Gerichtsorganisation in Liechtenstein

Gerichtsorganisation in Liechtenstein
Staatswappen Liechtensteins

Die Gerichtsorganisation des Fürstentums Liechtenstein wird seit 1922 durch das Gerichtsorganisationsgesetz geregelt. Es existieren drei Instanzen der Ordentlichen Gerichtsbarkeit, sowie zwei Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts. Alle Urteile ergehen „im Namen von Fürst und Volk“.

Inhaltsverzeichnis

Landgericht

Das Fürstliche Landgericht mit Sitz in Vaduz ist in Liechtenstein die erste Instanz der Ordentlichen Gerichtsbarkeit. Es entscheidet in Zivil- und Strafverfahren. Das Landgericht setzt sich aus 14 Einzelrichtern zusammen. Die Landrichter werden vom Landtag gewählt und vom Landesfürsten ernannt. Die Richter des Schöffengerichts, des Kriminalgerichts und des Jugendgerichts werden für die Dauer von vier Jahren gewählt beziehungsweise ernannt.

Einzelrichter

Das Liechtensteinische Strafrecht, das sich wesentlich am Österreichischen Strafrecht orientiert, kennt im Gegensatz zum neueren Österreichischen StGB (1975) und StPO neben Verbrechen und Vergehen auch noch den Begriff der Übertretung. Letztere werden gemäß Gerichtsorganisationsgesetz vor Einzelrichtern verhandelt. Bei Übertretungen handelt es sich um Straftaten geringer Schwere, die in Liechtenstein vom Richter, in anderen Ländern wie Deutschland oder Österreich als Ordnungswidrigkeiten (Verwaltungsstraftaten) durch Verwaltungsbehörden mit Geldstrafen geahndet werden. Vor dem Einzelrichter werden auch Zivilsachen in erster Instanz verhandelt.

Schöffengericht

Das Schöffengericht besteht aus einem Landrichter als Vorsitzenden sowie zwei Laienrichtern. Das Schöffengericht ahndet Vergehen. Vergehen sind solche Delikte, die nicht Übertretungen oder Verbrechen sind, also Straftaten, die mit weniger als drei Jahren Haft bedroht sind. Das Schöffengericht besteht aus einem Landrichter als Vorsitzenden, zwei Schöffen und drei Ersatzschöffen.

In Liechtenstein ist derzeit in Diskussion, die Schöffengerichtsbarkeit gänzlich abzuschaffen[1]

Kriminalgericht

Das Kriminalgericht setzt sich aus einem Vorsitzenden, einem Landrichter sowie weiteren Kriminalrichtern zusammen, wobei der Vorsitzende und der Landrichter ausgebildete Berufsjuristen und die weiteren Kriminalrichter Laienrichter sind. Dem Kriminalgericht sind Verbrechen vorbehalten. Verbrechen sind vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind (§ 17 Abs. 1 StGB). Der Kriminalgerichtshof besteht aus einem Präsidenten, zwei Stellvertretern des Präsidenten, einem Landrichter als Beisitzer und drei Kriminalrichtern sowie je zwei Stellvertretern für die drei Kriminalrichter.

Jugendgericht

Das Jugendgericht ist zur Aburteilung jener Strafsachen, die von Jugendlichen begangen wurden, berufen. § 4bis Absatz eins und zwei des Gerichtsorganisationsgesetzes bestimmen über die Einrichtung und Besetzung des Jugendgerichtes:

„Das Land- als Jugendgericht besteht aus einem Landrichter als Vorsitzendem und zwei Schöffen zuzüglich eines Stellvertreters des Vorsitzenden und mindestens zweier Ersatzschöffen. Es ist nur dann ordnungsgemäss besetzt, wenn mindestens ein Schöffe dem Geschlecht des Angeklagten angehört.
Die Mitglieder des Jugendgerichtes sollen die erforderlichen pädagogischen Kenntnisse und Fähigkeiten aufweisen sowie über Erfahrungen auf dem Gebiete der Jugendwohlfahrt, der Jugendbetreuung und allenfalls der Psychologie und Sozialarbeit verfügen. Sie dürfen nicht beim Amt für Soziale Dienste tätig sein.“

Obergericht

Das Fürstliche Obergericht in Vaduz ist die zweite Instanz in Straf- und Zivilsachen im Fürstentum Liechtenstein. Es entscheidet über Rechtsmittel, die gegen Urteile des Landgerichtes eingelegt wurden. Es gibt drei Senate, die aus je fünf Richtern, nämlich dem Senatsvorsitzenden und vier Oberrichtern, bestehen. Alle drei Senate setzen sich aus zwei ausgebildeten Juristen und drei Laien zusammen. Die Richter des Obergerichts werden für die Dauer von vier Jahren vom Landtag gewählt und vom Landesfürsten ernannt, wobei die Wiederwahl zulässig ist.

Oberster Gerichtshof

Der Fürstliche Oberste Gerichtshof in Vaduz ist die letzte Instanz der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Liechtenstein. Der Oberste Gerichtshof setzt sich aus zwei ausgebildeten Juristen und drei Laien zusammen. Die Richter des Obersten Gerichtshofs werden auf vier Jahren vom Landtag gewählt und vom Fürsten ernannt, Wiederwahl ist zulässig. Zum Präsidenten des Obersten Gerichtshof wird traditionellerweise der Präsident des Oberlandesgerichtes Innsbruck ernannt; gegenwärtig ist dies Gert Delle-Karth[2].

Im Zivil- und im Strafverfahren wird gegen Urteile des Obergerichts Revision beim Obersten Gerichtshof eingelegt. In Zivilsachen ist gegen unterinstanzliche Beschlüsse, in Strafsachen gegen unterinstanzliche Entscheide, Beschlüsse und Verfügungen Rekurs beim OGH möglich.

Disziplinargewalt

Die Disziplinargewalt über die Richter der Gerichte der Ordentlichen Gerichtsbarkeit wird in 6 des Gerichtsorganisationsgesetzes wie folgt geregelt:

„(1) Der Vorstand des Landgerichtes übt in erster Instanz die Disziplinargewalt über die nichtrichterlichen Beamten des Landgerichtes aus.
(2) Das Obergericht führt die Oberaufsicht über die Justizpflege und übt die Disziplinargewalt über die Richter des Landgerichtes aus; in Disziplinarsachen nichtrichterlicher Beamten des Landgerichtes fungiert es als zweite Instanz.
(3) Aufgehoben
(4) Der Oberste Gerichtshof übt die Disziplinargewalt über die Mitglieder des Obergerichtes aus und ist zugleich die Beschwerde-Instanz in Disziplinarangelegenheiten der Richter des Landgerichtes.“

Staatsgerichtshof

Der Staatsgerichtshof ist ein Gericht des öffentlichen Rechts mit Sitz in Vaduz. Er besteht aus fünf Richtern und fünf Ersatzrichtern. Der Präsident des Staatsgerichtshofes und die Mehrheit der Richter müssen das Liechtensteinische Landesbürgerrecht besitzen. Derzeit ist dies lic.iur. Marzell Beck. Dem Staatsgerichtshof obliegt die Wahlgerichtsbarkeit (Art.59 und Art.104 Abs.2 Liechtensteinische Landesverfassung), die Verhandlung von Anklagen gegen Mitglieder der Landesregierung (Art.62g LV, Art.104 Abs.1 LV), der Schutz der verfassungsmässig gewährleisteten Rechte, die Entscheidung von Kompetenzkonflikten zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden, die Prüfung der Verfassungsmässigkeit von Gesetzen und Staatsverträgen sowie der Gesetzmässigkeit der Regierungsverordnungen (Art.104).

Verwaltungsgerichtshof

Neben dem Staatsgerichtshof ist der Verwaltungsgerichtshof das zweite Gericht öffentlichen Rechts im Fürstentum Liechtenstein. Der Verwaltungsgerichtshof besteht aus fünf Richtern und ebenso vielen Ersatzrichtern. Die Richter werden vom Landtag gewählt und vom Landesfürsten ernannt. Die Mehrheit der Richter muss das liechtensteinische Landesbürgerrecht besitzen und rechtskundig sein. Die Amtsdauer der Richter und der Ersatzrichter des Verwaltungsgerichtshofs beträgt fünf Jahre. „Soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, unterliegen sämtliche Entscheidungen oder Verfügungen der Regierung und der anstelle der Kollegialregierung eingesetzten besonderen Kommissionen [...] dem Rechtsmittel der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof“ (Art.102 Abs.5 LV).

Wahl und Ernennung

Artikel 96 der Verfassung bestimmt über die Bestellung der Richter im Fürstentum Liechtenstein:

1) Für die Auswahl von Richtern bedienen sich Landesfürst und Landtag eines gemeinsamen Gremiums. In diesem Gremium hat der Landesfürst den Vorsitz und den Stichentscheid. Er kann ebenso viele Mitglieder in dieses Gremium berufen wie der Landtag Vertreter entsendet. Der Landtag entsendet je einen Abgeordneten von jeder im Landtag vertretenen Wählergruppe. Die Regierung entsendet das für die Justiz zuständige Regierungsmitglied. Die Beratungen des Gremiums sind vertraulich. Kandidaten können nur mit Zustimmung des Landesfürsten vom Gremium dem Landtag empfohlen werden. Wählt der Landtag den empfohlenen Kandidaten, dann wird dieser vom Landesfürsten zum Richter ernannt.
2) Lehnt der Landtag den vom Gremium empfohlenen Kandidaten ab, und lässt sich innerhalb von vier Wochen keine Einigung über einen neuen Kandidaten erzielen, dann hat der Landtag einen Gegenkandidaten vorzuschlagen und eine Volksabstimmung anzuberaumen. Im Falle einer Volksabstimmung sind auch die wahlberechtigten Landesbürger berechtigt, unter den Bedingungen einer Initiative (Art. 64) Kandidaten zu nominieren. Wird über mehr als zwei Kandidaten abgestimmt, dann erfolgt die Abstimmung in zwei Wahlgängen gemäss Art. 113 Abs. 2. Jener Kandidat, der die absolute Mehrheit der Stimmen erhält, wird vom Landesfürsten zum Richter ernannt.
3) Ein auf Zeit ernannter Richter bleibt bis zur Vereidigung seines Nachfolgers im Amt.“

Quellen

Einzelnachweise

  1. Siehe Vernehmlassung zur Abänderung der Strafprozessordnung, des Gerichtsorganisationsgesetzes sowie weiterer Gesetze (Abschaffung des Schöffengerichts).
  2. http://www.vaterland.li/index.cfm?id=6788&source=lv&ressort=liechtenstein

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Gerichtsorganisation — steht für Gerichtsorganisation in England und Wales Gerichtsorganisation in Frankreich Gerichtsorganisation in Liechtenstein Gerichtsorganisation in Namibia Gerichtsorganisation in Österreich Gerichtsorganisation in Spanien Gerichtsorganisation… …   Deutsch Wikipedia

  • Verfassung des Fürstentums Liechtenstein — Staatswappen Liechtensteins Die Verfassung des Fürstentums Liechtenstein richtet das Land Liechtenstein als konstitutionelle Erbmonarchie auf parlamentarischer und demokratischer Grundlage ein. Die Staatsgewalt wird von Fürst und Volk getragen.… …   Deutsch Wikipedia

  • Zivilprozessordnung (Liechtenstein) — Basisdaten Titel: Zivilprozessordnung Abkürzung: ZPO Art: Landesgesetz Geltungsbereich: Fürstentum Liechtenstein Rechtsmaterie: Zivilverfahrensrecht …   Deutsch Wikipedia

  • Höchstgericht — Ein oberstes Gericht ist das letzte Glied eines Instanzenzuges. Länder des kontinentaleuropäischen Rechtskreises kennen meist kein einheitliches oberstes Gericht (vgl. Lage in der Schweiz). Dort gibt es meist nach Rechtsgebieten getrennte oberste …   Deutsch Wikipedia

  • Oberste Gerichte des Bundes — Ein oberstes Gericht ist das letzte Glied eines Instanzenzuges. Länder des kontinentaleuropäischen Rechtskreises kennen meist kein einheitliches oberstes Gericht (vgl. Lage in der Schweiz). Dort gibt es meist nach Rechtsgebieten getrennte oberste …   Deutsch Wikipedia

  • Oberste Gerichtshöfe — Ein oberstes Gericht ist das letzte Glied eines Instanzenzuges. Länder des kontinentaleuropäischen Rechtskreises kennen meist kein einheitliches oberstes Gericht (vgl. Lage in der Schweiz). Dort gibt es meist nach Rechtsgebieten getrennte oberste …   Deutsch Wikipedia

  • Oberster Gerichtshof — Ein oberstes Gericht ist das letzte Glied eines Instanzenzuges. Länder des kontinentaleuropäischen Rechtskreises kennen meist kein einheitliches oberstes Gericht (vgl. Lage in der Schweiz). Dort gibt es meist nach Rechtsgebieten getrennte oberste …   Deutsch Wikipedia

  • Oberster Gerichtshof des Bundes — Ein oberstes Gericht ist das letzte Glied eines Instanzenzuges. Länder des kontinentaleuropäischen Rechtskreises kennen meist kein einheitliches oberstes Gericht (vgl. Lage in der Schweiz). Dort gibt es meist nach Rechtsgebieten getrennte oberste …   Deutsch Wikipedia

  • Supreme Court — Ein oberstes Gericht ist das letzte Glied eines Instanzenzuges. Länder des kontinentaleuropäischen Rechtskreises kennen meist kein einheitliches oberstes Gericht (vgl. Lage in der Schweiz). Dort gibt es meist nach Rechtsgebieten getrennte oberste …   Deutsch Wikipedia

  • Verfassung Liechtensteins — Staatswappen Liechtensteins Die Verfassung des Fürstentums Liechtenstein richtet das Land Liechtenstein als konstitutionelle Erbmonarchie auf parlamentarischer und demokratischer Grundlage ein. Die Staatsgewalt wird von Fürst und Volk getragen.… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”