Geschirr (Zugtier)

Geschirr (Zugtier)
Pferdearbeitsgeschirr mit Spitzkummet
Ochse mit Nackenjoch im Engadin um 1900

Das Geschirr oder auch die Schirrung (engl. harness) dient dazu, Zugtiere einzuspannen, damit diese beispielsweise eine(n) Karren, Pflug, Schleife, Schlitten oder Wagen optimal ziehen können.

Inhaltsverzeichnis

Verbreitete Geschirr-Arten

Je nach Tier und Einsatzzweck gibt es heutzutage verschiedene Bezeichnungen und Arten von Geschirren, die in einer langen Entwicklung sukzessiv entstanden. In Mitteleuropa kommen heute fast ausschließlich Pferde und damit das Kumt- und Brustblatt-Geschirre zum Einsatz.

Als Materialien kommen in Europa heute in erster Linie Leder, Nylon und andere Kunststoffe zum Einsatz, in Entwicklungsländern wird jedoch noch häufig auch mit Geschirren aus Ketten, Holz, Leinen oder gebundenem Stroh gearbeitet.

Jochgeschirr

Ochsen mit Stirneinzeljochen (1915)

Das Joch ist die älteste Form der Anspannung von großen Zugtieren. Es erscheint um 3500 v. Chr. im Nahen Osten und in Teilen Europas in Abbildungen und Bodenfunden. Sein Gebrauch ist aber älter und indirekt durch Pflugspuren und die Kastration von Stieren nachweisbar. Die älteren Hinweise sind in Zuordnung oder Datierung unsicher und nur sehr vereinzelt.

Ursprüngliche Form des Joches ist das Kopfjoch mit den beiden Varianten Stirn- und Nackenjoch. Beide werden an den Hörnern des Zugtieres befestigt, das Stirnjoch davor, das Nackenjoch dahinter. Das Kopfjoch ist daher nur für Hornträger geeignet. Die Zugtiere wurden zumeist paarweise in Doppeljoche eingespannt (alte Skizzen aus dem Orient sind da nicht eindeutig), wodurch die Last über eine am Joch zwischen den Tieren befestigte Deichsel gezogen wurde. Durch diese Anschirrung können die Tiere die Köpfe kaum noch bewegen, was wesentlichen Anteil an der sprichwörtlichen „Unterjochung“ der Tiere hat. Es wurden meist Ochsen als Zugtiere verwendet, die wegen der Kastration besser handhabbar waren. Es wurden und werden aber auch Kühe, gelegentlich als Fahrkühe bezeichnet, vor Wagen gespannt.

Widerristjoch in einfacher Ausführung, wie es heute in Entwicklungsländern in großem Umfang genutzt wird

Die zweite Form des Joches ist das Widerristjoch, das von den Zugtieren mit dem Widerrist geschoben wird. Der Jochbalken wird vor dem Widerrist der Zugtiere aufgelegt, um ihren Bug wird jeweils ein U-förmig aus elastischem Holz gebogener Jochbogen gelegt und nach oben durch Bohrungen im Jochbalken geführt. Dort wird er durch ursprünglich ebenfalls hölzerne Jochnägel fixiert, die durch eines von mehreren Löchern des Jochbogens gesteckt werden, was eine Anpassung an die Größe des Zugtieres erlaubt. Der Jochbalken war ursprünglich ein einfaches Rundholz, später wurde er an die Nackenform der Zugtiere angepasst. Spätere Joche verwendeten die jeweils gut verfügbaren Materialien, zum Beispiel eiserne Beschlagteile oder heute auch in Streifen geschnittene Lkw-Reifen als Jochbögen.

Das Widerristjoch ist auch für Equiden, speziell Esel, Pferde und Maultiere, als Zugtiere geeignet. Wegen der ungünstigen Krafteinleitung auf den Widerrist konnte damit jedoch die wesentlich höhere Zugleistung von Pferden gegenüber Ochsen immer noch nicht voll genutzt werden. Durch die höheren Kosten für Pferde blieb deren Einsatz daher zunächst beschränkt, frühe Ausnahmen sind zum Beispiel in Kombination mit dem Brustblatt Streitwagen.

Auch das Widerristjoch wurde zunächst als Doppeljoch eingesetzt. Die Deichsel wird hierbei mit Jochring und Deichselnagel auf sehr einfache Weise gelenkig mit dem Joch verbunden. Einzeljoche waren für die wegen ihrer Zugkraft benötigten Doppelgespanne erst durch eine aufwendigere Anschirrung mit Zugsträngen beiderseits jedes Zugtieres sinnvoll. Sie setzten sich deswegen erst sehr spät durch. So war und ist die spezifische Bedeutung von „Joch“ oft Doppeljoch, das Einzeljoch trägt dann Bezeichnungen wie „Halbjoch“ oder „Jöchel“.

Seit dem Hochmittelalter wurde das Joch durch die Einführung des Kumt überall verdrängt, wo ausreichend Kapital vorhanden und die Leistungsfähigkeit des Gespanns ein Kriterium war, insbesondere bei gleichzeitigem Einsatz von mehreren Pferden. Wegen des geringen Herstellungsaufwands bzw. der geringen Kosten wird das Joch sonst auch heute noch eingesetzt.

Kumt

Zwei Rinderkummets

Das Kumt (oft auch Kummet oder Kummt) ist ein steifer, gepolsterter Ring oder besteht aus ebensolchen Ringsegmenten. Es wird dem Zugtier um den Hals gelegt und erlaubt es, die Zugkraft durch eine der Tierart entsprechende Gestaltung sinnvoll auf Brustkorb, Schultern und Widerrist zu verteilen. Bei Pferden wird erst dadurch ihre Zugkraft in vollem Umfang nutzbar. Es wird ein geschlossenes Kumt verwendet, die Zugkraft wird durch Brust und Schultern aufgebracht. Bei Rindern ist das Kumt in der Regel oben durch ein Gelenk verbunden und unten offen und verschließbar, da es, wegen der Hörner, nicht über den Kopf gestreift werden kann. Die Zugkraft wird im Wesentlichen durch den Widerrist und die Schultern aufgebracht.

Das Kumt muss der Statur und Halsform eines jeden Tieres angepasst werden, ansonsten kommt es schnell zu Druckstellen. Es besteht aus:

  • einem Kumtkissen, ein gepolsterter Ring, meist aus Leder gefertigt und mit Stroh gefüllt.
  • einem Kumtbügel, der Stahl- oder Holzring, an dem die Deichsel bzw. die Anzen befestigt werden können. Der Ring lässt sich über einen Riemen öffnen.
  • einer Kumtspitze mit Schutzkappe, damit kein Wasser oder Staub in das Kissen eindringen kann.
  • einer Schlusskette (Einspänner) oder einem Langring (Zweispänner) zur Befestigung der Aufhalter.

Das Kumtgeschirr wurde bereits um 500 v. Chr. in China erfunden. Es erreichte Europa aber erst um 1000 n. Chr. Obwohl es einen wichtigen Fortschritt für die Landwirtschaft bedeutete, nun die gesamte Zugkraft der kräftigeren Pferde vor dem Pflug einsetzen zu können und Zugpferde nun eindeutig rentabler waren, setzten sie sich in der Landwirtschaft nur sehr zögerlich gegen die Zugochsen durch. Die höheren Kosten wollte man nicht ohne weiteres aufbringen. Erst als in der spätmittelalterlichen Krise um 1400 die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse rapide fielen, verdrängte das Pferd wegen seiner höheren Rentabilität das Rind als Zugtier schließlich fast vollständig.

Brustblattgeschirr

Als Brustblattgeschirr oder Sielengeschirr bezeichnet man ein leichtes Pferdegeschirr, bei dem das Pferd nur mit der Brust zieht. Das Brustblatt wird zusammen mit leichten Wagen vorzugsweise in ebenem Gelände verwendet. Die Brustblattanspannung heisst Land- oder Juckeranspannung und wird auch als ungarische Anspannung bezeichnet.

Aufbau und Funktion: Der Zug erfolgt über das sogenannte Brustblatt, ein etwa acht bis zwölf Zentimeter breites, gepolstertes Lederstück, das über die Brust des Zugtiers verläuft. Auf beiden Seiten des Brustblatts sind die Zugstränge eingeschnallt, über welche die Kutsche gezogen wird. Getragen wird das Brustblatt von einem über den Hals verlaufenden Riemen, dem Halsriemen, auf dessen Oberseite meist zwei Metallringe, die sogenannten Leinenaugen, befestigt sind, durch welche die Fahrleinen geführt werden.

Zum Brustblattgeschirr gehört weiterhin ein Selett (beim Einspänner-Brustblattgeschirr), auch Kammdeckel (beim Mehrspänner-Brustblattgeschirr) genannt, das hinter dem Halsriemen (oder Halskoppel) auf dem Rücken liegt und von einem Bauchgurt und meist auch einem Schweifriemen mit Schweifmetze gehalten wird. Im Einspänner trägt das Selett die Anzen des Wagens. Das Brustblattgeschirr wird meist aus Leder oder Nylon gefertigt.

Herkunft und Verwendung: Das Brustblattgeschirr ist für schweren Zug, also schwere Lasten oder hügeliges Gelände, nur bedingt geeignet, da es im Vergleich zum Kumtgeschirr eine geringe Auflagefläche hat und unter schwerer Last das Zugtier in der Bewegung und vor allem der Atmung einschränkt. Es war früher vor allem in ebenen Gebieten wie Ungarn üblich, während in hügeligen Gebieten und im bäuerlichen Bereich vor allem Kumtgeschirre verbreitet waren. Heute ist das Brustblattgeschirr aufgrund seiner Einfachheit und der vielfältigen Verstellmöglichkeiten zum meistverwendeten Geschirr im Freizeitbereich des Fahrsports geworden.

Marathonkumt

Marathonkumt

Das Marathonkumt (auch: Französisches Kumt) ist vor allem im Turniersport verbreitet. Es ist eine Kombination von Kumt und Brustblatt in einem Stück. Das Marathonkumt verteilt die Zuglast besonders großflächig auf Schulter und Bug des Pferdes. Das ist im Hinblick auf Zugleistung und Ausdauer von Vorteil. Ein Marathonkumt muss besonders sorgfältig angepasst werden.

Sonstige Anspannungen

Für die Anspannung der primär außerhalb Mitteleuropas verbreiteten Zugtierarten Dromedar, Trampeltier, Lama, asiatischer Elefant, Haushund (siehe Zuggeschirr) oder Ren sind spezielle Geschirre in Gebrauch.

Siehe auch

Literatur

  • Jürgen E. Walkowitz: Logistik im Neolithikum und Chalcolithikum In: Varia neolithica IV, 2006, ISBN 3-937517-43-X

Weblinks


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