Getúlio Dornelles Vargas

Getúlio Dornelles Vargas
Getúlio Dornelles Vargas

Getúlio Dornelles Vargas (* 19. April 1883 in São Borja, Rio Grande do Sul; † 24. August 1954 in Rio de Janeiro) war Präsident Brasiliens von 1930 bis 1945 und von 1950 bis 1954.

Inhaltsverzeichnis

Aufstieg

Vargas wurde in eine Politikerfamilie geboren, studierte Jura und war einige Jahre als Anwalt tätig.

Seine Karriere als Politiker begann er 1907 als Abgeordneter des Kongresses des Bundesstaates Rio Grande do Sul. Ab 1922 war Vargas Mitglied des brasilianischen Nationalkongresses, vier Jahre später Finanzminister und 1928 Gouverneur von Rio Grande do Sul.

Getúlio Dornelles Vargas während der Revolution von 1930

Im Jahr 1930 trat Vargas bei der Präsidentenwahl gegen den Kandidaten der Regierung an und verlor. Nach der folgenden Rebellion der „großen Koalition der Unzufriedenen“ übertrug das Militär am 24. Oktober 1930 Vargas die Macht und machte ihn zum Präsidenten Brasiliens mit diktatorischen Vollmachten. Am 3. November 1930 übernahm er das Amt.[1] Vier Jahre später wurde er durch eine Wahl bestätigt und begann mit der Umsetzung sozialer Reformen, was ihm den Beinamen „Vater der Armen“ einbrachte. Er ließ eine Wahl für eine Verfassungsgebende Versammlung am 3. Mai 1933 abhalten, die eine neue Verfassung ausarbeitete. Diese trat am 16. Juli 1934 in Kraft.

Vargas führte in seinen ersten Amtsjahren wichtige Neuerungen in Brasilien ein und hatte großen Erfolg. Brasiliens Anteil am Weltmarkt für Baumwolle stieg von 2 Prozent auf 8,7 Prozent, die Zahl der Analphabeten sank von 70 Prozent auf 56 Prozent.

Estado novo

Sieben Jahre nach seiner Machtergreifung wurden Präsidentschaftswahlen auf Januar 1938 angesetzt. Getúlio vertraute den Kandidaten jedoch nicht und suchte nach einem Vorwand für einen weiteren Putsch. Im September 1937 wurde ein Offizier verhaftet, der im Verteidigungsministerium einen sogenannten „Cohenplan“ als Vorbereitung eines kommunistischen Umsturzes abtippte. Der Plan war anscheinend Fiktion, sein angeblicher Urheber unbekannt; allerdings ist der Name „Cohen“ jüdisch und kann als Anspielung auf den ungarischen Kommunisten Bela Kun gedeutet werden. Der Plan wurde sofort der Öffentlichkeit übergeben. Der Kongress verhängte den Kriegszustand und erteilte Vargas diktatorische Vollmachten für 90 Tage.

Unter dem Vorwand, der Plan werde bereits in den Kasernen verteilt, ließ das Militär durch die Polizei das Parlament schließen. Reaktionen der Bevölkerung blieben aus, viele hielten die Vorkommnisse aufgrund der fiktiven Bedrohung sogar für gut.

Getúlio Vargas rief den Notstand aus, verbot alle politischen Organisationen, löste den Kongress auf und proklamierte am 10. November 1937 den „Estado Novo“ (1937-1945)[2], den er selbst als Diktator lenkte. Unter der Regierung Vargas verlagerte sich die Macht von den Bundesstaaten zur Zentralregierung und von den Großgrundbesitzern zur städtischen Mittel- und Unterschicht.

Die relativ enge wirtschaftliche und diplomatische Zusammenarbeit mit den USA während des 2. Weltkrieges veranlasste Brasilien 1942 zum Kriegseintritt. Überdies gelang es ihm, mit den Alliierten des Zweiten Weltkriegs, die von Brasilien unterstützt wurden, ein günstiges Abkommen für Brasiliens Staatsschulden auszuhandeln. Er versuchte die Wirtschaft durch Dirigismus und Importsubstitution anzukurbeln. Aufstände der Kommunisten (1935) und der faschistischen Integralisten (1938) wurden von Vargas niedergeschlagen.

Außenpolitik

Die Revolution von 1930, die Vargas an die Macht brachte, war nur eine von vielen in Lateinamerika. Zwischen 1930 und 1932 fanden auf dem Kontinent elf Umstürze statt, die meisten durch Militärs. Ein Linksrutsch fand in vielen Ländern statt. Daher galt Brasilien den USA als Brückenkopf im Kampf gegen den Kommunismus. Zudem waren die USA traditionell der wichtigste Handelspartner und größter Kapitalgeber. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Beziehungen zu den USA sehr gut waren, obwohl Vargas de facto eine Diktatur errichtet hatte und mit seinen Sympathien für Mussolini und Hitler nicht hinter dem Berg hielt.

Deutschland nahm ebenfalls eine immer stärkere Rolle als Handelspartner ein und verdrängte die USA 1938 schließlich als wichtigster Importeur – ein Viertel aller Importe kamen aus Deutschland, Rüstungsimporte spielten hier eine große Rolle. 19 Prozent der brasilianischen Exporte gingen nach Deutschland, 34 Prozent in die USA. Mit Kriegsausbruch gingen die Beziehungen allerdings zurück, wobei sich Brasilien zunächst neutral verhielt. Nach dem amerikanischen Kriegseintritt 1942 und der Versenkung mehrerer Schiffe durch die Kriegsmarine sah sich das Land gezwungen, den Achsenmächten ebenfalls den Krieg zu erklären, und entsandte 1944 40.000 Soldaten an die italienische Front, von denen 454 den Tod fanden.

Rücktritt

Mit der Rückkehr der Soldaten änderte sich das politische Klima in Brasilien. Parteien wurden wieder erlaubt und der Diktator versprach Wahlen für das Jahr 1945, bei denen er sich nicht mehr zur Wahl stellen wollte. Allerdings gingen aus der staatlichen Einheitspartei zwei Nachfolgeparteien hervor, die aufgrund ihrer Größe und des Zugriffs auf staatliche Mittel als Fortsetzung seiner Politik anzusehen waren: Der Partido Trabalhista Brasileiro (PTB, Brasilianische Arbeiterpartei) entstand aus Kreisen des Arbeitsministeriums und der Gewerkschaften, der Partido Social Democrático (PSD, Sozialdemokratische Partei Brasiliens) entstand aus dem engen Kreis der Vertrauten Vargas’, den „Interventores“, staatlich eingesetzte Landespräsidenten, und Regierungsangehörigen.

Die Unterstützungsbewegung Queremos Getúlio („Wir wollen Getúlio“), die sich für den Verbleib des Präsidenten einrichtete, bedeutete das rasche Ende seiner Herrschaft: Die Gesellschaft und besonders das Militär fragten sich, wie ernst die Beteuerungen des Präsidenten, nicht mehr anzutreten, zu nehmen seien. Der Aufstieg Juan Domingo Peróns in Argentinien, der sich stark am Vorbild Vargas’ orientierte, bestärkte die Ängste seiner Gegner, der Präsident würde die Wahlen doch aussetzen. Als Vargas schließlich den Polizeichef Rios durch seinen Bruder auswechselte, versetzte der Verteidigungsminister die Truppen in Alarmbereitschaft und zwang Vargas zur Abdankung.

Die nachfolgenden Wahlen gewann sein ehemaliger Verteidigungsminister Eurico Gaspar Dutra mit 55 Prozent der Stimmen. Andere Parteien als die „Regierungsparteien“ PSD und PTB hatten keine Siegeschancen.

Wiederwahl

Im Jahre 1950 wurde er als Präsidentschaftskandidat „seiner“ Parteien, PTB und PSD, aufgrund seiner großen Popularität regulär wiedergewählt.

Vargas war seit dem 20. Mai 1953 Träger der „Sonderstufe des Großkreuzes“ des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Selbstmord

1954 befahl Vargas seinem langjährigen Gefährten Gregório Fortunato, Chef der Wache des Präsidentenpalastes, den Oppositionspolitiker Carlos Lacerda „aus dem Weg zu räumen“. Fortunato lauerte Lacerda auf, tötete jedoch dessen Begleiter, einen Major der Luftwaffe, und verletzte Lacerda nur leicht. Dies war das politische Ende für den Diktator: Neben dem generellen Aufruhr, den das Attentat verursachte, hatte er seinen Gegner gestärkt und die Luftwaffe in offene Rebellion versetzt. Rücktrittsforderungen wies Vargas weit von sich. Am 23. August wurde er von 27 Generälen des Heeres in einem offenen Brief abermals zum Rücktritt aufgefordert, darunter auch von befreundeten Militärs. Ohne den Rückhalt des Militärs verlor Vargas jede Hoffnung und nahm sich am Morgen des 24. August mit einem Pistolenschuss ins Herz das Leben.

Vargas hinterließ einen Brief, in dem er internationale und nationale Gegner der Vorgänge bezichtigte und sich als Opfer darstellte. Diese letzte populistische Geste brachte hunderttausende seiner Anhänger auf die Straße, die Oppositionszeitungen und die amerikanische Botschaft verwüsteten. Vizepräsident João Café Filho übernahm das Amt und versicherte, am regulären Termin Wahlen abzuhalten.

Siehe auch: Zeittafel Brasilien

Literatur

  • Jens R. Hentschke: Getulio Vargas. In: Nikolaus Werz (Hrsg.): Populisten, Staatsmänner, Revolutionäre. Politiker in Lateinamerika. Vervuert, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-86527-513-4, S. 216–236 (Bibliotheca Ibero-Americana 129).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Die Revolution von 1930 in: Ursula Prutsch: Brasilien 1889–1985, Von der Ersten Republik bis zum Ende der Militärdiktatur, abgefragt am 2. November 2010
  2. Von der Ersten Republik bis zum Ende der Militärdiktatur von Dr. Ursula Prutsch, Institut für Geschichte der Universität Wien
Vorgänger Amt Nachfolger
Julio Prestes Präsident von Brasilien
1930–1945
José Linhares
Eurico Gaspar Dutra Präsident von Brasilien
1951–1954
João Café Filho

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