Gebisslose Zäumungen

Gebisslose Zäumungen

Gebisslose Zäumungen sind in der Ausbildung junger Pferde und beim Reiten im Maul hart gewordener Pferde Alternativen zu konventioneller Zäumung auf Trense. Außerdem finden sie unter anderem Verwendung bei Wanderreitern, da man das Pferd ohne ein Gebiss im Maul während Pausen problemlos fressen lassen kann ohne die Zäumung abnehmen zu müssen. Da das Pferd ungeschickten oder zu starken Anzügen der Zügel nicht durch Nachgeben im Maul ausweichen kann, werden die Kräfte unmittelbar auf das Genick übertragen, was eine vorsichtige Zügelhandhabung notwendig macht. Peter Spohr berichtet von vereinzelten Brüchen an Dornfortsätzen.

Inhaltsverzeichnis

Medizinische Gründe

Der amerikanische Veterinärmediziner Dr. Robert Cook vertritt den Standpunkt, dass ein Gebiss aufgrund des reflektorisch ausgelösten Speichelflusses sowie der durch das Gebiss ausgelösten Zungenbewegung des Pferdes zur Behinderung der Atmung führe. Solche regelrechten „Erstickungsanfälle“ (Asphyxia) macht er u. a. für Blutungen im Atmungstrakt bei Rennpferden verantwortlich. Außerdem kämen Gebisse als Ursachen für eine große Zahl andere Erkrankungen des Pferdes, beispielsweise Headshaking o. ä., in Betracht. Auch pathologische Veränderungen der Kieferknochen und Erkrankungen des Kauapparates seien u. U. darauf zurückzuführen. Bislang wurden seine Studien, die diese Ansicht untermauern, allerdings von niemandem nachvollzogen. Cook vertreibt das Bitless Bridle als Alternative zur herkömmlichen Zäumung mit Gebiss. [1]

Bei gebisslosen Zäumungen unterscheidet man zwischen jenen, die ohne Hebelwirkung auf Nase oder Genick wirken, und jenen, die mit mehr oder weniger durch Anzüge (Hebel) verstärkter Kraft auf Nase, Kinn oder Genick wirken.

Sidepull

Sidepull

Das Sidepull hat die Form eines Halfters, nur mit verstärktem Nasenriemen, der aus gewachstem Lassoseil besteht und als loser Ring um das Pferdemaul liegt. Rechts und links am Nasenriemen sind Ringe angebracht, an die die Zügel gehakt werden. Es wirkt nur auf die Nase und hat seinen Ursprung in der Westernreiterei, in der mit seiner Hilfe junge Pferde eingeritten werden. Das Sidepull wird hier mit einem deutlich seitlichen Zug – daher der Name – eingesetzt, der es dem jungen Pferd erleichtern soll, die seitwärts treibenden Hilfen zu erlernen. Daher wird das Sidepull niemals allein, sondern immer mit Schenkel-, Gewichts- oder Zügelhilfe des gegenüber liegenden Zügels angewandt, der dazu lediglich am Hals angelegt wird. Da das Lassoseil rau ist, ist es für die Dressurreitweise, die eine ständige Anlehnung des Pferdes vorschreibt, nicht geeignet und hat auch in den Händen eines Reitanfängers nichts verloren.

In den USA ist eine weitere Version des Sidepulls bekannt, die sogenannte trainings bridle, ähnlich der Dr Cook Webbing Bitless Bridle, mit weichem Webnasenband.

Lindel

Das Lindel hat dieselbe Form wie das Sidepull, nur dass der Nasenriemen aus Leder ist, und relativ eng um das Pferdemaul verschnallt wird. Da diese Form des Zaumzeugs sehr weich für das Pferd ist, ist es auch für Reitanfänger sehr gut geeignet. Im Dressursport stößt man hier allerdings schnell an Grenzen, da die Hilfengebung zu undeutlich ist. Für Freizeitreiter und Ausritte ist diese Art der Zäumung allerdings gut geeignet, wobei beachtet werden muss, dass ein unruhiges Pferd im Gelände mitunter nur schwer mit einem Lindel kontrolliert werden kann.

Kalifornische/manuelle/klassische Hackamore (Bosal)

Bosal mit Kunststoffseil statt Mecate

Die kalifornische (auch echte) Hackamore besteht aus zwei Teilen: dem Bosal und der Mecate. Das Bosal ist ein oval geformtes starres Geflecht aus Rohhaut, welches auf der Nase des Pferdes liegt. Hieran wird unter dem Kinn die Mecate – ein aus Mähnen- oder Schweifhaar geflochtenes Seil – geknotet. Die Signalgebung erfolgt einerseits durch Zupfen an der Mecate, was bewirkt, dass das Bosal an die Außenseite der Nase klopft sowie das Nervensystem am Kinn anspricht, und andererseits durch Anlegen des äußeren Zügels. Diese Signalgebung muss immer mit gleichzeitigen Schenkel- und Gewichtshilfen einhergehen.

In der kalifornischen Version des Westernreitens wurde das Pferd traditionellerweise vollständig in der Hackamore ausgebildet, bevor es direkt, also ohne Umweg über die Trense, auf das Spade Bit umgestellt wurde. Dieser traditionelle, lange dauernde Ausbildungsweg wird heute nur noch von wenigen Liebhabern beschritten.

Mechanische Hackamore

Die mechanische Hackamore ist eine gebisslose Zäumung mit Anzügen, die von manchen Freizeitreitern genutzt wird. Von ihr gibt es sich in ihrem Wirkungsgrad unterscheidende Ausführungen. Man unterscheidet hierbei Hackamore mit langen und kurzen Anzügen. Schon bei leichtem Zügelzug wird harter Druck auf den empfindlichen Kinnnerv, das Nasenbein und das Genick ausgeübt. Die Anzüge werden unter dem Pferdekinn mit einer Querstange im korrekten Abstand gehalten. Deshalb darf sie nur einhändig geführt werden, sonst verkantet sie sich. Es gibt mechanische Hackamoren mit gebogenen und geraden, langen und kurzen Anzügen, Kinnriemen mit umwickelter Fahrradkette und weitere Verschiedenheiten. Lange und gerade Anzüge wirken am schärfsten. Am weichsten wirkt die Englische Hackamore, bei der an seitlichen Metallkreuzen mit kurzen gebogenen Anzügen Nasen-, Backen-, Kinnriemen und Zügel befestigt sind. Die mechanische Hackamore erlaubt keinerlei laterale Signalgebung, sondern kann lediglich als eine Art „Notbremse“ eingesetzt werden. Erfunden wurde sie beim Rodeo, um auf komplett verrittene und im Maul empfindungslos gewordene Pferde doch noch an einer Stelle Kontrolle auszuüben. Daher gehört diese Zäumung – bei der der Grundsatz, dass gebissloses Reiten das Pferd schont, falsch ist – nicht in unerfahrene Hände.

Kappzaum

Der Kappzaum wird meist zum Longieren und bei sonstiger Bodenarbeit verwendet. Er ist ein gebissloses Halfter, das in erster Linie beim Training mit jungen Pferden und bei der Handarbeit benutzt wird, um sie nicht im Maul abzustumpfen. In Südwesteuropa werden die dortigen Varianten des Kappzaumes (Cavecon, Serreta) häufig zum Einreiten und oft auch danach zum Reiten benutzt.

Kappzaum an der Spanischen Hofreitschule
Der an der Spanischen Hofreitschule verwendete Kappzaum besteht im wesentlichen aus einem zwei mal gebrochenen Naseneisen. Der mittlere Teil dieses Naseneisens ist eigens für jeden Hengst an dessen Nasenrücken angepasst, um eine optimale Passform zu gewährleisten. Auf diesem Stück sitzen auch die drei Ringe, wobei die beiden äußeren starr und der mittlere umlaufend ist. Das Naseneisen ist mit Leder ummantelt und zusätzlich gepolstert. Der Kappzaum wird mit einem Kinn- und einem Ganaschenriemen eng anliegend verschnallt.
Schwerer Kappzaum
Der in Deutschland zumeist übliche schwere Kappzaum besteht im Wesentlichen aus einem fest verschnallten, gut gepolsterten Naseneisen, das gut am Nasenrücken des Pferdes aufliegen soll, um eine sichere und deutliche Führung zu ermöglichen und um ein Aufscheuern des Nasenrückens zu vermeiden. Das Naseneisen ist meist aus drei scharnierartig miteinander verbundenen Stahlbändern von ca. 3 mm Stärke, 10 cm Länge und 2-3 cm Breite zusammengesetzt. An jedem dieser drei Stahlbänder ist ein Ring befestigt. Durch die dicke Posterung wird die Einwirkung auf das Pferd mit Hilfe des schweren Kappzaums eher ungenau und schwammig, wenn er nicht genau angepasst ist.
Cavecon
Beim südfranzösischen Cavecon besteht das Nasenteil aus einer Kette, die in einer Art Lederschlauch verläuft. Es sind allerdings auch scharfe Varianten mit blanken Fahrrad- oder Motorradketten als Nasenriemen bekannt.
Pluvinel
Eine nach dem klassischen Reitmeister Antoine de Pluvinel benannte Variante des Cavecon kommt mit einem rein ledernen Nasenriemen aus, in den die üblichen drei Ringe eingenietet sind.
Serreta
Die Serreta ist die klassische spanische Ausbildungszäumung. Bei der Serreta besteht das Naseneisen aus einem starren, oft an der Innenseite gezähnten Stahlbügel, der über die Pferdenase geschnallt wird. Dieser schmale (1 cm) Stahlbügel ist manchmal mit dünnem Leder ummantelt. Dadurch wird ihre äußerst scharfe Wirkung jedoch kaum gemildert. Viele in Spanien mit Serreta ausgebildete Pferde bezeugen das durch Narben auf dem Nasenrücken. Eine Serreta sollten nur erfahrene Ausbilder verwenden, wobei diese ein präzise wirkendes Ausbildungsmittel sein kann. In unerfahrenen Händen kann die Serreta zum Folterinstrument werden. Ähnlich wie im kalifornischen Westernreiten, werden die Pferde direkt von der Serreta auf die Kandare umgestellt, wobei in der Umstellungsphase beide Zäumungen parallel verwendet werden.

Longe oder Führstrick werden grundsätzlich im mittleren der drei Kappzaumringe befestigt, wodurch Druck auf das Nasenbein ausgeübt wird, wenn sie aufgenommen werden. Hilfszügel bzw. Reitzügel werden in den beiden seitlichen Ringen eingehakt. Im Verlauf der Ausbildung kann der Kappzaum mit einem Gebiss mit separaten Zügeln kombiniert werden, um das junge Pferd langsam an die Verwendung des Gebisses heranzuführen.

Glücksrad

Lehmenkühlers Glücksrad

Das Glücksrad, auch LG-Zaum genannt, ist die relativ junge Erfindung der deutschen Pferdeausbilderin Monika Lehmenkühler. An einem sechsspeichigen Rad sind Nasen-, Backen- und Kinnriemen sowie Zügel befestigt. Das Glücksrad dreht sich leicht bei Zügelzug und wirkt daher wie eine milde Englische Hackamore. Sie kann auch mit Shanks (Anzügen) und zwei Paar Zügeln geritten werden, was allerdings keinerlei Kandarenwirkung erzielt. Als Trensenersatz ist das einfache Glücksrad sehr einfach zu handhaben, ähnlich wie eine Trense, daher tun sich Umsteiger mit dieser Zäumung besonders leicht. Bei Kinnriemen ist die Wirkung mild, bei zweireihiger Kinnkette mittlere Schärfe, bei einreihiger Kinnkette scharf. Allerdings wehren sich Pferde häufig gegen letztere Version. Bei einer nicht aufs Pferd abgestimmten Kinnkette ist die Zäumung natürlich weitgehend wirkungslos. Aber sie kann für alle Sparten des Reitsports eingesetzt werden. Bei einem Test der Zeitschrift Cavallo hatten mehrere gute Reiter Probleme, ihre Pferde mit dieser Zäumung fein abgestimmt zu halten. Bei einem weiteren Test des Senders NDR stellten Springreiter, Dressurreiter und Freizeitreiter keinen Unterschied in der Handhabung zur normalen Trense fest.

Scawbrig

Die Scawbrig ist eine englische Erfindung, die sich ein Freizeitreiter leicht selbst basteln kann. An einem Hannoverschen Reithalfter mit verkürzten Backenstücken wird statt Kinnriemen ein Zügel durch die beiden Ringe gezogen. Man kann auch eine weiche Kette durch die Ringe ziehen und an diesen ein Paar Zügel befestigen oder die Zügel an den Ringen anbringen. Es ist eine schlichte Zäumung, die sich gut zum Spazierenreiten eignet. Bei festem Zügelzug kann der Riemen am Kinn scheuern.

Weitere gebisslose Zäumungen

Neben den bekanntesten und gebräuchlichsten Zäumungen existiert noch eine Vielzahl weiterer, die sich in ihrer Form, Anwendung und Wirkung mehr oder weniger unterscheiden. Unter anderem das „Bändele“, eine Zäumung von Fred Rai, die nur aus einem dünnen Seil um die Nase und das Genick besteht und angeflochtene geschlossene Zügel hat, dann das sogenannte „Bitless Bridle“, welches seine Wirkung durch unter dem Pferdekopf gekreuzte Seile erhält und so auf Nase und Genick wirkt und das Merothische Reithalfter, das ähnlich wie das Bitless Bridle mit unterm Kinn gekreuzten Zügeln funktioniert.

Quellen

  1. Hiltrud Straßer und Robert Cook. Eisen im Pferdemaul. Knirsch-Verlag, 2003. S. 13f. ISBN 3927091642

Literatur

  • Uta Over: Zäumungen und Gebisse, Müller Rüschlikon 1994, ISBN 3275011790

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