelms Ideen und Praxiserfahrungen lässt sich die Brücke zu der von Scharnhorst (und Gneisenau) gegen Napoleon betriebenen Planung eines „Volkskrieges“ und zu der Scharnhorstschen Heeresreform schlagen. Auch sein Eintreten für eine allgemeine Wehrpflicht ist in diesem Zusammenhang zu sehen.

Festungsbau für einen Kleinstaat

Als Stützpunkt für die Grafschaft ließ Wilhelm auf einer künstlichen Insel im Steinhuder Meer die für damalige Mittel außerordentlich schwer zu nehmende, also eine mehrfach größere Streitmacht bindende – bzw. ihren Nachschub empfindlich störende – Festung Wilhelmstein anlegen. Er hatte das politische Ziel, den kleinen Staat nur schwer komplett eroberbar zu machen, und damit Schaumburg-Lippe zu einem wertvollen Bündnispartner auch sehr viel mächtigerer Staaten (zumal des Kurfürstentums Braunschweig-Lüneburg (Kurhannovers) und des Königreich Preußens). Es sollte damit vor einem reinen Satellitenstatus bewahrt werden.

In der Tat konnte 1787 bei der von Hessen-Kassel versuchten Okkupation des Landes der Wilhelmstein von schaumburg-lippischen Truppen gegen die hessischen gehalten werden. Damit wurde die notwendige Zeit für einen Rechtsstreit gewonnen, bei dem Hannover und Preußen sich erfolgreich für die weitere Selbstständigkeit Schaumburg-Lippes einsetzten, die faktisch erst 1933 endete.

Der Monarch

Um seine Grafschaft erwarb Wilhelm sich große Verdienste - durch Förderung der Gewerbe und des Ackerbaues, durch Gründungen von Webereien, Spinnereien, Ziegeleien, sowie der Schokoladenfabrik in Steinhude, dem Eisenhammer und der Papiermühle an der Ahrensburg und der Gießerei in Bückeburg. Auch gründete er neue Siedlungen und warb neue Siedler mit Abgabenfreiheit, kostenlosem Häuserbau oder freiem Saatgut und Aufhebung vieler Frondienste. Er rief die bedeutenden Köpfe Thomas Abbt und Johann Gottfried Herder an seinen Hof.

Der von Graf Wilhelm gebaute Wilhelmstein

Ebenso führte er eine Militärreform durch. Dabei schaffte er die entwürdigende Prügelstrafe ab und führte mit der Landmiliz eine Art Wehrpflicht ein. Dann gründete er eine Kriegsschule für Artillerie und Geniewesen, die großen Ruf erlangte, und legte sie 1761 auf die kleine Insel-Festung Wilhelmstein im Steinhuder Meer. Dort wurde auch 1762 in Wilhelms Auftrag das erste Unterseeboot der Welt gebaut, das als Steinhuder Hecht bekannt wurde. Der bekannteste Schüler dieser Akademie war 1771 Scharnhorst.

Wilhelm unterhielt ein für ein kleines Land unverhältnismäßig großes stehendes Heer von bis zu 1000 Soldaten. Auch der kostspielige Festungsbau im Steinhuder See belastete die Untertanen. Herder , von 1771 bis 1776 bei Wilhelm als Konsistorialrat und Hofprediger angestellt, klagte 1772 über seine Position und die Zustände in der Grafschaft an seine Verlobte Karoline Flachsland:„ Ein Pastor ohne Gemein(d)e! ein Patron der Schulen ohne Schulen![...] einen Mittelstand gibt's hier nicht. Als Republik betrachtet ein Häufchen äußerst verdorbener und der größten, größten Zahl nach armer und elender Menschen, in einem so glücklichen Lande. Möchte uns der liebe Gott nicht so überflüssig viel und gutes Brot wachsen lassen, so konnten wir von Soldaten und befestigten Inseln leben.

Wilhelms Rüstungspolitik hatte allerdings hohe finanzielle Belastungen zur Folge, die im Land anschließend zu innenpolitische Spannungen führten. Nach seinem Tode wurde das Wilhelmsteiner Feld abgebaut und die Truppen wurden stark reduziert.

Werkausgabe

  • Schriften und Briefe. Hrsg. von Curd Ochwadt. (= Veröffentlichungen des Leibniz-Archivs; 6-8). Klostermann, Frankfurt am Main 1977–1983
    • Bd. 1: Philosophische und politische Schriften. 1977
    • Bd. 2: Militärische Schriften. 1977
    • Bd. 3: Briefe. 1983

Literatur

  • Aufzeichnungen und Entwürfe für Portugals Militärwesen und Verteidigung von Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe. Herausgegeben von Curd Ochwadt
  • Charakterzüge und Anecdoten von dem verstorbenen Grafen Wilhelm von Schaumburg-Bückeburg. In: Neues militärisches Journal. 1788, 1. Bd., S. 123–127 (Digitalisat)
  • Karl August Varnhagen von Ense: Graf Wilhelm zur Lippe. In: Varnhagen: Biographische Denkmale. 1. Teil. G. Reimner, Berlin 1824, S. 1–130
  • Curd Ochwadt: Wilhelmstein und Wilhelmsteiner Feld. Vom Werk des Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe (1724–1777). Charis-Verlag, Hannover [um 1970]
  • Curd Ochwadt: Wilhelm Graf zu Schaumburg-Lippe 1724–1777. Zur Wiederkehr des 200. Todestages. Hrsg. vom Schaumburg-Lippischen Heimatverein. Driftmann, Bückeburg 1977
  • Hans H. Klein: Wilhelm zu Schaumburg-Lippe. Klassiker der Abschreckungstheorie und Lehrer Scharnhorsts. (= Studien zur Militärgeschichte, Militärwissenschaft und Konfliktforschung; 28). Biblio, Osnabrück 1982 ISBN 3-7648-1265-6
  • Carl-Hans Hauptmeyer: Souveränität, Partizipation und absolutistischer Kleinstaat. Die Grafschaft Schaumburg-(Lippe) als Beispiel. (= Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens; 91). Hildesheim 1980
  • Gerd Steinwascher (Red.): Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe (1724–1777). Ein philosophierender Regent und Feldherr im Zeitalter der Aufklärung. Ausstellung 1988 im Niedersächsischen Landtag (u. a.). Niedersächsisches Staatsarchiv, Bückeburg 1988
  • Anna-Franziska von Schweinitz: Architektur für die Ewigkeit. Der Begräbnisgarten des Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe. In: Kritische Berichte, 29 (2001) Nr. 2, S. 21-29
  • Eva Rademacher: Graf Wilhelm in Schaumburg-Lippe und seine Zeit. In: Schaumburg-Lippische Heimat-Blätter. Jg. 53 (77) (2002), Heft 4, S. 6-17
  • Heike Matzke: Die Bibliotheken des Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe (1724–1777). Annäherung an die Persönlichkeit eines Landesherrn des 18. Jahrhunderts durch die Rekonstruktion seiner Büchersammlungen. Diplomarbeit, FH Hannover 2003 (vorhanden in der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek Hannover)

Weblinks


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