Gemonische Treppe

Gemonische Treppe

Die Gemonische Treppe ist ein antiker Treppenbau in Rom, der – eventuell teilidentisch mit der heutigen Via di S. Pietro in carcere – vom Kapitol über das Forum Romanum zum Tiber hinab führte und dabei am Staatsgefängnis, dem Carcer Tullianus, entlang lief.

Wahrscheinliche Position der Gemonischen Treppe (scalae Gemoniae, Pfeil) unterhalb des Kapitols aus einem Stadtplan Roms in der Kaiserzeit

Zuerst erwähnt werden die lateinisch scalae Gemoniae genannten Stufen zur Regierungszeit des Tiberius. Dabei wird der Name fälschlich von lateinisch gemo (d. h. ich seufze) abgeleitet, stammt aber eher vom Eigennamen Gemonius.[1] Wie offenbar zuerst unter Tiberius, wurde auch in der folgenden Römischen Kaiserzeit die Gemonische Treppe als Ort für Hinrichtungen oder als Ort für die öffentliche Ausstellung der Hingerichteten verwendet. Unter den ersten, deren Leichen dort in entehrender Absicht ausgestellt wurden, war im Jahr 31 der Prätorianerpräfekt Lucius Aelius Seianus. Tiberius verdächtigte ihn des Mordkomplotts an seinem designierten Nachfolger Caligula und ließ Seianus mitsamt seiner Familie hinrichten.[2] In der Folgezeit fielen weitere vermeintliche Verschwörer der Verfolgung des Tiberius zum Opfer und wurden teilweise auf der Gemonischen Treppe ausgestellt.[3] Zu jenen, die dort verhöhnt, gefoltert und hingerichtet wurden, zählte auch der römische Kaiser Vitellius im Jahr 69.[4]

Der Ablauf der Vorgänge auf der Gemonischen Treppe konnte sich jeweils unterscheiden. Nach der Hinrichtung im Tullianum, der traditionellen Hinrichtungskammer des Carcer Tullianus,[5] oder der Hinrichtung auf der Gemonischen Treppe selbst, wurde der Leichnam dort manchmal liegen gelassen, bis die Verwesung fortgeschritten war, oder er wurde gleich mit einem Haken die Treppe hinab durch die Stadt geschleift. Auch von einem aufgebrachten Mob oder Tieren ist die Rede, die manche Leichname zerrissen haben sollen. Auf die öffentliche Zur-Schau-Stellung, die die Entehrung der Delinquenten bedeutete, folgte regelmäßig, dass die sterblichen Überreste in den Tiber geworfen wurden, in dem sie hinab ins Tyrrhenische Meer trieben.

Plinius der Ältere berichtet[6] über den Hund eines Gefolgsmannes des Titus Sabinus, der im Jahr 28 längere Zeit bei der Leiche seines Herrn auf der Gemonischen Treppe blieb, diesem Fleisch zum Essen brachte, und schließlich, als der Leichnam in den Tiber geworfen wurde, hinterhersprang und schwimmend versuchte, seinen toten Herrn am Sinken zu hindern.[7]

Nach altrömischer Jenseitsvorstellung war den im Meer treibenden Toten der Zugang zur Unterwelt verwehrt. Der Gesichtsverlust und die Versagung des Zugangs zum Jenseits muss in altrömischer Vorstellung die Androhung dieser Hinrichtungsart um ein Vielfaches verschlimmert haben. So behauptet Sueton in der Absicht, die Grausamkeit des Tiberius während seiner letzten Lebensjahre zu unterstreichen, dieser habe keinen Tag ohne Hinrichtung verstreichen lassen, und alle Exekutierten – 20 pro Tag – seien auf die Gemonische Treppe geworfen und mit Haken zum Tiber geschleift worden.[8]

Literatur

Einzelnachweise

  1. Wilhelm Schulze: Zur Geschichte lateinischer Eigennamen. Berlin 1904, S. 108ff.
  2. Tacitus: Annalen. 5.9, wo berichtet wird, die kleine Tochter des Seianus sei, da es keinen Präzedenzfall für die Hinrichtung einer Jungfrau gegeben habe, vom Henker geschändet worden, bevor sie erdrosselt und auf die Gemonische Treppe geworfen wurde. Vgl. Sueton: Tiberius. 61.5.
  3. Cassius Dio: Römische Geschichte. Buch LVIII, 11.5.
  4. Vgl. John W. Burke: Emblematic Scenes in Suetonius’ Vitellius. In: Histos 2, 1998, besonders Anmerkung 6.
  5. Sallust: Die Catilinarische Verschwörung. 55, 3–6.
  6. Naturalis historia, Buch VIII, 145 (engl.).
  7. Vgl. Cassius Dio: Römische Geschichte. Buch LVIII, 1.3.
  8. Suetonius: De Vita Caesarum: Tiberius. 61.
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