Geschichte der Stadt Norden

Geschichte der Stadt Norden
Die Namen des jüdischen Gemeindevorstandes in den 1930er Jahren, eingeritzt in die Wand des jüdischen Gemeindehauses
Gasthof Jerusalem von Claas Claassen in der Osterstraße in Norden um 1920
Osterstraße in Norden um 1920
Historische Ansichtskarte um 1925

Die Geschichte der Stadt Norden lässt sich bis ungefähr in das Jahr 800 zurückverfolgen. Norden gilt damit als die älteste Stadt Ostfrieslands.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte und Mittelalter

Früheste Belege für die Anwesenheit von Menschen auf dem Norder Stadtgebiet sind archäologische Funde aus der jüngeren Steinzeit (etwa 2000 vor Christus).

Ab dem 6. Jahrhundert wandern Friesen in das zuvor von Chauken und Sachsen besiedelte Ostfriesland ein. In der Folgezeit entwickeln sich regionale Marktorte, darunter auch Norden. Im 8. Jahrhundert erfolgte vermutlich die Gründung des Ortes als dörfliche Warftsiedlung. Der Ort konnte dabei von seiner Position am Schnitt- und Endpunkt alter Handelsstraßen (Emsweg von Münster und Küstenweg von Bremen) profitieren und gewann schon sehr früh an Bedeutung. Zudem lag Norden am Endpunkt einer Flutrinne, welche die Nordsee bei Flut bis an die Ortsgrenze ansteigen ließ. Vieh sowie Muschelkalk und Salz waren die Haupthandelsgüter. Keimzelle der Stadt war die um 800 errichtete Sendkirche des Liudger, der Vorläufer der zwischen 1235 und 1250 erbauten heutigen Ludgerikirche. Zur Zeit Karls des Großen war Norditi, so der damalige Name des Ortes, der Hauptort des Gaues Nordendi. Dieser bestand aus dem Norderland und dem Harlingerland. [1]. Mit dem Bau der Deiche um 1000 waren politische und soziale Umwälzungen verbunden. So wurde die bis zu diesem Zeitpunkt herrschende fränkische Gaueinteilung aufgelöst und aus Teilen des Gaues Nordendi wurde das Norderland. Dieses wurde in der Folgezeit von verschiedenen Häuptlingsfamilien beherrscht, ehe sich um 1436 die Cirksena durchsetzen konnten, die später ganz Ostfriesland regierten.

1255 wurde Norden erstmals urkundlich in einem mit der Stadt Bremen am 21. April 1255 besiegelten Vertrag zur Sicherung des Friedens und der Handelswege erwähnt, was vielfach irrtümlich mit der Verleihung des Stadtrechts verwechselt wird. Zu dieser Zeit war der Ort jedoch bereits städtisch geprägt. So sind das Benediktinerkloster Marienthal, das Langhaus der Ludgerikirche auf dem 6,678 Hektar großen Marktplatz sowie die Wester- und Osterstraße bereits vorhanden. In der zweiten Jahrhunderthälfte kommen das Dominikanerkloster und die Andreaskirche (heute Alter Friedhof) hinzu.[2]

Sturmfluten des 14. Jahrhunderts, insbesondere die Dionysusflut 1373, führten zu einer Ausweitung der Leybucht, so dass im Südbereich der Stadt ein Seehafen entstand, der bis weit ins 19. Jahrhundert hinein Bedeutung hatte und der Stadt über einen langen Zeitraum eine wirtschaftliche Blüte bescherte. Norden besaß eine eigene Handelsflagge, unter der Norder Schiffe Nord- und Ostsee befuhren, dabei erreichte die Stadt aber nie die Bedeutung Emdens. Die Stadt entwickelte sich nach Süden, zum Hafen hin.

1531 verwüstete ein Heerhaufen des Häuptlings Balthasar von Esens die unbefestigte Stadt, unter anderem wurde der Vorgängerbau des heutigen Alten Rathauses, mehrere Klöster und die Andreaskirche zerstört. Ein genaues Datum der Stadtrechteverleihung ist unbekannt. Das erste bekannte Norder Stadtsiegel datiert aus dem Jahr 1498 und unter der Regierung Graf Ennos II. erhielt der Ort 1535 eine Stadtordung, die Instituta Nordana[3]. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist die Stadtbildung formalrechtlich abgeschlossen.

Neuzeit

Norden um 1845

Im 18. Jahrhundert besaß Norden eine bedeutende Seeflotte an der ostfriesischen Küste. 1744 wurde Ostfriesland, und damit auch Norden, dem Königreich Preußen eingegliedert. 1795 begannen Norder Bürger, ein größeres Moorgebiet östlich der stadt zu kultivieren, das Norderfehn (heute Berumerfehn).[4] Dazu wurde der rund zehn Kilometer lange Berumerfehnkanal vom Norder Tief bis ins Moor gegraben. Der Berumerfehnkanal ist damit der einzige fehnkanal in Ostfriesland, der nicht zur Ems, sondern über die Leybucht direkt in die Nordsee entwässerte. Der Kanal wurde zur Versorgung der Moorkolonisten und zum Transport des dort gewonnenen Torfs genutzt, der in Norden zur Wärmeerzeugung verbrannt wurde. Nach der Napoleonischen Besatzungszeit 1806–1813 als Département Ems-Oriental fiel Norden an das Königreich Hannover. 1866 (mit dem Ende des hannoverschen Königreichs fiel Ostfriesland wieder an Preußen zurück.

Ein bedeutendes Ereignis war für Norden der Anschluss an das nationale Eisenbahnnetz (1862); die Strecke wurde 1892 bis zum Norddeicher Fähranleger (genannt Norddeich Mole) weiter geführt.

1905 wurde die 1998 aufgelöste Küstenfunkstelle Norddeich Radio errichtet.

Zeit des Nationalsozialismus

Norden besaß viele Jahrzehnte hindurch eine jüdische Gemeinde, die in Norden und auf Norderney jeweils eine Synagoge betrieb. Die Synagoge in Norden wurde während der nationalsozialistischen Pogrome in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstört. Das Schulhaus und das Wohnhaus des Rabbiners stehen noch. Ein christlich-jüdischer Arbeitskreis hat die Grundmauern der Synagoge wieder frei gelegt und auf dem Gelände ein Mahnmal für die verfolgten und brutal ermordeten ehemaligen jüdischen Mitbürger errichtet.

Nach 1945

Durch den Flüchtlingsstrom der Nachkriegszeit nahm die Bevölkerung Nordens erheblich zu. Ein neuer Stadtteil, Norden-Neustadt, entstand in den 1950er Jahren.

In den 1960er und 1970er Jahren wurde in Norden eine umfangreiche Altstadtsanierung vorgenommen. Entsprechend dem damaligen Zeitgeist ging man wenig liebevoll mit historischer Bausubstanz um. Südlich des Marktes standen hauptsächlich aus dem 18. Jahrhundert stammende Häuser (entlang der engen Straßenzüge von Kirch-, Siel-, Uffen- und Heringstraße), die teilweise noch über offene Feuerstellen und die für Ostfriesland typischen Butzen (Wandnischen zum Schlafen) verfügten. Es wurden zahlreiche Häuser an den genannten Straßen abgerissen, lediglich an der Ostseite der Uffenstraße sowie am Burggraben wurden einige erhalten. Durch die Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat wurde auf dem nun freien Gelände ein Komplex mit Mehrfamilienhäusern und drei Wohnhochhäusern errichtet.

Es wurden als weitere Maßnahme mehrere Straßen rund um den Marktplatz verbreitert. Dieser Aktion fielen erneut alte Bürgerhäuser (darunter die Tischlerei Nesso an der Einmündung Klosterstraße) zum Opfer (auch entlang Burggraben, Damm-, Schlachthausstraße), außerdem mussten die Alleebepflanzungen der Bahnhof- und Norddeicher Straße weichen. Das in den 1970er Jahren abgerissene dritte Haus der Drei Schwestern wurde 1993 wieder aufgebaut, da sich inzwischen die stadtplanerischen Strömungen in Deutschland wieder zum Konservativen hin entwickelt hatten und man nun der historisch gewachsenen Innenstadt eine ganz andere Bedeutung beimaß. Man hatte etwa in den 1970er Jahren auch den Abriss des Schöninghschen Hauses und des Vossenhuus geplant, was aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar ist. Damals konnte dies durch das Engagement der Bevölkerung und durch private Investoren verhindert werden. Heute ist man dabei, den Marktplatz Stück für Stück attraktiver zu gestalten, man fügt historische Details, die verloren gegangen waren, wieder dem Stadtbild hinzu und hebt historische Merkmale besonders hervor.

Durch die niedersächsische Kommunalreform 1972 gewann die Stadt eine Reihe von umliegenden Gemeinden als neue Stadtteile hinzu. Heute wohnen in Norden etwa 25.000 Einwohner. Bei der Kreisreform 1977 verlor die Stadt Norden den Sitz des gleichnamigen Kreises (Kfz-Kennzeichen NOR) und gehört seither als selbstständige Stadt und Mittelzentrum zum Landkreis Aurich mit der Kreisstadt Aurich.

Einzelnachweise

  1. Eberhard Rack: Kleine Landeskunde Ostfriesland, Isensee Verlag, Oldenburg 1998, S. 100-102.
  2. norden.de: Zeittafel zur Norder Geschichte
  3. Herbert Obenaus (Hrsg.): Historisches Handbuch der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen. Wallstein, Göttingen 2005, ISBN 3-89244-753-5, S. 1122
  4. Eberhard Rack: Kleine Landeskunde Ostfriesland, Isensee Verlag, Oldenburg 1998, S. 81.

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