Friedrich von Bodelschwingh der Ältere

Friedrich von Bodelschwingh der Ältere
Friedrich von Bodelschwingh 1906

Friedrich von Bodelschwingh, später auch Friedrich von Bodelschwingh der Ältere (* 6. März 1831 in Tecklenburg; † 2. April 1910 in Bielefeld-Gadderbaum) war Pastor und Theologe in Deutschland. Er arbeitete in der Inneren Mission.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Seine Eltern Charlotte und Ernst von Bodelschwingh entstammten der alten westfälischen Adelsfamilie Bodelschwingh. Sein Vater war preußischer Finanzminister in Berlin. Durch dessen Kontakte zum Haus Hohenzollern wurde Friedrich als Kind zum Spielgefährten des späteren Kaisers Friedrich III. ausgewählt - vielleicht mit der Grund dafür, dass Friedrich von Bodelschwingh Zeit seines Lebens Monarchist blieb.

Friedrich von Bodelschwingh war von 1842 bis 1845 Schüler am Joachimsthalschen Gymnasium. Er wollte erst Bergmann werden, machte aber nach dem Abitur von 1849 bis 1851 eine Ausbildung zum Landwirt. Er wurde Verwalter eines modernen Gutshofes in Gramenz, Kreis Neustettin, in Hinterpommern, wo er zum ersten Mal mit der Not der landlosen Bevölkerung konfrontiert wurde. Als Gutsverwalter war er dort bis 1854 tätig.

Sein Wunsch, Menschen zu helfen, wuchs, und er wollte in die Mission gehen. Seine Eltern überredeten ihn jedoch, zunächst Theologie zu studieren. Er studierte in Basel, Erlangen und Berlin und wurde 1863 Pfarrer. Während seines Studiums gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des Wingolfs.[1]

Seine erste Gemeinde war die Evangelische Mission unter den Deutschen in Paris. In der französischen Hauptstadt lebten damals rund 80.000 deutsche Auswanderer, die ihren Lebensunterhalt als Tagelöhner (z.B. als Gassenkehrer) verdienten. Von Bodelschwingh sammelte in Deutschland Spenden zum Bau einer Kirche und einer Schule auf dem Montmartre. Als seine Frau Ida nach der Geburt des ersten Kindes an Wochenbettdepression erkrankte, zog die Familie auf Anraten der Ärzte zurück nach Deutschland. Von Bodelschwingh nahm eine Pfarrstelle in Dellwig bei Unna an. 1869 starben innerhalb von zwei Wochen seine vier Kinder Ernst (geb. 7. Februar 1863), Friedrich, Elisabeth und Karl an Diphtherie. Bis 1877 bekam das Paar noch einmal vier Kinder.

1872 wurde er Leiter der 1867 gegründeten Evangelischen Heil- und Pflegeanstalt für Epileptische bei Bielefeld. Die von ihm 1874 in Bethel (hebräisch: Haus Gottes) umbenannte Anstalt (inzwischen V. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel) machte er zusammen mit dem Mutterhaus Sarepta und dem Bruderhaus Nazareth zu einer der bedeutendsten Einrichtungen der Inneren Mission. Bodelschwingh nahm sich nicht nur der psychisch Kranken, sondern auch der Brüder von der Landstraße an, für die er nach seinem Motto Arbeit statt Almosen Arbeiterkolonien gründete und als Abgeordneter des preußischen Landtags 1903 das Wanderarbeitsstättengesetz durchsetzte. Besonders bekannt wurde die von Pastor Friedrich von Bodelschwingh 1882 im ostwestfälischen Wilhelmsdorf gegründete Arbeiterkolonie[2]. Eine seiner letzten Gründungen im Jahr 1905 lag direkt vor der Haustür Berlins - das 15 km nördlich gelegene „Hoffnungstal“ (später Hoffnungstaler Anstalten Lobetal) - Zufluchtsstätte und Herberge für die Obdachlosen der Metropole. Er war Gründungsmitglied des 1884 ins Leben gerufenen Evangelischen Kirchenbauvereins.

Bodelschwingh verbanden eine Freundschaft sowie gemeinsame kirchliche und politische Ansichten mit dem Antisemiten Adolf Stoecker, wie aus ihren Briefwechseln zu entnehmen ist. Bereits 1885 warb Bodelschwingh beim Kronprinzen Friedrich vergeblich um Verständnis für Stoeckers Antisemitismus, indem er schrieb, Stoecker kämpfe gegen das „das beste Mark unseres Volkes aussaugende Börsenjudentum“.[3]

1885 wurde durch Pastor von Bodelschwingh in Bielefeld die erste deutsche Bausparkasse, die Bausparkasse für Jedermann, gegründet. In den 1890er Jahren gründete er in Norddorf auf der Nordseeinsel Amrum eine Reihe von Hospizen, in denen Menschen in christlich geprägter Umgebung Urlaub machen konnten. Der Geistliche gehörte in der 20. Legislaturperiode dem Preußischen Abgeordnetenhaus an, schloss sich dort aber keiner größeren politischen Gruppierung an und wurde als „bkF“ (bei keiner Fraktion) geführt.

Friedrich von Bodelschwingh erdachte mehrere für seine Zeit ungewöhnliche und kreative Konzepte, um a) an Spenden zu gelangen und b) den Bedürftigen Arbeit zu verschaffen. So gründete er die Brockensammlung, eine Altkleidersammlung, die noch heute existiert; die in der Schweiz noch heute verbreitete Einrichtung des Brockenhauses geht wohl darauf zurück. Die Idee dazu entnahm Bodelschwingh dem Jesus-Wort aus Johannes 6,12: „Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verloren geht.“ Bethel-Bewohner fanden und finden so Arbeit beim Sammeln, Sortieren und Ausbessern der Kleidung, die dann verkauft wird. Durch seine guten Beziehungen zu Kirchenleitungen und staatlichen Behörden hatte von Bodelschwingh auch keine Mühe, an Genehmigungen für Kirchenkollekten und Haussammlungen zu kommen. Zu den bekanntesten Einrichtungen gehört die 1906 ins Leben gerufene Briefmarkensammelstelle.

Von Bodelschwingh hatte freundschaftlichen Kontakt mit dem Theologen Prof. Dr. Ernst von Dobschütz und dessen Mutter.

Als er am 2. April 1910 starb, übernahm sein Sohn Friedrich von Bodelschwingh (Pastor Fritz) die Leitung der nunmehr Bodelschwinghschen Anstalten (seit Januar 2010 von Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel).

Rezeption

Briefmarke (1951) der Serie Helfer der Menschheit

Aus heutiger Sicht betrieb von Bodelschwingh professionelles Fundraising, indem er sich nicht nur um einige große, sondern um viele kleine Spenden bemühte und indem er versuchte, durch Dankesbriefe eine Beziehung zu den Spendern aufzubauen, um Einmalspender zu dauerhaften Förderern zu machen. Auch betrieb von Bodelschwingh Lobbyismus, um staatliche Förderungen für seine Einrichtungen zu begünstigen. Theodor Heuss nannte von Bodelschwingh daher „den genialsten Bettler, den Deutschland je gesehen hat“.

Die Deutsche Bundespost ehrte Friedrich von Bodelschwingh den Älteren 1951 mit einer Wohlfahrtsmarke aus der Serie Helfer der Menschheit.

Im August 2007 gewann Friedrich von Bodelschwingh die von der ostwestfälischen Tageszeitung Neue Westfälische ausgeschriebene Abstimmung „Wahl zum bedeutendsten Bielefelder“ mit 36,1 % der abgegebenen Stimmen und einem deutlichen Vorsprung vor dem Zweitplatzierten Bielefelder Industriellen August Oetker, der auf 25,3 % der abgegebenen Stimmen kam.[4]

Kritik

Die von Bodelschwingh eingerichteten Arbeiterkolonien hatten die Aufgabe, die Wandererarbeitskräfte sesshaft zu machen bzw. ihnen über einen längeren Zeitraum eine Wohnung zu geben. (Die Wanderer waren Projektionsfläche aller erdenklichen Ängste des Volkes wie Verfall religiöser Werte, Krankheiten (vor allem Seuchen), Verbrechen, sozialer Unruhen,…) (S.28)[5]

Tatsächlich war das Leben und Arbeiten in den Kolonien nicht besser als in Gefängnissen und Zuchthäusern (S.29 f)[5]; der Eintritt war aber freiwillig, und die höchste Strafe war die Entlassung.(S.31)[5]
Es wurde alles im Leben der Arbeiter reglementiert und kontrolliert. Diese Fremdkontrolle führte zum Verlust der Entscheidungs- und Handlungsautonomie, die für das Leben auf der Straße oder besser den Weg aus der Obdachlosigkeit zwingend nötig ist.(S.30)[5]

Im Jahre 1894 wurde der aus Greifswald stammende spätere preußische SPD-Kultusminister Konrad Haenisch von seiner bürgerlich-konservativen Familie unfreiwillig in Bethel untergebracht, nachdem sie ihn aus Leipzig nach Bielefeld hatte entführen lassen. Der Grund waren sozialdemokratische Aktivitäten Haenischs, wegen deren er ein Jahr zuvor aus dem Gymnasium entlassen und in eine Nervenheilanstalt eingewiesen worden war. [6]

Literatur

  • Hans-Walter Schmuhl: Friedrich von Bodelschwingh (Taschenbuch). Rowohlt, 2005, ISBN 978-3-49950-687-1, S. 160.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken: Bibliographische Notizen über die Gründer
  2. http://www.katholische-arbeiterkolonien-westfalen.de/verein.html
  3. Zitiert nach Eberhard Bethge, „Adolf Stoecker und der kirchliche Antisemitismus. Judenhass und Sozialistenfeindschaft – eine christlich-deutsche Tradition?“, S. 44. in: Peter von der Osten-Sacken/Martin Stöhr, Wegweisung. Jüdische und christliche Bibelarbeiten und Vorträge. 17. Deutscher Evangelischer Kirchentag Berlin 1977 (Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum bei der Kirchlichen Hochschule Berlin 8 (1978)), S. 40-58.
  4. Glaubenskraft und Charisma, Neue Westfälische, Nr. 185, 11./12. August 2007
  5. a b c d Schenk, Liane. Auf dem Weg zum ewigen Wanderer. Wohnungslose und ihre Institutionen. Dissertation. Berlin 2004 (http://www.diss.fu-berlin.de/2004/146/)
  6. Matthias John, 2003, Konrad Haenisch (1876-1925) - Und von Stund an ward er ein anderer. Trafo-Verlag, Berlin, ISBN 3-89626-471-0

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