Fusion mittels magnetischen Einschlusses

Fusion mittels magnetischen Einschlusses
Innenansicht eines mit Graphitkacheln ausgekleideten Tokamaks

Fusion mittels magnetischen Einschlusses ist der heute meistverfolgte Entwicklungsweg zur zukünftigen technischen Gewinnung von Fusionsenergie (siehe auch Kernfusion, Kernfusionsreaktor). Hierbei werden Magnetfelder verwendet, um den Fusionsbrennstoff, ein Plasma aus Deuterium und Tritium, einzuschließen. Das 2006 begonnene Projekt ITER führt in einer weltweiten Kooperation diese Entwicklung weiter. Allgemein wird der Weg zur Fusionsenergiegewinnung durch magnetischen Einschluss als weiter fortgeschritten und vielversprechender als die ebenfalls untersuchte Trägheitsfusion erachtet.

Inhaltsverzeichnis

Plasmaeinschluss durch Magnetfelder

In Fusions-Kernreaktionen verschmelzen leichte Atomkerne zu schwereren Kernen. In den heute konkret verfolgten Projekten handelt es sich um die Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium, die in Helium-4 verwandelt werden. Damit die positiv geladenen Wasserstoffkerne ihre gegenseitige elektrostatische Abstoßung überwinden können, müssen sie kinetische Energien von einigen Kilo-Elektronvolt haben, die Temperaturen von einigen 10 Millionen Grad entsprechen. Unter diesen Bedingungen bilden die Atome ein Plasma. Für einen Netto-Energiegewinn müssen die Temperatur, die Dichte und die Einschlussdauer des Plasmas gewisse Bedingungen erfüllen, die durch das Lawson-Kriterium beschrieben werden.

Fusion mit magnetischem Einschluss nutzt die Lorentzkraft, die im Magnetfeld auf bewegte geladene Teilchen wirkt, um die Teilchen nahe an den in sich geschlossenen Magnetfeldlinien zu halten. Beim Tokamak-Konzept wird die elektrische Leitfähigkeit des Plasmas mitbenutzt, da hier ein im Plasma fließender Strom zur Felderzeugung beiträgt. Betrachtet man das Plasma wie ein Fluid, dann wird sein nach außen gerichteter Druck durch einen nach innen gerichteten Magnetfelddruck kompensiert. Der erreichbare Plasmadruck ist typischerweise in der Größenordnung von 1 bar bei Einschlusszeiten von einigen Sekunden. Im Vergleich dazu arbeitet die Trägheitsfusion mit sehr viel höherem Druck bei sehr viel kürzerem Energieeinschluss (Picosekunden). Die meisten Fusionskonzepte mit magnetischem Einschluss haben überdies den Vorteil eines sehr viel gleichmäßigeren Betriebs (insbesondere beim Stellarator-Konzept) verglichen mit dem notwendigerweise gepulsten Betrieb bei der Trägheitsfusion.

Die einfachste magnetische Konfiguration ist eine lange Zylinderspule mit parallel zur Spulenachse gerichtetem Magnetfeld. Ein derartiges Magnetfeld verhindert den Verlust von Ionen (den positiv geladenen Atomkernen) und Elektronen in radialer Richtung, aber nicht entlang der Achse, also bei den Spulenenden. Um diese Endverluste zu vermeiden, gibt es im Wesentlichen zwei Methoden. Bei der einen Methode versucht man magnetische Spiegel an den Spulenenden aufzubauen, bei der anderen Methode biegt man gewissermaßen die Zylinderspule zu einem geschlossenen Ring (Torus) zusammen. Ein einfaches torusförmiges Feld bietet aber dennoch keinen genügenden Einschluss, da die radialen Feldkomponenten zu einer Drift der Teilchen nach außen führen.

Eine Netto-Energiegewinnung aus dem Fusionsplasma setzt in jedem Fall voraus, dass die Magnetspulen aus Supraleitern bestehen, damit ihr elektrischer Energieverbrauch gering bleibt.

Magnetische Spiegel

Ein aktives Forschungsgebiet in den Anfangsjahren der Fusionsforschung waren magnetische Spiegel-"Maschinen". Die meisten der konstruierten Spiegelmaschinen versuchten das Plasma an den Enden der Spule durch nichtplanare magnetische Felder einzuschließen. Zwar genügt der einfache Spiegel mit seinem flaschenhalsförmigen Verlauf der Feldlinien nicht zum Festhalten des heißen Fusionsplasmas, aber mit zusätzlichen Wicklungen von mehr oder weniger komplizierter Form lässt sich erreichen, dass die Feldlinien größtenteils im Inneren des Einschlussvolumens in sich zurückgebogen werden, so dass auch schnelle Teilchen eingeschlossen bleiben. Aus Symmetriegründen gibt es jedoch in jeder Spiegelkonfiguration eine für die Teilchen durchlässige Stelle, anschaulich: eine Feldlinie, die nicht im Inneren des Gefäßes geschlossen ist, sondern aus dem Einschlussgebiet hinaus führt. Auch fortschrittliche Konstruktionen (wie z. B. beim MFTF-Experiment) können dies niemals völlig unterbinden.

Spiegelmaschinen hätten gegenüber torusförmigen Anordnungen große Vorteile in praktisch-technischer Hinsicht, z. B. hinsichtlich Wartungsarbeiten und Auswechseln von Teilen.

Toroidale Maschinen

Ein früher Versuch, ein System für magnetischen Einschluss zu bauen, war der 1951 von Lyman Spitzer entwickelte Stellarator (von lat. stella "Stern", als Anspielung auf die Kernfusions-Energieerzeugung in Gestirnen). Dieser bestand im Wesentlichen aus einem Torus, der zunächst halbiert und dessen Hälften dann über gerade, gekreuzte Rohre zu einer 8 verbunden waren. Dies hat zum Ergebnis, dass Atomkerne (zumindest wenn sie schnell genug sind) beim Umlauf durch den Stellarator von innen nach außen wandern und so die Drift quer zur Zentrallinie ausgleichen. Bei neueren Stellarator-Konzepten wird dieses „mechanische“ Ausmitteln der Drift durch einen Ansatz ersetzt, bei dem durch zusätzliche Magnete die Feldlinien in sich zu einer Helix „gewunden“ werden, was denselben Effekt hat.

1968 wurden erstmals die russischen Forschungsergebnisse über den toroidalen Tokamak veröffentlicht, mit Ergebnissen, die alle bisherigen konkurrierenden Ansätze, ob magnetisch oder nicht, bei weitem in den Schatten stellten. Seit dieser Zeit ist das Tokamak-Prinzip das meist verfolgte Konzept für magnetischen Einschluss. In einem Tokamak wird periodisch ein Strom durch das Plasma getrieben, der ein poloidales Feld erzeugt, das, mit dem toroidalen Feld verschränkt, ein dem des modernen Stellarators ähnliches gewundenes Feld erzeugt.

Einige neuere Konfigurationen toroidaler Maschinen sind der „Reversed Field Pinch“ und das „Schwebende Dipol-Experiment“.

Kompakte Tori

Kompakte Tori, z. B. der Spheromak und der FRC (Field-Reversed Configuration), versuchen die guten Einschlusseigenschaften geschlossener magnetischer Flächen mit der Einfachheit von Maschinen ohne zentrale Spule zu kombinieren.

Magnetische Fusionsenergie

Alle genannten Konzepte sind bei dem Versuch, sie in Richtung des Lawson-Kriteriums zu skalieren, in verschiedene Schwierigkeiten geraten. Manchmal wird der magnetische Einschluss mit dem Versuch verglichen, einen Luftballon gleichmäßig zusammenzuquetschen - immer wieder wird die Luft den Ballon an neuen Stellen ausstülpen. Turbulenzen im Plasma, die das Plasma aus dem Einschlussbereich ausbrechen lassen und potentiell zu einem Kontakt zwischen Plasma und dem einschließenden Gefäß führen können, haben sich als Problem erwiesen. Wenn dies geschieht („Sputtering“ oder Zerstäubung), werden schwere Teilchen aus der Wand des Gefäßes (Stahl oder andere Metalle) herausgelöst, die sich mit dem Plasma mischen und seine Temperatur herabsetzen.

Das Ziel, kommerziell verwertbare elektrische Leistung mit einem auf magnetischem Einschluss beruhenden Reaktor zu erzeugen, bezeichnet man als Magnetische Fusionsenergie, kurz MFE.

Seit den 1990er-Jahren wurden beachtliche Fortschritte erzielt, sowohl bei der Annäherung an „brennende“ Plasmen als auch beim wissenschaftlichen Verständnis der beteiligten Prozesse. In Experimenten wurden bis zu 16 Megawatt Fusionsleistung produziert und das Verhalten der Heliumkerne (Alpha-Teilchen) in schwach brennenden Plasmen untersucht. Diesen Fortschritten liegt zugrunde, dass z. B. die Turbulenzen und der dadurch entstehende Energieverlust jetzt beherrscht werden können. Der erreichbare Plasmadruck ist heute groß genug, um eine für ein Kraftwerk ausreichende Fusionsreaktionsrate zu erhalten.

Elektromagnetische Wellen können in das Plasma injiziert und dazu verwendet werden, die Trajektorien von Plasmateilchen zu beeinflussen und Ströme zu treiben, die das Plasma einschließende Magnetfelder erzeugen. Diese und andere Steuerungsmöglichkeiten haben ihren Ursprung in den Fortschritten der Plasmaforschung auf Gebieten wie der Plasmaturbulenz, der makroskopischen Plasmastabilität und der Ausbreitung von Wellen im Plasma. Ein großer Teil dieser Fortschritte wurden durch die Untersuchungen an Tokamaks gewonnen.

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